Fantasy & Horror
Mondstrahlen - Teil 6

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"Mondstrahlen - Teil 6"
Veröffentlicht am 27. Februar 2010, 26 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Es tut mir leid, dass ich \\\"Restrisiko\\\" löschen musste, aber es ist jetzt in einer Kurzgeschichtensammlung namens \"Das Unfassbare\" vom ipm-verlag veröffentlicht worden. Wer Interesse hat, kann sich bei mir melden. Unter www.bookrix.de/-schneeflocke kann "Restrisiko" nach wir vor noch lesen. LG Flocke
Mondstrahlen - Teil 6

Mondstrahlen - Teil 6

Beschreibung

Fortsetzung

8. Spuren im Schnee

 

Caitlin

 

Ich war gerade dabei, das Feuer zu schüren – es war sehr kalt geworden, der Winter ballte seine eisige Faust über uns, und in der Nacht waren die Temperaturen so tief gesunken, dass selbst das Wasser in dem Kessel, der immer über dem Feuer im Kamin hing, zu Eis gefroren war. Zitternd kauerte ich nun über der Feuerstelle, in der nur noch ein wenig Asche glomm, und schichtete Späne und Zunder zu einem kleinen Berg, als ich das Klopfen vernahm. Irgend jemand pochte an unsere Türe, und ich war ein wenig überrascht, denn die Sonne war gerade erst aufgegangen. Die Sperrstunde endete erst mit dem ersten Licht des Morgens, daran hatte auch das lange Fest am Abend zuvor nichts geändert, und so musste, wer auch immer dort draußen war, es sehr eilig gehabt haben. Ich fragte mich, was er wohl zu dieser frühen Tageszeit von uns wollte. Erneut ertönte das Klopfen, drängend und laut dröhnte es durch die friedliche Stille des Morgens. Noch ein paar solche Schläge, und das ganze Haus wäre auf den Beinen...

 

***

 

Großvater schlief noch, ich war an seiner Kammer vorbei gegangen, als ich mich auf leisen Sohlen nach unten geschlichen hatte, um mich um das Feuer zu kümmern, und ich hatte das tiefe, gleichmäßige Schnarchen vernommen, das durch seine Türe gedrungen war. Wir waren gestern Abend erst spät vom Fest zurückgekehrt.

Es war eine lange Nacht gewesen, und nach dem Zusammentreffen mit Kellan war ich nicht mehr von Kians Seite gewichen. Immer wieder hatte mir der rothaarige Wachmann von der anderen Seite des Feuers flammende Blicke zugeworfen, die das Blut in meinen Adern in Eiswasser verwandelt hatten. Kian hatte bemerkt, dass ich mich unwohl fühlte, er hatte den Arm beschützend um meine Schulter gelegt und mir zugeflüstert, dass er dafür sorgen würde, dass der Mann mir nicht noch einmal zu nahe kam, dass ich in Sicherheit war. Ich hatte dennoch erleichtert aufgeatmet, als wir irgendwann mitten in der Nacht das Fest verlassen hatten und nach Hause gegangen waren.

Doch als ich schließlich endlich wieder allein in meiner sicheren Kammer gewesen war, die Tür fest hinter mir verriegelt und das Fenster geschlossen, hatte ich trotz allem das Gefühl des Unbehagens einfach nicht abschütteln können. Ich hatte mich beobachtet gefühlt, bloßgestellt, allein und verletzlich. Noch immer war mir gewesen, als lauere er irgendwo, als warte er nur darauf, dass ich meine Augen schließen würde, dass ich einen Moment unachtsam war. Es war mir erschienen, als bewegten sich die Wände meiner Kammer auf mich zu, unaufhaltsam, und als wäre die Luft in dem kleinen Raum auf einmal zu knapp geworden. Immer schneller war mein Atem gegangen, ich hatte keuchend nach Luft gerungen, war das Gefühl der Beklemmung einfach nicht losgeworden.

