Zuwendung
Nicht von ungefähr schreibe ich darüber. Der Antwortbrief meines Bruders von gestern lässt das Thema Ehecrash in völlig neuem Licht erscheinen.
Ein Chansontext, im Jahr 1973 von Erika Pluhar gesungen und von mir auf Magnetband festgehalten, will mir nicht aus dem Sinn. Warum er mir genau jetzt einfällt, ist nicht von ungefähr: „Ich weiß nicht zu wem ich gehöre..... Wenn ich dir grad’ jetzt Treue schwöre, wird Morgen ein Anderer unglücklich sein. Soll denn so etwas Schönes nur Einem gefallen, die Sonne, der Mond gehör’n doch auch allen... Ich weiß nicht zu wem ich gehöre, ich glaub’ ich gehöre nur mir ganz allein.“
Wenn der Mensch die Erde betritt braucht er Zuwendung, um zu überleben. Instinktiv sucht er wie das Tier nach der Stelle, die Nahrung verheißt, der Mutterbrust. Wärme und Geborgenheit, Feuchtigkeit und Enge sind dem Erdenneuling als Erinnerung an den Ort seiner Herkunft im Hirn eingeprägt.
In Momenten der Unsicherheit wird er sich klein machen und returieren wollen, ein Ding der Unmöglichkeit, aber die Kängurus haben doch auch einen Beutel. Zuwendung ist also ein Überlebensfaktor.
Braucht er den Mutterkörper nicht mehr, ist er doch noch immer auf direkte Hilfe angewiesen. Am Ende, nach Pflichterfüllung, wird das wieder so sein. Kraft und Geschick sowie Organisationstalent liegen bei den Überlebenstrainern - den Eltern. Dieses ist die Urform der Zuwendung, will meinen der Starke wendet sich dem Schwachen zu und teilt mit ihm ein Stück des Lebensweges. Diese, zum Teil animalisch vorgeprägte, zum Teil rational, kopfgesteuerte Zuwendung ist der Anfang eines Kulturgutes, auf das der Mensch stolz ist.
Verschiedene Kulturen kennen verschiedene Arten, damit umzugehen, meist sind es die weiblichen Wesen, die diesen Part erfüllen. Entwicklungsgeschichtlich hat Mutter Natur der Frau den bewahrenden Anteil, dem Mann angeblich den zerstörenden mitgegeben. Wie sonst kämen solche Phänomene, wie Kriege zustande? Gleichzeitig winseln da verblutende Jungmänner im Schützengraben, machen sich vor Angst ein und rufen sterbend nach ihrer MAMA.
MAMA ist außerdem international. Diese Form der Zuwendung hat ihren natürlich zwingenden Beginn und muss ein Ende haben. Wieder erscheint das Gesetz vom Anhäufen einer Quantität und dem Umschlag in eine neue Qualität? Mütter müssen loslassen können, auch wenn es weh tut. Wie sollte ihr Anteil von einer Anderen weiter getragen werden? Gleichzeitig finden wir hier den Ansatz zum „Böse Schwiegermutter Syndrom“.
Im Manne steckt also irgendwo verborgen die Liebe zu seiner ersten Frau, seiner Mutter. Wenn der Kerl auf eigenen Beinen steht, wenn ihn die Natur fertiggestellt sieht, dann kreisen die Hormone. Der Blick scheint getrübt, der Kreislauf läuft zur Hochform auf, man fühlt sich überstark, bereit zu Wahnsinnstaten - und das heißt Liebe.
Animalisch gesehen, das Signal der Fortpflanzungsbereitschaft - der Mensch macht daraus einen Kult. Dieser Kult gipfelt in einem staatlichen bzw. religiösen Ritual, der eine Organisationsform - Ehe - im Sinne der Gesellschaft fundamentiert. Zwei wesentliche Inhalte sollen gesetzlich verbrieft werden, was eigentlich nicht möglich ist, 1. die Selbstbestätigung, 2. das Besitzrecht. „...In guten und in schlechten Tagen, bis das der Tod euch scheidet....“ Berechtigt in einer historischen Phase, wo der Mann als Ernährer, die Frau als Hausmütterchen exakt definiert war, verliert dieser Inhalt heute an Wichtigkeit. Die Zeugung von Nachwuchs kann nicht der heilige Zweck der Zuwendung sein. Zuwendung in seiner postkindlichen Phase hat ein anderes Bild. Es besteht aus - Bemerken (sehen, riechen, fühlen, schmecken, hören), - aufeinander Zugehen und Zusammensein. Später kommt das zeitweise trennen als Moderationsfaktor hinzu und auch das Wechseln, das Trennen für immer gehört zur Zuwendung. In jedem Gefühl/Handeln ist das Gegenteil immanent. Im Zuwenden das Abwenden, in der Liebe der Hass und in der Freude das Leid. Zuwendung ist nicht statisch vorhanden.
