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Nebelaugen 2 - Kapitel 2 - Dunkle Wolken

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"Nebelaugen 2 - Kapitel 2 - Dunkle Wolken"
Veröffentlicht am 21. März 2010, 4 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Hallo zusammen! Ich bin inzwischen 34 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, die mich beschäftigt halten. Ich liebe fantasievolle Geschichten und träume auch oft vor mich hin.Ich bin meist recht still, aber wenn mich etwas sehr bewegt, kann ich auch meine Meinung dazu sagen.
Nebelaugen 2 - Kapitel 2 - Dunkle Wolken

Nebelaugen 2 - Kapitel 2 - Dunkle Wolken

Einleitung

Fortsetzung Der Frieden hat die längste Zeit angedauert - nun holt der Krieg auch das Bergdorf ein. Cover: Linearts von Radiant-Suzuka (http://radiant-suzuka.deviantart.com/), Farben von mir

Dunkle Wolken

    Der Schrei hallte durch das Lager, schien zwischen den Nebelschwaden zu verharren und verklang dann schließlich in einem erstickten Keuchen. Jorcans Kopf fuhr hoch. Er hatte genug Todesschreie gehört um einen zu erkennen. Die Frage war nur ob das Opfer zu seinen eigenen Leuten gehörte oder ob es ein gefangener Falamar gewesen war, der sich leichtsinnigerweise zu dicht an das Kriegslager der Shakarie gewagt hatte.Der Schrei hallte durch das Lager, schien zwischen den Nebelschwaden zu verharren und verklang dann schließlich in einem erstickten Keuchen.
   Jorcans Kopf fuhr hoch. Er hatte genug Todesschreie gehört, um einen zu erkennen. Die Frage war nur, ob das Opfer zu seinen eigenen Leuten gehörte oder ob es ein gefangener Falamar gewesen war, der sich leichtsinnigerweise zu dicht an das Kriegslager der Shakarie gewagt hatte.
   Jorcan empfand beide Möglichkeiten als höchst ärgerlich. Ihre eigene Zahl war klein genug und musste nicht noch durch Streitigkeiten dezimiert werden. Und ein Falamar, der mutig oder dumm genug war, hierher zu kommen, war höchstwahrscheinlich ein Spion, den man vor seiner Hinrichtung noch gründlich verhören konnte.
   Der junge Shakarie-Prinz bahnte sich wütend einen Weg zwischen den einfachen Kämpfern, die einzeln oder in kleinen Gruppen herumsaßen oder trainierten, hindurch und traf schon bald auf die Quelle des Schreis.
   Neben einem Shakarie-Krieger, der auf dem Boden in einer sich schnell ausbreitenden Lache Blut lag, stand ein anderer Soldat, den blutverschmierten Dolch noch in der Hand. Auch er hatte einige blutige Schrammen, die andeuteten, dass sein Opfer nicht ohne Gegenwehr gestorben war.
   Jorcan stieß ein paar der zuschauenden Krieger zur Seite und packte den Schuldigen an der Schulter.
   In Erwartung einer neuen Herausforderung fuhr dieser zu ihm herum, dann erkannte er die Zeichen an Jorcans Kapuze und das Amulett mit dem Bild des brennenden Dolches um seinen Hals. Die  Maske, die das Gesicht des Kämpfers bedeckte, ließ nur seine Augen frei, doch seine herabsackenden Schultern zeigten die Furcht des Mannes deutlich genug.
   Auch Jorcans Züge waren wie bei den Shakarie üblich hinter einer Maske verborgen. Seine Augen wurden schmal.
   Als der Krieger zu einer Verteidigung ansetzte, hob der Prinz nur die Hand und schlug ihm hart ins Gesicht. Der Mann taumelte zurück, blieb aber auf den Beinen und erwiderte den eisigen Blick Jorcans kalter grauer Augen.
   „Dein Name,” zischte Jorcan ihn an.
   „Sooral. Dritter Kämpfer der Schatten.”
   „Ich sehe deinen Rang,” knurrte Jorcan mit einem Blick auf die Muster von Soorals Amulett und den Schnitt seiner Kapuze. „Hältst du mich für einen blinden Narren? Antworte gefälligst nur auf das was ich dich frage!”
   Der Mann senkte den Blick um den jungen Prinzen nicht noch mehr zu verärgern. „Ja, Mylord.”
   Jorcan warf einen kurzen Blick auf die Leiche. „Warum?”
