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Nebelaugen 4 - Kapitel 4 - Die Stimme des Feindes

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"Nebelaugen 4 - Kapitel 4 - Die Stimme des Feindes"
Veröffentlicht am 25. März 2010, 52 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Hallo zusammen! Ich bin inzwischen 34 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, die mich beschäftigt halten. Ich liebe fantasievolle Geschichten und träume auch oft vor mich hin.Ich bin meist recht still, aber wenn mich etwas sehr bewegt, kann ich auch meine Meinung dazu sagen.
Nebelaugen 4 - Kapitel 4 - Die Stimme des Feindes

Nebelaugen 4 - Kapitel 4 - Die Stimme des Feindes

Beschreibung

Fortsetzung Ayala trifft eine Entscheidung von der mehr als nur ihr eigenes Leben abhängen wird. Cover: Linearts von Radiant-Suzuka (http://radiant-suzuka.deviantart.com/), Farben von mir

Die Stimme des Feindes

Ayala arbeitete sich mühsam aus einem Haufen Erde und kleinen Steinen und richtete sich auf. Der verstauchte linke Arm schmerzte heftig, aber zumindest war die Schnittwunde, die ihr der andere Shakarie beigebracht hatte, nicht wieder aufgebrochen.

Es war dunkel in der Höhle, doch durch eine kleine Öffnung oberhalb des Schutthaufens, der sich dort auftürmte, wo eben noch der Eingang war, drang noch etwas Licht. Regen tropfte durch das Loch, doch schien der Wolkenbruch nachgelassen zu haben.

Die junge Heilerin besaß noch die Geistesgegenwart ihr Bündel zu schnappen, dann versuchte sie hastig den Hügel hinaufzuklettern. Ihre Hüfte pochte bei jeder Bewegung, doch getrieben von dem Gedanken doch noch entkommen zu können, biss sie die Zähne zusammen. Das Loch war nicht groß, aber ihre Schultern waren schmal und sie war recht hoffnungsvoll, dass sie sich würde durchzwängen können. Sie hatte es fast geschafft als einer der Steine, an den sie sich klammerte, sich aus seiner lehmigen Verankerung löste und sie schlitternd zusammen mit einigen Steinen wieder in ihre Ausgangsposition rutschte.

Ayala unterdrückte ein Schluchzen und richtete sich auf Hände und Knie auf. Sie versuchte ihr klopfendes Herz zu beruhigen, griff wieder in den Steinhügel und suchte einen Halt, der sie etwas sicherer nach oben bringen würde. Auf einmal atmete sie entsetzt ein und zog die Hand schnell wieder zurück. Sie hatte etwas weiches gespürt. Etwas weiches und warmes.

Nach einem Moment des Zögerns siegte ihre Neugier über besseres Wissen und sie schob Steine und Dreck zur Seite. Unter dem Schutt kam eine ehemals graue Kapuze zum Vorschein, die dem Shakarie ins noch immer maskierte Gesicht hing. Er reagierte auf ihre Berührung nicht, doch konnte sie in der Stille noch den Atem ihres tödlichen Gegners hören. Er musste einen Hechtsprung in ihre Richtung gemacht haben, als die Decke am Eingang herunterkam. Doch auch so hatte er es nicht geschafft den Steinmassen völlig zu entkommen, wenn er auch Glück im Unglück gehabt hatte, da sich über ihm einige größere Felsbrocken verkeilt und das Schlimmste von ihm abgehalten hatten. Ja, vorm Schlimmsten war er bewahrt geblieben, er war jedenfalls nicht tot.

Doch nach allem was Ayala in dem spärlichen Licht erkennen konnte, mochte das auch nur eine Frage der Zeit sein. Blut sickerte zwischen den Steinen hindurch, besudelte seine Kapuze und Ayalas Hände. Sie konnte nicht sehen wie schwer er nun wirklich verletzt war, aber sein hohles Luftholen, machte keinen guten Eindruck auf sie.

