Kurzgeschichte
Sysiphus

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"Sysiphus"
Veröffentlicht am 07. März 2010, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Es tut mir leid, dass ich \\\"Restrisiko\\\" löschen musste, aber es ist jetzt in einer Kurzgeschichtensammlung namens \"Das Unfassbare\" vom ipm-verlag veröffentlicht worden. Wer Interesse hat, kann sich bei mir melden. Unter www.bookrix.de/-schneeflocke kann "Restrisiko" nach wir vor noch lesen. LG Flocke
Sysiphus

Sysiphus

Am Anfang ist es noch neu, unbekannt, aufregend. Ich wundere mich über die leeren Blicke all derjeniger, die neben mir ihren eigenen Stein den Berg hinauf rollen. Mit hängenden Schultern gehen sie, und ihre ganze Haltung drückt Resignation aus. Ihre Augen sind so grau und glanzlos wie die Steine, die sie emporwuchten, und bei manchen erscheint es gar so, als seien ihre Hände bereits mit der kühlen, grauen Oberfläche verwachsen. Ihre Füße schlurfen lustlos und kraftlos den Hang hinauf, nackte Erde klafft unter ihren Schuhen wie eine offene Wunde, so oft sind sie diesen Weg schon gegangen, dass sie tiefe Spuren darin hinterlassen haben. Selbst oben, kurz unter dem Gipfel, wo die Wiese einem steilen Felshang weicht, haben sie sich einen Weg in den harten Stein gegraben.

Frohen Mutes nehme ich die Herausforderung an, ich sage mir, dass es bei mir anders sein wird, dass ich niemals aufgeben werde, ich bin jung und enthusiastisch. Und so kremple ich meine Ärmel ein wenig nach oben, gehe leicht in die Knie. Ein letztes, tiefes Einatmen, meine Lungen füllen sich mit frischer, unverbrauchter Luft. Mein Körper scheint vor Kraft zu strotzen. Ein letztes Mal dehne ich meine Muskeln, dann beuge ich mich hinab. Eine erste, versuchsweise Kontaktaufnahme mit dem kühlen Stein. Vorsichtig lege ich meine Handflächen auf die raue Oberfläche, drücke mich vom weichen Erdboden ab, stemme mich gegen das erstaunlich schwere Gewicht. Auch wenn der Stein so groß und schwer aussah, bin ich doch ein wenig überrascht. Immer mehr Kraft wende ich auf, der Schweiß tritt mir bald in Tropfen auf die Stirn, ich spüre regelrecht, wie sich meine Muskeln verknoten und verkrampfen, und noch immer bewegt sich der Stein nicht. Mit einem entschlossenen Aufschrei lege ich meine letzte Kraft in die Bewegung, und da werde ich belohnt. Ganz langsam, Zentimeter für Zentimeter, bewegt sich der schwere Felsbrocken. Schritt um Schritt stapfe ich nun den Berghang hinauf, das Gras ist noch grün und frisch wie die Luft, die ich in tiefen Zügen keuchend einatme, und jeder Schritt erscheint mir noch ein wenig anstrengender als der letzte. Das wird schon, sage ich mir, mir fehlt nur die Übung, mein Körper muss sich erst noch daran gewöhnen, dann wird es leichter, ganz bestimmt. Als ich dann nach einer ganzen Weile erschöpft oben am Gipfel anlange, bin ich so stolz, dass ich zunächst gar nicht bemerke, dass ich allein hier oben stehe. Denn der Stein ist schon längst wieder auf dem Weg nach unten, unaufhaltsam rollt er bergab, den ganzen Hang hinab, den ich ihn so mühsam hinaufgestemmt habe.

