Niedergeschlagen sass Priska am Boden, an den grossen Felsen gelehnt. Der Schmerz, von ihrem vorherigen Sturz, hatte sich langsam bemerkbar gemacht und begleitete ihre Hoffnungslosigkeit. Der am Morgen durch ihre Rettung erlangte Mut hatte sich längst in Luft aufgelöst.
Neben ihr lief Parsola unruhig hin und her. Er dachte sich schon seit einer geraumen Zeit einen Plan aus, um Salnorma erneut zu retten. Doch dies mal war dies bei weitem schwieriger, als das letzte Mal, da Almanion sicher nicht so blöd war, ihn wieder an den selben Ort zu sperren, wo er so einfach zu erreichen war.
Nach einer Weile setzte sich Parsola neben sie.
„Es wird sehr gefährlich werden, dass ist alles was ich weiss. Möglicherweise werden wir scheitern und ebenfalls Gefangene der Dunkeln Prinzessin werden... Ich kann dich nicht zwingen mit zu kommen. Der Rückweg von hier aus ist sehr einfach, du musst...“
„Nein“, unterbrach ihn Priska entschlossen, „ich werde natürlich mitkommen. Ohne Salnorma wäre ich hier verloren gewesen!“
Parsola warf ihr einen letzten, prüfenden Blick zu, dann richtete er sich auf.
„Dann lass uns jetzt gehen!“, sagte er.
„Hast du denn schon eine Plan?“, fragte sie ihn erstaunt.
„Nein, noch nicht. Aber wir können nicht länger untätig hier sitzen bleiben“, antwortete er und drehte sich zum gehen um.
Stöhnend richtete sich Priska ebenfalls auf und folgte ihm. Ihr Bein tat ihr zwar wegen des Sturzes höllisch weh, doch sie liess sich nichts anmerken.
Der Weg zur Burg erschien dem Mädchen so viel länger, als eben noch heute Morgen. Parsola lief schweigend neben ihr her, den Blick wachsam in den Wald gerichtet.
„Wir müssen einen Weg finden in ihre Festung reinzukommen!“, sagte er plötzlich.
„Das wird bestimmt nicht einfach sein“, entgegnete Priska zweifelnd.
„Oh nein, da hast du völlig recht,...aber es muss einen wunden Punkt geben!“
Da war sich Priska ganz und gar nicht sicher. Das einzige was sie bisher von der Burg gesehen hatte waren hohe steinerne Fassaden.
Plötzlich blieb Parsola abrupt stehen und drehte sich langsam zu ihr um.
„Dass ist es!“, rief er triumphierend, „jede Burg verbraucht Wasser...“
„Ja, und?“ fragte Priska verwirrt, was hatte das mit Salnormas Rettung zu tun?
„Na überlege doch mal, wo kommt dieses Wasser her und wo fliesst es hin“, stolz über seinen scheinbar genialen Einfall.
„Keine Ahnung...“, noch immer verstand sie nicht, worauf er hinaus wollte.
„Das ist doch klar, es muss einen ober- oder unterirdischen Zugang zur Burg geben!“
„Ja, natürlich du hast recht!!“, rief sie begeistert.
„Wir müssen also nur die Festung umlaufen, und nach einem Bach suchen“
Etwas schneller und zielstrebiger liefen sie nun weiter.
Stundenlang wanderten sie durch den dichten, dunklen Wald, ohne auch nur auf ein Rinnsal zu stossen. Priska wurde vom Laufen immer müder und schaffte es kaum noch einen Fuss vor den anderen zu setzen.
Es dämmerte schon, als Parsola, der vor ihr lief stehen blieb.
„Sieh dir das an!“, er deutete nach vorne.
Als Sie ihn eingeholt hatte, entdeckte nun auch Priska was er meinte. Ein schmaler, dreckiger Fluss schlängelte sich zwischen den Bäumen entlang.
„Endlich!“ stiess sie seufzend aus.
„Mir wäre es zwar lieber gewesen, die Trinkwasserzufuhr zu finden“, meinte er mit gerümpfter Nase, „ aber das wird auch gehen.“
Sie verfolgten den Flusslauf. Sehr vorsichtiger, denn sie wussten, dass sie jeden Moment entdeckt werden könnten.
Endlich kam die Burg in Sicht. Es wurde nämlich langsam wirklich dunkel, und sie konnten nicht mehr viel sehen. Der Fluss schien direkt aus der Mauern rauszufliessen. Erleichtert schlichen sie sich in den Schatten der gerade mannshohen Öffnung.
