Beschreibung
Ich muss ihn leider bei "sonstiges" Unterbringen, da der Text sich schlecht einordnen lässt.
Er ist nicht einfach zu lesen, aber meiner Meinung nach genau das Richtuge bei diesem Wetter, da wird es einem durch die ganzen offenen Fragen und Anspielungen net langweilig. Achso: der erste Teil ist wirklich unangenehm zu lesen.
Da ich auf ein Vorwort verzichte, muss ich als Autor nun im ersten Kapitel ein paar Dinge klarstellen. Zum einen ist dies weder eine Erzählung, noch eine Geschichte und erst recht keine Wiedergabe der Wahrheit. Die hier gezeigten Personen sind nicht als Personen, sondern als Beispiele zu verstehen. Ebenso alle Orte, Ereignisse und Gegenstände. Was zählt ist der allgemeine Fall, nicht das Beispiel. Zudem distanziere ich mich ausdrücklich von allen Handlungen, Ideen und Gedanken aller handelnden und nichthandelnden Personen.
Vor dem eigentlichen Beginn dieses Schriftstücks werde ich meine Hauptperson noch kurz Vorstellen, wobei dies weniger als Tribut an den Roman, der dies hätte werden können, denn als notwendige Vorbemerkung zum Verständnis aufgefasst werden soll. Die Hauptperson ist männlich, zwischen zwanzig und dreißig und hört auf den Namen Fjodor. Das müsste an sich auch schon ausreichen, die Person soll ja nicht als Charakter, sondern als Beispiel auftreten. Wem das nicht reicht, sucht sich einen Menschen aus, auf den die Beschreibung passt und fragt ich nach seinem sozialen Hintergrund.
Fjodor lebte jetzt schon an die vier Monate in der neuen Stadt. Da es sich wohl zum Verständnis anbieten würde, in die Rolle eines Ich-Erzählers zu wechseln, muss hier schon der erste Schnitt erfolgen-… So ich lebte also schon an die vier Monate in dieser Stadt. Direkt nach meinem Studium bin ich ausgezogen und hab mich in der Nähe meiner neuen Beschäftigung niedergelassen. Ich werde wohl kurz ausführen müssen, warum der Auszug nötig war, da ja die meisten meiner Leser die Umgebung gut kennen und deshalb wissen, dass ich auch gut jeden Tag hätte pendeln können. Dies wäre wohl möglich gewesen. Mit den heutigen Transportmöglichkeiten rücken ja ganze Regionen eng zusammen. Man kann ja heute in wenigen Stunden von jeder beliebigen europäischen Stadt zu jeder anderen reisen. Bevor ich nun noch weiter aushole, komm ich wieder auf meine Ziele und vor allem den Grund zurück, warum ich in die neue Wohnung gezogen bin. Es klingt jetzt wohl etwas klischeehaft, aber mein Grund war wohl am ehesten die Suche nach Freiheit, oder um ein bisschen ehrlicher zu sein: Der Beweis, dass ich außerhalb meines Gewohnten Umfelds nicht lebensfähig bin. Dies ist übrigens kein Fehler, ich glaube, dass dies eine recht geläufige Angewohnheit ist, ohne dies jetzt irgendwie beweisen zu können, oder zu wollen. Ob es allgemein ein Charakterzug des Menschen ist, sich immer zu hinterfragen und sich das Versagen, und ich meine damit jegliches Versagen auf jeder beliebigen Art, nochmals deutlich vor Augen zu führen. Dieser Akt der Selbstfolter ist wohl als eine Art evolutionäres Auswahlverfahren in unserem Erbgut Wer versagt, wird sich selbst quälen, während die erfolgreichen Artgenossen ihre Gene vererben. Ich bin mir bewusst, dass mir die meisten Leser auf diese Behauptung den Vorwurf machen werden, ich würde meine Passivität entschuldigen wollen. Denjenigen gebe ich den Tipp, diesen Abschnitt zu überspringen, bis der Autor eine andere Person sprechen lässt. Nun habe ich mich aber etwas