Unschlüssig wanderte ihr Blick zwischen dem Ausgang und ihrem verletzten Feind hin und her. Sie war eine Heilerin und ihr erster Instinkt war es, dem zu helfen, der sie brauchte. Doch galt das auch für ein Monster wie dieses? Sollte sie das, was Jara sie gelehrt hatte, an die verschwenden, die sie auf dem Gewissen hatten?

Die Erinnerung an die alte Falamar brachte in Ayala eine erneute Welle des Schmerzes hervor. Die Dörfler waren abgeschlachtet worden und mit ziemlicher Sicherheit war dieser Soldat ganz vorn mit dabei gewesen. Wahrscheinlich war dies die gerechte Strafe für die Grausamkeiten, die er begangen hatte. Sollte er doch hier bleiben und sterben, wenn ihn seine Leute nicht rechtzeitig fanden.

Ayala richtete sich auf und begann mit zusammengebissenen Zähnen erneut mit dem Aufstieg, ohne sich darum zu kümmern, dass ihre Bewegungen wiederum ein Stück des Schutthügels abrutschen ließen. Von unten ertönte ein Geräusch, das in der Höhle leise widerhallte und sie mitten in der Bewegung erstarren ließ. Der Shakarie wimmerte.

Das Mädchen schob sich wieder an den Verletzten heran. Der Shakarie, dessen Schultern jetzt frei lagen bewegte sich wieder und stöhnte qualvoll.

„Vater!“, brachte er mühsam hervor. „Ihr müsst... meinen Vater...“

Das letzte Wort konnte sie nicht mehr verstehen aber das war auch nicht nötig. Obwohl sie wusste, dass er nicht zu ihr gesprochen hatte, sie wohl nicht einmal wahrgenommen hatte, hätten seine Worte sie kaum mehr berühren können.

Ayala hatte sich nie wirklich Gedanken über die Shakarie gemacht, und so kam die Erkenntnis, dass auch dieses grausame Volk Kinder hatte, für sie einem Schock gleich. Sie sank neben dem Shakarie zu Boden und starrte ihn an. Und dann seine Stimme! Es war kein heiseres Zischen gewesen wie sie erwartet hatte. Nein, er hatte recht jung geklungen, kaum anders als sie es von einem jungen Falamar erwartet hätte.

Sie wusste kaum wie ihr geschah, als sie sich gewahr wurde, dass sie begonnen hatte Steine zur Seite zu schieben und den Shakarie Stück für Stück aus seinem Gefängnis zu befreien.

Schließlich packte sie den jungen Krieger unter den Schultern und zog. Mit einem Ruck kam er aus dem Schutt frei. Mühsam drehte sie ihn ganz auf den Rücken und sah, dass sein Kapuzenumhang über der Brust ziemlich zerrissen war. Ein scharfkantiger Stein hatte sich hineingebohrt, wenn auch nicht allzu tief. Sie schob den Kapuzenumhang zurück und entdeckte darunter an seiner Hüfte einen Dolch und ein schmales Schwert. Sein Bauch war mit festem Leder umwickelt, dass ihm viel Bewegungsfreiheit ließ und doch leichte Schläge abwehren konnte. Sie tastete vorsichtig über seinen Brustkorb und stellte erleichtert fest, dass seine Rippen nicht gebrochen waren.

Mit zitternden Fingern zog sie alle Steinchen aus seiner Wunde und reinigte sie dann so gut es ging mit Regenwasser. Ihr Trinkwasser wollte sie bei allem Mitleid für anderes aufsparen. Aus ihrem Bündel holte sie Verbandszeug und versorgte die Wunde.

Doch kaum war sie nicht mehr beschäftigt, kam auch die Angst zurück. Mit einem Mal kam sie sich sehr dumm vor. Der Shakarie mochte verletzt sein, aber in Lebensgefahr schwebte er nicht. Und ob er ihr gegenüber irgendwelche Anzeichen von Dankbarkeit zeigen würde, hielt sie für äußerst zweifelhaft.

Sie griff wieder nach ihrem Bündel, doch bevor sie sich auf den Weg machte, kam ihr noch die Idee, die Gefahr, die von dem Krieger ausging zumindest etwas zu verringern. Sollte er zu bald aufwachen und ihr folgen wollen, sollte er zumindest seine Waffen nicht griffbereit haben.

