Beschreibung
Eine kurze Erzählung aus der Sichte eines ... sagen wir mal missverstandenen Menschens.
Isch leider erst nach mehrmaligem Lesen voll verstanden.
Nur zur Info: Es gibt keine absoluten Logikfehler in einer wechselnden subjektiven Realität.
Ich weis, dass die Tür noch immer offen steht. Ich konnte mich noch nicht dazu durchringen, sie zu schließen. Zuviel hängt von der Entscheidung ab, die ich danach treffen muss. Sie müssen mir dies glauben. Das ist erstmal sehr wichtig, sonst ist es auch sinnlos, wenn ich weiterschreibe. Sie müssen mir auch glauben, dass ich nicht selbst am 12.August am Bahnhof war; Das war ich nicht. Vielleicht fange ich am besten ganz am Anfang an. Ich hoffe ich langweile sie nicht. Es war der 2.März dieses Jahres, also nicht so lange her, wie sie wohl denken würden. Die Firma, für die ich arbeite, legt, wie sie wissen, sehr viel Wert auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter, was in etwa bedeutet, dass jeder Mitarbeiter einmal im Jahr sowohl zum normalen Arzt, wie auch zum Psychologen gehen muss, oder darf, wie Sie es nennen würden. Wie jeder Mensch habe ich auch ein paar kleinere Psychosen, die sich aber im Leben nie auswirken. Deshalb habe ich wie jedes Mal, wenn ich zu diesem „Arzt“ musste, seine Empfehlungen geringfügig geändert, damit ich nicht mehrere Wochen in Enspannungszentren verbannt werde. Ich habe eigentlich nichts gegen diese Einrichtungen, ich würde niemandem davon abraten, dort seinen Urlaub zu verbringen, aber wenn, dann nur freiwillig! Die versuchen alle Andersdenkenden auszugrenzen. Mich nicht, dachte ich damals jedenfalls. Es war glaube ich — Hey, legen sie mein Fernglas zurück und setzen sie sich wieder hin! Ich habe sie nicht in meine Wohnung eingeladen, damit sie alles mit ihren dreckigen Fingern anfassen sollen. Also wo war ich stehen geblieben? Ich wollte ihnen, glaube ich, gerade von dem Unfall erzählen. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass etwas falsch läuft. Ich fuhr wie immer in mein Wochenendhäuschen, doch diesmal war ich früher dran, als sonst. Dies hatte keinen wirklichen Grund, ich hatte einfach das Gefühl, an diesem Tag früher losfahren zu müssen. Ich fuhr also Richtung Entspannung und Freiheit, als mich ein schwarzer Kastenwagen rammte, einfach so. Ich bin auch nicht blöd, ich merke, wenn mich jemand rammen will, das war kein Unfall. Sie wollten nur Zeit gewinnen. Sie haben mich also „übersehen“ und meine Hintertür eingedrückt, einfach so. Dem massiven Kastenwagen ist fast nichts passiert, doch mein Auto konnte nicht mehr weiterfahren. Bis die Polizei da war und, oh Wunder, einen Unfall feststellte, mein Wagen abgeschleppt wurde und ich mir einen Mietwagen geliehen hatte, war genug Zeit verstrichen. An meinem Häuschen war nichts Besonderes mehr zu erkennen, obwohl ich alles ganz genau untersucht habe, das können sie mir glauben. Es lag nur ein ganz leichter Geruch, den ich zuerst nicht wirklich einordnen konnte. Später ist mir dann aufgefallen, was das für ein Geruch war: es roch nach Friedhof, wenn der Nebel sich gerade aus den Gräbern erhebt. Genau so roch es in meiner Hütte. Ich durchsuchte nochmals das ganze Haus nach Wanzen oder Ähnlichem, fand aber nichts. Sie waren entweder gewarnt, oder Profis. Ich wollte nicht so schnell aufgeben, irgendwas musste es hier geben, was sie dazu gezwungen