verzettelt, an sich sollte ich wohl wieder an den Anfang zurück, aber dann müssten wir die offenen Fragen höchst wahrscheinlich bis zum Ende des Textes mitschleppen. Nun also wieder zur Selbstkasteiung; ich glaube, die Idee dahinter müsste jedem klar sein, ich kann mir sogar gut vorstellen, dass in meinem Publikum genug Versager sind, dass hier auch ihre Geschichte stehen könnte. Ich erzähle jetzt eine kurze Episode aus einer Zeit, als ich dies noch nicht so klar vor Augen hatte wie jetzt. Es ist gewissermaßen sowohl die Geburtsstunde meines großen Plans, zu dem ich später noch kommen werde, als auch die meines wirklichen Ichs. Das stimmt zwar an sich nicht, klingt aber sehr gut. Nach dieser Offenheit werden sie als Leser mir wohl auch noch verzeihen müssen, dass ich meine Realität wiedergebe. Meine ungeschönte, subjektive, aus dem Gedächtnis rekonstruierte Realität. Es war schon eine Weile her, also ich war damals ein paar Jahre jünger als jetzt, vielleicht achtzehn, oder zwanzig. Vielleicht auch älter oder jünger, macht auch an sich keinen Unterschied. Es war so eine Zeit, wie man sie immer wieder hat: Alles läuft ganz normal, vielleicht etwas schlechter, als gewöhnlich, aber an sich ganz normal. Nichts passiert, an das man sich erinnern könnte, oder das sich zu erinnern lohnt. Das Leben fließt so dahin und man hat auch das Gefühl, irgendwo in der Nähe zu sein, nur so richtig integriert einen das Leben nicht. Es ist so, als wenn man immer, wenn etwas passiert, direkt danebensteht, aber nicht involviert ist. Man steht morgens auf, macht irgendwas, isst, trinkt und geht irgendwann wieder ins Bett. Naja, so ein Tag war es wieder. Wenn sich solche Tage zu Wochen und manchmal sogar zu Monaten zusammentun, benötigt man nur noch einen kleinen Anstoß, quasi einen kleinen Zündfunken, damit alles zusammenbricht und man wieder am Tag apathisch durchs Leben schlurft und die Nacht schlaflos durchweint. Falls diese Vorstellung einem der Leser zu klischeehaft ist, sei hierbei angemerkt, dass man auch gut weinen kann, ohne Tränen zu vergießen; man muss dazu nicht einmal wach sein. Was den Auslöser in diesem Fall war, ist einerseits nicht mehr in meinem Gedächtnis zu finden, andererseits fällt auch dem Autor keine gute Geschichte dazu ein. Außerdem ist der Anlass meistens deutlich nichtiger, als das meiste, was davor vorgefallen und daraus hervorgegangen ist. Man kann Wochen einsam verbringen, ohne in ein Loch zu fallen, aber sobald man durch irgendetwas direkt vor Augen geführt bekommt, dass irgendeiner der Freunde, oder am besten alle irgendwo abends sich getroffen haben, dann ist es vorbei. Ein ziemlich interessantes Beispiel, da man darin die fast unbegrenzte Fähigkeit des Menschen sieht, sich selbst zu belügen, oder zumindest gut zu täuschen. Dass dies ein guter Selbstschutz ist, liegt auf der Hand, lässt einen aber stark an der psychischen Gesundheit zweifeln. Also wieder zurück zum Thema: ich war also schon eine längere Zeit in diesem Zustand der Apathie, als dann irgendein Ereignis mich aus der Bahn geworfen hat. Und da hatte ich die im Nachhinein bescheuerte, im ersten Augenblick aber geniale Idee: Ich gehe zu einer Brücke, also eine, unter der viel Verkehr ist, und naja, hier zu schreiben, ich wollte mich runter stürzen ist wohl nicht ganz die Wahrheit; Aber zumindest dachte ich es zu diesem Zeitpunkt. Ich fahr also zu dieser Brücke und sehe hinunter. Weiße Scheinwerfer tauchen als Punkte