   Sooral hob den Blick wieder. „Er hat meine Ration gestohlen.”
   „Warum hast du nichts gemeldet?”
   „Gemeldet?” Soorals Augen wurden groß vor ehrlicher Verblüffung. „Wer würde mich noch respektieren, wenn ich so überaus feige handeln würde?”
   Jorcan sah den älteren Mann lange an, ließ seinen Blick wieder zu der Leiche hinter ihm wandern, die niemanden wirklich zu kümmern schien, und richtete die Augen schließlich auf die Umstehenden, die ihn neugierig und erwartungsvoll ansahen. „Dann sag mir nur noch, Sooral: Warum habe ich so dumme Untergebene?”
   „Wie könnt Ihr das sagen?” fuhr Sooral auf, der wohl neuen Mut daraus geschöpft hatte, dass er bis jetzt noch nicht wirklich bestraft worden war, und dessen Tonfall dadurch etwas zu hochmütig geriet.
   Jorcans einzige Antwort war eine schallende Ohrfeige. Doch als er zum nächsten Schlag ausholte, trat Sooral geschmeidig zur Seite und versuchte selbst einen Hieb anzubringen. Jorcan tauchte unter der Faust weg, packte Sooral an den Schultern und rammte ihm das Knie in die Magengrube. Als sein Gegner zusammenklappte und verzweifelt nach Atem rang, schickte ihn ein harter Schlag in den Nacken zu Boden. Jorcan war sofort über ihm, riss ihn zu sich herum und bearbeitete ihn mit Faustschlägen, ohne wahrzunehmen wie die Gegenwehr seines Opfers nachließ und seine eigenen Hände sich blutrot färbten.
   Wie konnten sie nur solche Narren sein? Es herrschte bitterer Krieg, immer mehr Kinder wurden tot geboren oder starben in den ersten Wochen ihres Lebens, die Falamar wehrten sich immer verzweifelter und brutaler, je mehr sie in ihr Reich eindrangen, und doch mussten sie ihre eigenen Ränge durch ihren dummen Stolz zusätzlich ausdünnen.
   Auf einmal wurde Jorcan sich bewusst, dass er im Begriff war dasselbe zu tun. Er hielt inne und hörte für einen Moment auf zu atmen. Dann tastete seine blutbesudelte Hand nach Soorals Hals. Als er den Puls spürte und einen Moment später bemerkte, dass sich die Brust des Mannes noch hob und senkte, erhob er sich angespannt. Die Umstehenden starrten ihn mit einer seltsamen Mischung aus Angst, Entsetzen und Erleichterung, dass nicht sie an Soorals Stelle waren, an.
   „Kümmert euch um ihn. Ich habe keine Lust an einem Tag ohne Schlacht zwei Soldaten zu verlieren,” zischte er kaum hörbar.
   „Mylord?” Die Stimme kam nicht von den Männern um ihn herum, sondern von einem Jungen, der unbemerkt an ihn herangetreten war.
   „Was gibt es?” Jorcan gelang es den Zorn in seiner Stimme so weit zu unterdrücken, dass nur noch ein leichtes Zittern verriet, wie es in ihm aussah.
   Der Junge sank auf ein Knie. „Euer Vater verlangt Euch zu sehen, Mylord.”
   Jorcan atmete langsam ein und wieder aus, dann nickte er dem Jungen kurz zu, der sich erhob und im Nebel, der durch das Lager trieb, verschwand.
   „Mein Vater,” wiederholte Jorcan leise.
   Ohne noch einmal zurückzusehen machte sich Jorcan auf den Weg zum Zentrum des Lagers. Er musste einen Umweg durch den Teil einschlagen, wo sich die Frauen zwischen ihren Ausrüstungsgegenständen, Waffen und sonstigen Habseligkeiten aufhielten, da ihm ein Wasserlauf mit trügerisch seicht aussehendem schwarzen Moorwasser den Weg versperrte. Sie hatten einfach keinen trocken Platz gefunden, der ausreichte das gesamte Lager zu beherbergen.
   Die Kriegerinnen wurden im allgemeinen auf Feldzügen mehr oder weniger streng von den Männern getrennt, um die in der Regel ausbrechenden Feindseligkeiten und Rivalitäten auf ein Minimum zu begrenzen. Doch auf ihre Kampfkraft wollte niemand verzichten.
   Sie nahmen kaum Notiz von Jorcan, der dafür beinahe dankbar war, hatte er doch andere Dinge im Sinn. Wenn die Reihe an ihn kam, würde er zurück zur Feste Sarkon kehren und eine Familie gründen, wie es von ihm erwartet wurde. Nachwuchs wurde stets benötigt um ihre ohnehin kleine Zahl nicht weiter sinken zu lassen. Doch noch warteten andere Aufgaben auf den jungen Prinzen.
