Câyleân hatte zwölf Sommer am Fuß der Berge erlebt. Er kannte die Gefahren losen Gerölls und plötzlicher Abgründe ebenso gut, wie den Schrei des Riesenadlers. Doch der Vogel ängstigte ihn weniger, als die Männer, die ihn verfolgten. Cover: © LiBro@Fotolia.com
Der Schattenfalke glitt an Wolkenfetzen entlang und fixierte das Gebirgsgelände unter ihm. Keine Bewegung entging den scharfen Augen des Greifvogels.
befellte Zweibeiner, die haarigen Eiern glichen, huschten zwischen den Felsen. Der Falke zog die Flügel an den Körper und sackte ein paar Meter ab, ehe er die Schwingen ausbreitete und vom Wind getragen seine Kreise zog. Er stieß einen hohen Schrei aus, der von den Klippen um ein Vielfaches zurück geworfen wurde. Die Kreaturen am Boden verharrten und warfen verunsicherte Blicke in den Himmel. Verglichen mit dem Falken waren sie blind. Gegen die grauen Wolken entdeckten sie den Luftjäger nicht, während die Raubvogelaugen jedes einzelne Haar des falschen Fells erkannten. Der Vogel schrie noch einmal, als die Zweibeiner ihren Wettlauf fortsetzen.
Der Schattenfalke verlor an Höhe, ohne die Gruppe aus den Augen zu lassen. Ein Junges der pelzlosen Felldiebe rannte an der Spitze und sah sich wiederholt nach den ausgewachsenen Verfolgern um.
Der Falke ließ einen neuen Schrei erklingen und, zurück geworfen von den Felsen, musste man auf der Erde meinen, ein ganzer Schwarm Greifvögel machte sich bereit. Die Männer blieben stehen, suchten den Himmel ab und deuteten mit Speeren nach oben. Der Schattenfalke blieb versteckt. Das kleine Tier glitt unter den Wolken dahin, bis er den Sonnenstrahl entdeckte, der sich einen Weg zu bahnen vermochte. Im Lichtstrahl breitete der Vogel seine Schwingen aus. Er verharrte reglos in der Luft, fand den Fluss des Lichts und schwebte in ihm.
Auf dem Boden war die Wirkung verheerend. Ein riesiger Schatten huschte über die Zweibeiner und ließ sie panisch nach Schutz suchen. Der Falke stieß seinen Schrei erneut aus, ehe er drehte und im selben Lichtschein zurück flog
Die Jäger kauerten zwischen den Felsen. Nur der kleinste jagte weiterhin die steinigen Wege entlang und ließ schützende Nischen unbeachtet.
Der Schattenfalke schlug mit den Flügeln und sein wesentlich größeres Abbild am Grund tat es ihm gleich. Sein Schrei hallte von den Klippen wider, doch der Mensch rannte weiter.
Die Wolken zogen vor die Sonne und mit dem Lichtstrahl schwand der große Schatten.
Der Luftjäger ließ sich davon nicht irritieren. Er legte die Flügel an und fiel in den Sturzflug. Die scharfen Augen fixierten das haarige Ei, den Schopf des Zweibeiners.
Dann nahm er eine Bewegung war und sah direkt an ihm vorbei. Im letzten Augenblick breitete er die Schwingen aus. Seine Federn streiften die Wangen des Jungen. Er richtete sich gegen den Wind auf und erwischte die Felsmaus mit den Krallen.
Das Nagetier zuckte noch, doch der Greifvogel beachtete es nicht. Er blieb am Boden sitzen und blickte zu dem Menschen hinauf.
Dieser blieb erschrocken stehen und starrte auf den Vogel hinunter. Der Schattenfalke konnte die Hitze in dem Knaben geradezu sehen. Er wandte den Blick ab, spannte die Flügel und hob mit seiner Beute in die Luft.
„Danke.“ Câyleân war überzeugt, dass der Schattenfalke ihm das Leben gerettet hatte. Lächelnd sah er dem aufsteigenden Vogel nach.
Das Geräusch fallender Steine ließ ihn zusammenzucken und erinnerte ihn daran, dass er keine Zeit hatte, den Falken zu bewundern. Hektisch hielt der Junge Ausschau nach einem Weg zwischen Spalten und Klippen und rannte weiter.
