Einer
Da, der Mann! Er ist wohl verrückt! Tja, da kämpfen die einen für ihr Überleben und der gibt's einfach her! Naja, soll er tun, wenn's ihm gefällt. Letztendlich ist er wohl selbst Schuld. Ah, der Typ soll aufpassen wo er hintritt. Mal wieder die Hölle los! Ach da vorne ist ja das Rathaus. Und der selbstmörderische Mann da hinten hat's sich auch nicht anders überlegt. Hoffentlich räumt man seinen Körper noch vor dem Morgen.
Ein anderer
Das Leben ist trostlos. Meine Frau sitzt daheim und weint, die Kinder haben nicht viel zum Essen. Und ich erst recht nicht und arbeite den ganzen Tag. Die Mittagssonne knallt einem richtig ins Gesicht und die ganzen Menschen! Was für ein Leben als Straßenfeger. Ich träum einfach so vor mich hin. Stell mir vor, wie der da mit der Aktentasche wohl so lebt. In einem großen Haus? Mit Kinder? Kochen sein Essen Bedienstete? Wie ist wohl sein Leben? Ganz versunken trete ich auf die Füße eines anderen Herrn, auch mit Anzug und Krawatte. Stolziert geradewegs auf's Rathaus zu. Ist wohl Politiker oder so. Er muss viel verdienen. Ich lasse meinen Blick schweifen.
Dort hinten bei den Bäumen steht ein Mann. Er sieht nicht sehr fröhlich auf. Und nach einem Moment erkenne ich, dass er sich wohl umbringen will. Was dem passiert ist, dass er sich umbringen will? Ich meine, darüber nachgedacht hatte ich mal schon. Nicht wirklich Ernst gemeint, ich war einfach verzweifelt. Kein Geld, kein Haus, fünf Kinder und eine Frau. Nicht einfach mein Leben. Aber ich hätt's nicht hergegeben, nicht an so 'nem Baum!
Ein weiterer Anzugsträger streift mich. Er sieht glücklich aus. Er stapft fröhlich durch die Menge, sehr zielstrebig. Bestimmt war er auch mal wie ich. Und durch viel Ehrgeiz hat er's dann nach oben geschafft. Und schau, er is' glücklich. Es gibt immer Hoffnung. Der Typ mit dem Seil weiß das sicher nicht. Soll er es tun, wenn er es einfach nicht kapiert.
Und noch einer
Ach ja. Rentner sein ist schon ein Luxus. Viel Geld, keine Arbeit und jede Menge Zeit. Zeit um Dinge zu tun, die man schon immer einmal machen wollte. Für mich heißt das: An einem Wochentag Zeitung lesen und den Menschenstrom beobachten. Sehen, was ich sonst nie gesehen habe. Immer bin ich Teil des Stroms gewesen. Immer in Hektik, immer nach etwas strebend. Und ankommen an meinem Ziel kann ich hier friedlich in der Mittagssonne sitzen und die Leute beobachten. Tss, der Straßenfeger da hinten scheint nicht ganz bei Sinnen. Er schaut sich verwirrt um und tritt auf die Füßr der anderen Leute. Hat nicht mehr zu tun als mit dem Besen ein wenig rumzufegen. Der Mann hat kein Ehrgeiz mehr zu sein, als er ist. Ich war da ganz anders. Natürlich waren die Verhältnisse, in denen ich aufgezogen wurde, ziemlich gut. Das hat es leichter gemacht. Aber trotzdem musste ich kämpfen um zu sein, wer ich bin oder war. Ach ja. Was willen der Mann da hinten? Der will sich doch tatsächlich da hinten die Kehle zuschnüren. Mitten im Strom. Tja, ich will ihm da mal nicht stören. Der ist mal kreativ, haha. Naja, was sagt denn die Tageszeitung...
Das Bild
Es ist Mittag. Zeit in denen Geschäftsleute über den Rathausplatz maschieren, um zurück zur Arbeit zu gehen oder noch in die Mittagspause. Die Sommersonne scheint ungewöhnlich heiß auf die Leute und die Pflaster. Es herrscht voller Betrieb.
Der eine Alte sitzt sich sinnend auf der Bank neben einer Mutter die damit beschäftigt ist auf ihre zwei Kinder aufzupassen. Der Straßenfeger macht seine Arbeit halbwegs gut. Geschäftsleute rennen beinahe schon von Ort zu Ort, fast alle mit einem Handy am Ohr. Es wird diskutiert oder sogar wütend geschrien. Sie haben nicht viel von ihrer Mittagspause. In all dem Gedränge steht ein kleiner Mann auf einem Stuhl Bindet gerade eine Schlaufe an den Baum. Sein Gesicht zeigt nicht viel Regung. Ob er sich auf den Tod freut ist unklar. Für alle sichtbar bereitet er sorgfältig seinen Tod vor.
Der Straßenfeger mustert den Mann für eine Weile. Dann dreht der sich wieder seiner Arbeit zu. Auch andere Leute haben ihn gesehen. Man weiß nicht, was sie sich dabei denken. Der Alte schmunzelt sogar ein wenig. Was amüsiert ihn wohl?
Es ist zwei Uhr. Der Kirchturm gongt. Ein Mann hängt bleich an dem dicken Ast, bewusstlos. Die Mutter mit ihren zwei Kindern starrt erschrocken den Mann an, packt schnell ihre Kinder und zieht sie mit sich fort.
Aus der Menge ganz deutlich schreit eine junge Frau, die herbeigerannt kommt, mit schriller Stimme: "Warum hat niemand etwas getan? Was seit ihr nur für Leute? Ihr schaut einfach zu wie sich mein Mann da hängt?"
Der Alte schaut zu der Frau auf. Er sagt: "Nun hören sie mal, junge Dame, das ist ganz allein seine Schuld. Wenn er sich umbringem will, kann ich da auch nichts weiter tun."
Wütend dreht die Frau sich herum. Tränen ersticken ihre Worte. "Es ist seine Schuld? Sie meinen also, dass das einfach sein Problem ist? Sie hättem diesen Mann abhalten können! Sie hätten ein Menschenleben retten können! SIe hätten seiner Frau Die Trauer ersparen können! Und die Schmerzen! Stattdessen schauen sie weg! Ignorieren den Mann, der sich gerade hängt. Wie lange können sie noch wegschauen wenn wir alle uns hängen würden?"
"Warum haben sie dann bitte nicht geholfen?"
"Ich war zu spät! Sie hatten alle Zeit der Welt!"