   Im Zentrum des Lagers war ein notdürftiges Zelt aufgebaut, das aber immer noch mit mehr Komfort aufwartete, als die Unterkünfte der einfachen Soldaten.
   Jorcan schob einen der schweren Vorhänge zur Seite, die den Eingang versperrten, und trat in das von Pechfackeln erhellte Halbdunkel.
   Das Innere war kaum einladender als es von außen gewirkt hatte. Der meiste Platz wurde von einem einfachen Tisch eingenommen, auf dem mehrere Karten der umkämpften Gebiete, sowie skizzenhafte Zeichnungen des Landesinneren, die nach den Angaben unglücklicher gefangener Falamar erstellt worden waren, lagen. Dahinter befand sich nur die Lagerstatt seines Vaters, die zuweilen auch als Sitzgelegenheit diente.
   Eine Bewegung zu seiner Linken ließ ihn zusammenfahren.
   „Du scheinst angespannt zu sein. Beruhige dich,” erklang eine leise Stimme neben ihm. Trotz der Worte konnte Jorcan beim Klang dieser tonlosen Stimme kaum ein Schaudern unterdrücken.
   Narcal, König der Shakarie, musterte seinen Sohn kühl. Jorcan erwiderte den Blick, musste dazu aber den Kopf heben. Sein Vater überragte ihn noch immer um Haupteslänge, war aber selbst für einen Shakarie beinahe ungewöhnlich schlank und sehnig.
   Als er an seinem Sohn vorbeischritt, konnte Jorcan den Dolch, den Narcal wie ein Amulett um den Hals trug, aufleuchten sehen. Eigentlich war es kein Dolch sondern ein spitzes Horn, das wie mit ureigenem Feuer zu leuchten schien, ohne dabei jemals heiß zu werden. Der junge Prinz wusste nicht, um was für ein Artefakt es sich handelte, wusste nur, dass sein Vater das Ding nie aus den Augen ließ, dass es unglaublich mächtig sein musste und dass es seiner Familie ihren Namen und ihr Zeichen gegeben hatte.
   Unbewusst fühlte er nach seinem eigenen Amulett mit dem Bildnis des brennenden Dolches und das schien sein eigenes Selbstvertrauen wieder zu beflügeln.
   Narcal nahm ihm gegenüber Platz ohne den durchdringenden Blick seiner dunkelblauen Augen von ihm zu nehmen, die bei einem anderen sicher einladend und warmherzig gewirkt hätten, doch bei dem Herrn der Shakarie eine bemerkenswerte Kälte und Rücksichtslosigkeit ausstrahlten.
   „Du hast Blut an den Händen,” bemerkte Narcal ruhig.
   „Es ist nicht meines.”
   Narcal lächelte bei dieser Antwort und auch wenn Jorcan die Bewegung wegen der Maske seines Gegenübers nicht sehen konnte, spürte er doch, dass dies die Antwort war, die seinen Vater zufriedengestellt hatte. Er kam einen Schritt näher und warf einen Blick auf die Karte, die auf dem Stapel zuoberst lag.
   Jorcan hob eine Augenbraue und sah seinen Vater verwirrt und fragend an. „Das Bergland?”
   „Richtig.”
   „Aber warum sollten wir in den Westen von Falamar ziehen? Unsere letzten Feldzüge entlang des großen Stromes waren recht erfolgreich. Sollten wir nicht unsere Streitkräfte zur Einnahme der Brückenfestungen ausschicken?”
   Narcal warf ihm einen eisigen Blick zu. „Du bist ein guter Stratege und glücklicherweise nicht ganz so dumm wie einige der Narren, die mir als Feldherren gedient haben. Aber noch immer verstehst du nicht, was es wirklich bedeutet, Krieg zu führen.”
   „Dann sagt es mir, Vater. Was hat es für einen Nutzen unsere Truppen in dieses unwegsame Gebiet zu führen, wo die Falamar lediglich immer mehr ihrer Frauen und Kinder hinschicken, und die keinerlei strategische Bedeutung hat.”
   Er zuckte diesmal nicht zusammen als sein Vater seinen Kampfdolch mit einer plötzlichen, zornigen Bewegung in den Tisch rammte.