Câyleân hatte zwölf Sommer am Fuß der Berge erlebt. Er kannte die Gefahren losen Gerölls und plötzlicher Abgründe ebenso gut, wie den Schrei des Riesenadlers. Vor dem vermeintlichen Laut des gefährlichsten aller Tiere im Vorgebirge, hatten die Verfolger Schutz gesucht. Auch der Knabe hätte schwören können, dass der gewaltige Greifvogel über ihnen kreiste, als er den Schatten sah. Doch der Vogel ängstigte ihn weniger, als die Männer, die ihn verfolgten.
Câyleâns Herz schlug rasend und die kalte Luft brannte bei jedem Atemzug in seinen Lungen. Er biss die Zähne zusammen und huschte hinter einen größeren Felsen. Fahrig strich er sich das schweißnasse Haar zurück und lauschte auf die Schritte seiner Verfolger. Noch hatten sie nicht aufgeholt. Câyleân hörte lediglich die rauen Stimmen von den Wänden widerhallen. Lange konnte er diesen Vorsprung nicht halten. Der Knabe drehte sich und schaute am Steilhang vor ihm empor. Dort oben lag die Höhle. In den vielen Gängen, die in der Grotte ihren Ursprung hatten, konnte er seine Verfolger abhängen. Câyleân atmete tief durch und machte sich an den Aufstieg. Es waren nur ein paar Meter, allerdings führten sie beinahe senkrecht eine raue Felswand hinauf. Dank der dünnen Ledersohlen seiner Fellstiefel spürte der Junge genau, wo er die Füße hinsetzen musste. Câyleân wusste, dass er nicht hinunterschauen sollte. Doch wenn man erst in so einer Wand hing, sich mit Fingern und Zehen festklammerte, dann sagte sich so etwas leicht. Als der Bursche aufgeregte Rufe hörte, wagte er einen Blick über die Schulter.
Unter ihm hasteten mehr als ein halbes Dutzend Männer zwischen den Felsen umher. Sie hielten Speere in ihren Händen und einer blieb sogar stehen und hob seinen Bogen. Die anderen erreichten nun den Brocken, hinter dem Câyleân sich Sekunden zuvor noch versteckte. Der Junge wandte den Blick rasch wieder nach oben und kletterte weiter. Er zuckte zusammen als ein Pfeil dicht neben ihm in den Fels stieß und ein Steinsplitter seine Wange ratschte. Die Jäger töteten ihn, wenn sie ihn fingen. Daran hatte Câyleân keinen Zweifel mehr. Der Gedanke beflügelte ihn ebenso, wie das Wissen um die nahe, schützende Höhle. Irgendwo unter ihm rollten kleine Steine. Einer der Männer fluchte lautstark. Der Knabe ließ sich nicht beirren. Er hörte, wie ein zweiter Pfeil über ihm im Gestein einschlug, und dankte still den Göttern, dass der schlechteste Schütze den Bogen hielt. Schließlich erreichte er den Eingang der Grotte, zog sich keuchend über die Kante, kroch weiter und rappelte sich auf.
Câyleân wankte mehr in die Dunkelheit, als dass er lief. Noch durfte er sich keine Pause gönnen. Die Gänge lagen am Ende der Höhle und die musste er wenigstens erreichen. Kaum ließ er den Eingangsbereich hinter sich, umschloss ihn Schwärze. In der Finsternis konnte der Knabe nur wenig erkennen. Flüsternd zählte er seine Schritte, um nicht gegen plötzlich aufragende Felssäulen zu laufen oder über Risse und Spalten im Boden zu stolpern. Den ganzen Sommer hatte der Junge mit Dânael in dieser Höhle gehaust. Er kannte sie und hielt ohne Umwege auf einen der Gänge zu. Dort drückte er sich rasch in eine schmale Nische und lauschte.