Sie will erworben und gepflegt sein. Erwerben kann man sie auf unterschiedlichste Art. Auch mit Geld. Noch hat unsere Gesellschaft ein Problem mit der Prostitution, aber es ist nichts anderes als der vertraglich fundamentierte, kurzfristige Erwerb einer Zuwendung, die zeitweise „genitale Nutzungsberechtigung“ auf finanzieller Basis. Zuwendung geben auch verschiede Serviceberufe, wie Masseure und Mani- und Pedikeure, Fittnesstrainer, Animateure und Friseure - auch Ärzte und Altenpfleger, Lehrer und alle Pädagogen. Ob die sich ihrer komplizierten Verpflichtung bewusst sind? Alle, die sich direkt mit dem Individuum befassen sind Zuwendungsge- oder verbunden.
Der Einzelne legt wert auf „Chefarztbehandlung“, der MENSCH existiert egozentrisch und besitzorientiert. Schwierigste Form zum „Verdienen“ von Zuwendung ist die kooperative Attraktivität. Warum nur das Weibchen für das Männchen schön sein muss, derweil der Pascha sich unrasiert, schlecht riechend und Bier trinkend mit abnormalen Freizeitbeschäftigungen präsentiert ist unklar. Attraktivität steht oft als falsch verstandene Aussage, weil die Werbung für Alles, was sich nicht von allein verkauft uns suggeriert, Schön ist gleich schlank, gesund und (erfolg)reich, nicht von ungefähr macht Krankheit einsam. Macht kann auch Zuwendung zeitigen, sie verkehrt sich ins Gegenteil, wenn die Macht nachlässt. Mancher macht sich klein, ein anderer stellt sich schwach und leidend - es gibt auch das Verharren im elterlichen Schutzkreis. Natürlich ist die Nestflucht, das Hinausziehen in die Welt und wieder bin ich bei den einfachen, praktikablen Lehren der Märchen. Bewährung in der Fremde und „Heimkommen“ mit der Braut - „...und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute...“
Weil’s nichts „for nothing“ gibt und wir es bis zum Ende eigentlich alle brauchen, sollten wir mehr als einen Gedanken daran verschwenden und nicht die Zuwendung mit Sex, Trieb oder Gier nach Besitzstand abhandeln. Der KIK ist ein Erlebnis! Orgasmen müssen sein! Erlebter Kulminationspunkt von Zuwendungen, gleichzeitig Abbruch und Vollendung zum Zweck der Vermehrung (erinnern wir uns dran). Wer Zuwendung als Sport, Dating zum Selbstzweck missbraucht ist im falschen Film oder schlicht und ergreifend krank. Ich selbst habe mal das Koppeln von Glücksmomenten gepredigt, eine Idee aus der Jugend resultierend daraus, dass man das Harte, Schwere und Belastende scheinbar vergisst, eher verdrängt. Damals hatte ich noch nicht das Balance - Prinzip der Natur erkannt. Wo Plus ist muss auch Minus sein, meine Wellentheorie, die im Kleinen genauso wie im Großen zutrifft. Mein Leben hat mich gelehrt, dass jedes „seinen Preis“ hat und das man auch die Zuwendung von „Mutter Natur“ erspüren kann.
Zuwendung gibt man oder sie wird gegeben. Basis kann der freie, unabhängige Wille aber auch Zwang sein. Zuwendung existiert nicht nur ausschließlich gegenüber einen Menschen, es kann sich um Gruppen (Familie/Verwandtschaft), Gruppierungen (Freundeskreis, Partei, andere Vereine/Vereinigungen) oder gar abstrakte Gebilde, wie Staaten u.a.m. handeln. Bezüge sind so reich, wie der Mensch unterschiedlich ist und gehen bis in die Ebene der „nichtlebenden“ Materie oder gar ins Imaginäre.(Gott, Geister, Verstorbene u.a.m.)
Zuwendung erhält man durch Zuneigung aber auch infolge finanzieller Vorzüge oder nach Karriere/ Erfolg. Macht kann Bewunderung und diese Zuneigung/ Zuwendung nach sich ziehen.
Vielleicht ist es angebracht, hier Zuwendung und Zuneigung zu scheiden. Zuwendung ist ein Stück Lebensnotwendigkeit. Gefahr besteht in dem Suchtinhalt, wie schon I. Ehrenburg bei der Schauspielerin beschreibt, die ihr Leben auf der Bühne vom Jubel lebte und plötzlich ins Parkett zurück muss. Gleiches geschieht, wenn sich „Zuwendungsbescheide“ (im Westen mit Geld verwoben) lösen, ändern oder aufhören zu existieren. Als Gegenteil ist die Abwendung ihr unmittelbarer Nachfolger. Endogene Depressionen können kausale Folge sein. „...Etwas Warmes braucht der Mensch!...
Gewollte/ wünschenswerte Zuwendung scheidet sich von unerwünschter, genauso wie bewusst, gesund und zwangsläufig erhaltene im Alter/ Krankheitsfall. Die Größe und der Umfang werden weder definiert noch erscheint das primär wichtig. Die Kirche als Inhaltstransmitter existiert so schon über 2000 Jahre und stellt einen nicht zu unterschätzenden Faktor dar.