   „Furcht!” hörte er Narcal knurren. „Das ist der Nutzen! Wir kämpfen in diesem Krieg nicht nur mit Waffen aus Metall, sondern auch mit solchen, die verheerender und schmerzhafter sind. Du hast richtig erkannt, diese Dörfer haben für uns keinen strategischen Wert und es gibt nicht einmal viele Krieger dort, die es zu vernichten gälte. Aber sag mir, mein Sohn, macht es das nicht noch verlockender? Niemand erwartet einen Angriff dort, die Dörfer sind so gut wie hilflos, unser Einfall umso vernichtender. Und wenn wir sie dort treffen, sie dort auslöschen, ihnen ihre Frauen und Kinder nehmen, die, die sie lieben und die ihre Zukunft sind, werden sie uns dann nicht noch mehr fürchten?” Ein Leuchten blitzte in Narcals Augen, das Jorcan das Atmen vergessen ließ. „Und ich sage dir, ein furchtsamer Krieger ist schon beinahe ein toter Krieger.”
   Jorcan erwiderte den Blick seines Vaters. „Sie werden uns umso mehr hassen. Sie hassen uns schon jetzt so sehr, wie viel mehr, wenn wie einen solchen Schlag gegen sie führen? Sie werden nicht länger ruhen und eher in den Tod gehen als vor uns weiter zurückzuweichen.”
   „Auch blinder Hass macht einen schwachen Krieger zu einer leichten Beute.” Narcal erhob sich und ging langsam um den Tisch herum, um dann direkt vor seinem Sohn zu stehen zu beleiben und diesen so zu zwingen, zu ihm hinaufzusehen. „Und schließlich ist die Entscheidung schon längst gefallen.”
   Jorcans Augen weiteten sich. „Was?!”
   „Der Trupp, den ich ausgewählt habe, ist vor einigen Tagen aufgebrochen. Du wirst ihnen mit einer kleinen Eskorte folgen und den restlichen Feldzug koordinieren.”
   Ein spöttisches Glitzern schlich sich in Narcals Augen. „So war es doch schon immer mit dir. Du fürchtest von dem gewohnten Muster abzuweichen. Nun gut, ich habe dir den ersten Schritt abgenommen. Tue nun das, was du am besten kannst.”
   Jorcan biss sich so fest auf die Lippe bis er Blut schmeckte. Ohne ein Wort drehte er sich um und schickte sich an das Zelt zu verlassen. Die Hand seines Vaters legte sich wie kaltes Eisen auf seine Schulter und zwang ihn zu hören, was ihm mit auf den Weg gegeben wurde: „Du solltest besser schätzen was für einen Aufwand ich mit dir treibe. Wärst du nicht mein Sohn, hättest du diese Position nie erreicht und wärst auch nie fähig sie zu halten. Ich erwarte, dass dieser Feldzug zu einem völligen Erfolg wird. Etwas anderes werde ich von meinem Sohn nicht akzeptieren.”
   Draußen war die Abenddämmerung über den Sumpf hereingebrochen, doch die Kälte, die Jorcan spürte, kam nicht von dem Wind, der die Nebelschwaden durch die verrottenden Bäume trieb. In seinem Herzen spürte er eine solche Leere, dass er kaum noch wahrnahm wie er einen Fuß vor den anderen setzte, instinktiv den richtigen Weg über den trügerisch fest aussehenden Boden wählte.
   Sein Vater würde ihn nicht mehr als Sohn akzeptieren, wenn er ihm nicht die gewünschten Ergebnisse lieferte, das war es, was er eigentlich gesagt hatte. Jorcan machte sich keine Illusionen darüber was das für Konsequenzen haben würde, wusste, dass unter den Shakarie kein Platz für diejenigen war, die versagten. Aber hatte es ihn wirklich überrascht, was im Zelt geschehen war? War es nicht schon immer so gewesen? Und stand es überhaupt so ernst um ihn? Sein Vater hatte recht, niemand erwartete den Angriff und er hatte sich schon in früheren Schlachten bewährt, an der Seite Narcals und auf sich allein gestellt.
   Um die Falamar machte er sich ohnehin keine Gedanken. Nach allem was er von ihnen gesehen hatte, waren sie viel zu schwach, um das behalten zu können, was sie im Moment noch in ihrem Besitz glaubten. Ungeziefer, das ihren eigenen Plänen im Weg stand, das aber letztlich beseitigt werden würde.
   Als er sich Stunden später sein Bündel umschnallte und seiner zwei Mann starken Eskorte den Befehl zum Aufbruch gab, lächelte der Prinz der Shakarie hinter seiner Maske.