hatte, mich aufzuhalten. Jetzt war der Garten dran. Das Gras sah etwas grüner aus als sonst, außerdem konnte ich mich nicht daran erinnern, den Gartenschlauch so aufgerollt zu haben, wie er dort lag. Etwas musste unter dem Rasen versteckt worden sein, ich musste also nur graben. Es war gar nicht so einfach, ich begann Respekt vor meinen Peinigern zu empfinden, der Boden war steinig, mit viel zähem Lehm, sodass es mit meiner Schaufel fast unmöglich war, tiefer als 50cm zu kommen. Dicke die feuchte obere Schicht wich bald einer fast massiven, trockenen Lehmschicht, die kaum zu bearbeiten war. Das war natürlich sehr unbefriedigend, da dort unten ja etwas versteckt sein musste. Ich bin daraufhin ins Haus gegangen und hab nachgedacht. Stundenlang saß ich im Sessel, trank Whiskey und überlegte mir, wie ich etwas finden konnte, das allen zeigt, dass ich Recht habe. Das war schwierig und ich bin wohl zu keinem Ergebnis gekommen. Jedenfalls habe ich mir nichts notiert, das ich nach dem Ausschlafen des Rausches finden konnte. Es war wohl nicht die beste Art, mit meiner Situation fertig zu werden, aber kurzfristig überlegte ich mir sogar, alles zu ignorieren. Alle Probleme hinter mir zu lassen und die Welt durch die rosa Brille meiner Nachbarn und Kollegen zu betrachten. Das ist aber nichts für mich. Ich musste etwas tun. Zuerst durchsuchte ich die Garage nach brauchbarem Werkzeug, ohne Erfolg. Naja, ich war einfach nicht auf eine solche Situation eingestellt gewesen. Heutzutage ist meine Garage perfekt ausgestattet. Das können sie mir glauben. Dann bin ich in den Heimwerkerladen in der nächst größeren Stadt gefahren und habe mir dort einen kleinen Bagger ausgeliehen. Damals war ich noch sehr naiv: Ich habe erstens meine Hütte unbeaufsichtigt gelassen und zweitens habe ich gedacht, man könne ihnen so einfach auf die Schliche kommen, sie arbeiten viel subtiler! Nebenbei war mir damals noch gar nicht bewusst, in was für einer großen Gefahr ich mich befand. Jedenfalls fuhr ich mit dem Bagger, den ich Exorzist taufte. Große Aufgaben benötigen große Namen. Es lohnt sich nicht, lange über diese Aktion zu reden, ich fand nichts. Ich baggerte meinen ganzen Garten durch und hab dann am Abend den Bagger wieder zurückgegeben. --- Bitte lassen sie das Mitschreiben, das irritiert mich zu stark. Es war noch am gleichen Tag, da ging ich nochmals in den Garten, natürlich mit einem Messer bewaffnet. Das war die einzige Waffe, die ich in der Hütte hatte, keine Angst, heute bin ich besser ausgestattet. Sehen sie mal hinter mich in der Vase- Der Alu-Badeballschläger liegt perfekt in der Hand und ist neben meiner Pistole meine wichtigste Verteidigung. Ich war auf jeden Fall im Garten, da ist mir etwas aufgefallen, plötzlich sah ich, was ich den ganzen Tag übersehen hatte: Die Figur aus Deutschland, die einen Zwerg mit einer roten Mütze darstellte. Sie starrte mich genau an, ich konnte diesen Blick kaum erwidern. Es war einfach zu brutal in diese kalten, nicht lebenden, aber definitiv auch nicht toten Augen zu blicken, die mich abschätzig musterten. Es war, als blickte ich in ein schwarzes Loch, also diese Gebilde im Kosmos, die uns in sich aufsaugen und mitsamt der Seele auffressen. Ich bekam panische Angst, mir wurde schwindlig und ich floh sofort ins Haus, wo ich alle Türen und Fenster verriegelte. Dieses Geschöpf des Bösen musste