Und so hatte ich getan, was ich schon so lange Zeit nicht mehr getan hatte: ich hatte vor dem offenen Fenster auf meinen Beschützer gewartet. Eigentlich glaubte ich nicht mehr daran, dass er noch immer über mir wachte, aber an diesem Abend hatte ich mich so verzweifelt nach Schutz gesehnt, dass ich ein letztes Mal der Hoffnung nachgegeben hatte.

Er war nicht gekommen. Eigentlich hatte ich nichts anderes erwartet, aber ich war dennoch enttäuscht gewesen.

 

***

 

Erneut drang das laute, energische Klopfen an mein Ohr und riss mich aus meinen Gedanken.

Ich fürchtete, dass es meinen Großvater wecken könnte. Er war alt geworden in diesem Winter, und ich wusste, dass er die Ruhe brauchte. Deshalb erhob ich mich rasch, strich hastig noch einmal über mein zerzaustes Haar, um es einigermaßen zu ordnen, und zog meine Röcke zurecht. Es war wohl an mir, zu öffnen, eine Aufgabe, die ich lieber meinem Bruder überlassen hätte. Ich war nicht so geübt im Gespräch mit Männern, und die energische Art des Klopfens verriet mir, dass es ein Mann war, der dort Einlass begehrte. Doch dann gab ich mir einen Ruck und ging ein wenig zögernd auf die aus grobem Eichenholz gezimmerte Haustüre zu.

Mit noch vom Schlaf leicht vernebeltem Geist streckte ich eine Hand nach dem hölzernen Riegel aus, warm und beruhigend fest lag er in meiner Hand. Ein eisiger Luftstoß wehte mir entgegen, und erst jetzt vernahm ich das unheimliche, hohe Heulen des Winterwindes, der um die Häuser pfiff. Es klang wie das Klagen eines einsamen Tieres, und ich schauderte leise. Als sich meine Augen endlich an das draußen herrschende Dämmerlicht gewöhnt hatten, bereute ich jedoch augenblicklich, dass ich mir nicht hatte denken können, was es bedeutete, wenn jemand zu solch früher Stunde so lautstark gegen unsere Türe hämmerte. Jetzt war es zu spät. Wohin sollte ich vor den drei starken und zudem auch bewaffneten Männern fliehen, die sich vor mir aufgebaut hatten? Duncan sah mich traurig an, doch er konnte wenig ausrichten, wenn ihn zwei Zeugen begleiteten. Er musste sein Pflicht tun. Kellan grinste vergnügt und schadenfroh, während sein Blick so langsam wie eine Liebkosung über mich hinwegstrich. Mir war, als würde er mich in Gedanken entkleiden, und diese Vorstellung behagte mir gar nicht. Er zeigte eindeutig zu viel Interesse, und ohne Kians schützende Gegenwart fühlte ich mich unglaublich bloßgestellt. Ich schauderte. Der dritte Mann war mir unbekannt, er musterte mich ruhig und bedächtig, und seinen Augen fehlte das begehrliche Glitzern, dass ich in Kellans Augen wahrgenommen hatte, dennoch war er deswegen nicht unbedingt weniger gefährlich.

Ohne eine Einladung abzuwarten, traten die drei Männer an mir vorbei, und ich sprang hastig ein wenig zur Seite, um nicht grob aus dem Weg gedrängt zu werden. Duncan zog leise die Türe hinter sich ins Schloss, und der leise Laut, mit dem der Riegel wieder einrastete, klang in meinen Ohren unglaublich laut und bedrohlich. Dann bauten sich die Wachmänner mitten in der großen Stube auf, und ich bemerkte, dass sie sich absichtlich so positioniert hatten, dass sie mir den Weg zur Tür sowie den Weg nach oben in die Schlafkammern abschnitten.

Was wollten sie nur von mir? Ich war mir keiner Schuld bewusst – nun ja, jedenfalls keiner, die entdeckt worden war. Unsere Bücher waren gut versteckt, und Ray hatte ich seit über einem Mond nicht mehr gesehen. Meines Wissens hielt er sich von mir fern.

