Teil 20 Frei
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„Schätzchen?“, eine vertraute Stimme hallte in ihrem Kopf, erzählte ihr etwas, fragte sie etwas. Doch sie war so schwach, sie konnte sich nicht bewegen – und dann immerzu dieses furchtbare Piepen und Summen. Wo war sie? Und was war mit ihr passiert?
Vorsichtig versuchte sie die Augen zu öffnen, sie brannten etwas, als sie das grelle Licht erblickten und nicht mehr in wohltuende Dunkelheit eingehüllt waren. Ihr Schädel brummte, üble Kopfschmerzen hatten sich in ihrem Kopf breit gemacht. Nur ganz langsam verwandelte sich das verschwommene Bild in Formen und Gegenstände. Und sie erkannte einen hellen weißen Raum, sie brauchte nicht lange um zu verstehen, dass sie in einem Krankenhauszimmer lag.
Jemand drückte ihre Hand, sie wandte den Kopf dorthin und sah, dass ihre Mutter neben ihrem Bett auf einem Stuhl saß und sie völlig besorgt anschaute, aber auch etwas erleichtert.
„Oh mein Schätzchen, endlich bist du aufgewacht, ich hab’ mir solche Sorgen gemacht, mach’ so was…“, plötzlich hielt Moni inne und ergriff nun auch Lanas andere Hand. Ein Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, es war jetzt wirklich nicht die richtige Zeit, um ihrer Tochter eine Standpauke zu halten.
„Was ist passiert?“, fragte Lana mit matter Stimme.
„Du bist ohnmächtig geworden, und man hat dich ins Krankenhaus gebracht. Mensch Kind, was hast du da nur gesucht? Und warum hast du dich nie bei mir gemeldet, bist nie nach Hause gekommen, Lana, was ist los?“, nun klang Monis Stimme drängend.
Lana seufzte, sie versuchte sich zu erinnern, was war geschehen? Sie hatte mit John geredet, er hatte ihre Seele an den Teufel verkauft. Plötzlich wurde ihr übel, ihr wurde bewusst, dass man ihre ganze Welt auf den Kopf gestellt hatte. Ihre Seele an den Teufel verkauft, das war verrückt. Dann war sie hinausgerannt aus seiner Wohnung, und diese schrecklichen Schmerzen überkamen sie wieder, die Schmerzen, die sie auch im Wald gehabt hatte. Oh Gott Daniel! Sie wurde leichenblass, als ihr wieder einfiel, wie sie Daniel vorgefunden hatte.
„Schätzchen, bitte rede mit mir, was ist passiert?“, ihre Mutter riss sie aus ihren Gedanken. Aber was sollte sie ihr nur erzählen? Wie sollte sie das alles erklären?
„Ich habe Schmerzen, mein Kopf tut fürchterlich weh, ich würde gerne etwas Ruhe haben und schlafen“, sagte sie und sah ihre Mutter bittend an.
Diese nickte. „Gut, ich warte hier und schicke einen Arzt zu dir, der soll dich noch mal untersuchen, jetzt wo du wach bist.“, Moni wollte gerade aufstehen, als ihre Tochter sie zurückhielt.
„Nein, bitte fahr’ nach Hause und lass mich in Ruhe hier liegen, du brauchst dich nicht um mich sorgen!“
Moni schaute ihre im Bett liegende Tochter eine Weile an, sollte sie Lana wirklich alleine lassen? Gut, wenn das ihr Wunsch war, wahrscheinlich würde es ihr dann Morgen früh besser gehen. „Aber ruf’ mich bitte sofort an, wenn was ist oder du dich wieder fit fühlst!“, das war keine Bitte, sondern es klang wie ein Befehl.
Lana lächelte. „Natürlich Mutter!“
Sie wartete genau eine Stunde, noch war kein Arzt zu ihr gekommen, aber sie hatte auch überhaupt keine Lust auf eine Untersuchung, etwas anderes schwebte ihr im Kopf herum. Sie musste wissen, was nun los war, was nun passieren würde, wie es weiter gehen würde, und John war der einzige, der Antworten darauf hatte.
Ganz langsam richtete sie sich auf, die Kopfschmerzen waren unerträglich, aber sonst kam ihr alles normal vor, sie schien keine schweren Verletzungen zu haben. Vorsichtig trat sie mit einem Fuß auf, nichts tat ihr weh, außer dem Kopf, aber sonst war alles in Ordnung, nur etwas schwach fühlte sie sich. Sie fühlte ihren Kopf ab und ertastete eine Stelle, die angeschwollen war und wehtat, aber da fehlte doch etwas, war es möglich? Sie tastete noch einmal alles ab. Verrückt, ihre Ohren sie waren weg! Doch darüber würde sie sich gleich noch Gedanken machen können, nun musste sie erst einmal hier raus und zu John.