vernichtet werden, aber wie und von wem? Einerseits konnte ich den Zwerg nicht berühren, ich wusste nicht, was dann passieren könnte, aber mir war klar, dass dann etwas Schreckliches passieren würde. Etwas Schreckliches, das trifft den Punkt genau, schrecklich war das, was mir passierte. Soll ich etwas überspringen, oder chronologisch vorgehen? Ich überspring kurz mal was. Ich saß eines Abends an diesem Tisch, ich glaube auf dem Stuhl, den ich ihnen angeboten hatte und machte mir Gedanken über alles. Zuerst einmal wer ist so erpicht darauf, mich zu überwachen? Diese Frage konnte ich noch nicht beantworten und kann dies heute auch noch nicht so richtig. Der Staat? Unwahrscheinlich, da hätten sie Polizisten eingesetzt und hätten wohl auch Spuren hinterlassen. Menschliche Spuren. Meine Firma? Die ist zu klein, um diesen ganzen Aufwand zu betreiben. Ich bin zu keinem endgültigen Fazit gekommen, beziehungsweise ich bin zu keinem akzeptablen Ergebnis gekommen. Danach hab ich über den Grund nachgedacht, warum gerade ich so überwacht werde. Ein Punkt wird wohl sein, dass ich zu dieser Fragestellung komme, liegt nur an der Existenz dieser Überwachung. Wenn ich nicht überwacht werden würde, wäre ich nicht in der Lage, diese Frage zu stellen. Ich musste also diese Tatsache in meine Überlegungen mit einbeziehen. Irgendwas muss an mir besonders sein. Es kann nur meine Fähigkeit sein, die Überwachung bemerken zu können. Das macht mich besonders, wenn nicht gar einzigartig. Vielleicht war ich auch die einzige Chance der Menschheit, Freiheit zu erlangen. Ich muss zugeben, dass, so stark das Angstgefühl in mir auch war, mich diese Schlussfolgerung ehrte. Mir wurde auch bewusste, wie stark ein einzelner Mensch die Welt verändern kann, aber ich glaube, ich schweife vom Thema ab. Dieses starke Machtgefühl währte nur kurz, ich konnte seit ich den Zwerg begraben hatte kaum noch schlafen, zumindest nicht ohne genug Alkohol. Das war ein sehr großes Problem, da ich im Rausch wenig wehrfähig bin. Deshalb habe ich auch die Sprengfalle an der Tür installiert. Jeder, der versucht in meine Hütte zu kommen, wird getötet. Glauben sie jetzt nicht, dass ich verrückt sei, mir ist bewusst, dass auch ich sterben würde, wenn die Falle ausgelöst werden würde, aber die wollen mich nicht töten. Aus irgendeinem Grund bin ich zu wichtig für sie. Mir wurde bald klar, dass ich etwas tun musste, ich durfte nicht immer nur reagieren. Ich musste in den Angriff übergehen. Meine bisher einzigen Anhaltspunkte waren der Psychologe meiner Firma, der wohl alles über mich weitergegebne hatte und der Wagen, der mich gerammt hatte. Ich ging also zu der Werkstatt, die den Wagen reparieren sollte, zum Glück gibt es nur eine in dem Dorf, wo der Anschlag verübt wurde. Auch wenn ich nicht damit rechnete, unbewacht zu sein, versuchte ich es wenigstens, es meinen Verfolgern so schwer wie möglich zu machen. Schwarze Sonnenbrille, unauffällige Kleidung aus dem Zweite-Wahl-Laden und ein anderes Leihauto. Ich war natürlich auch bewaffnet und bereit, die Waffen auch einzusetzen. Bitte glauben, sie aber jetzt nicht, ich sei ein Mensch, der einen anderen Menschen töten könnte, ich wäre dazu wohl nicht in der Lage. --- Bitte lassen sie die Zeitungen da liegen, wo sie sind, ich gehe ja auch nicht in ihre Wohnung und durchwühle ihr Bett. Wo waren wir stehen