„Caitlin, es sind Spuren draußen im Schnee“, verkündete mir der Mann, dessen Namen ich nicht kannte, mit ernster Stimme. „Sie führen von deinem Fenster weg. Wir können uns nicht erklären, wie es dir gelingen sollte, so weit hinunterzuspringen, ohne dich zu verletzen, aber ich muss dennoch fragen: warst du heute schon einmal draußen?“

Dann war also in der Nacht wieder Schnee gefallen? Jetzt erst gewahrte ich die kleinen, weißen Flocken, die sich in den Haaren und Bärten der drei Männer verfangen hatten. Ich fragte mich, wie viel Schnee uns dieser Winter wohl noch bringen mochte – er lag bereits ellenhoch, und die Dächer bogen sich schon gefährlich unter ihrer Last.

„Nein“, antwortete ich verwirrt. Spuren? Im Schnee? Unter meinem Fenster? Wer konnte das gewesen sein? Dann traf mich die Erkenntnis wie ein Donnerschlag, mein Herz setzte einen Schlag aus, und ich spürte das saure Brennen der Übelkeit, die in mir aufstieg, als bitteren Geschmack auf dem hinteren Teil meiner Zunge.

Vielleicht war es doch kein Traum gewesen, dass Er letzte Nacht bei mir gewesen war. Dass er mich ganz vorsichtig aufgehoben und ins Bett getragen hatte. Ich hatte zufrieden aufgezeufzt, den Kopf an seine Schulter gelehnt, seinen Duft nach Wald und frischer Nachtluft eingeatmet und war glücklich darüber gewesen, dass ich ihn wenigstens in meinen Träumen noch sah. Ich war mir so sicher gewesen, geträumt zu haben! Es konnte einfach nicht sein. Er war verschwunden. Ich hatte ihn angefleht, nicht zu gehen, und er hatte es dennoch getan. So viel Zeit war inzwischen vergangen. Ich war mir so sicher gewesen, ihn nie wieder zu sehen! Und er hatte mir versprochen, mich nicht in Gefahr zu bringen!

Doch jetzt war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Mein Geheimnis war offensichtlich entdeckt worden. Ich wusste, welche Strafe ich zu erwarten hatte. Einen kurzen Moment fragte ich mich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, von Elenzars Hand zu sterben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Vampir grausamer gewesen wäre, als es die Menschen sein würden. Ich sah mich hilflos am Rande eines gähnenden Abgrundes taumeln, der geradezu danach zu gieren schien, mich zu verschlucken. Nur mühsam zwang ich meine Gesichtszüge dazu, zu einer ausdruckslosen Maske zu erstarren.

 

„Na, welche Leichen versteckst du in deinem Keller, Caiti?“, holte mich Kellans Stimme wieder in die Gegenwart zurück. Er zwinkerte mir verschwörerisch zu. Das sadistische Funkeln in seinen Augen gefiel mir nicht. „Glaub mir, wir finden sie alle.“

„Wag es nicht, mich so zu nennen!“, stieß ich wütend zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Selbst wenn sie mich in den dunkelsten Kerker stecken würden, den es in den Verliesen des Dorfes gab, noch war ich frei. Und es war keinem der Männer erlaubt, mich mit diesem Kosenamen anzusprechen, den einzig meine Brüder verwendeten. Ich mochte wenig Rechte haben, doch ich verfügte über das Recht meines Namens, und er demütigte mich, indem der ihn verwendete, ohne zuvor meine Erlaubnis oder die eines meiner Brüder erhalten zu haben. „Für dich bin ich immer noch Caitlin!“

„Das werden wir noch sehen“, zischte Kellan drohend und wiederholte damit seine Worte vom Abend zuvor, doch ich sah auch die Überraschung in seinen Augen – er schien Widerspruch nicht gewohnt zu sein. Das Erstaunen währte jedoch nur einen Augenblick und wurde dann verdrängt von unbändigem Zorn, den er nur mühsam zu unterdrücken schien. Sein ganzer Körper spannte sich, eine pulsierende Ader trat an seiner Schläfe hervor, und er funkelte mich so hasserfüllt an, dass ich instinktiv einen Schritt zurückwich.