am Horizont auf, ändern ihre Richtung, werden immer mehr zu Strichen, dann füllen sie Flächen und sind auch schon vorbei. Wenn sie von der anderen Richtung kommen, ist es das gleich in Rot und halt andersrum. Ich weis nicht, warum das ganze auf mich so einen großen Eindruck gemacht hat, vielleicht, aber es war überwältigen. Es war einen Art Hochgefühlt, wenn ein weiteres Auto auf mich zufuhr. Ich saß dort sicher zwei, drei Stunden und meine Stimmung wurde besser mit jedem Auto. Doch dann erinnerte ich mich meines eigentlichen Ziels und mit wurde schlagartig klar, dass ich nur hierher gekommen war, um mir selbst zu beweisen, dass ich niemals den Mut aufbringen könnte, zu springen. Und da war die gute Stimmung auch schon wieder Vergangenheit. Sich selbst einzugestehen, dass man nur ein kleiner Feigling ist, der nicht einmal so viel Courage hat, wenigstens sein Ende selbstbestimmt zu erfüllen, das ist das schlimmste, was ich und selbst das schlimmste, was der Autor je gesehen, bzw. erlebt hat. Als mir in diesem Moment bewusst wurde, dass ich mich nur dazu entschlossen hatte, auf die Brücke zu gehen, weil ich wusste, dass ich niemals springen würde und dazu, dass ich mir besser eingestehen kann, wie erbärmlich ich bin, da ging es mir danach nicht wirklich gut. Bin nach Hause gegangen, hab mich ins Bett gelegt und hab die nächsten zwei Nächte nicht schlafen können. Ich schreibe dies hier übrigens auf keinen Fall, um die Stimmung eines Depressiven einzufangen, dazu würde mir schon die Ausdrucksweise fehlen, viel eher glaube ich, dass Fakten nie ohne Gefühle erzählt werden können. Das Wichtigste ist nur, dass man nicht subjektiviert. So nun, wo war ich. Ich glaube, ich sollte etwas vorgreifen, da meine Erzählung sonst den Rahmen sprengt. Nach der ganzen Geschichte, nach allen hässlichen Geschehnissen danach, wie z.B. die längere Krankheit und so weiter, werde ich nun noch schnell meine Idee darlegen.
[Erzähler tritt auf]
[Erzähler:]
Sehen Sie: hier wäre diese Mischung aus Selbstmitleid und Überhebung wohl möglicherweise zu einem Punkt gekommen, der nicht mehr unserem Format genügt hätte. Oder Besser gesagt, dieses Medium ist wohl nicht der beste Überträger von Ideen. Wie ihnen wohl klar sein dürfte, ist es sehr leicht, Gefühle durch Empathie und Antipathie zu vermitteln, aber Gedanken? Dafür benötigt es mehr. Man benötigt eine Hauptperson, die über all dem steht, was sie betrachtet. Sie muss alles sehen, alles verstehen, aber Nichts und ich meine wirklich Nichts beeinflussen. Haben Sie so eine Person schon einmal gesehen? Genau das ist das Problem: Es gibt keine solche Person. Diese sollte gleichzeitig alles verstehen, aber dann außer Stande sein, zu handeln; und zwar in jeglicher Art. Glücklicherweise sind wir ja nicht nur auf die objektive Wirklichkeit beschränkt, sondern können auch auf subjektive Wirklichkeiten ausweichen. Es bietet sich wohl an, diese Person in das Zentrum des zu betrachtenden Raums zu setzen, da eine subjektive Realität mit allwissenden dritten Personen schwer zu realisieren ist; höchstwahrscheinlich ist dies sogar unmöglich. So nun werde ich die Bühne räumen und hoffe, die Perspektive wird den Einblick verschaffen, der gewünscht wird.
[Erzähler tritt ab, Bühne öffnet sich. Zwei Menschen, Frau und Mann. Die Frau steht allein in der Mitte der Bühne, der Mann steht in einer Art Korb, scheinbar der eines Heißluftballons, leicht erhöht und spricht zum Publikum.]
