Der Aufpasser.
Mein Gott war ich wütend, was fällt meinem Bruder eigentlich ein, ich brauche doch keinen Aufpasser. Nur weil er für ein halbes Jahr ins Ausland geht, bildet er sich ein, er müßte mir seinen guten, alten Freund auf mich ansetzen. Da mein Bruder fünfzehn Jahre älter ist wie ich, meint er seine kleine Schwester braucht immer noch brüderlichen Beistand. Er will einfach nicht begreifen, das ich mit dreiundzwanzig Jahren alt genug bin um auf mich selbst aufpassen kann. Das schlimmste ist, er überläßt seinen Freund auch noch für diese Zeit, die er im Ausland ist, sein Zimmer. Na der kann was erleben, wenn der hier auftaucht. Wenn der meint ich würde ihm hinterher räumen und auch noch bedienen, da hat sich dieser Kerl aber getäuscht, kommt überhaupt nicht in Frage.
Konnte mich den ganzen Tag über nicht beruhigen und auf meine Arbeit konnte ich mich überhaupt nicht konzentrieren. Kathrin, meine Kollegin fragte, „was ist den heute mit dir los, so kenne ich dich gar nicht.“ Ach Kathrin, stell dir vor, mein lieber Herr Bruder hat einen Aufpasser für mich bestimmt“, sie schüttelte nur den Kopf und sagte, „was ist denn schlimmes dabei, am Ende verliebst du dich noch in deinen Aufpasser.“ „Was, in den verlieben, nein, mein Bruder ist achtunddreißig und sein Freund wird im gleichen Alter herumkrebsen, wenn nicht noch älter, ich will doch nicht vor Langeweile sterben, nein danke.“
Als ich nach Feierabend daheim in den Hausflur trat, kam aus der Küche ein herrlicher Duft und schon knurrte mein Magen, denn vor lauter Nervosität bekam ich den ganzen Tag nichts runter. Die Küchentüre ging auf und heraus kam ein Bild von Mann, wow ... sah der gut aus. Bestimmt Eins achtzig schätze ich, schlank, braungebrannt, blonde Haare und wunderschöne Augen und höchsten Anfang Dreissig, dies ratterte alles in Sekundenschnelle durch meinen Kopf. Diese strahlenden Augen hatten es mir angetan und ich konnte ihn nur anstarren.
Oh er kommt auf mich zu, ich falle gleich in Ohnmacht, dachte ich. Er reichte mir die Hand und sagte, „Hallo Sabine, ich bin der Freund von deinem Bruder und ich heiße Henry und dir macht es hoffentlich nichts aus, in der Zeit, wo dein Bruder fort ist, dass ich das Zimmer benutze“. „Nein“ stotterte ich heraus und wußte vor Verlegenheit nicht wo ich hinschauen sollte.
Henry sah mich freundlich an und sagte, „du bist bestimmt müde und hast keine Lust zum kochen, deswegen würde ich dich gerne zum Essen einladen, magst du“. Vor lauter Aufregung nickte ich nur mit dem Kopf und schaute ihn nur dauernd an. Sabine jetzt reiß dich aber zusammen, sagte ich mir, Henry denkt doch ich bin nicht ganz richtig im Kopf.
Das Abendessen war einfach köstlich und anschließend tranken wir im Wohnzimmer noch einen Kaffee. Henry erzählte mir, das er eine Anstellung hier in unserer Stadt bekommen hat und er jetzt eine Wohnung suchen muss, ja und deswegen sei er meinem Bruder dankbar dass er ihm derweil sein Zimmer überläßt. „Sabine ich will dir keine großen Umstände machen und ich freue mich das du einverstanden bist“. Wenn Henry wüsste was ich vorher gedacht habe, und sagte ganz freundlich, „nein Henry mir macht das überhaupt nichts aus“.
Am anderen Tag fragte mich Kathrin, „na wie ist es gegangen, ist er so alt und langweilig“.
„Ach“, seufzte ich, „Kathrin der sieht einfach toll aus, wie soll ich das nur aushalten. Am liebsten würde ihn gerne verführen und in mein Bett ziehen, aber leider wird dies nicht passieren, denn er schaut mich ja nur wie eine kleine Schwester an“. „Mensch Sabine spring über deinen Schatten und verführe ihn einfach“, sagte Kathrin zu mir. „Nein, das traue ich mich nicht, vielleicht hat er ja schon eine Freundin und die zwei machen sich dann lustig über die dumme kleine Gans“.