Rund um Câyleân tropfte es plätschernd von Stalaktiten. Das Geräusch wurde so oft von den Wänden zurückgeworfen, dass der Bursche kaum zu unterscheiden vermochte, welcher helle Klang zu einem neuen Tropfen und welcher zu einem Echo zählte. Abgesehen von dieser Tropfenmelodie, der Câyleân zu anderer Zeit gerne gelauscht hätte, vernahm der Junge nur seinen eigenen Herzschlag. Er versuchte flacher zu atmen und sein Herz leiser schlagen zu lassen, denn so laut wie es pochte, konnte es den Verfolgern gar nicht entgehen. Als ein paar Minuten lang nichts geschah – dem Knaben kam es wie eine kleine Ewigkeit vor – keimte neue Hoffnung in ihm auf. Die Männer hatten den Steilhang vielleicht nicht überwinden können und aufgegeben.
Doch dann zuckte Câyleân zusammen und drückte sich noch tiefer in die Nische. Als er die schweren Schritte seiner Verfolger hörte, wusste er, dass sie die Höhle betraten. Der Junge verstand die gereizten Stimmen, die von den Wänden widerhallten, zwar nicht, aber sie klangen alles andere als beruhigend. Spitze Steine bohrten sich in seinen Rücken. Er hielt die Luft an, als die Männer sich dem hinteren Teil der Grotte näherten. Den Geräuschen nach waren sie bereits ganz nah.
Plötzlich gellte ein unterdrückter Schmerzensschrei von den Felsen wider. Gleich darauf machten die Schritte kehrt. Trotz seiner Angst musste der Knabe grinsen. Sicher war einer der Verfolger in der Dunkelheit gegen eine Kante gestoßen. Zu seinem Glück hatten die Jäger keine Fackeln dabei. Noch einmal hörte der Junge die rauen Stimmen der Männer. Dann lauschte er den schweren Schritten, die sich langsam entfernten, und atmete erleichtert auf.
Câyleâns Augen gewöhnten sich rasch an die Finsternis und der Bursche erkannte wenigstens die Umrisse der Felsen. Vorsichtig schlich er zurück zum Eingang der Höhle. Hinter einem aufragenden Tropfstein hockte sich der Junge hin und blickte hinüber zu der breiten Öffnung. Vor dem grauen Herbsthimmel erahnte er den Umriss eines breitschultrigen Mannes. Câyleân wusste genau, wo die Decken, Fackeln und Vorräte lagen. Wenn er sich im Schatten der Vorsprünge hielt, konnte er sie sicher unbemerkt erreichen. Er musste sich beeilen, denn die Männer kämen bald mit eigenen Feuerstäben zurück. Das Lager der Jäger war nicht weit entfernt. Geduckt huschte der Knabe so schnell und leise wie möglich an der Felswand entlang. Als er die Lagerstelle erreichte, wickelte er Fackeln und Proviant in eine Decke und knotete aus dieser einen Sack. Unsicher warf er immer wieder einen Blick zu der Wache. Seine Hände zitterten vor Anspannung und Furcht ebenso wie vor Kälte. Leise schulterte er den Deckensack und schlich an der Wand entlang zurück.
Ein Kläffen aus der Ferne ließ den Jungen zusammenzucken. Die Männer brachten Hunde mit. Die Tiere waren darauf abgerichtet, Fährten aufzuspüren und Beute zu erlegen. Nun konnte er sich noch so leise bewegen, die Tiere witterten seine Spur innerhalb von Minuten. Alle Vorsicht zurücklassend, rannte der Bursche zum dunklen Gang im hinteren Teil der Grotte. Hinter ihm erklang ein Warnruf, der ihn zum stehen bleiben bewegen sollte. Câyleân dachte nicht daran, der Anweisung zu folgen.
Nach wenigen Schritten im Tunnel lief er langsamer. Hier kannte er sich nicht so gut aus, wie in der Höhle. Um nicht zu stürzen, tastete der Flüchtende mit einer Hand an der Wand entlang. Schon bald hörte er das Plätschern des Gurgelwassers. Der unterirdische Fluss war an dieser Stelle weder sehr breit, noch zu tief. Er konnte ihn durchqueren und hoffen, dass die Jäger ihn im Labyrinth dahinter nicht fanden.
Der Knabe verwarf die Idee sogleich. Die Männer würden seine nassen Fußspuren entdecken und ihm leicht folgen können. Und wenn die Spur erst trocken wäre, nämen die Hunde die Witterung auf. Das Gewirr der Gänge nutzte Câyleiân dann nicht das Geringste.
Der Junge schluckte schwer, als er erkannte, dass er dem Fluss würde folgen müssen, wollte er entkommen.