 

Aus dem Augenwinkel sah ich da Colin oben an der Treppe erscheinen. Die drei Wächter kehrten ihm halb den Rücken zu, konnten ihn also nicht bemerken, wenn sie sich nicht umwandten. Mein kleiner Bruder blickte zu mir hinunter, und ich gewahrte, wie sich seine Augen erschrocken weiteten, als er die drei Wachen sah, die sich bedrohlich in einem Halbkreis vor mir aufgebaut hatten. Ich warf ihm einen beschwörenden Blick zu, das Gesicht nach wie vor zu einer reglosen Maske erstarrt, damit die Wachen keinen Verdacht schöpften. Mit einem leichten Nicken verschwand mein kleiner Bruder lautlos wieder nach oben. Er wusste, was er zu tun hatte. Ich hoffte nur, er war schnell genug.

 

„Ist es verboten, Spuren im Schnee zu hinterlassen?“, wandte ich mich nun kühl an die Männer, bemüht, mir meine Angst nicht anmerken zu lassen. Die Hoffnung, dass Kian bald an meiner Seite sein würde, gab mir neuen Mut.

„Nun – nein, eigentlich nicht“, gab der mir unbekannte Wächter zu. „Doch es sind frische Spuren. Es fällt noch immer Schnee, wer immer es gewesen ist, war also noch vor kurzem dort draußen. Und da die Sonne gerade erst aufgegangen ist...“

„Ich verstehe...“, nickte ich. Die Ausgangssperre untersagte es jedem Dorfbewohner, sein Haus zwischen Einbruch der Dunkelheit und dem Sonnenaufgang am nächsten Morgen zu verlassen. Am Mittwinterfest wurden für gewöhnlich Ausnahmen gestattet, doch diese Ausnahmen schlossen das Verlassen des Hauses kurz vor Sonnenaufgang nicht mit ein. Wenn die Spuren jetzt noch sichtbar waren, mussten sie gerade erst entstanden sein. Und somit lag ein Verstoß gegen die Regeln vor. Ich schluckte.

„Und dann wäre da noch immer die Möglichkeit, dass es einer der dunklen Kreaturen gelungen ist, an den Wachen vorbei zu kommen“, fuhr der Wächter fort. Kellan warf ihm einen eisigen Blick zu, so als fühle er sich in seiner Ehre verletzt.

„Oder natürlich könnte auch einer der Dorfbewohner dem Monster dabei geholfen haben, unbemerkt hier einzudringen“, führte der Mann unbeeindruckt weiter aus. Das war eine übliche und häufig vorgetragene Anklage: Verschwörung mit dem Feind. Hochverrat. Ich wusste auch, dass ich mich in dieser Hinsicht schuldig gemachte hatte, als ich mein Fenster für Ray öffnete. Ob es wohl tatsächlich so war, wie Priester Cyngann immer predigte, dass Gott alle Sünden sah? War er Zeuge meiner Sünden gewesen und hatte nun entschieden, dass es an der Zeit war, dass ich dafür zahlte? Der Priester hatte behauptet, die schlimmste Strafe sei nicht die Marterung unseres Leibes hier auf der Erde, die von Brans Männern durchgeführt wurde, sondern die ewige Verdammnis und die endlosen Qualen, die man im Leben nach dem Tod erleiden musste. Ich schauderte leise, als ich daran dachte, wie der Mann damals aufgeschrieen hatte, als sie ihn zu Tode folterten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es etwas Schlimmeres geben konnte als die Schmerzen, die ihm zugefügt worden waren.