[unbekannter Mann:]
Dies ist die Frau. Ihr Name spielt keine Rolle, wirklich nicht. Er zeigt höchstens, aus welchem sozialen Milieu sie stammt. Interessiert das? Offiziell ja; an sich nicht. Zur Zeit ist sie traurig. Warum? Das ist so unwichtig, wie uninteressant. Nehmen wir einmal an, jemand hat sie enttäuscht, sie hintergangen, sie hat einen schweren Verlust erlitten, oder etwas vergleichbares. Der Fall ist nichts, das Prinzip alles, bitte verzeihen Sie bitte deshalb meine „Herzlosigkeit“. Die meisten Menschen kommen nur kurz auf dieses Niveau, also das, auf dem ich mich befinde. Ich wohne hier. Wie Delfine im Wasser springen sie über mich, werfen ihre Schatten weit übers Meer, fliegen, scheinen der Physik entkommen. Sie fliegen ohne den stetigen Zug zu verspüren, der uns wieder auf die Erde ruft. Diese Stimme, die den meisten Menschen nicht als Notwendigkeit unserer Natur, sondern als Bestrafung, manchen auch als Fehler erscheint. Und die Delfine, die anmutig den Himmel erstürmten, wenden ihren Blick der Sonne ab, sehen kurz den Horizont und tauchen ein in das Meer, auf dem ich treibe. Sie werden schon bald wieder die Oberfläche durchdringen, aber am Himmel bleiben, das können sie mir gern glauben, am Himmel bleiben letztlich nur die Sterne. Diese ewigen Versprechen, die uns so wirklich erscheinen, aber in Wirklichkeit nur Irrlichter sind. Wenn ich auch zugeben muss, dass diese Irrlichter ihrer Bestimmung ganz und gar nicht entsprechen und damit dieser Vergleich doch recht schlecht gewählt ist. Es gibt neben den Delfinen auch stolze Vögel. Sie erheben sich von den Fluten und erstürmen die Luft. Sie werden aber weder, wie der Delfin, die Sonne direkt ansteuern, noch werden sie sich auf Niveaus unter mir zurechtfinden können. Sie verbringen die meiste Zeit am Himmel, sehen dennoch nie nach oben, das einzige, was sie sehen ist das unter ihnen, was sie so fürchten und den Horizont, der ihnen ewiges fliegen verspricht, vielleicht sogar eine Insel. Aber auch diese sehe ich stürzen, die Kraft des Menschen ist nicht groß genug, das da oben ewig zu genießen. Diese Frau ist zur Zeit irgendwo da unten. Wo genau, das kann ich nicht sagen, es gibt kein absolutes Unten. Sie ist wahrscheinlich an einem Punkt, der für Sie als solches erscheint. Sehen Sie? Sie weint. Sie nährt den Ozean, der für Sie so eine Qual ist. Ob sie eher ein Delfin ist, oder ein Vogel, lässt sich von hier aus nicht sagen. Aber keine Angst, mein Baón hier, ist zum Beobachten geschaffen.
[Ein froher Mann mit heruntergekommenen Kleidern betritt die Bühne von unten. Er stößt die Frau um, bemerkt dies aber nicht, verlässt die Bühne auf Höhe der Frau.]