*****

   „Nun mach schon, Mädchen!” schalt Jara ungehalten. „So wie du das Messer hältst, ist es kein Wunder, wenn du morgen noch nicht fertig bist.”
   Ayala seufzte. „Ich versuche bloß alle meine Finger zu behalten. Außerdem sind diese Wurzeln zäher als alles, was ich in meinem Leben bisher gesehen habe.”
   Die ältere Falamar lächelte verschmitzt. „Du wirst doch wohl nicht behaupten, dass du schon viel gesehen hast. Als du hier ankamst, konntest du eine Mohrrübe kaum von einer Kartoffel unterscheiden.”
   Ayala grinste zurück. „Es wachsen ja auch beide in der Erde, oder? Wo liegt also der Unterschied? Wie dem auch sei, dieses Messer ist einfach zu stumpf. Es... AUTSCH!” Sie hob die Hand zum Mund und sog an dem malträtierten Daumen. Sie warf Jara einen nach Mitleid heischenden Blick zu, doch als sie das Gesicht ihrer Lehrerin sah, in dem eine Fröhlichkeit lag, die sie dort bisher nur selten gesehen hatte, konnte sie ihrer gequälten Gesichtsausdruck nicht länger aufrechterhalten. Noch immer mit dem Daumen im Mund fing sie glucksend an zu lachen und schloss sich Jara bald in ihrem schallenden Gelächter an.
„Mädchen,” lachte die alte Falamar so vergnügt wie ein junges Mädchen, „du hättest dein Gesicht sehen sollen, als du dich geschnitten hast.”
   Ayala versuchte einen wenigstens halbwegs glaubwürdigen Schmollmund zu ziehen. „Na, ist ja toll, wenn meine Schmerzen dich unterhalten.”
   „Ach Mädchen, jetzt wo du hier bist, merke ich erst wie still es hier in den letzten Jahren geworden ist. Zwar treffen noch immer alle paar Wochen Familien von Soldaten ein, aber viele ziehen auch weiter nach Süden und die paar, die bleiben, haben genug damit zu tun, sich hier ein neues Heim aufzubauen. Und wer kommt da schon auf die Idee, die alte Jara zu besuchen?”
   „Oh, Jara. So alt bist du doch gar nicht. Wenn man dich manchmal nur hört, könnte man denken, du wärst meine ältere Schwester.”
   Jara warf ihr einen hintergründigen Blick aus ihren blitzenden dunkelbraunen Augen zu. „Wenn du nicht aufpasst, glaubt dir bald keiner mehr ein Wort.”
   Ayala grinste nur und lehnte sich etwas zurück, als sie die Arbeit wieder aufnahm und versuchte die Wurzeln, die Jara ihr gegeben hatte, von der schützenden Rinde zu befreien, ohne sich zu verletzen.
   Sie hatte sich in den letzten Wochen großartig eingelebt und endlich ihre Scheu vor Jara verloren, wenn sie auch manchmal wehmütig an ihre Familie und alten Freunde dachte. Als der Frühling dem Sommer wich, war Ayala in der Wärme der Sonne aufgeblüht. Selbst als das Wetter in den letzten Tagen schlechter wurde, blieb ihre gute Laune. Sie lernte schnell und wusste inzwischen, wie sie Jara zu nehmen hatte, um in ihr eine gute Freundin zu haben.
   Draußen war die Sonne zwar schon vor Stunden untergegangen, doch hatte das kaum eine der beiden wahrgenommen, da auch der Tag nicht sehr hell gewesen war. Über dem behaglichen Knistern der Feuerstelle heulte vor dem Fenster noch immer der Sturm und dicke Regentropfen hämmerten auf das Dach.
   Ayala starrte gedankenverloren in das wärmende Feuer und zog das letzte Stück Rinde von der Wurzel.
   „Begleitest du mich morgen wieder zur alten Sira?” unterbrach Jara sie in ihren Gedanken.
   „Ist die Salbe für sie?”
   Jara nickte. „Du weißt, wie empfindlich sie ist. Also sorge dafür, dass keine Rindenstücke später im Sud landen.”
   „Aber warum hast du mir das nicht früher gesagt? Für die Salbe der alten Sira brauchen wir doch Maranfas. Und falls ich nicht plötzlich mit Blindheit geschlagen bin, haben wir kein einziges Blatt davon mehr im Haus.”
   Jara sah sie mit großen Augen an und fuhr sich mit ärgerlicher Geste über die weißen Haare. „So was! Das ist mir ja noch nie passiert. Wenn du das gesehen hast, wieso hast du dann nicht gleich für Abhilfe gesorgt?”
   „Ich habe es doch auch erst gestern Abend gesehen.”
   „Und warum bist du dann nicht heute morgen gleich los um neue zu suchen?”
   „Aber heute morgen hast du mich doch...”
   „Papperlapapp! Ich wusste ja nicht, wie schlampig du mit den Vorräten umgehst. Morgen in aller Frühe gehst du los und sammelst neue Maranfas.”
   „Aber man findet inzwischen so gut wie keine mehr. Außerdem regnet es schon seit Tagen.”
   Jara warf ihr einen ihrer überzeugendsten ‘Ich-dulde-keinen-Widerspruch-Blicke’ zu und beendete die Diskussion.
   Mit einem resignierten Seufzen erhob sich die junge Falamar und räumte den Holztisch ab. „Wenn du erlaubst, gehe ich dann besser gleich zu Bett.”
   Jaras Züge wurden sofort weicher. „Ayala, ich weiß, es fällt dir immer noch etwas schwer so weit weg von zu Hause zu sein. Und ich bin vielleicht auch nicht immer leicht zu ertragen, aber du weißt, dass diese Arbeit wichtig für das Dorf ist, gerade für die Kranken und Schwachen. Und ich werde langsam zu alt dafür, durch die Berge zu rennen und die Heilkräuter zu sammeln. Deshalb gebe ich mein Wissen an dich weiter, denn wie könnte ich in Frieden gehen, solange ich nicht weiß, dass für alles gesorgt ist? Es hat mich sehr glücklich gemacht, dass du zu mir gekommen bist, und ich möchte, dass du weißt, wie stolz ich auf deine Fortschritte bin.”
  Ayala ging zu der alten Frau hinüber und legte ihr schweigend eine Hand auf die Schulter. Sie hatte Jara nie so sprechen gehört, aber sie spürte, dass die Worte von Herzen kamen. „Schon gut. Natürlich gehe ich morgen. Und wenn es noch irgendwo Maranfas gibt, finde ich sie auch.”