 

Da vernahm ich auf einmal leise Schritte in meinem Rücken, und ich wandte mich rasch um. Es war Kian, der jetzt eilig die Treppe hinunterstieg, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengekniffen und einen entschlossenen Ausdruck in den blauen Augen. Einen Augenblick später war er an meiner Seite, legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter und schob sich ein wenig zwischen mich und Kellan, so dass dieser aus meinem Blickfeld verschwand. Ich seufzte erleichtert auf. „Kian...“

„Gibt es ein Problem, meine Herren?“, wandte sich mein Bruder an die Wächter. Jetzt, da er da war, wusste ich, dass niemand mehr das Wort an mich richten würde. Es wäre unschicklich gewesen und hätte von meinem Bruder als Beleidigung aufgefasst werden können. Für gewöhnlich hasste ich es, dass ich in Gegenwart meiner Brüder oder meines Großvaters von niemandem angesprochen wurde, doch in diesem Moment kam es mir sehr gelegen.

„Ja, allerdings. Unter Caitlins Fenster sind Spuren im Schnee entdeckt worden...“, setzte Duncan an.

„Ah, ich verstehe!“, fiel ihm Kian ins Wort. „Die stammen von mir. Caiti glaubte, etwas gegen ihr Fenster klopfen zu hören. Sie fürchtete sich, also ging ich nach draußen, um nachzusehen.“ Kian schüttelte leise lächelnd den Kopf. „Ihr wisst doch, wie die Frauen sind. Sie hören im Heulen des Windes Gespenster.“ Diese leicht abfällige Bemerkung tat ihre beabsichtigte Wirkung: die beinahe geladene Stimmung im Raum schien sich zu entspannen, und auf dem Gesicht des mir unbekannten Wächters zeigte sich ebenfalls ein kleines Lächeln.

„Da habt Ihr verdammt noch mal recht!“, meinte er. Trotz der gefährlichen Situation kam ich nicht umhin, das Geschick meines Bruders im Umgang mit den Wachen zu bewundern. Die Männer erlaubten sich gern Scherze auf Kosten der Frauen, obwohl ich mir sicher war, dass sie einen nicht vorhandenen Mut des männlichen Geschlechts zelebrierten. Worauf gründeten alle diese grausamen Gesetze, die unserer Sicherheit dienen sollten, wenn nicht auf Furcht? Und jedes einzelne dieser Gesetze war von Männern erlassen worden. In unserer Angst waren wir alle gleich.

Kian wirkte wie die Ruhe selbst, doch ich kannte ihn gut genug, und so fiel mir auf, dass sich seine linke Hand ganz allmählich zur Faust ballte. Er war nervös. Er wusste, was auf dem Spiel stand.

„Es war nur der Laden, der im Wind klapperte, Schwester“, sagte er dann in einem beruhigenden, leicht spöttischen Tonfall in meine Richtung. An die drei Wächter gewandt, fuhr er fort: „Der Morgen dämmerte bereits, und so dachte ich, dass es damit keine Verletzung der Ausgangssperre mehr sei.“

„Seltsamerweise führten die Spuren jedoch nur von ihrem Fenster fort. Wenn Ihr nach draußen gegangen sein wollt, dann müssten dort Spuren sein, die zum Fenster hin führen, nicht wahr?“, warf Kellan mit einem überlegenen Lächeln ein.

„Das sind sie auch“, meinte Kian ruhig.

„Seltsam, dass wir sie nicht gesehen haben“, gab Kellan ironisch zurück.

„Dann lasst uns doch nachsehen, meine Herren“, schlug Kian vor. Die drei Wachen nickten zustimmend, und über Kellans Gesicht huschte ein selbstzufriedenes Grinsen. Dann verschwanden die vier Männer nach draußen, die Schritte ihrer gestiefelten Füße hallten bedrohlich und seltsam endgültig über das Hartholz der Bodendielen.

 

Ich hielt den Atem an. Jetzt waren wir verloren! Die Wächter würden nur sehen, was sie bereits zuvor entdeckt hatten – dass die Spuren eben nicht zum Fenster hin, sondern nur davon weg führten. Kian würde als Lügner entlarvt werden, wir alle des Hochverrats angeklagt...mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft, und ich würgte trocken. Ich hatte noch nichts gegessen, und jetzt war ich froh über meinen leeren Magen. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, und ich grub die Nägel so fest in meine Handfläche, dass die blutigen Halbmonde noch Tage später zu sehen waren. Wie erstarrt wartete ich auf das Urteil, das unser Schicksal besiegeln würde.