geblieben? Achso, ich war also gerade bei der Werkstatt und war auf dem Weg ins Büro des Psychiaters. Auf den Straßen waren heute sehr viele Menschen. Alle irgendwie gleich, alle irgendwie anders und alle irgendwie verdächtig. Da war ein alter Mann, der seinen Stock nicht zum Gehen braucht, aber ihn trotzdem mit sich herumträgt. Ich war auch nicht dumm, oder ungebildet, ich habe schon davon gelesen, dass Menschen ein Gift durch einen Regenschirm ins Bein injiziert wurde. Da war einen junge Frau, viel zu jung für ein Kind, die einen Kinderwagen, wahrscheinlich mit Spionagetechnik vor sich her schob. Da war eine Gruppe Halbstarker, deren Mützen unnatürlich vom Kopf abstanden. Kurz: Die Straße war voller Menschen, die alle verdächtig waren. Ich hielt es nicht lange dort aus. Ich flüchtete zum Bahnhof und setzte mich in einen zufälligen Zug. Damit haben die wohl nicht gerechnet. Ich fühlte mich sicher und fühlte wieder dieses Gefühl von Macht. David ist Goliat entkommen beziehungsweise David ist Goliat! Jede Faser meines Körpers entspannt sich bei diesem Gefühl, alles sieht schöner und besser aus. Die Menschen im Zug waren alle freundlich, schön und vor allem konnte keiner von ihnen sein. Ich fing ein Gespräch mit einer Frau meines Alters an. Kennen sie es, wenn man einfach mit jemandem reden muss. Es ist egal, mit wem und worüber. Leider war die Frau kein besonders guter Gesprächspartner. Schon nach wenigen Minuten interessierte sie nicht mehr, was ich erzählte. Das machte mich richtig wütend. Die ganzen erhebenden Gefühle waren auf einen schlag verflogen. Diese Frau, die mir nicht mal ihren Namen nannte, sie verstieß mich. Ich war nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Sie war doch wahrscheinlich gar nicht von Ihnen, oder etwa doch. Was wusste sie über mich, was wollte sie erreichen? War es nur Zufall, dass wir uns trafen? War es Schicksal? Ich glaube nicht an Schicksal, aber sie müssen mir doch zugestehen, dass die Welt gewissen Vorgaben unterworfen ist. Vielleicht ist eine davon, dass ich am 12. August im Zug neben dieser Frau sitzen sollte. Vielleicht war es auch eine Vorgabe, was danach passierte. Ob dies alles determiniert war oder nicht, ist eigentlich jetzt auch egal. Fakt ist, dass die Welt jetzt besser ist. Oh, es ist schon dreiviertel zehn. Warten sie kurz einen Augenblick, ich hol mir ein Glas Wasser. Ich weis nicht, ob sie das können, aber ich kann es nicht, ohne etwas dazu zu trinken. Tut mir Leid, ich hab etwas den Faden verloren, wir waren beim Gang zum Psychiater? Gut, also ich war beim Mechaniker und die Vermutung meinerseits, dass auch er dazugehören musste, hatte sich bestätigt. Den Psychiater kannte ich aber immer als netten, respektvollen Mann. Auch wenn ich eine gewisse Antipathie gegen ihn hegte, vertraue ich ihm. Es ist wie Kliemke einmal geschrieben hatte: „Das Verhältnis eines Subjekts zu einem von diesem als negativ erachteten Objekt kann mitunter sehr gut sein“. Ich ging also in seine Praxis. Sie gab einem das Gefühl, Zuhause zu sein. Ich kann gar nicht erklären, woher diese Geborgenheit kam. Sie war einfach da. Ich ging direkt zu ihm, nicht erst zur Dame am Schreibtisch, die einen normalerweise auf unbestimmte Zeit vertröstet, wenn man keinen Termin hat. Ich hatte Glück, er hatte gerade keinen Kunden bei sich. Ich bin mir übrigens immer noch sicher, dass die meisten