Ha, haben Sie das gesehen. Sie denken jetzt wohl: Das ist ein unfreundlicher Mensch, der die Frau, die ja mit ihm leidet, einfach von sich stößt. Aber weit gefehlt. Dieser Mann dachte, er sei weit über uns, jenseits der Wolken. Die meisten sehen sich weit oben, wenn es etwas aufwärts geht. Einerseits ist es eine gute Ausrede, nicht weiter steigen zu müssen. Wenn man seine Ziele tief genug hängt, wird man meist nicht enttäuscht. Andererseits hätte er keine Chance, die Frau zu sehen, die ihn wohl auch nicht gesehen hat, da sie dachte, sie sei deutlich weiter unten. Sie als Zuschauer haben Glück, so eine Nivellierstange wie mich hier zu haben. Sehen Sie: Die Frau weint wieder. Sie hat den Stoß gespürt und obwohl sie ihn keiner Ursache zuordnen konnte, hat es sie schon wieder aus dem Gleichgewicht gebracht. Sehen Sie, wie sie mit den Armen rudert? Sie glaubt, sie falle. Jetzt sieht man auch, dass es sich um einen Vogel handelt. Sie lässt sich ohne Gegenwehr reiben, sie fällt, aber sie tut nichts dagegen. Sie hat den Stoß wohl für eine göttliche Bestrafung gehalten. Wahrscheinlich fühlt sie sich auch ausserstande, jemals in ihre angestammte Höhe zurückzukehren. Sie sieht gerade mit Neid meinen Baón und wird sich wohl innerlich wünschen, statt ihrer Höhenflüge, die Sicherheit gewählt zu haben. Ein Axiomenfehler, aber ein sehr verständlicher. Sie setzt den freien Willen und die absolute Macht dessen voraus. Das kommt übrigens bei Vögeln recht oft vor. Ihre Erfolge erklären sie sich mit ihren Fähigkeiten. Oftmals setzt ein Umdenken ein, sobald sie sinken, die meisten Menschen sind aber auch nach Schicksalsschlägen nicht in der Lage, ihre elementaren Grundsätze zu ändern. So wie es aussieht, wird es nicht mehr lange dauern, bis sie ihren Tiefpunkt erreicht.
[Frau bricht zusammen]
So, jetzt konnten sie es erleben, was passiert, wenn man den subjektiven Tiefpunkt erreicht. Sie ist gerade auf ihm aufgeschlagen. Leider gibt es ihn diesem Fall eigentlich nur zwei Möglichkeiten, was passieren könnte: Sie hat sich die Flügel gebrochen, oder aber ihren Hals. Die Folgen liegen wohl auf der Hand. Ich muss Sie übrigens warnen: Es bringt nichts, zu versuchen ihr zu helfen. Erstens werden Sie sich sicherlich auf ihr Niveau herabgezogen werden und zweitens kann man einem Vogel, der schon über den Wolken war, das Leben unter den Wolken nicht schönreden. Und in kürzester zeit sind dort unten zwei bemitleidenswerte Gesellen. Sehen Sie!
[Eine Gestalt fliegt oberhalb des Kommentators quer über die Bühne, kreist kurz um die Frau und steigt senkrecht nach oben auf]
Da wird einem ganz schwer ums Herz, wenn man die Vögel sieht, wie sie der Sonne entgegen stürzen. Man muss sich immer wieder sagen, dass die anderen alle irgendwann mal ganz unten sein werden. Ich hingegen bleibe immer auf meiner Höhe. Ich werde keine Stürze erleben, werden mich weder an der Sonne verbrennen, noch die Flügel mit Schlamm verkleben, noch irgendwo aufschlagen. Ich kann meine Existenz als wirklich gesichert ansehen. Oh, sehen Sie mal, die Frau hat ihren Kopf zu uns erhoben. Sie winkt, sie scheint Hilfe zu erwarten. Dass sie uns überhaupt sehen kann, verwundert mich jetzt. Halten Sie mich jetzt nicht für asozial, aber ich hatte eigentlich gedacht, dass sie erstens es niemals schaffen würde, den Kopf nochmals gegen Himmel zu erheben, zweitens, dass sie mich von da unten überhaupt sehen kann und zusätzlich, dass sie mich anspricht. Fliegen wir lieber weiter, sonst riskiere ich noch meine Sicherheit hier oben. Mit zwei Personen ist der Baòn wahrscheinlich zu schwer und wird deutlich weiter unten fliegen. Halten Sie mich bitte nicht für nicht hilfsbereit, aber das Gewicht der Welt lastet über meinen Schultern schon genug auf dem Baòn. Ich weis außerdem überhaupt nicht, was passieren könnte, wenn mehr Menschen ihn benutzen. Es kann doch gut sein, dass er dann irgendwo da unter zerschellt. Ich werde aber nicht einfach so gehen, ich werde ihr helfen.