„Und das soll alles gewesen sein?“, frage ich mich, ein wenig enttäuscht darüber, wie lange die Plackerei andauerte und wie kurz dagegen das Gefühl des Triumphes war, das schon wenig später überschattet wird von dem Wissen, dass meine Arbeit nicht beendet ist, es nie sein wird. Ein ums andere Mal werde ich den Stein hier hinauf wuchte, jedes Mal ein wenig erschöpfter, jedes Mal ein wenig mutloser, und jedes Mal wird das Triumpfgefühl kürzer sein, wenn ich es denn überhaupt noch verspüre. Und mein Blick, der anfangs noch hoffnungsvoll in die Ferne schweifte, nach anderen Gipfeln Ausschau hielt, während ich mich am Farbenspiel des Himmels und an dem Gefühl des frischen Grases unter meinen Füßen erfreute, konzentriert sich immer mehr auf den grauen Stein und die immer gleiche, graue, harte Oberfläche. Das frische Gras welkt unter den Sohlen meiner Schuhe, und nach und nach tritt auch auf meinem Weg der nackte Erdboden zutage, kahl und öde.

Was hat meine Arbeit für einen Wert, wenn sie neu beginnt, kaum dass ich sie abgeschlossen glaube? Was hat es für einen Sinn, den Stein ein ums andere Mal auf den Berg zu schleifen, wenn er doch immer wieder nach unten rollt, so unaufhaltsam, wie die Sonne jeden Morgen auf und jeden Abend wieder untergeht? Es ist ein ewiger, endloser, sinnentleerter Kreislauf.

Doch irgendwann, nachdem ich aufgehört habe, die Tage zu zählen, nachdem ich aufgehört habe, nach einem Sinn zu suchen, wird es leichter. Jetzt gibt es nur noch den Stein und mich, wir sind zu einer Einheit verschmolzen. In dem Moment, in dem ich mich selbst aufgegeben habe, in dem Moment, in dem ich aufgehört habe, mich zu fragen, ob das alles war, ob es nicht einen tieferen Sinn in meinem Schaffen geben könnte, in diesem Moment werde ich zu einem Teil des Steins. Meine Haut ist jetzt grau, wie die der anderen, und auch mein Gesicht gleicht dem Stein, kalt und ungerührt, und das Leuchten meiner Augen ist erloschen. Doch das ist gut. Jetzt sehe ich nicht mehr so weit in die Ferne, ich sehe nicht, was ich ja doch nie erreichen kann. Ich sehe nur noch den nächsten Schritt, und den kühlen, grauen Stein, den es zu bewegen gilt.

 

© by Schneeflocke

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schneeflocke
Es tut mir leid, dass ich \\\"Restrisiko\\\" löschen musste, aber es ist jetzt in einer Kurzgeschichtensammlung namens \"Das Unfassbare\" vom ipm-verlag veröffentlicht worden.
Wer Interesse hat, kann sich bei mir melden.
Unter www.bookrix.de/-schneeflocke kann "Restrisiko" nach wir vor noch lesen.
LG Flocke

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schneeflocke Re: -
Zitat: (Original von Joesieg7 am 18.03.2010 - 19:13 Uhr) Sind sehr schöne Zeilen die einen selbst zum nachdenken bringen auch wenn man schon etwas älter ist. Seil lieb gerüßt von Elke


Hallo Joesieg7!
Wieder einmal vielen Dank für die Bewertung und den Kommentar! Freut mich wirklich, dass ich dich nachdenklich gemacht habe, denn so etwas ist das Ziel eines jeden Autors (und ein großes Kompliment).

Liebe Grüße,
Tina
Vor langer Zeit - Antworten
Joesieg7 Sind sehr schöne Zeilen die einen selbst zum nachdenken bringen auch wenn man schon etwas älter ist. Seil lieb gerüßt von Elke
Vor langer Zeit - Antworten
schneeflocke Re: Hach ja, -
Zitat: (Original von Luzifer am 07.03.2010 - 20:31 Uhr) ich mag diese Geschichte. Sie ist so schön lebensnah und logisch.
Ich habe nur nie verstanden, warum den Fels überhaupt nach oben schaffen. Zu Anfang ist unten auch Gras und frische Luft. Die Sonne scheint und wenn man sich auf den Felsen legen würde, hätte man einen schönen Platz zum Schlafen. Warum sich die Träume zerstören lassen, wenn man unendlich davon haben kann? Realität ist immer das, was man daraus macht, heißt es doch. Warum dann sie dann nur auf den nächsten Schritt einengen? =)

LG
Luzifer


Hallo Luzifer!