   Der Morgen war kaum weniger düster als der Abend, aber zumindest hatte der Regen etwas nachgelassen. Als Ayala kurz vor Sonnenaufgang in einen dicken Umhang gehüllt das Haus verließ, hatte sie Jara nicht einmal mehr gesehen, aber sie wusste ja, dass ihr Lehrmeisterin sich keine Sorgen darum machen würde, wo sie war.
   Der prasselnde Regen war einem warmen Nieseln gewichen und als Ayala durch die verlassenen, aufgeweichten Straßen wanderte, überlegte sie kurz ihre viel zu leichten Schuhe auszuziehen, da sie doch keinen wirklichen Schutz vor dem zähen Schlamm boten. Aber sie würde die Schuhe brauchen, sobald sie höher stieg und entschied sich daher dagegen. Bevor sie das ans Dorf angrenzende Wäldchen betrat, blickte sie noch einmal zurück und eine Schwermut überkam sie, die sie selbst nicht begreifen konnte. Von vielen kleinen Schornsteinen stieg bereits Rauch in die graue Dämmerung auf, doch Jaras Haus konnte sie durch den Regenschleier nicht mehr ausmachen.
   Sie schob die Kapuze zurück und ließ den Regen über ihr Gesicht laufen. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln, wandte sich zum Wald um und verließ das Dorf.