„Oh nein“, stöhnte Priska auf, „da ist ein Gitter!!“
„Was hast du denn erwartet, ein direkter Zugang in den Thronsaal?“, sagte er etwas spöttisch und wühlte in seiner Jacke.
„Setze dich etwas hin, dass kann eine Weile dauern“, brummte er und zog eine Säge hervor.
Glücklich über eine Pause liess sich das Mädchen an Ort und Stelle nieder.
Beinahe sofort schlief sie ein.
Von einem harten rütteln wurde sie wieder geweckt. Es schien ihr, als hätte sie kaum geschlafen.
„Wir können weiter“, flüsterte Parsola, der vor ihr stand.
Bei dem Fenster ihres Verlieses hatte er säuberlich zwei Gitterstangen entfernt, sodass am Rand des Tunnels eine kleine Öffnung entstanden war. Wenn man nicht genau hinsah, konnte man sie leicht übersehen.
Priska stand auf und sie kletterten auf die andere Seite, ins innere der Burg. Parsola entzündete eine Fackel, die er an der Wand in einer Halterun stand.
Der Weg dort war sehr beschwerlich. Sie mussten auf einem schmalen Bord laufen, das am Rand des Tunnels nur wenige Zentimeter aus dem Wasser ragte. Etliche male fiel Priska beinahe in die stinkende Brühe, die neben ihnen floss.
„Was werden wir überhaupt tun?“, fragte sie nach einer Weile.
„Ich werde erstmals hoch klettern und schauen wo wir uns befinden“, antwortete Parsola und deutete auf einige verrostete Sprossen an der Wand.
„Ist das nicht gefährlich?“, ängstlich schaute sie nach oben, an die Decke, wo sich eine Metalltür befand.
„Natürlich ist es das! Alles hier ist gefährlich. Wir befinden uns in der Burg des Feindes, da ist nichts anderes zu erwarten“, sagte er, drückte ihr die brennende Fackel in die Hand und ging auf die Sprossen zu. Dann begann er vorsichtig daran hoch zu klettern. Vorsichtig prüfte er jede einzelne, da sie nicht sehr vertrauenswürdig aussahen.
Oben angekommen verharrte er horchend, dann drückte er mit der Schulter gegen die Metallplatte. Sie schien nicht verankert zu sein, denn Parsola schob sie ohne grosse Mühe ein Stückchen zur Seite.
Als er noch immer nichts verdächtiges hörte, streckte er den Kopf aus der Öffnung und schaute sich um.
Kürze Zeit später stand er schon wieder neben ihr und sie liefen weiter.
„Es scheint sich um eine Art Waschstube zu handeln“, berichtete er, „zum Glück war niemand zu sehen. Ich denke wir müssen noch weiter in diese Richtung.“
Priska nickte stumm.
Nach kurzer Zeit kamen sie an eine Abzweigung. Ein etwas schmalerer Gang führte nach rechts.
„Ich muss wohl nochmal hoch!“, meinte Parsola und lief zielstrebig zu der nächsten Leiter, die sich nicht weit von ihnen in dem neuen Gang befand.
Priska ging ihm mit der Fackel hinterher.
„Sehr gut!“, flüsterte er, als er zurückkam, „Es scheint mir, als ob wir uns eurem alten Verliess nähern!“
„Glaubst du, dass er sich im selben Teil des Gebäudes befindet?“, fragte Priska hoffnungsvoll.
„Oh, nein, nicht unbedingt. Aber hier können wir uns gut an die Oberfläche schmuggeln. Die Nacht ist aber zu fortgeschritten. Wir müssen den morgigen Abend abwarten. Lass uns noch ein Stück weitergehen und einen Platz zum Rasten suchen
„Gut“, murmelte das Mädchen. Sie war äusserst froh, dass sie nicht jetzt weiter mussten, an die Oberfläche, wo es noch viel gefährlicher als hier war. Nur Salnorma machte ihr Sorgen. Was wenn sie Morgen schon zu spät kämen und er schon lange tot war?
„Da, schau!“, riss sie Parsola aus ihren Gedanken und deutete auf eine dunkle Nische in der sich einige verstaubt Fässer befanden, „das ist der perfekte Platz zum schlafen.
Als einen 'perfekten Schlafplatz' hätte Priska diesen stinkenden Ort nicht bezeichnet, aber sie würde sich damit zufrieden geben müssen.