Freut mich wirklich, dass dir auch diese Geschichte gefallen hat! Tja, das ist die Frage, warum wir uns immer und immer wieder mit diesem verdammten Stein abrackern. Manchmal wär es vielleicht wirklich besser, seinen Träumen nachzuhängen. Aber irgendwie wollen diese blöden Rechnungen, die allmonatlich ins Haus flattern, eben bezahlt werden.

Liebe Grüße,
Tina
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Hach ja, - ich mag diese Geschichte. Sie ist so schön lebensnah und logisch.
Ich habe nur nie verstanden, warum den Fels überhaupt nach oben schaffen. Zu Anfang ist unten auch Gras und frische Luft. Die Sonne scheint und wenn man sich auf den Felsen legen würde, hätte man einen schönen Platz zum Schlafen. Warum sich die Träume zerstören lassen, wenn man unendlich davon haben kann? Realität ist immer das, was man daraus macht, heißt es doch. Warum dann sie dann nur auf den nächsten Schritt einengen? =)

LG
Luzifer
Vor langer Zeit - Antworten
schneeflocke Re: Langsam -
Zitat: (Original von Robin am 07.03.2010 - 19:00 Uhr) habe ich wirklich das Gefühl, dass wir über die selben Sachen nachdenken und das wir uns mit den selben Dingen auseinander setzen.
Das war einfach beeindruckend. Als hättest du meine Gedanken gelesen und sie in deine Kurzgeschichte verpackt. Dieser erste Enthusiasmus, das Träumen etwas zu erreichen, um dann doch zu sehen, dass es eine endlose Plackerei ist, dass man nichts erreichen wird hast du sowas von genial mit der Sage der Sysiphus dargestellt, das es mir zuerst die Sprache verschlagen hat.
Und dann am Ende das Einsehen, das Aufhören zu träumen. Wow, eine grandiose Darstellung, muss ich wirklich und neidlos zugeben. Toll, ich bin einfach begeistert!

Liebe Grüße
Lisa


Hallo Lisa!
Vielen, vielen Dank für den lieben Kommentar (und die Bewertung und den Favo). Ich hab mich wirklich darüber gefreut.
Das hier war eigentlich eher so eine Gedankenspielerei, ich war nicht mal sicher, ob ich es wirklich online stellen soll, jetzt bin ich froh, dass ich es gemacht habe...
Ja, geht mir in letzter Zeit auch so, wenn ich deine Geschichten lese, wir scheinen wirklich oft über dieselben Dinge nachzudenken.
Deswegen freut es mich um so mehr, dass es dir gefallen hat, wie ich es in Worte gepackt habe.

Liebe Grüße,
Tina
Vor langer Zeit - Antworten
Robin Langsam - habe ich wirklich das Gefühl, dass wir über die selben Sachen nachdenken und das wir uns mit den selben Dingen auseinander setzen.
Das war einfach beeindruckend. Als hättest du meine Gedanken gelesen und sie in deine Kurzgeschichte verpackt. Dieser erste Enthusiasmus, das Träumen etwas zu erreichen, um dann doch zu sehen, dass es eine endlose Plackerei ist, dass man nichts erreichen wird hast du sowas von genial mit der Sage der Sysiphus dargestellt, das es mir zuerst die Sprache verschlagen hat.
Und dann am Ende das Einsehen, das Aufhören zu träumen. Wow, eine grandiose Darstellung, muss ich wirklich und neidlos zugeben. Toll, ich bin einfach begeistert!

Liebe Grüße
Lisa
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