Prolog
Die Sonne schien durch die große Fensterfront und erinnerte Kaya mal wieder daran, dass draußen das beste Wetter war. Es war noch nicht wirklich Sommer, weshalb die Temperaturen auch noch nicht ins unendliche kletterten, aber der Winter war schon lange genug vorbei, sodass die kalte Winde, die einen immerzu frösteln ließen, verschwunden waren. Es war das ideale Wetter für einen wunderschönen Spaziergang. Solche Tage waren selten genug und gerade deshalb ärgerte es Kaya so doll, dass sie ihn nicht genießen konnte.
„ Einen wunderschönen guten Tag, Fräulein Wadjet. Sie sehen in diesem Kleid einfach wundervoll aus.“ Kaya drehte sich um, immerzu ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht, das sie schon den ganzen Vormittag trug.
„ Auch ihnen einen wunderschönen guten Tag General Vissteck“, antworte Kaya und machte einen Knicks vor dem dicken Mann, der sie eben begrüßt hatte. Er sah in seiner Uniform, die ihm mindestens zwei Nummern zu klein war, aus wie eine Wurst, die mit aller Kraft in eine nicht passende Pelle gesteckt worden war. Kaya fragte sich wie man ihm diese Uniform angezogen hatte, egal wie es vonstatten gegangen war, es musste ein schmerzhaftes Unterfangen gewesen sein.
„ Sie sehen sehr gut aus General, wie ich hörte wurde ihnen vor kurzer Zeit ein weiteres Battalion unterstellt, meinen Glückwunsch.“
General Vissteck lächelte, wie ein kleines Kind dem man den größten Lolli der Welt schenkte. Und dann, und Kaya hätte sich nicht gewundert wenn seine Uniform mit einem einzigen Knall zerrissen wäre, verbeugte er sich leicht, zog sich mit einer lächerlichen Geste den Hut vom Kopf und lies ihn dabei fast fallen.
„ Ich hoffe wir sehen uns später noch einmal“, sagte er mit einem, wie er wahrscheinlich dachte anziehenden, Lächeln.
„ Oh ja, sie müssen mir unbedingt von dem Krieg im Osten erzählen, ich bin ganz begierig etwas von dort zu erfahren“, antworte sie mit gespielter Neugier. Als ob dieser Fettwanst jemals die Schlachtfelder des Ostens betreten hätte, wo die Truppen des Imperators gegen die Barbaren kämpften.
„ Oh, wenn sie vom Osten hören wollen, es gibt da eine Geschichte die ich ihnen erzählen könnte. Ich war mit einer einzigen Kompanie mitten im feindlichen Gebiet und...“, fing er an und beschrieb ihr mit einer weitausholenden Handbewegung etwas, das wohl gleich in seiner Erzählung folgen würde. Sehr wahrscheinlich etwas mit sehr vielen und gefährlichen Barbaren die er fast im Alleingang besieget und verjaget haben würde.
„ Es tut mir furchtbar Leid, General Vissteck, aber da hinten ruft man bereits nach mir“, und sie zeigte wahllos in irgendeine Richtung, „ ich hoffe wir sehen uns später, ich warte gespannt auf ihre Geschichte“ und bevor er noch irgendetwas sagen konnte ging Kaya mit schnellen Schritten los. Es gab keine Richtung, einfach nur weg. Vielleicht konnte sie sich ja eine Minute Ruhe verschaffen, bevor sie der nächste drittklassige General ansprechen würde. Nicht, dass sie etwas gegen Generäle gehabt hätte, es war ihr herzlich egal ob General, Kaufmann, Fürst, Prinz, Gelehrter, Kriegsveteran oder Bürgermeister. Sie hatte ihren Vater tausendmal angefleht, dass sie nicht mit zu dem Geburtstag von Staatskassen Oberhaupt Gellan gehen musste, aber ihr Vater hatte ihr klipp und klar gesagt das ihr Anwesenheit vom Anfang bis zum Ende der Feierlichkeiten erforderlich wäre. Sie seufzte innerlich, es gab so viele Männer, die dachten sie wären etwas besonderes nur weil sie über 10 Mann auf dem Schlachtfeld, in einer Bibliothek oder in einer Fabrik befahlen. Sie alle glaubten, dass sie außerordentlicher und wichtiger als alle anderen Menschen in ihrer Umgebung wären und das sie, die gutaussehende Tochter des Fürsten von Stradien, es kaum erwarten konnte von ihnen angesprochen, umworben, geküsst zu werden und noch vor Mitternacht im Bett unter ihnen zu liegen.