*****

   Tamaril lehnte sich zurück und legte die Feder zur Seite. Seine Hand zitterte. Er bemühte sich ruhig zu atmen, aber er konnte kaum verbergen, dass er zutiefst aufgewühlt war.
   Was sollte das? Er hatte von Schlachten geschrieben, die blutiger und erbitterter gewesen waren, als das, was wohl bald in dieser friedlichen Gegend geschehen würde. Warum ging es ihm diesmal so nahe? War es das Mädchen? Oder waren es vielmehr... die Shakarie?
   Ihm wurde bewusst, dass er in den vergangenen Tagen begonnen hatte, sie aus tiefstem Herzen zu hassen. Aber war er früher der Grausamkeit nicht gleichgültig gegenüber gewesen? Dann hatte es vielleicht doch mit dem Mädchen zu tun.
   ,Aber was immer es ist, ändern kannst du sowieso nichts,’ dachte er bei sich. Er strich sich die silberweißen Haare aus dem Gesicht und streckte die Hand nach der Feder aus. Sie hatte aufgehört zu zittern.

*****

   Der Schlamm hing hartnäckig an Ayalas Kleid, ihren Schuhen, zerrte an ihren Beinen, schien sie aufhalten zu wollen. Sie hatte einen großen Teil des Aufstiegs hinter sich gebracht, aber es schien ihr, als würde sie überhaupt nicht vom Fleck kommen. Sie lehnte sich erschöpft an einen der Bäume, die hier nur noch vereinzelt an den in der letzten Zeit seltsam abweisend gewordenen Berghängen standen. Der Schweiß lief ihr das Gesicht herab, vermischte sich mit Regenwasser und ließ die junge Falamar sich so elend fühlen, dass sie mit dem Gedanken spielte, zu Jara unverrichteter Dinge zurückzukehren.
   Statt dem Gefühl nachzugeben, entschied Ayala sich kurzerhand den schweren Mantel zurückzulassen. Sie war ohnehin schon durchnässt und der Aufstieg würde ohne die zusätzliche Last sicher um einiges leichter sein. Sie streifte den Mantel ab und hängte ihn an einen der unteren Äste.
   Als sie das nächste Mal innehielt, war sie schon fast an der Stelle angelangt, wo sie vor einigen Wochen noch Maranfas gefunden hatte. Doch dieses Mal war der Anblick ein anderer.
   Das durch den Regen aufgeweichte Erdreich war den Hang etwas heruntergerutscht und enthüllte einen dunklen Riss, der direkt in den Berg hinein zu führen schien. Das schwarze Loch erweckte bei Ayala eine beinahe irrationale Furcht und sie fröstelte, trotz der drückenden Wärme.
   Als sie gebückt näher schlich, entdeckte sie im braunen Schlamm einen kleinen Fetzen Grün. Sie sah näher hin und lächelte erleichtert als sie das Maranfablatt als das erkannte, was es war. Sie langte mit beiden Händen zu, befreite die Pflanze von den zähen Erdklumpen und schob sie in ihr kleines Bündel. Es war vielleicht eine kümmerliche Ausbeute, aber für die alte Sira würde es vorerst reichen.
   Sie hatte die graugekleidete Gestalt hinter ihr nicht kommen gehört. Das einzige, was sie warnte, war ein plötzlicher eisiger Hauch in ihrem Rücken.
  Sie versuchte sich umzudrehen und rutschte dabei auf dem steilen Untergrund weg. Der Dolch zischte über sie hinweg und streifte lediglich ihre Wange.
   Ayala erstarrte vor Schrecken und Entsetzen. Seit sie ein kleines Kind gewesen war, hatte man ihr immer wieder von den Shakarie erzählt. Aber trotzdem hatte sie nie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass einer dieses grausamen Volks ihr begegnen könnte. Und doch ragte er nun vor ihr auf, wie ein Alptraum, der wahr geworden war.
   Für den Bruchteil einer Sekunde starrte sie ihn an und er erwiderte ihren Blick mit dunklen Augen, in denen kalter Hass und Abscheu brannten. Das Mädchen war sich verwirrend vieler Details bewusst, wie dem Amulett mit den blutigen Klauen, das um seinen Hals baumelte, der seltsam unsichtbar machenden grauen Kapuze und der Maske, die ihr den Blick auf das Gesicht ihres Todfeinds verwehrte.
   Dann war der Augenblick vorüber und Ayala musste erkennen, wie unsicher ihre ganze Position war. Der Shakarie stand etwas unterhalb am Hang, aber dennoch dicht genug, um über ihr, die beinahe am Boden hockte, aufzuragen.
   Getrieben von purem Überlebensinstinkt stieß sie sich vom Boden ab und nutzte ihren Schwung, wie auch die Schwerkraft, ihm ihre Schulter gegen die Brust zu rammen. Er taumelte einige Schritte zurück und Ayala nutzte die Gelegenheit, um sich nach rechts hin, weg von dem Dolch, abzurollen.
   Der Shakarie zischte wütend und riss seinen Degen mit der Linken aus der Scheide. Ayala tauchte unter einem Schlag weg und eilte in dem verzweifelten Versuch, etwas Distanz zwischen sich und ihn zu bringen, den Abhang hinab.
   Der bewegliche Shakarie war innerhalb weniger Sekunden dicht hinter ihr. Ein Hieb der längeren Klinge ließ sie zur Seite hechten, wo der Dolch auf sie wartete. Ayala versuchte erst gar nicht, ihren Schwung umzukehren. Statt dessen änderte sie etwas die Richtung und ließ sich nach vorn fallen. Der Dolch zog eine blutige Linie über ihren Oberarm.
   Die junge Falamar taumelte einige Schritte nach vorne, schaffte es aber, auf den Beinen zu bleiben. Sie sah an sich herab und spürte eine entsetzliche Übelkeit in sich aufsteigen, als sie das Blut ihre Seite herabfließen sah.
   Unendlich langsam, wie es ihr schien, wandte sie sich zu dem Shakarie um, der sie noch immer nicht durchbohrt hatte. Ihr Gegner lächelte für sie unsichtbar und schlug ihr mit dem Heft seines Dolches ins Gesicht.
   Von ihr unbemerkt hatte sie sich zu einer Stelle am Hang treiben lassen, wo die Wand nach einem kleinen Überhang, auf dem Ayala nun stand, recht steil nach unten führte.
   Alles schien nur noch in Zeitlupe abzulaufen, als sie benommen das Gleichgewicht verlor und von dem Shakarie nach hinten wegkippte. Sie spürte den Wind in ihren Haaren, als sie die anderthalb Meter stürzte um dann schmerzhaft auf den steinigen Boden aufzuschlagen. Sie rutschte den Hang weiter hinab, bis sie schließlich mit verkrümmtem Körper zwischen einigen Steinen hängen blieb.
   Sie fühlte wie ihr das Blut warm das Gesicht herablief, aber seltsamerweise empfand sie weder Schmerz noch Angst, nur leichtes Bedauern und Traurigkeit, als sie die Augen schloss und ihr Denken in Dunkelheit versank.