Hastig griff sie nach dem Griff des Schwerts und zog die Waffe hervor. Die Klinge war weit schmaler als bei den Schwertern der Falamar und bog sich leicht zurück. Sie verwarf die Idee mit dem Schwert in der Hand den Schutthügel hinaufzuklettern und sich selbst dabei vielleicht schwer zu verletzen. Statt dessen stieß sie das Schwert so weit sie konnte in die weiche Erde und schaufelte dann mit bloßen Händen Schmutz und Steine darüber, bis man es nicht mehr entdecken konnte. Nun musste sie noch den Dolch verschwinden lassen und sich dann so schnell wie möglich auf den Weg machen.

Sie richtete sich auf und wandte sich zu dem Shakarie um.

Eine Hand packte sie an der Schulter und stieß sie an die harte Wand der Höhle. Ihr Kopf prallte so heftig auf den Stein, dass sie sich auf die Lippe biss. Entsetzten spülte jede Benommenheit fort als sie sich der eisigen Klinge eines Dolches an ihrer Kehle bewusst wurde.

Doch noch weit kälter schienen ihr die farblosen Augen des Shakarie, der sie töten würde.

 

****

 

Tamaril ballte die Hände zu Fäusten.

Warum war sie nicht geflohen als sie die Gelegenheit hatte? Warum Mitleid mit einem Monster haben?

Frustriert lief er auf und ab, die Kiefer vor hilfloser Wut verkrampft. Er hatte so gehofft, dass sie überleben würde und dann tat sie so etwas Dummes! Er blieb mit dem Rücken zum Buch stehen und zwang sich dazu ruhiger zu atmen.

Es half alles nichts. Wenn er wissen wollte, ob sie starb, würde er weiterschreiben müssen.

Der weißhaarige Junge fuhr sich mit einer Hand über die Augen und kämpfte gegen Tränen an. „Aber wie kann ich das tun?“, flüsterte er „Wie kann ich die Geschichte so schreiben?” Der Gedanke durchfuhr ihn wie ein Blitz und ließ ihn erstarrt am Pult stehen. Konnte er die Geschichte vielleicht ändern? Wagte er das denn?

Die Hand, die wieder die Feder ergriffen hatte, zitterte. Nein, er wagte es nicht. Vielleicht gab es noch einen anderen Weg. Vielleicht war sie findig genug, um ihrem angeschlagenen Gegner zu entkommen.

Vorerst entschied er die Geschichte wie gewohnt durch sich fließen zu lassen.

 

****

 

Jorcan spürte sein Herz gegen seine Rippen hämmern. Dass er seinen Körper zu solch schnellen Bewegungen gezwungen hatte, kaum dass er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, forderte seinen Tribut. Schwindel und Übelkeit ließen ihn zittern und er biss die Zähne zusammen und packte das Mädchen fester um nicht die Kontrolle zu verlieren.

Das war seine erste Priorität: Kontrolle.

Er bemühte sich ruhiger zu atmen und die Situation zu analysieren. Das Mädchen war nicht bewaffnet und augenscheinlich verletzt, wenn auch nicht schwer. Eine Überlebende der Angriffe? Hatten genug Falamar überlebt um zurück zu schlagen? Hatte sie ihn in einen Hinterhalt gelockt?

Sein Überlebensinstinkt drängte ihn ihr schlichtweg die Kehle durchzuschneiden und dann erst nachzudenken, doch er zwang den Impuls zurück. Erst wollte er Antworten.

„Wie viele seid ihr?“, zischte er tonlos.

Ihr Mund öffnete und schloss sich wie ein Fisch auf dem Trocknen, doch es kam kein Laut hervor.

„Wo sind deine Verbündeten?“, drängte er.

Sie starrte ihn aus großen dunklen Augen verängstigt, aber auch verwirrt an. „Ich wollte nur weg“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme.