„So ein Pech! Da hat der Schnee wohl schon alles überdeckt“, drang da Kians Stimme durch die halb offene Tür. Ich wagte einen vorsichtigen Atemzug. „Mein Wort gegen das Eure – so sieht es aus. Und ich sage, da waren sowohl Spuren zum Fenster hin als auch welche, die wieder zurück führten,“ fuhr mein Bruder fort.

„Dieses Mal lasse ich das noch einmal durchgehen. Aber wir werden Euch im Auge behalten. Seht Euch vor!“, drohte der namenlose Wächter.

Das knirschende Geräusch, mit dem sich die Stiefel der Wachen in den Schnee gruben, verklang, als diese sich entfernten. Ein schwacher Funken Hoffnung glomm auf und entzündete sich zu einem prasselnden Feuer in meinem Inneren. Wir waren gerettet! Ich konnte es kaum glauben.

 

Mit einem dumpfen Klicken fiel die Tür ins Schloss. Mein älterer Bruder atmete tief ein und lehnte sich mit dem Rücken gegen das dunkle Eichenholz, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen.

„Verdammt, das war knapp!“, fluchte er leise. Eine ganze Weile verharrte er so, und einzig seine sich allmählich beruhigenden Atemzüge, beinahe im Gleichklang mit den meinen, durchbrachen die herrschende Stille.

Dann fuhr Kian zu mir herum. Er stieß sich schwungvoll mit den Schultern von der Tür ab und kam auf mich zu, bis er so dicht vor mir stand, dass sein Atem über meine Wangen strich, als er leise auf mich einredete.

„Caiti...sag deinem Vampir, dass er vorsichtiger sein soll! Spuren im Schnee! Wie kann man nur so leichtsinnig sein! Wenn er es zuwege bringt, sich unbemerkt über die Palisaden zu schleichen, sollte er doch auch in der Lage sein, seine Spuren zu verwischen!“

„Ich...ich wusste nicht...“, stammelte ich.

Doch Kian schnitt mir mit einer knappen Geste das Wort ab. „Ich denke nicht, dass du ihn so schnell losgeworden bist. Du scheinst einen anziehenden Einfluss auf die falschen Männer auszuüben. Schau dir nur diesen Kellan an. Auch er wird sich offensichtlich nicht so schnell geschlagen geben.“

 

Dann flog die Tür erneut auf, und Colin huschte rasch hindurch. Hastig zog er sie hinter sich wieder ins Schloss und legte den Riegel vor. In der Hand trug er seine Schlafdecke, in deren gewebtem Stoff sich der Schnee verfangen hatte. Keuchend ließ er sich vor dem Kamin nieder, hängte die Decke über das Trockengestell und begann dann, mit bebenden Händen die Glut wieder zu entfachen, die in der Hektik des Morgens beinahe verloschen wäre. Als die Flammen wenige Augenblicke später knisternd an den Holzscheiten leckten, streckte Colin seine von der Kälte geröteten Finger aus und wärmte sie.

„Scheiße, war das eng!“, fluchte auch er jetzt. „Ich konnte mich gerade noch hinter dem Holzstoß verkriechen!“

Ich trat näher an den Kamin heran, um mich ebenfalls am Feuer zu wärmen, denn jetzt, da die größte Gefahr gebannt war, spürte ich erst, wie kalt es in der Stube geworden war. Mit eisigen Fingern schien sie unter meinem Rock emporzukriechen. Vorsichtig rückte ich noch ein wenig näher an die Flammen. Dann warf ich meinem kleinen Bruder mit hochgezogenen Brauen einen fragenden Blick zu.