Sie schaute an sich herab, in diesem Krankenhaushemd konnte sie nun wirklich nicht gehen, schnell blickte sie sich im Zimmer um und fand das, wonach sie gesucht hatte. Es war klar, ihre Mutter dachte an solche Sachen, und es wunderte sie keineswegs, als sie die Tasche auf dem Stuhl neben dem Tisch sah. Vorsichtig ging sie zur ihr hinüber, öffnete sie und fand einen Haufen Kleidungsstücke darin.
Es war ein Kinderspiel, das Krankenhaus zu verlassen, sie sah ja auch unauffällig aus mit ihrer Jeans und dem T-Shirt, nur ihre Haare waren zerzaust und sahen leicht ungepflegt aus, doch da Lanas Kopf bei jeder Berührung wehtat, hatte sie auf eine Bürste ganz und gar keine Lust.
Sie nahm sich vor dem Krankenhaus ein Taxi, und es brauchte zwanzig Minuten, bis sie endlich an der Wohnung von John ankam.
Es war bereits dunkel, und ihr gingen sämtliche Fragen durch den Kopf.
Als sie bei John klingelte, passierte nichts, ein ungutes Gefühl überkam sie, irgendetwas stimmte da nicht, und irgendetwas war auch bei ihr anders, nur was?
Und wie konnte sie in die Wohnung von John kommen? Da kam ihr die Idee, sich zu verwandeln, mit den Kräften des Dämons würde sie einfach die Tür aufbrechen.
Doch plötzlich fiel ihr auf, dass etwas anders war, dass ein wunderbares befreiendes Gefühl in ihr war.
Er war weg!
Ihr Körper, er gehörte nur noch ihr, ihr ganz allein, sie fühlte ihr Herz unbeschwert pochen, sie fühlte ihr Blut durch die Adern fließen, spürte es, wenn sie die Luft tief einsog, wie war das möglich? Ihr Dämon, er war weg, und sie hatte es erst jetzt gemerkt!
Ein Strahlen legte sich auf ihr Gesicht. Es war unmöglich, ihr Dämon war nicht mehr da, und sie fühlte sich normal, sterblich, schwach, und es war ein wunderbares Gefühl.
Auf dem Weg nach Hause, sie nahm diesmal Bus und Bahn, dachte sie über all das nach, John meinte, sie hätte seinen Vertrag gebrochen, war deshalb der „Fluch“ von ihr gewichen?
Eine alte Dame setzte sich zur ihr, und Lana rutschte etwas dichter an das Fenster der Bahn. Sie holte ihr Handy aus der Tasche, ging ins Telefonbuch und suchte Johns Nummer. Doch niemand ging ran. Es war seltsam, was war mit ihm? Einerseits war es ihr völlig egal dass sie nichts mehr von ihm hörte, wäre da nicht die Sache, dass sie nicht wusste, wie es wohl weiterging. War sie nun wieder ein völlig freier Mensch?
Fast hätte sie ihre Station verpasst, schnell sprang sie noch auf und stürmte hinaus.
Die milde Abendluft wehte ihr angenehm ins Gesicht, und sie konnte nicht anders als dauernd zu lächeln, er war weg, und sie war frei!
Eine Woche war vergangen eine Woche, hatte Lana nichts von John gehört und gesehen, obwohl sie öfter zu seiner Wohnung gefahren war. Langsam kam ihr das alles nur wie ein böser Traum vor, es erschien ihr so unecht, als hätte sie dies niemals erlebt. Doch sie wusste es, sie wusste, dass es so etwas gab, Dämonen…
Ihre Mutter schickte sie noch ein paar Mal zum Arzt, doch der konnte den Grund für ihre Ohnmacht nicht finden, sie war kerngesund.
Langsam holte sie wieder der ganz normale Alltag ein, sie schrieb Bewerbungen, ging spätestens um 22 Uhr zu Bett und wachte morgens um 8 Uhr auf. Ihre Mutter fragte sie noch ein paar Mal nach ihrem Befinden, doch es ging ihr gut, Lana hatte das Gefühl, dass alles wieder normal werden würde.