Sie schoben die Fässer etwas bei Seite und legten sich auf den kalten, harten Boden.
Schon nach kurzer Zeit hörte sie Parsola leise neben sich schnarchen, aber sie selbst fand einfach keinen Schlaf. Wie schnell sich ihr Leben verändert hatte, auf dieser mysteriösen Insel... Bei diesen Gedanken fiel ihr die Kette wieder ein, die sie vor wenigen Tagen im Meer gefunden hatte.
Sie tastete um ihren Hals und stellte verwundert fest, dass sie noch da war. Die Alganinen hatten den Anhänger also nicht bemerkt.
Vorsichtig nah sie ihn ab, um ihn nochmal eingehend zu betrachten. Wie fein bearbeitet er war, ' der berühmteste Goldschmied des ganzen Landes' hatte Salnorma erzählt... Salnorma, wo er sich jetzt bloss befand, nahe von hier, lebte er überhaupt noch?
Mit vielen unbeantworteten Fragen, fiel sie schliesslich in einen unruhigen Schlaf.
Viel später, jedenfalls erschien es ihr, als wären Ewigkeiten vergangen, wachte Priska auf.
Ihr ganzer Körper tat ihr von dem Liegen auf dem ungemütlichen Boden weh.
Ächzend richtete sie sich auf. Parsola lag noch immer schlafend neben ihr.
Gerne hätte Priska gewusst, wie spät es war, aber bei der Dunkelheit hier unten, war dies unmöglich zu ermitteln.
Vorsichtig rüttelte sie an Parsolas Arm, um ihn zu wecken.
Gähnend rieb sich dieser über die Augen.
„Ich muss kurz hoch, um zu sehen, wie spät es ist“, murmelte er noch etwas verschlafen, „Bleibe du hier und warte, ich komm gleich wieder.
Er stand auf und lief in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Priska blieb alleine in der vollkommenen Dunkelheit zurück. Plötzlich ergriff sie Panik. Was wenn sie Parsola gefangen nahmen und er nicht mehr zurückkehren würde? Könnte sie alleine wieder hier raus finden, ohne Licht?!
Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie ein Geräusch hörte.
Erleichtert stellte sie fest, dass es sich nur um Parsola handelte, der schon zurück kam, was für ein Glück.
„Und?“, fragte sie, „können wir los?“
„Ja, ich denke schon, es dämmert“, antwortete er nachdenklich, „am besten gehen wir aber noch ein Stück in diese Richtung“, er deutete tiefer in den Gang hinein.
Nach etwa 500m kamen sie an den nächsten Sprossen an.
„Diesmal gehe ich!“, sagte Priska entschlossen.
„Nein, das kommt nicht in Frage“, entgegnete Parsola streng.
Doch Priska hörte nicht auf ihn und kletterte die Sprossen hoch. Oben angekommen horchte sie, wie Parsola es immer tat. Als sie nichts hörte schob sie die Platte ein Stückchen nach aussen und linste hinaus. Sie befand sich scheinbar in einem dunklen Gang, der sehr dem ähnelte, in dem sie sich eben noch befand. Nur der stinkende Wasserlauf fehlte.
Plötzlich hörte sie leise Schritte. Ihr blieb keine Zeit, die Türe wieder zu verschliessen, also blieb sie, wo sie war und hielt den Atem an. Die Personen, es handelte sich um zwei Fusspaare, blieben stehen.
Durch den Schlitz konnte Priska die Umrisse zweier, in lange schwarze Kleider gehüllte Frauen sehen, die sich leise unterhielten.
„...sie war sehr wütend, als sie davon erfuhr“, die Stimme war hoch und krächzend.
„Oh ja, das ist klar, sie hat immerhin zwei Gefangene verloren, das ist ihr noch nie passiert!“sagte die andere und riss an einer Holzklappe vor ihr an der Wand auf.
„Sie hat ihre Wächterin gleich Köpfen lassen“, sagte die erste spöttisch und liess Priska zusammenzucken.
„Das geschieht ihr recht. Zum Glück wurde einer der beiden Gefangenen wieder eingefangen.“
Die Frau schob einen Kübel in die Öffnung, der wenig später polternd auf der anderen Seite aufkam.
„Ja, der im Turm.“
„Der Junge. Das wird im noch Leid tun, dass er einfach so geflohen ist,“ die Frau lachte hämisch, schloss die Klappe und beide verschwanden um die nächste Ecke.