Jaru zügelte sein Pferd und brachte es vor der völlig zugeschneiten Berghütte zum stehen. Er tätschelte kurz den Hals des Pferdes während er sich aus dem Sattel gleiten ließ. Die Temperaturen waren in den vergangenen Tagen immer weiter gesunken und Jaru bewegte einmal sämtliche Körperteile. Wenn sein Kettenhemd mit seinen Schulterpanzern zusammenfror würde es, bei dieser Kälte ewig dauern seine Rüstung wieder einsatzbereit zu machen. Er führte das Pferd am Zügel zu dem angrenzenden Stall neben dem Haus. Jeder Fußschritt war bei dem meterhohen Schritt ein Kampf, wenn der Schneesturm nicht bald aufhören würde, würden sie sich irgendwo eingraben müssen. Der 50 Mann starke Stoßtrupp kam jetzt nur noch mit minimaler Geschwindigkeit voran und wenn es die Nacht durchschneien würde, würden sie sich morgen wohl nicht mehr in Bewegung setzen können. Jaru ließ sein zitterndes Pferd unter dem kleinen und undichten Dach stehen und stapfte zur Tür der kleinen Berghütte. Der Stoßtrupp war marschbereit, sie warteten nur noch auf den Befehl des Truppenführers, der ich für einige Stunden in die Hütte zurückgezogen hatte. Jaru hob die Hand vors Gesicht, da ihm eine neue Schneeböe den Schnee in die Augen trieb. Der eiskalte Windstoss schoss wie eine Salve Armbrustbolzen durch seinen viel zu dünnen Mantel und lies ihn erbärmlich zittern. Er streckte eine Hand aus und griff nach der Klinke zu der Hütte, welche man auch für einen Schneehügel hätte halten können, sosehr war sie nun schon eingeschneit. Jaru schüttelte sich einmal um zumindest einen Teil des Schnees von seinem Umhang abzuschütteln. Truppenführer Agrosch würde ihn noch für einen leibhaftigen Schneemenschen halten. Jaru schnaubte. Er war zwar erst sechzehn Jahre alt und erst vor gut einem Jahr in die Armee eingetreten aber er hatte schon einiges gelernt, zum Beispiel das ein guter Kommandant das Schicksal seiner Truppe teilte. Doch während die Männer in diesem immer dichter werdenden Schneesturm an Erfrierungen und Kälte litten saß ihr Anführer im warmen. Agrosch hatte sich nicht lange als Soldat bewähren müssen. Er besaß einen gewissen Hang zur Gewalt und so etwas wie ein Gewissen schien er nicht zu besitzen. Solche Männer stiegen im Krieg schnell auf. Und so war Agrosch schnell Truppenführer dieses Stoßtrupps geworden. Hinter den feindlichen Linien war ein gewisses Maß an Gewaltbereitschaft und Gewissenlosigkeit erforderlich.
Jaru drückte die Türklinke nach unten und trat, dicht gefolgt von einer beachtlichen Ladung Schnee ein. Die Wärme schlug ihm entgegen und kitzelte auf seiner nackten Wange. Er schloss kurz die Augen und genoss es, wenn auch nur für wenige Sekunden, vor dem kalten Wind und dem Schnee geschützt zu sein. Dieser Augenblick dauerte jedoch nur eine Sekunde, dann öffnete er die Augen, salutierte und schlug die Hacken zusammen.
„ Die Truppe ist abmarschbereit. Wir erwarten ihre Befehle, Truppenführer.“
Obwohl ein kleines Feuer im Ofen brannte war es ziemlich düster in der kleinen Hütte, doch es war bei weitem hell genug um das Grauen zu erkennen.
Jaru stockte der Atem und er blieb mitten in seinem Militärgruß stecken und starrte nur in das einzige Zimmer der Berghütte.
Auf dem Fußboden, kaum einen Meter vor ihm, lag ein Mann auf dem Bauch. Er hatte die Arme und Beine von sich gestreckt und unter seinem Körper hatte sich eine Blutlache gebildet. Erst jetzt bemerkte Jaru, dass er bei seinem Eintreten in eine flache Blutlache getreten war. Kaum einen Meter neben der Leiche, den der Mann war ganz offensichtlich tot, stand Raluf, Feldwebel des Stoßtrupps, er hatte die Hände locker in die Hüfte gestemmt und betrachtete Jaru mit einem interessierten Blick. Neben ihm an der Wand lehnte die Leiche einer älteren Frau, allerdings nur ihr Körper, Jaru sah so schnell nicht wo ihr Kopf lag. Beim Anblick der beiden Leichen spürte Jaru wie ihm der Zwieback, den er vor einigen Stunden gegessen hatte wieder hochkam und er musste einige Male schlucken bis sich sein Magen wieder beruhigte.