Aber dennoch dachte sie sehr oft an Daniel und vor allem an Tore, Tore war verheiratet, das hatte sie ja deutlich an seinem Ehering gesehen, warum also hatte er nur mit ihr geschlafen? Er wollte sie wiedersehen, hatte er gesagt, sie hatte abgelehnt, aber jetzt auf einmal würde sie ihn gerne noch einmal sehen. Wollte mit ihm über all das reden, was geschehen war und dass der Spuk nun zu Ende zu sein schien. Was machten wohl die anderen, die für John ebenfalls gestohlen hatten?
Sie beschloss zum Polizei Revier zu fahren und dort nach Tore zu fragen.
Da stand sie nun vor dem Schalter, und der junge Polizist schaute sie musternd an. Als sie den Namen „Tore“ erwähnte, fing er plötzlich an zu grinsen und löste seinen Blick aus ihrem Ausschnitt. Er war arrogant, nicht gerade sehr höflich, und es machte sie sauer, so behandelt zu werden.
„Ich weiß zwar nicht ob er Zeit hat, aber ich werde mal nachsehen, warten sie hier!“, befahl er ihr schon fast. Sie erwiderte daraufhin nichts, setzte sich auf einen Stuhl und wartete.
Es dauerte nicht lange, und jemand tauchte in ihr Blickfeld, sie erkannte ihn sofort wieder, groß war er, muskulös, und die Narbe im Gesicht war ihr so vertraut. Lana lächelte ihn leicht schüchtern an, und Tore strahlte über das ganze Gesicht.
„Mit dir hätte ich überhaupt nicht gerechnet, ich hatte mir schon Sorgen gemacht“, seine Stimme klang ruhig und leise, wahrscheinlich wollte er nicht, dass der junge Mann am Schalter ihn hörte.
„Mir geht es gut, ich wollte dir alles berichten, hast du Zeit?“, sie war sich gar nicht mehr so sicher, ob sie das Richtige tat. Immer wieder fiel ihr Blick auf seinen Ring.
„Sehr gerne, ich hole nur noch eben mein Geld und dann gehen wir was essen.“
Sie blickte immer wieder schüchtern von ihrer Lasagne hoch, sie waren zum Italiener um die Ecke gegangen, und irgendwie wirkte die Stimmung sehr gedrückt.
Tore schaute von seinem Essen auf und lächelte sie an. „Also dann erzähl mir alles“, sagte er und trank einen Schluck Mineralwasser.
„Ich habe also John noch am gleichen Tag zur Rede gestellt, und was soll ich sagen, es war genau so, wie ich gedacht hatte. Er hat mich an den Teufel verkauft, ich sollte ihm all die Seelen holen. Stell’ dir das nur einmal vor... Jedenfalls kam es zwischen uns zum Streit, er meinte, ich hätte den Vertrag gebrochen und alles zunichte gemacht. Ich bin rausgestürmt, sonst hätte ich ihm noch was angetan. Draußen bin ich wohl zusammengebrochen und im Krankenhaus wieder aufgewacht. Seitdem ist mein Dämon weg, und seit einer ganzen Woche erreiche ich auch John nicht mehr…“, sie nahm etwas von der Lasagne und schob es sich nachdenklich in den Mund.
Tore saß ihr gegenüber und schaute sie interessiert an, wie immer war sie wunderschön, mit den rosa Strähnchen im Haar und überhaupt mit dieser ganzen Ausstrahlung...
Er räusperte sich kurz. „Wir haben jemanden gefunden…“
Lana sah von ihrem Teller auf und schaute Tore gespannt an.
„Ich dachte mir schon, dass es was mit dir zu tun hatte. Aber ganz sicher war ich mir nicht…“, er hielt inne.
„Was denn, erzähl’ bitte“, drängte sie ihn und hörte auf zu essen.
„Einen Tag später, nachdem wir uns getrennt hatten, haben wir eine Leiche aus einer Wohnung geholt, in der Gegend von Völlingen, der Name des Mannes war John Huseln…“
„Lana sah Tore verdutzt an. „Das ist er, das ist John… Oh mein Gott, ist deswegen der Fluch vorbei, weil er nun tot ist?“, die Frage stellte sie sich eher selber. Sie war ja so erleichtert, dass er nicht mehr lebte, John würde nie wieder jemandem etwas Schreckliches antun können. Aber es beunruhigte sie auch, dass sie nun nie die ganze Wahrheit erfahren würde.
„Heißt das, dass endlich alles vorbei ist? Kannst du wieder ein normales Leben führen?“, fragte Tore sie und sah sie eindringlich an.
