Kurzgeschichte
Osterhase, wo bist du?

Paulchen konnte es kaum erwarten, bald würde Ostern sein. Wie jedes Jahr freute er sich auf den Hasen im Goldpapier mit dem Glöckchen um den Hals.

Neugierig machte er sich auf den Weg zum Wald hinüber. Zu gerne wollte er auch einmal dem richtigen Osterhasen begegnen. So viel hatte er schon über ihn gehört. Die Kindergärtnerin meinte, er käme aus dem Wald, doch keiner seiner Freunde hatte ihn je gesehen. Das war schon irgendwie komisch. Alle Erwachsenen schienen ihn zu kennen. Warum nur blieb er den Kindern verborgen?

Er schaute hier und spähte dort, glaubte ihn hinter den knorrigen Buchen zu entdecken. Plötzlich raschelte es im Gebüsch. Sein Herz raste vor Aufregung. Vorsichtig pirschte er sich heran. Aber welch eine Enttäuschung, es war nur eine Amsel, die aufgescheucht davonflog. Die Suche war sehr anstrengend. Müde setzte er sich auf eine Bank, ließ die Beine baumeln und blickte in die hohen Bäume hinauf. Ein Eichhörnchen lugte auf ihn herunter. „He du, weißt du wo der Osterhase wohnt?“ rief er fragend nach oben. Die Antwort blieb es ihm schuldig. Ein paar gekonnte, federleichte Sprünge und weg war es. Oben wippten noch die Zweige und ließen funkelnde Sonnenstrahlen durch, direkt auf sein Gesicht. Er machte die Augen zu und genoss die Wärme.

Trotz der geschlossenen Lider war es hell und mitten aus dem Licht lächelte ihm auf einmal sein Großvater entgegen.
„Opa, du? Was machst du da?“
„Ich bin bei dir mein Junge und freue mich.“
„Aber du bist doch vorletztes Jahr gestorben.“
Liebevoll begann sein Opa zu erklären: „Du hast nach dem Osterhasen gesucht. Und da ich das gesehen habe, wollte ich dir helfen, ihn zu finden.“
„Wo ist er denn, Opa?“
„Mein liebes Paulchen, den Osterhasen gibt es nicht, sehr wohl aber Ostern. Ostern ist das Fest der Auferstehung. Wie du siehst, durfte auch ich an diesem Fest im Himmel teilnehmen und in das neue, ewige Leben eintreten.“
„Das ist ja klasse Opa! Kann ich zu dir hochkommen? Ich vermisse dich so sehr, hier hat niemand Lust mit mir zu spielen.“
„Wenn es für dich Zeit ist, werden wir wieder zusammen sein. Aber vorher hast du noch jede Menge Aufgaben, die du in deinem Leben bewältigen musst. Besonders wichtig ist es, dass du lieb zu deinen Mitmenschen bist. Grüss Mama und Papa von mir und sag ihnen, dass ich lebe.“

Dann wurde es dunkel, ein Wölkchen hatte sich vor die Sonne geschoben. Paulchen öffnete die Augen und wusste nicht, ob er alles nur geträumt hatte. Nein, es konnte kein Traum gewesen sein, denn ganz deutlich spürte er noch die warmen Hände seines Großvaters, die ihm zum Abschied über seine Wangen strichen.

Schnell rannte er nach Hause. Völlig außer Atem erzählte er, seinen Eltern von Ostern und dass es den Osterhasen ja gar nicht gäbe. „Mein Opa lebt!“

Auch im Kindergarten sorgte seine Geschichte für Aufregung. Die Kinder zeichneten jetzt keine Osterhasen mehr, sondern Licht und lachende Menschen.

Auf seinen Schokoladenhasen im goldenen Gewand freute er sich aber trotzdem. Er vermutete, dass Mama den wohl im Supermarkt kaufen würde…