Also eine flüchtende Überlebende. Sie musste hier im falschen Moment vorbeigekommen sein. Aber... Eine Erinnerung bahnte sich ihren Weg in seine durcheinanderwirbelnden Gedanken. „Du hast doch schon in der Höhle gestanden als sie einstürzte. Warum bist du immer noch hier?“

Ihr linker Arm der zwischen ihren Körpern eingeklemmt worden war, als er sie an die Höhlenwand presste bewegte sich und er wurde sich eines ungewohnten Gefühls an seiner Brust bewusst. Überrascht sah er an sich hinunter und entdeckte die Verbände, die über seinen schmerzenden Wunden lagen. Verwirrt starrte er sie einen langen Moment an.

Dann schüttelte er fassungslos den Kopf. „Du hast doch nicht geglaubt, dass du das schaffst, Falamar.“

Auf ihren ratlosen Blick hin fuhr er fort: „Dachtest du, du könntest mich gefangen nehmen? Mich lebendig zu deinen Leuten schaffen? Ein erbärmliches kleines Ding wie du?“ Er lachte freudlos. „Du hättest mich töten sollen als du die Gelegenheit dazu hattest.”

Bei diesen Worten erschien ein Funkeln in ihren Augen, das ihn überraschte.

„Ich hätte mich selbst verabscheut, wenn ich zu Eurem Niveau herabgesunken und einen Wehrlosen getötet hätte,” zischte sie wütend zurück. „Aber einer wie Ihr würde das ohnehin nicht verstehen.” Tränen stiegen ihr in die Augen, ob vor Wut oder aus Schmerz, das wusste er nicht.

Aber in gewisser Hinsicht hatte sie recht. Er verstand sie wirklich nicht.

Wortlos zog er sie herum, so dass sie nun mit dem Rücken zu ihm stand und ließ den Dolch vorerst an ihrer Kehle. Über ihre Schulter betrachtete er den eingestürzten Höhleneingang. Nein, durch das kleine Loch oberhalb des Schutthügels würde er wohl nicht passen, aber zumindest würde auch kein weiterer Falamar eindringen können, ohne dass er es merkte.

Er tastete nach seiner Schwertscheide und fand sie wie erwartet leer. Schließlich war das erste Geräusch, das er gehört hatte nachdem er zu sich gekommen war, das eines Schwertes gewesen, das gezogen wurde. Diesen Klang kannte er nur zu gut und er musste nicht lange raten, was geschehen war.

„Wo ist mein Schwert?“, fragte er ruhig und die Falamar wusste es zumindest besser als zu versuchen, Unwissenheit vorzutäuschen. Schweigend deutete sie auf eine Stelle in dem Gewirr aus Steinen und Erde. Als er sie dorthin schob, legte sie widerstandslos das Heft frei und er griff eilig danach. Die Klinge kam überraschend leicht frei und er fühlte seine Zuversicht mit jedem bisschen Kontrolle, das er gewann, zurückkehren.

Er steckte den Dolch wieder in seine Scheide, dann streifte er kurzerhand den Schmutz an der Schwertklinge an dem ohnehin verdreckten Kleid des Mädchens ab. Sie rührte sich nicht, stand nur da und sah sehnsüchtig zu dem kleinen Loch, das zur Freiheit führte.

„Dafür bist du nicht schnell genug,“ stellte er nüchtern fest und sah ihre Schultern herabsacken. „Je weniger Hoffnungen du dir machst, um so besser. Tu was ich dir sage, und ich werde dir nicht all zu sehr weh tun.“

Er konnte sehen, dass sie zitterte, doch draußen nahm das Licht rasch ab. Kurzerhand griff er wieder nach ihrer Schulter und stieß sie auf den Teil der Vorräte zu, die nicht verschüttet worden waren. „Du machst jetzt ein Feuer und morgen wirst du den Weg nach draußen für mich freiräumen.“ Er lächelte böse. „Wenn du dich gut genug machst, lasse ich dich vielleicht als Sklavin leben, Falamar.“

 

*****

 

Ayala hatte nicht erwartet in dieser Nacht Schlaf zu finden. Doch als sie mit dem Brennholz, das die Shakarie im hinteren Teil der Höhle gestapelt hatten, und dem Feuerstein aus ihrem Bündel ein kleines Lagerfeuer entfacht hatte, legte sich eine bleierne Müdigkeit über sie. Aller Schmerz des Tages, alle Angst, ließen sie taub werden und in sich zusammensinken.

