Frauchen ist tot
Ich habe mich in meinem siebenjährigen Leben daran gewöhnt: Morgens um 07.30 Uhr - pünktlich gleich bei welcher Witterung – führt mich mein Frauchen, die Kurpfälzerin zum Feld damit ich mich erleichtern kann.
Doch was ist heute geschehen? Es ist bereits 10.00 Uhr am Vormittag. Die Kurpfälzerin liegt noch immer im Bette und rührt sich nicht, der unsägliche Pfalzgraf schnarchend in ein enges Eck des Bettes gedrängt. Frauchen ist tot.
Rückblende:
Der gestrige Abend. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Frauchens Heimsuchung, der Pfalzgraf hatte sie wieder zum trinken verführt. Was tut der schlaue Hund in einem solchen Fall? Er verkriecht sich unter dem Tisch und beobachtet das sich anbahnende Chaos aus der Ferne. So tat auch ich es.
Es kam wie es kommen musste: Durch den übermäßigen Alkoholgenuss wurden die Beiden wieder so kindisch, dass ich - welches gerne als geistig unterqualifiziertes Tier bezeichnet werde - den Beiden in Anstand und Benehmen noch manches hätte beibringen können. Habe ich mich für die zwei geschämt.
Doch diesmal war etwas anders als sonst. Während früher wenigstens einer der Trunkenbolde mich beachtet, mein freundliches Haupt gestreichelt und mich hinter den Ohren gekrault hat, so missachtete man meine Anwesenheit gestern völlig. Ich drehte ihnen beleidigt meinen schönen Rücken zu. Nicht einmal als Frauchen zu Bett ging warf sie mir die gewohnt liebevollen Blicke zu. Sie fiel wie ein nasser Sack in ihre Bettstatt und rührte sich nicht mehr. Frauchen war wohl tot.
Trotz meiner Sorge und Trauer schlief ich irgendwann mit verweinten Augen ein.
Nun ist es 10.00 Uhr am Morgen. Mein Frauchen liegt tot im Bette. Der Pfalzgraf an ihrer Seite erwacht. Was tut der Frauenmörder? Statt sich um sein Opfer zu kümmern – er lässt es einfach liegen – zieht er sich kurz an und nimmt die Leine um mich nach draußen zu führen.
Sicher, mein Darm und meine Blase danken es ihm, jedoch meine Gefühlswelt ist nun völlig zerstört. Ich hatte den Menschen moralisch in besserer Erinnerung.
Das soll er mir büßen: Es regnet und ein kalter Wind pfeift. Ich bemerke entzückt, dass er nur ein leichtes T-Shirt unter einer dünnen Sommerjacke trägt und auch seinen Hut vergessen hat. Sein Alkoholspiegel ist wohl noch zu hoch.
Wir gehen zum Feld, wo er mich der Leine entlässt. Dies soll der Tag meiner Rache sein. Ich verschaffe meinem Körper die ersehnte Erleichterung und sehe mit Freude, dass ein frierender und durchnässter Pfalzgraf auf meine Rückkehr wartet. Heute soll er lange warten. Während ich mich in sicherer Entfernung meiner Trauer hingebe, soll dieser Unmensch über seine Taten nachdenken und sich dabei eine Lungenentzündung holen. Vielleicht stirbt er auch. Dann wäre ich zwar Waise, aber der Gerechtigkeit wäre Genüge getan.
Ich lasse ihn lange warten – sehr lange. Erst als sich mein Magen meldet – schließlich habe ich noch kein Frühstück und Hunger kann ebenso schlimm sein wie Trauer – entschließe ich mich zurückzukehren. Der pfalzgräfliche Blick ist so zornig, dass ich weiß: Meine Rache ist gelungen.
Wir sind wieder zuhause. Mein erster Gang führt mich zu Frauchen. Wie Schneewittchen liegt sie tot in ihrem Bett. Nur ohne gläsernen Sarg. Ich weine bitterlich.
Doch plötzlich höre ich ein bekanntes Geräusch: Das Rascheln der Tüte, welches mir den kommenden Genuss meines Frühstücks anzeigt. Meine Laune bessert sich. Was soll ich als edles und vornehmes Tier nun tun? Mich meiner Fresssucht hingeben oder weiter mein Frauchen beweinen. Ich entscheide mich für mein Frühstück. Mit vollem Magen fällt mir das Trauern leichter.
Während ich in zurückhaltend und gebückter Form mich meinem Essen hingebe erkenne ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung im Schlafzimmer. Ist Schneewittchen doch aus dem Tode erwacht? Hat sie ein Prinz wach geküsst? Oder ist diese leichte Regung nur ein letztes Aufbäumen ihres leblosen Körpers, verursacht durch das Bilden von Gasen und das Zerren von toten Muskeln. Ich hatte so etwas schon im Fernseher gesehen.
Voller Spannung beobachte ich die grausige Szenerie. Doch tatsächlich: Frauchen lebt. Zwar schaut sie aus wie ein Leichnam, aber ihre Bewegungen sind - wenn auch unkoordiniert - doch eindeutig einem lebenden Menschen zuzuschreiben.
Ich bin überglücklich und lasse die Rute freudig kreisen. Doch was habe ich Herrchen angetan? Habe ich ihn zu Unrecht bestraft? Vielleicht ja. Aber dies soll mich nicht grämen. Auch wenn es diesmal zu Unrecht war. Der nächste Grund kommt bestimmt.