„ Okay Soldat, wir sind auf dem Weg.“ sagte Raluf nachlässig in seine Richtung und blickte nun in die hinterste Ecke des Raumes, wohin nun auch Jarus Blick wanderte, während er verständnislos fragte:
„ Wenn mir die Frage gestattet ist, was ist hier passiert?“ Die beiden Toten hatten den Truppenführer und seinen Feldwebel hier drin Quartier geboten, sie waren Zivilisten und es war keine Gefahr von ihnen ausgegangen .
„ Sie haben uns gestört.“ sagte Raluf mit einer nachlässigen Handbewegung in Jarus Richtung und nun sah dieser auch was sich in der hintersten Ecke des kleinen Raumes abspielte.
Ein junges Mädchen, vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt, lag ausgestreckt auf einem Tisch, sie war bis auf ein Unterhemd unbekleidet, welches völlig zerfetzt an ihr hing und ihr bis über den Bauch nach oben geschoben worden war. Über ihr Gesicht liefen stumme Tränen und sie blutete, ihre Lippen waren aufgesprungen und eines ihrer Auge hatte sich blau gefärbt.
Mehr konnte Jaru nicht von ihr erkennen, da ihm das Blickfeld von Truppenführer Angroschs breitem Rücken vespert wurde. Der Mann drehte sich nun langsam zu Jaru und Raluf um und schloss dabei, süffisant grinsend, seine Hose.
„ Wie lange habe ich schon nicht mehr die warmen Schenkel einer Frau unter mir gespürt.“ seufzte er und griff sich mit der rechten Hand in die Hose um seine dort vorhandenen Körperteile in eine angenehmere Position zu bringen.
„ Was ist hier los?“ fragte Jaru und fügte erst nach einem Seitenblick von Raluf „Truppenführer.“ hinzu.
Agrosch sah ihn verwundert an und sagte dann mit einer wegwerfenden Handbewegung, mit seiner linken Hand:
„ Eine verdammt hübsche Tochter hatte der Kerl da, aber sie hat sich gewehrt und als sich der Vater eingemischt hat, haben wir sie erledigt. Hat sich aber gelohnt, nach all den Wochen in der Kälte gibt es nichts besseres um wieder richtig warm zu werden.“ antworte er rüde und zog seine rechte Hand wieder aus seiner Hose.
„ Aber diese Menschen haben kooperiert, sie waren keine Gefahr!“ schrie Jaru. Tief in seinem Unterbewusstsein registriert er, dass er hier mit seinem Vorgesetzten sprach, aber das war ihm gerade herzlich egal.
„ Sie vergreifen sich im Ton, Soldat!“ schrie Agrosch und machte einen drohenden Schritt auf Jaru zu.
„ Seien sie froh das ich so gut gelaunt bin sonst würde ich sie auspeitschen lassen.“ und mit diesen Worten, die diese Angelegenheit anscheinend für ihn erledigten schritt er an Jaru vorbei in Richtung Tür.
Raluf machte eine Schritt auf das Mächen zu, das immer noch zuckend auf dem Tisch lag und nur unkontrolliert schluchzen konnte. Er zog sein Schwert und hob es mit beiden Händen in die Höhe.
„ Was tun sie da?“ schrie Jaru entsetzt, als er sah das Raluf Anstalten machte die Klinge auf das Mädchen hinabsausen zu lassen.
„ Ich räume hier nur kurz auf, oder wollen sie vorher auch noch einmal?“ fragte Raluf und grinste dabei anzüglich, wendete seinen Blick dann wieder auf das Mädchen und ließ das Schwert nach unten sausen.
Blut spritze, als die Klinge in weiches Fleisch eindrang. Jaru war nach vorne gesprungen und hatte dem Feldwebel die Klinge seines Jagdmessers in die Seite gerammt. Raluf lies das Schwert fallen und taumelte einen Schritt zurück. Jaru riss die Klinge aus dem Körper seines Vorgesetzten und zog sie ihm einmal quer über die Kehle. Während ein Blutstrahl in Jarus Gesicht spritzte, dachte er in seinem Hinterkopf kurz darüber nach, was er gerade getan hatte. Einen Vorgesetzten anzugreifen, er hatte sich gerade selber zum Tode verurteilt, den kein anderes Schicksal würde ihn hier draußen erwarten. Aber es gab kein zurück, denn man konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Also sprang Jaru einen Schritt nach hinten. Die Klinge von Agroschs Langschwert schlug in den Holzboden ein, da wo Jaru noch eben gestanden hatte.
„ Bastard!“ schrie Agrosch während er die Klinge aus dem Boden riss um sie wieder zu heben.