Der Krieger beobachtete sie als ihr die Augen zu fielen. Ihr letzter Gedanke war Erleichterung, dass er zu viel Ekel vor ihr zu haben schien als dass er sie anrühren würde. Dann schlief sie ein.

Ihr Schlaf war tief und traumlos. Sie war beinahe überrascht, als sie am nächsten Morgen erwachte und sich an keinen Alptraum erinnern konnte, der ihre Ruhe gestört haben könnte. Sie blinzelte, blieb aber reglos liegen.

Das Feuer war heruntergebrannt und durch das kleine Loch beim Ausgang fiel nur noch ein schwacher Nieselregen. An die gegenüberliegende Wand gelehnt saß der Shakarie. Er hatte die Augen geschlossen und seine Brust hob und senkte sich in einem langsamen Rhythmus, der sie davon überzeugte, dass er tatsächlich auch eingeschlafen war.

So leise sie konnte erhob sie sich, doch kaum hatte sie sich aufgesetzt, ließ das Rascheln ihrer Kleidung ihn aufschrecken. Sie erwiderte den durchdringenden Blick seiner hellen Augen einen Moment, dann ließ sie die Verachtung, die sie darin zu erkennen glaubte, zu Boden sehen.

In der Stille erklang auf einmal ein Geräusch, das Ayala erst nach einem Augenblick als das Knurren ihres eigenen Magens erkannte. Ihre Wangen glühten vor Verlegenheit auf und sie verfluchte sich im Stillen sowohl für ihren verräterischen Körper als auch dafür, dass es sie kümmerte was der junge Krieger dachte.

Wortlos warf ihr der Shakarie ihr eigenes Bündel, das er am Vortag an sich genommen hatte, vor die Füße. Sie zögerte nicht lange und holte etwas von ihrem Proviant hervor. Während sie aß warf sie ihm hin und wieder einen verstohlenen Blick zu, doch er zeigte kein großes Interesse an ihrem Frühstück und kümmerte sich vielmehr um seine Waffen. Ob Shakarie nicht aßen? Nein, das war ein dummer Gedanke. Sie bluteten genauso wie Falamar es taten und sein Körper schien ihr auch sonst nicht zu verschieden zu sein. Hatte er vielleicht schon gegessen während sie schlief?

„Beeil dich gefälligst, Falamar!“, schnitten seine Worte in ihre Gedanken. „Du hast heute Arbeit zu tun.“

Sie schluckte eine feindselige Antwort mit dem nächsten Bissen herunter, dann sagte sie leise: „Ayala.“

Er hob eine Augenbraue und sie fügte vorsichtig hinzu: „Das ist mein Name. Ayala Norinlas von Sanwas Hof.“

„Wenn du erst tot bist, Falamar, wird es niemanden kümmern, was für einen Namen du hattest“, antwortete er spöttisch.

Angst schnürte ihr die Kehle zu und sie stellte fest, dass sie keinen Bissen mehr herunterbrachte.

Unsicher erhob sie sich und stellte fest, dass ihre Hüfte kaum noch schmerzte. Doch bei der Aussicht ohne Werkzeug den Schutthügel zumindest so weit abzutragen, dass sie beide durch das Loch kämen, war das nur ein schwacher Trost. Draußen rollte ein dumpfer Donner durch den Hügel über ihnen und Ayala sah wie das Licht rapide verblasste. Es schien ihr nur zu passend, wenn sie an ihre eigenen Aussichten dachte.

 

****

 

Der Regen lies nicht lange auf sich warten als Ayala mit der Arbeit begann. Der Shakarie stand kurz unter ihr, nicht nah genug um die Feuchtigkeit und den Schlamm abzubekommen, der ihr bei jeder Bewegung entgegenkam, und doch zu nah um die Flucht durch den Spalt zu wagen. Die junge Falamar spürte bereits kaum noch ihre Finger, und doch konnte sie kaum eine wahrnehmbare Vergrößerung der Öffnung erkennen. Das Wasser war eisig und lief ihr an den Armen herab, von denen einer grausam schmerzte, als der Verband daran durchweichte.