Als ich nach Feierabend heim kam, hatte Henry schon wieder gekocht und das Essen schmeckte, genau wie gestern, köstlich. Ich bedankte mich bei ihm und fragte, „sag einmal Henry wo hast du so gut kochen gelernt“? „Ach, wenn man Junggeselle ist und ich nicht verhungern wollte, lernt man dies sehr schnell. Na ja am Anfang ging es schon oft daneben, aber jetzt kann ich es doch schon ganz gut, oder?“. „Was ich nur bestätigen kann“, sagte ich und dachte, wenn er noch Junggeselle ist könnte ich ja vielleicht doch einen Versuch machen und ihn verführen.
Am Wochenende hat mein Bruder angerufen und fragte, na wie läuft es so, hast du immer noch etwas dagegen, das mein Freund derweil bei uns wohnt“. „Aber nein mein lieber Bruder“, sagte ich, „ ich werde doch einen so guten Koch nicht aus dem Haus jagen“, das er mir gefällt geht ihm ja nichts an. „Darüber bin ich aber froh und bitte richte einen Gruß an Henry von mir aus“, sagte mein Bruderherz.
Zur Abwechslung habe ich dann am Samstag das Essen zubereitet und habe mir auch große Mühe gegeben, dass auch alles perfekt wurde. Über sein Lob bin ganz verlegen geworden und dazu wurde ich auch noch Rot. Sabine, sagte ich mir, so wirst du ihn ja nie verführen, wenn du dich benimmst wie ein kleines Schulmädchen.
Den Abend verbrachten wir dann gemeinsam vor dem Fernseher, tranken einen Wein dazu und schauten uns ab und zu lächelnd an. Zur späten Stunde kam dann ein Gruselfilm und den wollte Henry gerne anschauen. Er fragte mich ob ich ihn auch mit anschauen möchte und da ich noch länger mit ihm beisammen sein wollte, habe ich tapfer ja gesagt, obwohl ich vor solchen Filmen schrecklich Angst habe.
Am Anfang ging es ja noch, aber als dann so ein Zombi auftauchte, habe ich mich auf dem Sofa, ganz klein gemacht. Henry sah mich an und fragte, „Sabine hast du Angst“, ich wollte eigentlich den Kopf schütteln, aber ein Kopfnicken wurde daraus. Henry hat mich in den Arm genommen und mich zärtlich angeschaut und fragte, „ist es so besser“. Ich kuschelte mich an ihn und sagte, „oh ja“ und jedesmal wenn ich vor Schreck zusammenzuckte drückte er mich fest an sich. Hoffentlich ist dieser Film nicht so schnell zu Ende, denn im Arm von Henry fühlte ich mich so beschützt und ich merkte wie mein Herz immer stärker klopfte, aber nicht aus Angst, sondern weil ich mich ihn verliebt habe und ihn am liebsten, vor Verlangen, geküßt hätte und ich ihn überall spüren wollte.
Als der Film zu Ende war sah Henry, ohne mich aus dem Arm zu lassen, tief in meine Augen und senkte seinen Kopf herunter und küsste mich ... endlich, dachte ich. Er streichelte mich, berührte mich überall und ich dachte ich verbrenne vor Verlangen nach ihm. Seine Küsse wurden immer drängender und als er mich fragte ob ich bereit für ihn wäre, küsste ich ihn und sah ihn verlangend an. Henry hob mich hoch und trug mich in mein Zimmer. Es wurde ein herrliches Wochenende und Henry gestand mir dann, er hätte sich schon lange in ein Bild von mir verliebt, dass er von meinem Bruder bekam und seither immer bei sich getragen hatte „Du glaubst ja gar nicht wie schwer es mir gefallen ist dich nicht gleich am ersten Abend in den Arm zu nehmen um dich zu küssen“.
In der Zwischenzeit hatte Henry ganz in der Nähe eine wunderschöne Wohnung gefunden und als mein Bruder dann von seinem Auslandsaufenthalt zurück kam, teilte ich ihm mit, dass er in Zukunft über seine Wohnung ganz alleine verfügen könnte. Als er fragte, warum dies denn, schauten Henry und ich ihn lachend an und sagten, weil wir zwei uns lieben und so schnell wie möglich heiraten wollen.
© Copyright MarianneK ... 29.09.2006
Bild: Thomas Knip Tuschteichnung