Ein weiterer Mann in einer goldblauen Robe und mit einem Schnauzbart für den alleine man ihm schon einen Preis verleihen könnte, versuchte sie von der Seite anzusprechen:
„ Ihre Schönheit blendet mich, Fräulein. Gestatten sie mich vorzustellen, mein Name ist...“ doch Kaya hastete nur so schnell wie es ihr irgendwie möglich war an ihm vorbei und entschuldigte sich nur kurz, damit das sie schrecklichen Durst hätte. Doch der Mann gab nicht auf. Während Kaya sich in Richtung Büffet bewegte, folgte er ihr so schnell durch die Menge wie es ging. Kaya ging so schnell wie sie konnte, ohne das es als ungehörig bezeichnet werden konnte, und erreichte das Büffet. Wenn sie immer den Mund voll hatte konnte man sich schlecht mit ihr Unterhalten, dachte sie für eine Sekunde, doch schon eine weitere Sekunde später wurde ihr klar, dass das auch keine Lösung war. Die Männer würden es wahrscheinlich sogar begrüßen wenn sie nichts sagte, dann würden sie ihre unendlich langweiligen und meist erfundenen Geschichten ohne ständige Pausen erzählen können.
„ Wie ich eben schon sagen wollte ist mein Name Micheal de Con...“ tönte die Stimme des Mannes hinter ihr her während sie nun vor dem Büffet stand und die Hand nach einem Weinglas ausstreckte.
Es geschah ohne Vorwarnung. Es gab keinen ersichtlichen Grund und Kaya hatte keine Chance sich dagegen zu wappnen. In ihrem Kopf explodierte ein Schmerz, so stark wie sie noch nie einen verspürt hatte. Alle anderen Gedanken waren vergessen und Kaya wurde für einen Moment nur von diesem Schmerz ausgefüllt, er beherrschte ihren Kopf und sie fühlte sich als ob eben dieser in Flammen stand. Sie griff sich mit der rechten Hand an die Schläfe und doch der Schmerz wurde nur noch schlimmer. Sie wollte schreien aber nur ein schwaches Stöhnen kam über ihre Lippen. Egal was es war, es sollte nur aufhören, sie war sich sicher das sie den Schmerz keine Sekunde länger ertragen könnte. Sie spürte nicht wie Michael sie am Arm berührte und sich nach ihrem Befinden erkundigte. Der Schmerz war alles was noch in ihr war und sie war unendlich dankbar als die Dunkelheit sie einhüllte und sie das Bewusstsein verlor. Und so fiel Kaya Wadjet, 18 jährige Tochter des Fürsten Ermund Wadjet auf der Geburtstagsfeier von Oberkassenwart Gellan in Ohnmacht und fiel seitlich in das, bis dahin wunderschöne, Büffet. Höfflich ausgedrückt: Die Feierlichkeiten waren danach weitgehend zum erliegen gekommen und Oberkassenwart Gellan ging an diesem Abend äußerst unzufrieden nach Hause.
Die beiden Priester knieten auf dem Steinboden. Mit einer Faust stützten sie sich auf den Boden. Ihre schwarzen Gewänder wallten um sie herum zu Boden während sie ihre Gesichter gen Boden gerichtet hatten. Ihre Mienen waren völlig emotionslos, es gab keine Gefühle, keine Meinung, kein Widerstand. Sie waren ihr gesamtes Leben lang zu absolutem Gehorsam ausgebildet und waren auf dem Weg, den sie für absolute Macht beschritten hatten, zu weit gegangen als das sie hätten umdrehen können. Sie waren zum Priester bestimmt gewesen. Sie waren Priester. Sie würden irgendwann als Priester sterben.
„ Das Medium wurde gefunden.“ sagte eine Stimme über ihnen, keiner von beiden musste den Blick heben, was ihnen zudem streng verboten war, um zu wissen wer dort mit ihnen sprach.
Sie erkannten es an der Macht in seiner Stimme, eine Stimme die zum befehlen und herrschen geboren worden war. Eine auserwählte Stimme, die zu einem auserwählten Körper gehörte.
„ Ja, Herr.“ antworteten sie im Chor
„ Sucht das Medium.“ ertönte die Stimme nun direkt über ihnen. Jeder andere Mensch hätte auch nur kurz den Kopf gehoben, nur für eine Sekunde nach oben geschielt um etwas von ihrem Propheten zu sehen, doch diese beiden Männer waren Priester. Absoluter Gehorsam.
„ Ja, Herr.“ antworteten sie nur
„ Und wenn ihr es gefunden habt, tötet das Medium.“
„ Ja, Herr.“ Selbst wenn er ihnen befohlen hätte sich gegenseitig zu töten hätten sie ohne eine Sekunde zu zögern dasselbe geantwortet.
„ Nehmt so viele Soldaten mit wie ihr es für nötig haltet.“
„ Ja, Herr.“ wiederholten sie den immer gleichen Chor
„ Jede Art von Verlusten sind akzeptabel, solange das Medium ausgeschaltet wird.“
„ Ja, Herr.“
„ Möge der einzig wahre Gott euch leiten, Priester.“ und mit diesen Worten spürten beide eine Hand die sich ihnen kurz auf den Kopf legte. Es war die höchste erreichbare Ehre, sie wurden von dem Propheten berührt. Nichts wünschte sich jeder Priester mehr. Jeder andere Mensch wäre aufgesprungen, hätte sich für diese Ehre bedankt, hätte zumindest gegrinst und sich vor der Tür gegenseitig beglückwünscht, doch diese beiden Männer waren Priester. Absoluter Gehorsam.