Der Regen wurde heftiger und Ayala hatte Mühe sich auf dem Erdhügel zu halten. Wieder griff sie nach einem Schlammbrocken, doch kaum hatte sie ihn zur Seite geschoben, löste sich ein Stein und rutschte auf sie zu. Sie konnte ihn festhalten, geriet dabei aber noch mehr aus dem Gleichgewicht. Einen Moment ruderte sie mit dem anderen Arm um sich wieder zu fangen, dann landete sie auf ihrer verletzten linken Seite und schlitterte einen guten Meter zum Höhlenboden hinunter.

Sie biss die Zähne zusammen um nicht aufzuschreien und hob ängstlich den Kopf. Der Shakarie hatte seinen Dolch wieder in der Hand und sah finster auf sie herab.

Doch noch bevor einer der beiden sich rühren konnte, wurde es auf einmal dunkel.

Für einen Moment stieg blanke Panik in ihr auf, dann hatten sich ihre Augen an das letzte bisschen Rest Licht von ihrem glimmenden Lagerfeuer gewöhnt. Sie konnte die dunkle Silhouette des Kriegers davor knien sehen, dann entzündete er einen weiteren Stab mit dem er zurück zum Schutthügel trat. Dort wo eben noch das letzte bisschen Tageslicht in die Höhle gefallen war, hatte sich gerade ein gewaltiger Kloß aus Schlamm Gras und Steinen in die Öffnung geschoben.

Das flackernde Licht der provisorischen Fackel huschte über die nun letztlich undurchdringliche Wand, die sich vor dem ungleichen Paar auftürmte. Ayala warf dem Shakarie einen ratlosen Blick zu, doch dieser schien sie überhaupt nicht zu bemerken. Er starrte entsetzt auf seine Kerkertür aus den Elementen des Erdbodens und seine grauen Augen schimmerten mit einem unheimlichen fiebrigen Glanz.

Er würde sie dafür verantwortlich machen, da war sie sich sicher. Sie versuchte an eine Rechtfertigung zu denken, etwas das ihm klar machen würde, dass sie den Erdrutsch nicht verursacht hatte, dass der Regen das Erdreich zu schwer gemacht hatte, doch die Angst lähmte sie.

Ayala kauerte sich am Boden zusammen und wartete auf ihr Ende.

 

****

 

Jorcans Fingernägel gruben sich in das Holz seiner Fackel. Ihre Flammen sandten verzerrte Schatten über die Wände der Höhle und ließen die zusammengesunkene Gestalt der Falamar neben ihm noch grotesker aussehen.

Was für ein Schicksal mit dieser verdreckten Kreatur, die vor ihm auf dem Boden kroch, lebendig begraben zu sein!

Er wurde sich bewusst, dass er vor Wut zitterte, dass er in Gedanken schon auf das erbärmliche Wesen einschlug, sie seinen Zorn kosten ließ. Doch ungebeten tauchte vor seinem inneren Auge die blutbefleckte Gestalt Soorals, den er beinahe zu Tode geprügelt hatte, auf. Nein, er würde nicht wieder die Kontrolle über sich verlieren, erst recht nicht in dieser Situation.

Was nicht bedeutete, dass er das Mädchen leben lassen würde, doch erst musste er überlegen ob er sie noch brauchen konnte. Und wie lange er mit einer Leiche an diesem widerlichen Ort auf Rettung warten müsste.

Charn würde mit Sicherheit so lange warten wie er es vor König Narcal gerade noch rechtfertigen konnte, gerade nachdem er selbst Rumar zu verstehen gegeben hatte, dass er nicht abgeholt werden wollte. Aber musste nicht die Wache dieses Lagers etwas mitbekommen haben?

Am liebsten hätte er sich selbst geohrfeigt.

