Kurzgeschichte
Meer

Meer

Ich weiß nicht, warum ich mich gerade an diese Begebenheit so gut erinnern kann, weiß nicht, ob sie überhaupt der Wahrheit entspricht, oder ob sie in meinem Kopf, in meiner Fantasie entstanden ist. So oder so, war es einer der schönsten Augenblicke meines Lebens, den ich niemals vergessen werde. Vielleicht habe ich ihn auch zu sehr glorifiziert, ihn perfekter in Erinnerung, als er eigentlich war. Allerdings habe ich kein Interesse daran, dieser Sache auf den Grund zu gehen. Ich möchte mir nur wieder dieses wunderbare Gefühl ins Gedächtnis rufen, das mich jedes Mal aufs neue überwältigt und doch nie mehr so intensiv sein wird wie an diesem einen Tag, in diesem einen Moment.

Ich weiß noch ganz genau, wie die Strahlen der Sonne meine Haut gewärmt haben, wie ich bereitwillig mein Gesicht in das helle Licht gestreckt habe, wie die gekräuselten Wellen des Meeres in ihrem Schein glitzerten. Der feinkörnige Sand unter meinen nackten Füßen war angenehm warm, eine natürlich Massage der Natur. Das Meer war so blau wie der wolkenlose Himmel über mir. Es war keiner dieser überfüllten Touristenstrände wie in Spanien oder Italien, wenn ich mich recht erinnere war ich sogar ganz alleine gewesen. Immer noch nenne ich diesen Ort liebevoll „meinen Strand“. Möwen zogen über meinem Kopf ihre Kreise, stürzten hin und wieder hinab, um kleinere Fische, die törichterweise direkt unter der Wasseroberfläche schwammen, zu verspeisen. In einiger Entfernung saß ein ganzer Schwarm von den weißen Vögeln und pickte wie verrückt auf dem Boden herum. Es herrschte eine vollkommene, wunderbare Ruhe. Nur das Rauschen der Wellen und das Gekreische der Möwen.

Ich weiß nicht, warum ich alleine war, weiß nicht, warum ich mich gerade deswegen so wohl fühlte. In dieser Zeit, in dieser Welt, ist man niemals alleine. Nicht, wenn man sich zurück zieht und die Stille in seinem eigenem Zimmer sucht, nicht wenn man alles um sich herum ausblendet. Immer nagt etwas an dir, lässt dich nicht zur Ruhe kommen, damit du endlich mit dir alleine bist. Wenn es die Stimmen in deinem Kopf sind, die dich immer antreiben, der eigene Zweifel und die Ängste, die dir niemals deinen Frieden lassen. Vielleicht suchten Menschen aus eben diesem Grund immer die Nähe von anderen. Tummelten sich in Schwärmen, versammelten sich in Rudeln, um eben diese Einsamkeit zu vermeiden, die doch keine ist. Vielleicht zerstörten Menschen aus eben diesem Grund Plätze wie diese, weil sie die Einsamkeit nicht ertragen konnte, die doch keine Einsamkeit ist. Die Einsamkeit, die trotzdem begleitet von Stimmen ist, die umso lauter werden, wenn man sie ignoriert. Die kurzen Momente des puren Glücks, der Entspanntheit, der Gelassenheit, sind so selten, dass sie vom Stress des Alltags, von den penetranten Stimmen viel zu schnell überlagert werden.

Warum genoss ich diese Einsamkeit so? Nicht, weil ich die Stimmen nicht beachtete, sondern weil sie schwiegen. Es herrschte wirkliche Stille. Stress, Anforderungen, Zweifel, Ängste alles war wie weggeblasen und ich genoss das Alleinsein, denn ich war wirklich alleine. Alleine mit mir, so wie ich wirklich war.

Scheuten Menschen auch deswegen die Einsamkeit, weil sie nicht mit sich alleine sein wollten? Ohne die Maske, die sie Tag für Tag aufsetzten, um anderen und sich selbst zu gefallen? Sich zum Clown zu machen in einer riesigen Manege schien ihnen einfacher, als demaskiert in den Spiegel zu sehen und sich anzunehmen, wie man ist. Die Stimmen zuzulassen, denn auch sie sind ein Teil deiner Seele. Wie kann man glücklich sein, wenn man nicht man selbst ist, sich ständig versteckt, vor der Welt und vor sich selbst.

Ich kann mich entsinnen, wie mich auf einmal dieses Gefühl durchströmte, als ich in die Ferne blickte, das Meer und den Himmel in ihrer unendlichen Weite sah. Dieses Gefühl Teil von etwas wunderbarem, etwas großem zu sein, das ich nicht begreifen konnte. Dieses Gefühl, ich zu sein. Nur ich, mit allem, was ich war. Mich anzunehmen, mit meinen Fehlern und meinen Schwächen, mit meinen Stärken und meinen Vorlieben. Ich stand einfach da, genoss die Sonne auf meiner Haut, das Rauschen des Meeres, das Kreisen der Möwen und die kühle Brise, die durch mein Haar strich und war einfach zufrieden. Einen schöneren Moment habe ich seitdem nicht mehr erlebt.