****

   „NEIN!”
   Die Feder glitt aus Tamarils Hand, als er vom Pult zurückwich und sich schließlich schwer atmend an dir Wand lehnte. Er rutschte herab, umklammerte seine Knie und vergrub sein Gesicht in den Armen.
   Der Wald schwieg, als das leise Weinen nach draußen drang und dort ungehört zwischen den silberweißen Bäumen verklang.

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ZMistress
Hallo zusammen! Ich bin inzwischen 34 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, die mich beschäftigt halten. Ich liebe fantasievolle Geschichten und träume auch oft vor mich hin.Ich bin meist recht still, aber wenn mich etwas sehr bewegt, kann ich auch meine Meinung dazu sagen.

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ZMistress Re: Richtig gut -
Zitat: (Original von hanni86 am 30.03.2010 - 17:31 Uhr) Also...
Mir hat der erste Teil schon super gut gefallen, aber der zweite ist nochmal richtig mächtig viel besser!
Jetzt gehts gleich ab zum dritten Teil...
hanni


Vielen lieben Dank. Das macht mir Mut.
Vor langer Zeit - Antworten
hanni86 Richtig gut - Also...
Mir hat der erste Teil schon super gut gefallen, aber der zweite ist nochmal richtig mächtig viel besser!
Jetzt gehts gleich ab zum dritten Teil...
hanni
Vor langer Zeit - Antworten
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