Menschen dort Kunden und keine Patienten sind. Die meisten haben, wie ich, nichts Ernstes. Das Zimmer sah aus, wie immer. Ein dicker Perserteppich über dem edlen Parkett. Die massive Eichenholzuhr, die den Blick wie ein Magnet auf sich zieht, der Sessel mit seinem Lederbezug und dem Schafsfell, das über der Lehne hängt. Es war wie immer. Der Herr Doktor war etwas überrascht, was mich wiederum verwunderte. Kam es nicht häufiger vor, dass ein Patient ohne Termin ein dringendes Anliegen hat? Ist es nicht bei einem solchen Arzt sehr wahrscheinlich, dass es akute Probleme mit seinen Patienten gibt? Anscheinend nicht. Ich stellte meine Fragen, aber bekam nicht die Antworten, die ich mir gewünscht hatte. Zusammenfassend kann man sagen, er wusste nichts, -- oder er konnte sich gut verstellen. Ich war wieder am Anfang meiner Suche. Als ich die Praxis verließ, fielen mir die vielen Beobachter auf, die ich plötzlich hatte. So voll war diese Fußgängerzone noch nie gewesen. Das erstaunlichste war, dass mehr als die Hälfte davon Rentner waren. Der Rest waren Frauen mit ihren Kindern. Also waren es alte Menschen, die in ihren Stöcken alle Überwachungsgeräte haben können und Frauen mit Kinderwagen, die voll mit Elektronik sein können. Ich bin auch nicht dumm, mir fällt so etwas auf. Es ist, als wäre die Straße voller schwarzer Kastenwägen mit interessanten Dachaufbauten. Mich konnten sie nicht reinlegen, ich wusste, dass ich beobachtet wurde. Ohne mich weiter umzuschauen, ging ich zügig zu meinem Auto. Ich musste sie abschütteln, nur wie? Ich fasste einen Plan, der zwar erstmal nur eine sehr vage Idee war, aber er nahm Konturen an, während ich ihn ausführte. Zuerst einmal fuhr ich zu einem Musikgeschäft und suchte Poster. Ich habe auch eines in meiner Wohnung hängen, hier hinter der Tür, es stammt vom Vormieter. Ich suchte nach einer ähnlich aussehenden Gruppe und wurde auch schnell fündig. Erstaunlicherweise sahen die meisten Gruppen ähnlich aus, was für mich ein Vorteil war. Ist es nicht seltsam, dass nicht einmal in der Kunst so etwas wie Individualität existieren darf? Achso, der Grund für meinen Einkauf: Die sollten meine Absichten nicht sofort erkennen können, deshalb war es sehr wichtig, mich unauffällig zu verhalten. Danach fuhr ich zum Bahnhofskiosk, um mir so viele Zeitungen wie möglich zu beschaffen. Im Laden fiel mir eine Frau meines Alters auf. Äußerlich war sie gar nicht so besonders, aber sie strahlte eine Energie aus, die aus jeder Faser ihres Körpers kam und mich in ihren Bann riss. Ich musste mir ihr reden, vielleicht konnte sie mir helfen. Sie wollte nicht mit mir reden. Ich folget ihr, dann überschlugen sich die Ereignisse. Ich brach zusammen. Physisch, wie psychisch. Ich kann mich daran erinnern, dass ich am Bahnsteig des Gleises 4 stand und überall Stimmen und Sirenen. Ich wusste nicht, was passiert ist, ich wusste nur, dass die Polizei mir wohl nicht helfen konnte. Ich setzte mich in den nächst besten Zug. Er fuhr mich in die Großstadt. Ich hasse diese Stadt. Überfüllte Straßen, riesige Betonklötze, aber an diesem Tag half mir die Anonymität der Masse. Untertauchen geht nirgends leichter, als dort, wo dich hunderte Menschen sehen. Ich besorgte mir in einem Schreibwarenladen fünfzig Aluminiumspitzer. Die Verkäuferin würde mich zwar wieder erkennen, aber das ist jetzt egal. Im WMF-Shop