„ Ja, Herr.“
Es war kalt. Aber es war schon so lange kalt. Man gewöhnte sich an alles. Also auch an die Kälte. Er wusste nicht mehr wie lang er so schon existierte. Aber in einem solchen Zustand, wie er sich befand, spielte Zeit sowieso keine Rolle mehr. Nicht essen, nicht trinken, einfach nur schlafen. Seine Augen waren so unglaublich schwer und er wollte einfach nur weiterschlafen. Wenn man schläft spürt man nichts, also auch keine Kälte oder andere störenden Gefühle. Deshalb war schlafen gut. Besser als alles andere. Aber etwas hinderte ihn daran.
„ Wer ist da.“ fragte er mühsam.
Es war das erste mal seit einer unvorstellbar langen Zeit das er wieder geredet hatte. Er hatte gedacht das er es schon verlernt hätte, inmitten des Schlafes und der Kälte.
„ Ich bin es, die Mutter.“ sagte eine andere Stimme, aber er konnte nicht mal wirklich sagen von wo die Stimme kam.
„ Die Mutter.“ sagte er langsam und musste sein Gehirn anstrengen um die Worte zu verstehen. Er hatte schon so lange nicht mehr konzentriert nachgedacht. Er hatte gedacht das er es schon verlernt hätte, inmitten des Schlafes und der Kälte.
„ Du hast lange genug geschlafen, du musst aufwachen.“ sagte die Stimme wieder und klang nun eindringlicher.
„ Aufwachen? Aber ich bin so müde und es ist kalt.“
„ Das Medium ist erwacht. Und sie braucht Schutz, alleine in der Welt wird es sterben und somit all unsere Hoffnung.“
„ Das Medium?“ fragte er und spürte wie die Müdigkeit langsam aus ihm wich, aber wirklich unendlich langsam.
„ Du wirst das Medium beschützen. Stirbt es, stirbt jede Hoffnung für uns und vermutlich auch für die ganze Welt.“
„ Warum ich, es gibt so viele andere.“
Nun wurde die Stimme noch drängender und wirkte nun schon fast gereizt.
„ Ich kann höchstens einen aus dem ewigen Schlaf erwecken und es darf kein Ältester sein, dafür reichen meine bescheidenen Kräfte nicht.“
Er wollte nicht noch weiter aufwachen, er wollte einfach nur weiterschlafen.
„ Es gibt so viele andere.“ versuchte er sich zu widersetzten
„ Es stimmt, es gibt viele andere, aber ich wähle dich.“ sagte die Stimme nun mit einem befehlenden Unterton in der Stimme.
„ Warum.“ fragte er mit letzter Kraft um sich nicht aus dem entgültigen Schlaf reißen zu lassen.
„ Dein Vater empfahl dich. Er vertraut dir.“
„ Mein Vater!“ die Müdigkeit verschwand immer schneller aus seinen Knochen und seinem Geist.
„ Du hast mit meinem Vater gespro...“
Doch die Stimme der Mutter unterbrach ihn mit einem endgültigen aber nicht mehr gereizten Stimme.
„ Ich vertraue auf dich. Unser ganzes Volk vertraut auf dich. Enttäusche uns nicht,“ dann war es für eine Sekunde lang still, so als ob die Mutter noch kurz nachdachte, „ und dein Vater vertraut auch auf dich.“
Er wollte noch etwas sagen, etwas fragen, einfach nur irgendetwas erwidern, doch die Stimme unterbrach ihn noch bevor er den Mund aufmachen konnte.
„ Erwache!“ schrie die Stimme und die Kälte und somit auch die Müdigkeit verschwand aus seinem Körper, wie das Wasser das aus einem senkrecht gehaltenen Glas herauslief. Dann kam die Kälte wieder, doch es war eine andere Form von Kälte. Jede Form von Müdigkeit, die ihn eben noch erfüllt hatte, war verschwunden. Seine Lebensgeister waren wieder zurück, doch die neuen Kälte umhüllte ihn. Er befand sich im Wasser. Er strampelte nach oben. Sein Körper war noch nicht lange genug erwacht, sodass er keine richtigen Schwimmbewegung hinkriegte. Er strampelte immer weiter und durchbrach schließlich die Wasseroberfläche. Er atmete frische Luft ein. Nach so langer Zeit. Während er mit den Beinen strampelte um nicht wieder unterzugehen lachte er. Er bekam Wasser in den Mund und musste würgen, aber lachte. Nach so langem Schlaf ohne sichtbarem Ende nun doch zu erwachen, das hätte er sich nicht mal in seine unendlichen Träumen vorgestellt. Er lebte wieder. Er hatte eine zweite Chance erhalten. Das Lachen erstarb wieder und er paddelte für eine Sekunde nur im Wasser und genoss das Atmen an sich. Dann sah er sich um in welcher Richtung es ein Ufer gab. Er hatte eine Aufgabe und von dieser Aufgabe hing das Schicksal seines gesamten Volkes ab. Er musste das Medium finden und zwar bevor es jemand anders tat.