Beschreibung
Fortsetzung folgt...
Covergrafik: Moonwolf Blue © Zoa@fotolia.de
Kapitel 5
Staatenbund Lointain
Wald von Nollissour
5. Tag des Ostarmanoth im Jahre 1144
Am Abend des Regentages
Der Salaigh lag ausgestreckt im jungen Klee und blickte lächelnd in den Himmel. Die Äste, der Bäume reichten nicht bis über den kleinen Hügel, versperrten nicht die Sicht auf das Meer aus Sternen. Der Wind wehte kühl den Hang hinauf, bereitete dem haarlosen Faolchú eine Gänsehaut, doch der Salaigh störte sich daran nicht. Dies war die schönste Nacht in seinem erbärmlichen Leben. Gealach hatte entschieden und ihm ein weiteres Jahr unter ihrem Auge geschenkt. Übermütig drehte sich die groteske Gestalt im Gras, lachte leise in sich hinein und genoss Gaias Streicheleinheiten auf seiner Haut. Mit einem zufriedenen Seufzer blieb er auf dem Rücken liegen. Die Mondgöttin blieb verschwunden. Ihr helles Auge erstrahlte nicht zwischen den unzähligen Sternen. „Rúnda“, flüsterte der Salaigh.
„Und in der dunkelsten Nacht im Mondlauf,
wenn die Welt aus Schatten besteht,
hKrähe ich dir mein Lied hinauf,
meinen Dank, dass mein Leben weitergeht.
Die Welpen, in Dunkelheit geboren,
in ihnen wächst List und Tücke heran.
Du hast sie nicht erkoren,
mein Leben geht voran.
Sie werden das Rudel stärken,
werden einst meine Brüder sein.
Doch die alten Legenden lehren,
werde ich ganz allein.“
„Dann wirst du aber mehr zustande bringen müssen, als ein paar halbherzige Reime.“
Der Salaigh drehte sich auf die Seite und schaute grinsend zu seinem Mentor hinüber. „Wie viele sind es?“, verlangte er zu wissen, ehe HKräher-der-Legende ihn wegen seiner Unaufmerksamkeit zurechtwies. Der junge Faolchú war viel zu glücklich, um gerade jetzt auf jedes Geräusch zu achten, wie er es eigentlich hätte tun sollen.
Unruhig beobachtete er, wie der Wolf sich setzte und in den Himmel blickte, offenbar nicht daran dachte, die Frage zu beantworten. Die Ohren des Felllosen zuckten vor angespannter Neugier, doch er wusste, dass dies nur eine weitere der unzähligen Prüfungen war. Er musste Geduld beweisen, durfte die anderen Faolchú nicht bedrängen. So unterdrückte der Salaigh ein Seufzen und betrachtete ebenso wie sein Lehrer die Sterne.
„Drei“, antwortete HKräher-der-Legende, als der Jüngere die Frage schon beinahe vergessen hatte. „zwei Männchen und ein Weibchen.“
Der Salaigh drehte sich auf die Seite und musterte den Alten prüfend.
„Und Wildwasser geht es gut?“
„Ja, sie kümmert sich bereits um ihre Jungen.“
„Warum bist du dann so betrübt?“
HKräher-der-Legende drehte den Kopf, betrachtete seinen Schützling und erklärte: „Wenn Gaia der Sippe nur drei Welpen schenkt, stehen wir vor einem mageren Jahr.“
Innerlich atmete der Haarlose auf. Einem unbestimmten Drang folgend, reckte er sich vor und leckte seinem Mentor über die Schnauze. Es war eine Geste, die sowohl Trost, wie Dankbarkeit ausdrücken mochte. Der Amhránaí lachte leise auf, ein Geräusch, das der Salaigh so selten hörte, dass es ihn wärmte, wie es ein eigenes Fell getan hätte.
„Hast du geglaubt, ich bin bekümmert, weil sie unter dem Neumond geboren sind?“
Als der Welpe zögernd nickte, stupste HKräher-der-Legende ihn mit der Nase an.
„Dann hör mir gut zu, Salaigh. Ich verschwende niemals. Es wäre eine Verschwendung, dich zu unterrichten, wenn du am Ende nicht deinen Platz innerhalb der Sippe einnimmst.“
Das war ein Lob. Der junge Faolchú war sicher, das erste, richtige Lob von seinem Mentor gehört zu haben. Zugleich wusste er nun, HKräher-der-Legende würde nicht zulassen, dass die Ältesten ihn umbrachten, nur weil ein anderer Amhránaí geboren wurde. Er wollte sich an dem älteren Wolf reiben, seine Dankbarkeit zeigen, doch dieser stand auf. Ernst, beinahe abweisend lagen die goldgelben Augen des Lehrers auf ihm.