„Kian hat mich losgeschickt, kaum dass die Wachen im Haus waren und etwas von Spuren im Schnee faselten“, erklärte Colin. „Ich bin durch das kleine Fenster über dem Abbort geklettert und hab alles mit Schnee zugedeckt. Kian hat sie dann noch ein klein wenig abgelenkt, und ich hab es gerade noch so geschafft, mich hinter den Holzstoß zu zwängen, ehe die Herren um die Ecke kamen.“ Er kicherte leise in sich hinein, der Schalk tanzte förmlich in den klaren, grauen Augen, die im Schein des Feuers beinahe die Farbe nassen Schiefers hatten. „Die haben nicht schlecht gestaunt, als auf einmal nichts mehr zu sehen war! Und ohne Beweis keine Anklage!“

„Woher wussten die Wächter überhaupt davon?“, fragte er wenig später und runzelte die Stirn. „Ich meine, die Sonne ist gerade erst aufgegangen.“

„Das ist in der Tat merkwürdig“, meinte Kian bedächtig und strich sich über das von hellen Bartstoppeln bedeckte Kinn. Seine Haare, fiel mir jetzt auf, waren noch ungekämmt und hingen in wirren Locken bis auf seine Schultern hinab. Er hatte in der Eile des Morgens wohl keine Zeit gefunden, sein Haar zu dem üblichen Zopf zu flechten. „Wer hätte wohl ein Interesse daran, uns bei einem Vergehen zu ertappen?“

„Kellan!“, war ich mir sicher. „Er hat mich so überlegen angegrinst. Und als ich ihn gestern Abend abgewiesen habe, hat er mir gedroht.“

„Durchaus möglich.“ Kian wirkte auf einmal sehr nachdenklich. Tief in Gedanken versunken, strich er sich unruhig mit den Fingern durch das zerzauste Haar.

„Und wisst ihr schon, von wem die Spuren stammen könnten?“, fragte Colin an Kian gewandt. Dieser warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu.

„Wir haben einen Verdacht...frag lieber nicht, Bruder“, meinte Kian düster. „Manche Dinge sollten nicht laut beim Namen genannt werden.“ Dann beugte sich zu mir hinunter und flüsterte mir ins Ohr: „Sag deinem Vampir, er soll vorsichtiger sein. Noch einmal kommen wir nicht so ungestraft davon.“ Und mit diesen Worten verschwand er wieder die Treppe hinauf nach oben – um meinen Großvaters zu wecken und ihm von den Geschehnissen zu berichten, dessen war ich mir sicher.

Colin warf mir einen fragenden Blick zu, doch ich schüttelte nur den Kopf. Je weniger davon wussten, desto besser. Colin war noch zu jung, ein solches Geheimnis zu hüten. Ich konnte mich nicht so auf seine Verschwiegenheit verlassen wie auf die Kians, und ich wollte ihm die Last dieses Wissens auch nicht aufbürden.

(c) by Schneeflocke

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schneeflocke
Es tut mir leid, dass ich \\\"Restrisiko\\\" löschen musste, aber es ist jetzt in einer Kurzgeschichtensammlung namens \"Das Unfassbare\" vom ipm-verlag veröffentlicht worden.
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Luzifer Und - auch dieser Teil entspricht deinem schon bewiesenen Geschick die Sprache so zu verwenden, dass man mitten im Geschehen ist.
Nun wird es auch langsam interessant. =)