kaufte ich mir einen Druckkochtopf, nun hatte ich alles Wichtige. Die werden mich niemals finden. Dann musste ich nur noch nach Hause kommen. Doch es gab keine Zugverbindung zur Hütte. Ich musste den Bus nehmen, was aber an diesem Tag nicht mehr ging, es war einfach zu spät. Wofür zahlen wir eigentlich so viele Steuern, wenn nicht einmal die Grundversorgung im Transportwesen gesichert ist? Ich nahm mir ein Hotel in der Innenstadt. --- Wenn es sie nicht interessiert, müssen sie es nur sagen, dann hör ich auf. Es war nicht meine Idee, sie einzuladen und wenn sie jetzt den Brief nicht sofort wieder zurücklegen und mir zuhören, dann werden sie es noch bereuen. Ich las in der Zeitung, dass die Frau vom Vortag am helligten Tag erwürgt worden sei. Das werden die mir anhängen, dass war mein erster und richtiger Gedanke. Auf der nächsten Seite war ein Phantombild, das mir aber nicht sonderlich ähnelte. Was hatten die vor? Wollten sie mich in Sicherheit wiegen? Wollten sie mir sagen, ich sei ihnen was schuldig? Ich blieb eine Woche in der Stadt. Ich blieb die meiste Zeit des Tages im Zimmer. Ich fing an, die Spitzer zu zertrümmern. Dazu schraubt man zuerst die Stahlklinge ab, die hat keinen Sinn, dann nimmt man einen Wagenheber, natürlich kein billiges Plastikding, sondern ein richtig massives Eisengerät, und klemmt den Spitzer innen ein. Etwa hier. Dann drückt man den Heble ein, oder zweimal und schon ist der Spitzer klein. Genial, oder? Mit einer Großhandelspackung Rattengift, einer Packung Blumendünger und dem Aluminiumschrott stieg ich in den Bus. Den Dünger hatte ich davor natürlich erstmal gereinigt, damit die Phosphate und der Gips nicht stören. Es waren wenig Menschen neben mir im Bus. Ein heruntergekommener Mann Mitte fünfzig, auf den das Phantombild besser gepasst hätte, als auf mich, saß vor mir. Es ist erstaunlich, wie leicht man sich am Elend anderen wieder aufrichten kann, wenn man am Boden ist. Es half mir ein bisschen aus der Lethargie zu erwachen und mein weiteres Vorgehen zu überdenken. Meinen ursprünglichen Plan konnte ich nicht ausführen, das käme einem Schuldzugeständnis gleich. Ich hatte immer noch meine drei Komponenten, was sollte ich also machen? Es gab eigentlich nur einen Ausweg aus der Krise. Sie oder ich. Aber die werden mich nicht bekommen. Mich nicht. Ich schaute mich noch ein bisschen im Bus um. Alles war auf seine Art heruntergekommen. Der Mann mit seinen Pennerkleidern, die Sitze mit tiefen Schnitten, die Fenster mit ihren Kratzer. Allein der Busfahrer sah blendend aus in seiner blitzenden, blauen Uniform. Eigentlich zu gut. Panik breitete sich in mir aus. Nackte, kahle und kalte Angst, die sich von meinem Herz aus den Weg in alle Extremitäten suchte. Ich drückte den Haltknopf, der dem Fahrer signalisieren sollte, dass ich an der nächsten Haltestelle aussteige wollte. Kalter Schweiß rannte meine Stirn herunter. Ich ging zu Tür, der Bus fuhr noch. Ich wollte raus, einfach nur noch raus. Der Bus hielt, die Tür öffnete sich, ich rannte raus. Ein anderer Fahrgast folgte mir, er dachte wohl, ich hätte einen Schaffner erspäht. Oder etwa nicht? Ich wusste nicht, ob er mir folgte, also ging ich in die andere Richtung, immer weiter. Dann kam ein Moment, der mich bis heute fasziniert. Alles war plötzlich klar, es war, als schwebte ich über den Weg. Alles war still, absolut kein Geräusch war zu hören. Die Zeit lief langsamer. Ich sah das Auto auf mich zukommen, ganz langsam und fühlte mich frei. Ich war wieder Herr über mein Leben und über meinen Tod. Mir kam ein Stück eines Liedes in den Sinn: „What is Life, quality or quantity?