Câyleân war kein guter Schwimmer und bei dem Gedanken an das eiskalte Wasser schlug sein Herz vor Angst wie wild. Obendrein wusste er nicht wo der Fluss hinführte, wie tief das Wasser oder wie reißend die Strömung war.
Am Ufer angekommen, hob der Flüchtling den Sack über den Kopf, damit dieser nicht nass wurde, und watete in das frostige Gurgelwasser. Im ersten Moment blieb ihm die Luft weg, als die Kälte in seine Beine stach.
Hundegebell drang, durch das Echo um ein vielfaches verstärkt, an sein Ohr und ließ ihn schneller gehen. Den Geräuschen nach waren die Männer bereits im Tunnel.
Der Knabe hielt sich am flacheren Rand des Flusses und watete fröstelnd mit dem Strom. Schon nach wenigen Schritten war er von tonnenschweren Fels des Gebirges und von greifbarer Dunkelheit umschlossen.
Bei jedem Schritt tastete der Bursche erst mit dem Fuß, um auf dem glatten Untergrund Halt zu finden. Die Verfolger mit den Fackeln kamen schnell näher und die Hunde waren gute Schwimmer. Wenn sie ihn erreichten, würden sie ihn zerfleischen. Das kalte Wasser ging ihm inzwischen bis zum Bauch und Câyleân spürte seine Beine taub werden. Die Strömung zerrte mit jedem Schritt stärker an seinen Füßen und er hatte Mühe nicht umzufallen. Immer wieder blickte er über die Schulter zurück. An der Stelle, wo der Junge in den Fluss gewatet war, konnte er einen Feuerschein erkennen. Da verlor er plötzlich den Halt im Wasser und tauchte unter. Kälte hüllte ihn ein wie einen Kokon. Câyleân musste sich zwingen ruhig zu bleiben und nicht aus lauter Panik nach Luft zu schnappen. Er strampelte mit den Beinen, spürte Grund unter seinen Füßen und stieß sich ab. Nach Luft ringend tauchte der Knabe auf und hielt seine Vorräte umklammert. Er schickte ein kurzes Stoßgebet an die Götter, diese Flucht heil zu überleben, während die Strömung ihn mit sich riss.
Câyleân versuchte, sich irgendwo festzuhalten und zugleich nicht in Panik zu geraten. Er war blind. Festhalten war unmöglich. Der Stein war viel zu glitschig und die Strömung zu stark. Der Junge versuchte, sich in der Mitte treiben zu lassen, doch hatte er schon Mühe an der Wasseroberfläche zu bleiben und den Sack mit den Vorräten festzuhalten. Die Eiseskälte machte ihm zu schaffen und schnell tat ihm jeder Muskel weh. Ein stechender Schmerz zuckte durch seinen Kopf, als er gegen die Felsdecke stieß. Ihm blieb gerade noch Zeit Luft zu holen, ehe er unter Wasser gezogen wurde.
Während er mit einer Hand an der Felsdecke entlang strich und mit der anderen den Sack umklammerte, riss die Strömung Câyleân mit. Seine Lunge brannte und er suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit aufzutauchen. Endlich stieß der Junge mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche und zog die Luft keuchend und hustend in seine Lunge. Um ihn herum war nichts als Finsternis. Das kalte Wasser, das Ufer und der Fels waren eine einzige schwarze Masse. Erschöpft ließ sich Câyleân weiter treiben.
Sunnypluesch Re: Super spannend - Zitat: (Original von Windflieger am 04.03.2010 - 20:11 Uhr) Ich mache mich gleich an den zweiten Teil. LG Ivonne Viel Spaß und danke für die Bewertung. ;-) |
Windflieger Super spannend - Ich mache mich gleich an den zweiten Teil. LG Ivonne |
Sunnypluesch Re: Bin schon sehr - Zitat: (Original von FSBlaireau am 02.03.2010 - 15:03 Uhr) gespannt wie es weiter geht. Sehr guter Schreibstil. Favo! Uii.. vielen Dank! Mal schauen, wann ich den nächsten Teil online stelle. Erst mal sind die Wölfe und Könige dran. ;-) |
FSBlaireau Bin schon sehr - gespannt wie es weiter geht. Sehr guter Schreibstil. Favo! |