Lana nickte, aber sie wusste es besser, ein normales Leben? Nein, das konnte sie nie wieder führen, sie wusste nun über all das Bescheid, sie wusste, wie es war seinen Körper mit einem anderen Wesen teilen zu müssen, sie wusste, es gab einen Teufel, und die Angst, er würde irgendwann einmal wiederkommen, war groß, war sehr groß.
Sie erhob sich und lächelte Tore liebevoll an. „Danke, du hast mir wirklich sehr geholfen… Aber ich muss jetzt gehen!“, verabschiedete sie sich von ihm.
Tore sah verwundert zu ihr hoch, sie hatte noch nicht einmal aufgegessen.
„Sehe ich dich wieder?“, er kannte die Antwort irgendwie schon, aber er wollte sie von ihr selber hören. Sie schüttelte ihren hübschen Kopf, ging um den Tisch herum und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. Auch wenn es nur eine kurze sanfte Berührung war, ließ ´sie Tore kurz träumen, ließ ihn zurückdenken an die Erlebnisse mit ihr, an den Sex, an das was sie in ihm bewirkte. Zu jung… ging es ihm durch den Kopf, sie war zu jung, und das würde immer zwischen ihnen stehen.
„Nein, wir werden uns nicht wiedersehen. Geh’ zu deiner Frau, da gehörst du hin…“, sie wartete nicht auf seine Antwort, sondern wandte sich zum Gehen.
Tore konnte nichts sagen. Er wusste, es war aus, der Traum, das Erlebnis, das Abenteuer? Was auch immer es gewesen sein mochte, es war vorbei. Und er? Er wusste nicht, was er nun tun sollte. Vielleicht sollte er wirklich zu seiner Frau zurückgehen, aber das ging nicht. Nicht nach Lana. Er würde den Hund nehmen und mit ihm ausziehen, ja das würde er machen und dennoch, Lana war weg, raus aus seinem Leben.
Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht, er hatte noch nie zuvor eine Frau so sehr begehrt wie diese, und vielleicht hatte man sie nur zusammengefügt, damit er ihr helfen konnte, das hatte er getan, ihr geholfen, und nun wünschte er sich von ganzem Herzen, dass sie ihren Weg wieder finden würde.
Lana wollte nicht gleich nach Hause gehen, sie schlenderte langsam zu ihrem Lieblingssee, den kaum einer kannte. Sie saß am Ufer und starrte schon eine Weile auf das Wasser, welches völlig ruhig vor ihr lag. Sie konnte sich einfach nicht entscheiden, ob sie nun glücklich, traurig oder einfach nur ängstlich sein sollte. Wahrscheinlich war sie das alles in einem.
Sie war glücklich, denn sie war wieder frei, sie konnte wieder ein normales Leben führen, soweit es eben ging mit diesen Erinnerungen und dem, was sie erlebt hatte.
Sie war traurig, denn sie hatte einen guten Freund gewonnen gehabt, Daniel der hinter ihr gestanden hatte, er musste sterben, nur weil er ihr geholfen hatte. Und dann war da noch das mit Tore, sie empfand sehr viel für ihn, aber sie musste vernünftig sein, er war viel älter als sie, und dazu noch war er verheiratet, er würde sicherlich seine Frau nicht für sie verlassen, es war besser so, er sollte bei seiner Frau bleiben, und sie sollten einander vergessen.
Dann war diese Angst, Angst davor, es wäre nicht vorbei, er würde wiederkommen, der Dämon, Angst davor, der Teufel würde sie doch noch holen, und sie müsste ihm dienen, Angst davor, wieder an jemanden zu geraten, der sie wie John benutzen würde.
Ein Seufzer verließ ihre Lippen, sie ließ sich nach hinten fallen und starrte nun hinauf in den Himmel, die Wolken sahen wie kleine Bäuschchen aus Zuckerwatte aus, und die Sonne lachte vom Firmament. Dann wurde ihr bewusst, so richtig bewusst, wie viel Glück sie gehabt hatte, wäre sie nicht dahinter gekommen, hätte sie den Plan nicht durchschaut, dann wäre etwas Schlimmes passiert. Aber sie, sie hatte den Spieß umgedreht und nun, nun würde alles wieder besser werden.
Ein Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht, und sie schloss zufrieden die Augen, um einfach nur die Sonne zu genießen.
Sie wusste nicht, was mit John passiert war, ob er wirklich tot war, oder ob der Teufel ihn geholt hatte, und es war ihr egal. Das einzige was zählte war, dass sie es geschafft hatte, sie hatte John einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht für das, was er ihr angetan hatte und nun?
Nun war sie frei…. Vogelfrei….
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Ende