[Der Kommentator beugt sich herunter und ruft in Richtung Frau: „Jede Seele, die sich rettet, rettet auch ihren Leib." Der Ballon verlässt die Bühne. Der Vorhang fällt.]
[Zwei heruntergekommene Menschen kommen auf die Bühne, stolpern über den Vorhang.]
[Ustalost:]
Und wieder dreht die Welt sich weiter. Die Seiten der Geschichtsbücher werden umgeblättert und alles geht weiter, oder eher wieder von vorn los. Wie oft haben wir das jetzt schon erlebt?
[Nadeschda:]
Ich weis es nicht. Ist doch auch egal. Alles ist wieder neu, alles ist wieder offen. Diesmal läuft es sicherlich besser. Wir werden wieder alles neu aufbauen und werden alles dafür geben.
[Ustalost:]
Das sagt sich so einfach. Jedes mal sollen wir die Welt neu aufbauen. Jedesmal geht sie zugrunde. War ich ein einziges Mal daran schuld? Nein. Und dennoch: immer wieder das Gleiche: Wir stehen in den Trümmern einer Welt, deren Bewohner sie nicht verdient hatten und sollen wieder eine solche errichten. Wofür denn? Ich werde dort ein Leben führen, wie Millionen andere, vielleicht Milliarden, das kommt ganz auf die Lebensdauer der Umgebung an. Und dieses Leben, das ich mit so vielen Unnützen teilen muss, wird dann wieder zerstört durch die anderen. Ich kann das einfach nicht mehr.
[Nadeschda:]
Jetzt klingst du aber nach einem alten Mann. Das steht dir gar nicht. Freu dich an der neuen Chance, lebe wieder auf. Wenn man hinfällt soll man wieder aufstehen. Mann schüttelt den Staub ab und macht weiter.
[Ein weiterer Man betritt die Bühne, mitleiderregend sieht er aus]
[Jaloba:]
Er hat doch recht. Die Menschen machen das alles immer kaputt und der Herr? Der sagt uns: Weitermachen. Ich bin doch auch nur ein ganz normaler, wenn auch doch schon ein erfahrender Mann. Und du, Ustalot? Woher nimmst du dir das Recht, das hier anzuklagen? Du bist doch am Aufbau kaum beteiligt. Du machst doch kaum etwas. Klar: Die Menschen sind unverantwortlich und lernen nicht aus den Fehlern ihrer Vorgänger; Der Herr lässt uns die ganze Arbeit machen; Die Welt muss wieder und wieder aufgebaut werden, nur um zerstört zu werden. Dass stimmt alles. Aber du Ustalot, du stehst daneben und klagst über deine Müdigkeit, als ob du jemals etwas geleistet hättest. Und du Nadéschda. Was machst du Großes. Du redest von der Erneuerung und dem ganzen Propadangazeugs, aber Handeln? Hast du jemals gehandelt?
[Nadeschda:]
Wenn es mich nicht gäbe, würde überhaupt nicht gehandelt, würde nicht aufgebaut, würden die Welten wohl deutlich früher zerstört. Aber wenn du schon dabei bist: Was machst du denn konstruktives?
[Radota:]
Was macht ihr für einen Lärm? Helft mir lieber nach großen Steinen suchen. Ich arbeite gerade an den Grundsäulen und ihr wisst ja, wie wichtig die sein können. Wisst ihr noch früher, als wir noch nicht wussten, wie man Welten baut? Das waren schöne Zeiten: Du Nadéschda hast mir geholfen, um den andren Vorbild zu sein, du Jaloba brauchtest einen Grund, über etwas zu klagen und hast deshalb gearbeitet. Und du Ustalost, du wurdest während der Arbeit sooft gezeugt und getötet, dass ich mich immer wieder wundere, dass du dich so sehr gegen sie wehrst. Es waren gänzlich andere Zeiten und doch ist es immer wieder dasselbe. Ihr klagt, motiviert und demotiviert, wie zu den alten Zeiten. Jeder erfüllt seine Bestimmung, und doch….