Wieso war es ihm nicht früher aufgefallen, dass es keine Wache gab?! Charn mochte ein Narr sein, aber solch ein Lager völlig unbeaufsichtigt zu hinterlassen, traute er nicht einmal ihm zu. War es vielleicht Charns Plan gewesen, dass er beim Einsturz umkam? Aber wie hatte er wissen können, wann das durchweichte Erdreich nachgab?

Hatte er den Hügel präpariert und Rumar den Einsturz auslösen lassen?

Oder hatte er doch nichts damit zu tun?

Ratlos streckte er die Hand aus und strich über die Erdklumpen, die sich vor ihm auftürmten. Nein, allein kamen sie hier nicht mehr durch, nicht ohne richtiges Werkzeug. Er warf einen Blick auf die Vorräte. Für ihn allein würden sie für Wochen reichen. Sollte er also auf Charns Hilfe warten?

„Gibt es einen anderen Ausgang?“ Er hatte nicht laut gesprochen, doch die Falamar zuckte bei seinen Worten deutlich zusammen.

Als sie endlich eine Antwort hervorbrachte, war ihre Stimme so leise, dass er sie beinahe nicht verstanden hätte. „Ich weiß es nicht. Niemand hat mir von dieser Höhle erzählt.“

Nutzlos. Warum musste er ausgerechnet dieses erbärmliche, nutzlose Geschöpf aufgabeln? Zumindest beantwortete das die Frage, was er mit ihr tun sollte.

Dann glitt sein Blick jedoch wieder über die Vorräte und ein anderer Gedanke meldete sich zu Wort. Vielleicht konnte er sie doch noch gebrauchen. Wenn er sie zum Tragen mitnahm, verbrauchte sie zwar auch etwas Proviant, aber den konnte sie selber tragen und zusätzliches Feuerholz würde sie nicht verbrauchen.

,Du bist weich geworden', höhnte eine Stimme in seinem Bewusstsein. ,Du hast ein schlechtes Gewissen, weil sie dir geholfen hat.'

Nein, das hatte er nicht. Er war nur rational genug keine Arbeitskraft zu verschwenden.

,Sie wird sich gegen dich wenden, sobald du schläfst.'

Das hatte sie auch nicht getan, als er bewusstlos war.

,Sobald sie weiß, wer du bist, wird sie es tun.'

Dann durfte sie eben nicht erfahren wer er war.

„Steh auf und nimm so viele Vorräte mit wie du tragen kannst, Falamar. Wir werden einen anderen Ausgang finden.“

Sie starrte ihn völlig entgeistert an. „Ihr wollt...“, begann sie.

„Wenn du es für einen Fehler hältst, dich am Leben zu lassen“, unterbrach er sie kühl, „sag es mir bitte gleich und ich werde diesen Fehler schnell korrigieren.“

Das brachte Leben in sie. Er beobachtete sie während er selbst Proviant in einen Beutel stopfte und Feuerholz zusammenschnürte. Zumindest schien sie recht gut arbeiten zu können.

Kaum waren sie fertig machten sich beide auf den Weg. Jorcan behielt die Fackel in der Hand und blieb einen halben Schritt hinter seiner Gefangenen. „Noch etwas, Falamar.“

Sie drehte sich zu ihm um, wagte aber nicht recht ihm in die Augen zu sehen. „Wenn du mich ansprichst, nenn mich Jorcan...“

Jorcan cal Reyn cal Shakar, Kronprinz der Shakarie.

Er presste die Lippen zusammen. „Nenn mich Jorcan“, wiederholte er.

 

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ZMistress
Hallo zusammen! Ich bin inzwischen 34 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, die mich beschäftigt halten. Ich liebe fantasievolle Geschichten und träume auch oft vor mich hin.Ich bin meist recht still, aber wenn mich etwas sehr bewegt, kann ich auch meine Meinung dazu sagen.

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ZMistress Re: Schade... -
Zitat: (Original von hanni86 am 31.03.2010 - 19:27 Uhr) Viiiiieel zu kurz!


Puh, und ich dachte schon, ich mach die Kapitel immer zu lang. Aber warte nur, es kommen auch noch längere. *drohend lach*
Danke für's Lesen.
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hanni86 Schade... - Viiiiieel zu kurz!
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