Prolog
Das eiskalte Gefühl der Verzweiflung durchströmte ihren Körper, während sie sich im Bett vorn über beugte und ihr eine dicke salzige Träne über die Wange kroch.
Sie konnte ihren Herzschlag spüren, wie er in ihren Schläfen pulsierte. Sie hatte einen Alptraum, jedoch keinen wie du ihn kennen magst. Die Träume dieser Frau waren unvorstellbar skurril, zumal ihr Alltag schlimmer war, als deine schlimmsten Alpträume es jemals sein könnten...
Teil 1 - ein ganz normaler Alltag
Sie wusste weder wie, noch warum ihr das angetan wurde. Sie wusste nur, dass sie gefangen war. Umgeben von vier grauen, kahlen Wänden. An eine Zeit außerhalb dieser Wände konnte sie sich nur noch wage erinnern. Wie lange man sie dort schon fest hielt, konnte sie nur erahnen. Vor ungefähr 200 oder 250 "Lichtphasen" hatte man ihr einmal einen in echtem Papier verpackten Kuchen, mit der Aufschrift: "Sam, 20J, Block 5, Zelle 2b" durch die Essensklappe hereingereicht. Sie konnte sich dunkel erinnern, mit ungefähr 7 Jahren plötzlich in den vier sie umgebenden Wänden aufgewacht zu sein aber sicher war sie sich da auch nicht mehr. Sie glaubte fest daran, dass es sich bei der “20" um ihr Alter handelte, auch wenn dafür keine Beweise vorlagen - sie wollte es einfach glauben. Für dich mag ein verpackter Fertigkuchen nichts aufregendes sein aber für Sam war es mit Abstand das wundervollste, dass seit vielen Jahren ihrem von rohem Fleisch und undefinierbaren Breien geschundenen Gaumen berührte.
Wie jedes mal schaltete sich die schwache Glühbirne automatisch mit einem lauten Pfeifgeräusch ein. Dieses Signal kündigte das Ende der Dunkelphase, wie sie Sam gerne für sich selbst nannte an und läutete die Lichtphase ein. Anfangs riss dieser Ton Sam immer unsanft aus dem Schlaf und trieb ihren Blutdruck in die Höhe. Doch mittlerweile wachte sie schon immer ein paar Minuten vorher auf. Ihr Körper hatte sich an den Rhythmus mittlerweile gewöhnt, auch wenn sie weder eine Lichtquelle, noch eine Uhr hatte, an der sie sich hätte orientieren können.
Sie erhob sich schwerfällig aus ihrem Bett, das in der hinteren?... oder vorderen? ... das in irgend einer Ecke stand. Wer sein Leben in einem geschlossenen Raum verbringt, verfügt über viel Zeit sich über solche unwichtigen Fragen den Kopf zu zerbrechen. Ein gleißender Schmerz trieb durch ihre Füße, als Sam Barfuß den eiskalten Betonboden berührte. Sie hatte zwar noch immer die ledernen Hausschuhe, die ihr vor vielen Jahren einmal mit dem Essen durch die Speißeklappe reingeschoben wurden aber diese waren ihr mittlerweile viel zu klein geworden. Sie war einfach aus ihnen heraus gewachsen. Sam ignorierte den Schmerz, mit der Gewissheit, dass er nach einiger Zeit von selbst verschwinden würde und stand auf. Wie jedes mal machte sie als erstes ihr Bett. Dabei lies Sam sich stets viel Zeit und achtete darauf, dass alles akkurat und faltenfrei war. Was hätte sie denn auch sonst tun sollen? Ihre Schlafutensilien bestanden aus einem tristen, weißem Schlafanzug einer störrischen Bettdecke und einem Federkissen. In den hellen Phasen ekelte sie sich stets vor ihrem Kopfkissen. Der in weiß gefärbte Bezug hatte einen großen gelblichen Fleck. Sie vermutete, dass er von ihren nächtlichen Schweißausbrüchen und ihren Tränen herrührte. Gewaschen wurde ihre Bettwäsche nach jeder sechzigsten Lichtphase. Da war sie sich sicher, weil sie jedes mal mitzählte. Sam drehte ihr Kissen nach jeder Dunkelphase einfach um, damit sie den Fleck nicht sehen musste. Nach der vierzigsten Lichtphase drehte sie es dann auf die saubere Seite und beließ es so, bis es wieder gewaschen wurde. Das tat sie, weil der Fleck dann zu stinken begann. Ihre Bettwäsche musste sie zum waschen immer durch die Speißeklappe durchschieben, wo sie dann von ihr Unbekannten Menschen in empfang genommen und ihr Saubere überreicht wurde.
Nachdem sie nun ihr Bett zu recht gemacht hatte, es war erst die siebzehnte Lichtphase, trottete sie schlurfend zu einem kleinen weiß-grauen Waschbecken auf der anderen Seite des Raumes hinüber. Sam wollte gerade mit ihrem allmorgendlichen Waschritual beginnen, als ein alles durchdringender Schrei sich in ihre Ohren bohrte. Sie hielt inne und klammerte sich krampfhaft, mit aller Kraft an dem kleinen Waschbecken fest. Diese Schreie waren nichts neues, Sam hörte sie öfters. Trotzdem verkrampfte sie sich noch immer jedes mal aufs neue am ganzen Körper. An manchen Tagen war das so oft und so lange der Fall, dass sie davon regelrechten Muskelkater bekam. Nachdem sie einen Moment in ihrer Stellung verharrt hatte, zog sie einen tiefen Atemzug der abgestandenen Luft ein, die sie umgab. Als sie diesen wieder nach draußen presste, gelang es ihr sich wieder zu entspannen. Nun wagte sie es wieder sich zu bewegen. Sam streckte ihre Hand in Richtung des Wasserhahns. Sie wollte gerade das verkalkte und kalt aussehende Metall berühren, als wieder ein markerschütternder Schrei, der die Wände mühelos zu durchbrechen schien, sie zum erstarren brachte. Dieses mal jagte ihr ein kalter Schauer über den Rücken. In letzter Zeit waren immer wieder schrille Schreie erklungen aber dieses mal war irgend etwas anders. “Nein, lass das!” schallte es von irgendwo her. Sam konnte eindeutig hören, dass es sich um eine andere Stimme als sonst handelte. Unweigerlich fragte sie sich, was mit dem Vorgänger dieses Menschen passiert sein mochte.
Mit einem Ruck ergriff sie schnell das kalte Metall des Wasserhahns und öffnete ihn bis zum Anschlag. Sie hoffte, dass dessen Geräusch das Kreischen übertönen würde. Sam atmete auf, es funktionierte. Das plätschern des Wassers übertönte entweder alle anderen Geräusche oder der Widerstand dieses Menschen hatte sich gelegt, ob nun freiwillig oder nicht. Ein gutes hatte diese Sache zumindest, Sam hatte die Schmerzen in ihren unterkühlten Füßen viel schneller vergessen, als sie es sonst immer schaffte...