“. Was ist Leben, Qualität oder Quantität? Ist die Länge entscheidend, oder die Qualität? Ist nicht ein kurzes Leben mit gewolltem Tod besser, als ein langes mit qualvollem Klammern an das Leben? Die optimale Antwort, die wohl die Mehrheit antworten würde, wäre beides. In meinem Fall gibt es aber weder eine Alternative, noch eine Zukunft. Selbst wenn ich eine Chance gehabt hätte, dem Auto auszuweichen, hätte ich keine lebenswerte Zukunft gehabt. Sie sehen ja, dass ich noch lebe. Das Auto konnte noch bremsen, keine Erlösung, keine Gnade. Der Autofahrer hätte nur eine Sekunde warten müssen und er hätte mir mehr geholfen, als je ein Mensch mir geholfen hat. Unter wüsten Beschimpfungen meines fast-Erlösers verließ ich die Straße. Ich ging in ein Hotel am Stadtrand. Ich konnte an diesem Tag weder Bus fahren, noch war ich zu einer weiterführenden Endscheindung in der Lage. Die Nacht war kalt und windig. Das Hotelzimmer roch nach Schweiß und Zigarettenrauch. Wenn die gewusst hätten, dass ich komme, hätten die wohl gelüftet, aber wenigstens hatten sie mir Handtücher gebracht. Natürlich konnte ich nicht duschen. Ich hätte dazu meine Kleider ausziehen müssen und sie damit kampflos ihnen überlassen. Das konnte und durfte ich nicht. Obwohl ich dies nicht immer deutlich zeige. Ich bin mir meiner Verantwortung deren gegenüber bewusst, die zu engstirnig sind, um die Wahrheit zu erkennen. Schweife ich zu stark vom Thema ab? Ich hoffe nicht, ich finde dies ist alles wichtig. Ich bind sogar langsam der Meinung, meine Gedanken werden mehr verändern, als meine Taten. Meine Taten können Die vertuschen, meine Gedanken werden die Welt befreien. Ich ging weiter. Mein Weg führte mich an einem Heimwerkerladen vorbei, bei dem ich mir Grillanzünder kaufte. Mein Geld wurde immer weniger. Dann fuhr ich per Anhalter nach Hause. Dort begann ich mit dem Bau meiner Bombe. Ich legte alle Einzelnen Bestandteile auf meinen Tisch. Setzte mich auf einen dieser Stühle hier, ich habe sie mit Speziallack bemalt, damit sie nicht brennen können. Als Mischverhältnis nehme ich diese Vase. Aber wem erzähle ich das eigentlich? Ich kann nicht einfach so tun, als säße hier jemand, den das interessiert. Niemand wird sich je für meine Gedanken interessieren und niemand wird sich für meine Geschichte interessieren. Ich bin kein Puschkin, der sich schon im Leben seiner Statue sicher sein konnte. Niemand wird später an mein Grab treten und mir danken. Niemand wird mir helfen, wenn ich es überlebe. Niemand wird eine Straße nach mir benennen. Niemand wird mein Gedenken erhalten und niemand wird mich kennen. Ich bin jetzt schon auf dem Weg in die Dunkelheit. Leiden ist nicht das Problem. Sterben ist nicht das Problem. Das Problem liegt im Vergessen. Die Menschheit kennt ihre Helden nicht und wird auch nie mich kennen. Meine letzten Worte habe ich schon in dem Brief aufgeschrieben. Er wird wohl durch die Explosion verbrennen, aber er verbrennt in guter Gesellschaft. Frei nach einem Buch, das ich vor kurzem gelesen hatte, lasse ich nun los. Es gibt andere Welten als diese.1 1.)Stephen King: „Der dunkle Turm, Drei“