[Ein zerlumpter Mann betritt die Bühne und unterbricht Radota]
[Mustrost:]
Halt. Sprich nicht weiter. Du verlässt soeben deine Rolle. Du wurdest zu Arbeit geschaffen, so wie ich dazu geschaffen wurde, für euch zu denken. Überschreite nie deine Rolle, sonst verlierst du sie.
[Ein Henker betritt die Bühne]
[Nakasanije:]
Als ob es so wichtig wäre, die Welt schnell wieder aufzubauen. Haben wir etwas davon? Haben wir etwas davon, unsere Rollen zu behalten? Sind diese so perfekt, dass man sie bewahren müsste? Du hetzt als „weiser“ alter Mann durch die Geschichte und leierst deine Lehren herunter. Hattest du jemals Erfolg? Wenn doch, dann zeig ihn mir bitte hier im Schutt. Hattest du jemals Erfolg Nadeschda? Die Hoffnung, die du zu streuen versuchst, hält nicht einmal so lange, wie die Ruinen von Radota. Radota, hattest du jemals Erfolg? Haben dir nicht die Menschen mal um Mal dein Werk zerstört mit immer raffinierten Methoden. Immer wieder ihre „Wissenschaft“ entwickelt, immer wieder deine Ordnung gestört? Hattest du Erfolg? Der einzige von uns, der schon den Geschmack des Erfolgs schmecken durfte, bin ich. Jede zerstörte Welt gibt mir Recht. Kommt lauft und baut euch eine neue Sandburg.
[Nakasanije verlässt unter höhnischem Geächter die Bühne]
[Mustrost:]
Hört nicht auf ihn. Ihr kennt ja seine Reden. Jedes Mal aufs Neue kommt er und versucht euch vom rechten Pfad ab zu bringen. Ihr verliert eure Identitäten, wenn ihr eure Rollen überschreitet. Eure Identität ist nun einmal eure Seele. Ihr seid keine Menschen, die 1000 verschiedene Seelen in ihrer Brust tragen, die das höchste Ideal neben der niedrigsten Gemeinheit in seiner Seele hegen zu können, und beides mit vollkommener Aufrichtigkeit. Vielleicht ergäben wir geeint einen kompletten Menschen, aber über dies zu entscheiden sind wir zu klein, also erzähl ich euch lieber die Geschichte des Commo N. Sie soll euch zeigen, dass das Verlassen einer Rolle, die einmal gewählt wurde, nicht einmal den Menschen leicht fällt. Und wenn diese es nicht können, solltet ihr es dann vermögen?
"Es fing eigentlich ganz harmlos an. Jeder in seiner Nachbarschaft baute eine Mauer, etwa kniehoch, um sich. Jede anders und jede gab dem Besitzer Sicherheit. Auch Commo N. wollte eine dieser Mauern, hinter der er sich sicher fühlen konnte und seine Freunde halfen ihm. Sie hatten alle eine solche Mauer schon für sich selbst gebaut. Zusammen mischten sie den Mörtel und beschafften die Ziegel. Commo, der sich freute, dass seine Freunde die Materialien für ihn ausgesucht hatten, machte sich ans Werk und mauerte. Er hatte genug Mauern bestaunt, dass er wusste, wie „Die“ Mauer aussehen musste. So ganz nach seinen Vorstellungen konnte er es nicht umsetzen, da oft einer der Freunde kam und ihm half und ihm Tipps gab wie „man“ es machte. Beeindruckt von diesem Fachwissen veränderte sich sowohl sein Idealbild, als auch die Mauer. Die Mauer wuchs, der Stolz Commos auch. Sie ereichte Halshöhe, was Gespräche mit Bekannten zwar einschränkte, aber da diese genauso beeindruckt von der Mauer schienen, wie Commo stolz auf sie war, hatten sie immer Gesprächsstoff. Seine Bewegung hingegen reduzierte sich auf das Maß, welches die Mauer zuließ. Dies störte ihn aber nicht, er sah nichts Ungewöhnliches daran. Die Mauer wuchs, Stein