„Allerdings wird es ganz sicher eine Verschwendung, wenn du niemanden von deinem Wert überzeugen kannst. Anstatt von deiner Zukunft zu träumen, erzähle mir lieber von der Vergangenheit. Was weißt du von Donnerhall?“
Scáth dar Troid
1. Tag des Winnemanoth im Jahre 1144
Am Abend des Mondtages
Ein schrilles Kreischen hallte durch das Zwielicht. Aus den Büschen drang ein markerschütterndes Wimmern. Es folgte ein ekelerregendes Geräusch, als ob jemand seinen Stiefel aus dem Matsch zog. Dann war Stille. Der Gestank von Blut, Urin und Gedärmen lag in der Luft. Der Geruch des Todes.
Die-im-Nebel-sieht zuckte mit den Ohren. Sie weigerte sich, einen weiteren Blick in Richtung des Strauchwerkes zu werfen. Stoisch starrte sie auf den steinigen Pfad. Viele Stunden war sie gerannt, war in einen lockeren Trab gefallen, langsam gelaufen und dann wieder gerannt. Schnee wirbelte über den Weg vor ihr. Spiegelglatt schimmerte eine gefrorene Blutlache im unschuldigen Weiß. Die Wölfen glaubte eine bleiche Hand zu erkennen und lief weiter. Jeder Muskel ihres Körpers war gespannt. Sie duckte sich unter einem umgestürzten Baumstamm, kroch auf der anderen Seite hervor und rollte über den Schotter, als sie aus den Augenwinkeln eine Klinge aufblitzen sah. Mit einem gewaltigen Schrei sprang ein Riese von einem Mann von dem Baumstamm. Steine knirschten unter dicken Fellstiefeln. Das Haar des Giganten leuchtete orangerot. Ein Bart wehte ihm um die Schulter, darin eingeflochten kleine Knochen. Eine Fellweste bedeckte eine beharrte, Blut verschmierte Brust nur notdürftig. Der Bolzen einer Armbrust steckte in seiner Schulter. Der Hüne schwang eine doppelseitige Axt über seinen Kopf, brüllte laut auf und sprang über die Wölfin hinweg, ohne sie zu bemerken. Nach wenigen Schritten erreichte er eine kleinere Gestalt, schwang die Axt erneut und ein Kopf flog durch die Luft. Die-im-Nebel-sieht starrte in das entsetzte Gesicht eines Halbwüchsigen. Sehnen und Knochen stakten aus dem Hals. Das Leben war aus den blauen Augen gewichen.
Aus den Augenwinkeln bemerkte die Wölfin den Schimmer einer Klinger. Sie zog den Kopf zurück und wich gerade noch den Fellstiefeln des Hünen aus, als er über den Stamm sprang. Den abgetrennten Schädel entdeckte sie nicht mehr, doch ehe dieser ein zweites Mal auf sie zuflog, rappelte sich die Draíocht auf und rannte den Weg entlang.
Sie blieb nicht stehen, rannte immer schneller, als könnte sie den Grausamkeiten dieser Welt entfliehen. Doch dazu hätte Die-im-Nebel-sieht die Welt verlassen müssen.
Im Scáth dar Troid gab es nichts als Krieg, Tod und Leid. Es war das Geisterreich des Kampfes. Jede Schlacht, jegliches noch so kleine Scharmützel, das mit Gewalt ausgetragen wurde, hinterließ eine Spur in der Geisterwelt. Es waren die Kriege aller Gestaltwandler, Menschen und sonstigen Kreaturen, die auf der Erde und in den Zwischenreichen Gaias existierten. Das Reich der Kämpfe sollte von den Wesen der realen Welt niemals betreten werden. Die Streiter und Opfer waren nichts als Schatten der Vergangenheit. Niemand konnte den Verlauf einer Schlacht ändern, indem er sich im Scáth dar Troid einmischte. Allerdings konnte solch ein Tor durchaus sein Leben verlieren. Obgleich alle Gestalten weniger als Erinnerungen waren, büßten die Klingen und Krallen nichts von ihrer Schärfe ein.
Die Faolchú hatten die Barrieren überwunden, die das Reich des Kampfes vom übrigen Scáth trennte. Sie kamen hier her, um von vergangenen Schlachten zu lernen, um die Wahrheit längst vergessener Kriege zu erfahren oder um den Ausgang eines Gefechts zu sehen, das in weiter Ferne stattgefunden hatte. Doch nur die Erfahrensten wagten sich in die Geschichte vor. Kein Weg in dieser Welt war sicher. Ein jeder lief mit einer Waffe herum oder wurde von einer erschlagen. Die Schatten unterschieden nicht zwischen ihren wirklichen Opfern und unbeteiligten Zuschauern.