LG
Luzifer
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schneeflocke Re: Weißt du was -
Zitat: (Original von Schlauchen am 28.02.2010 - 09:55 Uhr) ich so fazinierend finde? Dass die Frau "unter" dem Mann, bzw. seiner Obhut steht und dass du es so wirklich überzeugend rübergebracht hast.
Und IGITT! Kellan ist wirklich ekelhaft. Solche Typen sind mir immer sowas von supekt! "Wie eine Liebkosung" soll sein Blick gewesen sein? Na, ich denke eher nicht!
Das war wirklich sau spannend, besonders als die Männer dann kamen und ihr erst aufgeht was denn eigentlich los sein soll.. aaah!
Was mir auch so gut gefällt sind diese verschiedenen Regeln, die Ausgangssperre zum Beispiel.. Oh man, ganz ehrlich? Ich fand zwar den ersten BIss Band echt gut, aber das hier find ich besser. Vielleicht weil es anders ist, also ein bisschen "veraltet"(?) ist, wenn du verstehst was ich meine!
Und ich kann Lisa nur zustimmen: Die Brüder sind wirklich toll. Besonders Kian, der was von einem großen, starken Bruder ausstrahlt, der einen immer beschützen würde. Ich glaube hätte Caitlin nicht ihre Brüder, würde die ganze Sache anders aussehen, auch mit Kellan!
Kian hat eben die Situation gerettet, so schlau wie er war!(Naja, mit Hilfe von Colin natürlich) Gott sei Dank, ich war schon ganz nervös!!
Auch dass Kian das Geheimnis kennt und es aktzeptiert finde ich so toll.
Ach, ich freu mich sehr auf die Fortsetzung, wirrd sicher richtig gut,das Kapitel war es auf alle Fälle!

Grüßle
Caro




Hallo Caro!

Vielen Dank für deine lieben Worte! Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich immer darüber freue. Das motiviert mich, wie üblich, am nächsten Kapitel weiter zu schreiben.
Schön, dass du es überzeugend fandest, wie ich Caitlins Stellung in der von Männern dominierten Welt beschrieben habe. Es war mir sehr wichtig, dass das beim Leser ankommt, da es im weiteren Verlauf der Geschichte immer wieder eine Rolle spielen wird.
Und es freut mich, dass du die Brüder magst - hach, manchmal hätt ich so gern auch einen Bruder wie Kian...und warum er das mit Ray akzeptiert, dass kommt später noch. Ja, wenn Caiti die beiden nicht hätte, wäre sie wohl schon längst im Kerker gelandet.

Grüßle,
Tina
Vor langer Zeit - Antworten
schneeflocke Re: Himmel -
Zitat: (Original von Robin am 27.02.2010 - 22:25 Uhr) war das spannend! Da habe ich mein Lesen doch tatsächlich die Luft angehalten und erleichtert aufgeatmet, als dann doch alles gut ausgegangen ist... aber sehr knapp! Mann, wie konnte Ray nur so verdammt leichtsinnig sein? Und Kellan, dieser... dieser... ach so ein Mistkerlt, der kriegt seine verdiente Strafe bestimmt noch! Oh Tina, und Kian und Colin sind so wunderbare und loyale Brüder. Benehmen sich nicht wie die anderen Männer im Dorf und sind einfach ganz wunderbar! Wirklich, ich bin restlos begeistert von diesem Kapitel!

Liebe Grüße
Lisa



Hallo Lisa!
Ach, es ist immer so schön, deine Kommentare zu lesen, du fühlst immer so richtig mit meinen Charakteren mit....
Ja, Kian und Colin sind tolle Brüder, ich mag sie beide wirklich, und Kellan - nun ja, ich verrat mal nicht zu viel.
Was Rays Unvorsichtigkeit betrifft, darauf werde ich im nächsten Kapitel noch eingehen.
Freut mich aber wirklich, dass dir das Kapitel wieder gefallen hat!

Liebe Grüße,
Tina
Vor langer Zeit - Antworten
Robin Himmel - war das spannend! Da habe ich mein Lesen doch tatsächlich die Luft angehalten und erleichtert aufgeatmet, als dann doch alles gut ausgegangen ist... aber sehr knapp! Mann, wie konnte Ray nur so verdammt leichtsinnig sein? Und Kellan, dieser... dieser... ach so ein Mistkerlt, der kriegt seine verdiente Strafe bestimmt noch! Oh Tina, und Kian und Colin sind so wunderbare und loyale Brüder. Benehmen sich nicht wie die anderen Männer im Dorf und sind einfach ganz wunderbar! Wirklich, ich bin restlos begeistert von diesem Kapitel!

Liebe Grüße
Lisa
Vor langer Zeit - Antworten
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