auf Stein, immer höher, immer besser. Er konnte nicht mehr über die Mauer spähen, wie er es so gern gemacht hatte. Von Zeit zu Zeit tauchten fremde Stimmen vor der Mauer auf, sagten Worte, Sätze, manchmal Namen, aber Commo verstand sie nicht. Er, der mit der Zeit auch gewachsen war, sodass er die Wände streifte, sobald er sich umdrehte, merkte, dass etwas nicht stimmte. Aber was tun? Er wusste es nicht, er mauerte weiter. Die Mauer wurde zum Turm. Commo sah hinauf zu dem Lichtstrahl, der durch die kleine Öffnung zu ihm nach unten drang und fragte sich, warum die Leute nicht mehr kamen, warum er diesen Turm gebaut hatte und wie lange er noch in diesem selbst gemachten Verlies überleben könne. Er veränderte sich: er wurde so breit, dass er gerade in den Turm passte und wurde depressiv. Er vermisste die Menschen, er vermisste die frische Luft und er vermisste das Sonnenlicht, das nicht mal mehr am Mittag in sein Loch schien. Er versuchte die Mauer einzureißen, aber vergeblich: Sobald er einen Riss verursachte, wurde dieser von außen von den Menschen da draußen repariert, in dem Glauben, sie hülfen Commo. Dieser saß in seinem Exil und realisierte, warum die anderen ihre Mauer nur so klein gebaut hatten, warum jeder seine ganz persönliche Mauer gebaut hatte, aber er verstand nicht, warum er die Materialien dann nicht selbst aussuchen sollte und warum ihm beim Bauen geholfen wurde. Er höhlte die Mauer von Innen verzweifelt aus. Er sah keine andere Chance: entweder er entkam diesem Gefängnis, oder es stürzte über ihn und er war auf diese Weise erlöst. Er schabte und meißelte bis er einen Schimmer Licht durch die hauchdünne Wand sehen konnte. Er schlug ein Loch, groß genug, um hinauszuspähen, aber klein genug, um nicht bemerkt zu werden. Er sah die Welt, zum ersten Mal seit Jahren sah er die Welt, wie sie war und bekam Angst. Panische Angst breitete sich in seinem Körper aus. Commo schreckte zurück und fragte sich, was er ohne den Turm wäre. Er wäre nackt. Keine Mauern, hinter denen er sich verstecken könnte. Er, der keine Identität außerhalb des Turms hatte, würde sich auslöschen. Wer wäre er ohne Turm? Er käme ohne ihn in dieser neuen Welt nicht zurecht. Der Turm, dieses Mahnmal des Elends, war ein Teil von ihm. Er nahm eine Handvoll Dreck und verschloss das Loch. Desillusioniert und teilnahmslos saß er dort, sah wie in Ermangelung einer Lichtquelle sogar die Dunkelheit Schatten warf und wartete auf das Ende."....
[Mustrost scheint noch etwas sagen zu wollen, wird aber vom Auftritt eines energischen Mannes, gut aussehend und voller Energie, unterbrochen; dieser baut sich vor der Gruppe auf und schreit]
[Adam:]
Hey ihr da. Mir wurde eine Welt außerhalb des Paradieses versprochen, in der ich und meine Frau leben können. Nun werde ich aus dem Paradies vertrieben und was finde ich vor? Alles „wüst und leer“. Wer ist hier der Vorarbeiter? Ich verlange sofort eine bewohnbare Welt!
[Radota:]
Ihr habt es gehört, also ans Werk, last uns ein weiteres Mal die Grundlage für den Verfall legen. Wir können zwar das Ende nicht verhindern, aber lasst uns dennoch wieder alles in unser Werk legen, und wenn es auch nur zum Selbstzwecke wird.
Die Gruppe zerstreut sich. Beim Gehen wühlen sie im Schutt; der Hintergrund wird von Arbeitsgeräuschen erfüllt.