Jaru griff sich an die Seite und registrierte das sein Schwert immer noch an dem Sattel seines Pferdes hing. Er hatte noch lange nicht genug Kampfehrfahrung um sich in einer solchen Situation einen Plan auszudenken, deshalb reagierte er instinktiv. Er warf sich nach vorne. In der engen Hütte würde er den Schlägen des Langschwertes nicht mehr lange ausweichen können und nur mit einem Messer konnte er Agroschs Schläge auch nicht parieren. Er prallte gegen seinen Truppenführer, sie beide fielen fast zu Boden. Agrosch ließ sein Schwert fallen und packte Jarus Hände und verhinderte so, dass dieser ihm die Klinge in den Hals rammen konnte. Sie strauchelten durch die enge Hütte, in einem verschlungenen Kampf um das Messer. Sie taumelten gegen den Tisch und warfen ihn fast um, ebenso wie die beiden Stühle. Agrosch war größer und stärker als Jaru und er löste erst die rechte Hand von dem Messer und packte nun auch die Linke um ihr den Messergriff zu entwinden. Jaru hielt zwar mit aller Kraft gegen seinen Truppenführer, aber er konnte beinah schon fühlen wie die Klinge in seinen Hals fahren würde. Seine Rechte zuckte unkontrolliert an seiner Seite und suchte nach etwas. Irgendetwas, was sich als Waffe verwenden lies und sie wurde fündig. Er war im Gegensatz zu Agrosch lange Zeit draußen gewesen und der Schnee war auf seine Schulterpanzern geschmolzen und war an ihnen heruntergelaufen und dort wieder gefroren. Mit einem animalischen Schrei packte Jaru den Eiszapfen der sich an seiner Schulterpanzerung gebildet hatte, brach ihn ab und rammte ihn in Agroschs Auge. Der Truppenführer schrie gequält auf und stolperte einen halben Schritt zurück. Diese Zeit nutzte Jaru und schlitzte ihm mit dem Messer die Kehle auf. Zerschnitt seine Halsschlagader, zerfetzte seine Kehlkopf und stieß den zuckenden Körper dann von sich.
Er hatte es getan. Er hatte seinen Truppenführer und seine Feldwebel umgebracht. Nein! Er hatte zwei Monster umgebracht, doch das würde ihn nicht vor der Strafe schützen die ihn erwartete. Der Tod.
Er glitt aus seinem Mantel und sprang mit einem Satz durch den Raum, zu dem Mädchen.
„ Alles wird wieder gut, niemand tut dir etwas.“ sagte er leise und versuchte dem zitternden Mädchen den Mantel um die Schulter zu legen, doch sie zuckte bei der Berührung sofort zurück und trat unkontrolliert nach ihm.
„ Ich tue dir nicht.“ versuchte er es erneut doch sie kroch auf dem Tisch bis an die gegenüberliende Kante, soweit wie möglich weg von ihm. Jaru fluchte leise und machte einen Schritt um den Tisch herum. Die Männer würden bald nach ihm sehen kommen, sie würden herausfinden wollen warum er für einen solch einfachen Befehl so lange braucht. Verdammt.
„ Zieh das an.“ sagt er nur und zeigte auf den Mantel. Er selber griff nach Agroschs Mantel zog ihn, mit all seiner Kraft unter dem Toten hervor und warf ihn sich um die Schulter. Dann machte er noch eine Schritt auf das Mädchen zu und packte ihre Hand. Sie trat wieder nach ihm aber er zog sie vom Tisch und Richtung Tür.
„ Ich will dir nichts tun, aber wir müssen weg von hier!“ versuchte er es ein letztes mal doch sie reagierte wieder nicht auf seine Worte sondern versuchte nur ihn, mit der freien Hand, zu schlagen.
Er zog sie nach draußen zurück in die Kälte, aber das war ihm egal, nur schnell raus aus der Hütte. Er packte sie, so vorsichtig wie es ging, da sie immer noch nach ihm schlug, und setzte sie auf sein Pferd. Dann schwang er sich hinter ihr in den Sattel und stieß dem Pferd die Versen in die Seite. Es schnaubte und wieherte doch Jaru trieb es unbarmherzig hinaus in den Schneesturm. Das Mädchen vor ihm wehrte sich immer noch wie von Sinnen und biss Jaru in die Hand, die er um sie geschlungen hatte, damit sie nicht vom Sattel fiel. Er schrie unterdrückt vor Schmerzen auf, doch lies er die Hand wo sie war auch wenn sich ihre Zähne immer weiter in seine Hand gruben, während er das Pferd von der Hütte weg in den Wald trieb.
„ Ich hole dich hier raus.“ flüsterte er leise obwohl ihm klar war, dass das Mädchen nichts von dem, was er sagte, wahrnahm.
Er hatte zwei Vorgesetzte umgebracht und war dabei von seiner Truppe zu desertieren, aber er hatte unterbewusst das richtige getan. Das glaubte er zumindest. Aber es gab kein zurück, denn es gab niemanden der die Zeit zurückdrehen konnte und Jaru war sich dieses eine mal sogar sicher, dass selbst wenn er es gekonnt hätte wieder so gehandelt hätte. Denn er hatte das richtige getan, auch wenn er kaum daran zweifelte, dass ihn diese Entscheidung das Leben kosten würde.