Sonstiges
Zusammenstellung - Und das ganz ohne Wein ;)

Kabinett

Irgendwo hier stehst du. Ich war lange nicht mehr Zu Besuch, du hast Staub angesetzt, hier und da ein paar Macken bekommen. Sie stehen dir gut, erinnern ein wenig an Narben, die Männer für mich schon immer attraktiv gemacht haben. Ich streiche über deine erkalteten Wangen und küsse deine starren Lippen. Der Geschmack von Wachs ist für mich inzwischen vertraut geworden, mehr ist mir nie von dir geblieben. Du bewegst dich nicht, hast schon seit Jahren kein Wort mehr mit mir gesprochen. Du blickst starr vor dich hin, deine Augen ausdruckslos wie deine Schönheit.

Ich gehe weiter. Irgendwo hier muss sie sein. Ihre Haare sind von Spinnweben grau gefärbt, ihre Lippen aufgesprungen, aber noch immer von einem intensiven Rot, wie es kein Lippenstift zu färben vermocht hätte. Der Blick gilt dem Spiegel, dessen verschmierte Oberfläche ein verzerrtes Bild ihrer selbst zurückwirft, knapp oberhalb ihrer Augenbraue ist das Glas gebrochen und so wirkt es, als hätte sie ihr Gesicht verloren. Die Rehaugen mit den perfekt gebogenen Wimpern sind matt geworden in den Jahren.

Vor meinem Lieblingsstück bleibe ich stehen. Die perfekte Einheit, ihre Hände ineinander verschränkt, ihre Lächeln wirken selbst jetzt noch lebendig. Wenn ich nur lang genug hinsehe, glaube ich die Bewegung ihrer Augen zu sehen, wie sie über den Körper des anderen huschen, jedes Detail wahrzunehmen suchen, wie sie die Wärme austauschen, die eigentlich längst aus ihren Körpern gewichen ist. Und haben sich nicht gerade auch ihre Lippen auf einander gelegt? Meine Sinne lassen mich im Stich, der aufgewirbelte Staub macht mich blind für das, was um mich herum geschieht. Und inmitten des Nichts ist der Gesang, betörend wie der eines Engels. Ich lasse mich fallen, stürze inmitten meines Kunstwerkes zu Boden. Mit einem leisen Knacken zerbricht, was ich mir als Welt erschaffen habe.


Als ich sie finde sind ihre Augen weit geöffnet. Sie blickt mit einer seltsam sehnsüchtigen Mischung zu den Holzbalken der Decke, als würde dort eine nie gekannte Erlösung auf sie warten. Ich richte sie auf, die hohen Absätze ihrer Schuhe strecken ihre eleganten Beine weiter durch, ihr zierlicher Oberkörper scheint durch das Korsett zugleich betont und eingeengt. Ich überlege es ihr auszuziehen, fürchte aber, sie könne daran zerbrechen. Aus ihrem Mund ist ein einzelner Wachstropfen herausgeronnen, ich nehme ihn mit der Fingerkuppe auf, an der er sich gierig festsaugt. Dann zupfe ich ihre Haarsträhnen zurecht, den Scheitel nach Links, wie sie ihn immer getragen hat. Ich ziehe den Füller aus meiner Westentasche und das schmale, helle Blatt Papier. "SEHNSUCHT" schreibe ich darauf und lege es ihr zu Füßen. So wie ich zuvor schon "HOFFNUNG", "EITELKEIT" und "LIEBE" geschrieben hatte, die selbe verschnörkelte Schrift und die selben Ideale. Für die Ewigkeit verbannt in mein Wachsfigurenkabinett, wo ich sie betrachten kann und mich ihrer erinnere. Denn mehr bleibt mir nicht, seit ich meine Gefühle verschenkte und niemals zurück bekam.