Seit Wochen reiste Die-im-Nebel-sieht immer wieder in das Scáth dar Troid. Mit jedem Tag spürte sie die Verzweiflung der Opfer, den Hass der Täter, den allgegenwärtigen Tod mehr. Sie war nervös. Furcht schwelte in ihr, flüsterte lockend, sie möge ihre Suche aufgeben und zurück in das Reich der Lebenden gehen. Sollten doch andere sich weiter martern. Sie starb hier. Nicht an einer Klinge oder einem Pfeil, der sie irrtümlich erreichte, sie starb, weil hier nur der Tod existierte. Es gab kein Leben, nur Dunkelheit.
Die-im-Nebel-sieht blieb stehen. In blinder Angst war sie gelaufen, ohne auf den Weg zu achten. Das Blut rauschte in ihren Ohren, übertönte Schwerterklingen und Angstschreie. Die Wölfin brauchte einen Moment, ehe sie registrierte, dass sie tatsächlich nichts hörte. Ruhe - welch ein Segen. Doch wo war sie?
Witternd hob die Draíocht die Nase. Erde. Sie befand sich unter der Erde, in einer Höhle!
Wölfe wurden in Höhlen geboren. Sie bedeuteten Sicherheit und Geborgenheit - solange sonst niemand in ihnen lebte. Galt das auch für diese Welt?
Die-im-Nebel-sieht witterte, setzte dabei behutsam eine Pfote vor die andere. Ihre Ohren blieben gespitzt, jeder ihrer Muskeln gespannt. Jede Sekunde konnte sie aus der Dunkelheit angesprungen werden. Es herrschte Krieg.
Ein leises Janken durchschnitt die Stille. Etwas Bekanntes lag in der Luft. Vorsichtig wagte sich die Wölfin weiter in die Finsternis. Eine Kurve lag vor ihr. Sie spürte den Weg mehr, als das sie ihn sah, folgte dem Windhauch, der diesen Duft in ihre Nase trug. Andere Wölfe. Vertraute. Die-im-Nebel-sieht sah fahles Licht am Ende des Ganges. Gestalten kauerten auf dem Höhlenboden. Instinktiv duckte sie sich, als sie wütendes Knurren hörte, doch die Laute waren gedämpft, drangen von draußen unter die Erde.
Vor dem Höhleneingang huschten Schatten umher, während im Innern neu geborene Welpen krochen. Jetzt sah die Draíocht es ganz klar. Die Geräusche und Gerüche formten ein Bild in ihrem Kopf. Eine Wölfin, die neues Leben aus sich herauspresste. Eine weitere lag daneben, leckte die winzigen Fellwesen trocken. Eine Dritte beobachtete aufmerksam den Eingang, die Schlacht, die dort tobte.
Die-im-Nebel-sieht wich ein paar Schritte zurück und legte sich auf die kühle Erde. Zu gerne wäre sie näher gegangen, hätte die Welpen beschnüffelt und begrüßt. Doch die beiden Wächterrinnen hätten sie vermutlich angegriffen, um die Mutter und ihre Jungen zu schützen. Um SIE zu schützen. Die-im-Nebel-sieht erkannte die Szene, von der ihr so oft erzählt worden war.
Dies war ihre Geburt. Eines dieser winzigen Wesen, die nach den Milchzitzen suchten, war sie. Draußen kämpfte ihr Vater mit dem Rest des Rudels in einer siegreichen Schlacht. Die Feinde wurden vernichtend geschlagen, ohne dass einer den Bau der Gebärenden erreichte. Hier war sie in Sicherheit.
„Du bist zu Hause.“
Die-im-Nebel-sieht zuckte regelrecht zusammen. Sie hatte niemanden gewittert oder gehört. Die drei Wölfinnen versorgten in einer sich ewig wiederholenden Schleife die Jungtiere, während ihr Vater draußen den letzten Gegner erschlug. Dennoch war sie nicht mehr alleine am Ende der Höhle. Hinter ihr kauerte die Krähe überlebensgroß und leuchtend im Gang. Sie war das Totem aller Seuns van Sterre, verkörperte Vergangenheit und Zukunft, die geheime Magie der Schöpfung und spirituelle Kraft.
Die Augen der Wölfin funkelten geradezu vor Freude. Sie sprang auf und überbrückte die Entfernung zu dem Vogel mit wenigen Sätzen. Vor Erleichterung rieb sie ihren Kopf an dem riesigen Schnabel und wiederholte die Worte: „Ich bin zu Hause.“
„Ja, und du hast lange gebraucht. Ich fürchtete schon, du fändest den Weg niemals.“
Die-im-Nebel-sieht duckte sich unter den zurechtweisenden Worten des Seelentiers, spürte die goldbraunen, leuchtenden Augen unnachgiebig auf sich gerichtet. Dann spürte sie, wie ihr warm wurde. Die Krähe breitete ihre Flügel aus, umfing die Draíocht schützend, wie es eine Mutter täte. Die-im-Nebel-sieht fühlte sich sicher und geborgen. Die Augen fielen ihr zu und die Worte der Krähe nahm sie mit all ihren Sinnen wahr: „Ruh dich aus. Ich wache über dich.“