Romane & Erzählungen
Grün wie die Hoffnung (Prolog & Kapitel 1)

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"Grün wie die Hoffnung (Prolog & Kapitel 1)"
Veröffentlicht am 14. Februar 2010, 14 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Ich bin der personifizierte Wahnsinn und die große Schwester des Teufels.
Grün wie die Hoffnung (Prolog & Kapitel 1)

Grün wie die Hoffnung (Prolog & Kapitel 1)

Beschreibung

Eine Mischung aus Phantasie und eigenen Erinnerungen. Die Realität verschwimmt mit Träumen und Gedanken, die Grenzen der Wirklichkeit beginnen zu flimmern und es entsteht eine Geschichte über ein Mädchen, die sich auf den langen Weg zu sich selbst macht.

Für Mäx.

 

 

 

 

 

 

''Die größten Menschen sind jene, die anderen Hoffnung geben können.''
- Jean Jaurès

Prolog

Viele Menschen behaupten, sie könnten sich an den schlimmsten Moment ihres Lebens erinnern, haargenau. Sie könnten die Bilder sehen, wie in einem Film, immer und immer wieder. Bilder von Vergewaltigungen, von Morden, vom Krieg, vom Tod. Angst – und schmerzerfüllt. Viel zu lebendig.

Doch sie lügen.

Entweder das, oder ich bin eine Ausnahme.

Ich weiß es nicht.

 

Was ich weiß ist, wie es gewesen sein muss.

Ich kann sehen, wie ich mit meinem Bruder vor der grün-braun gestrichenen Wohnungstür stehe, verzweifelt klingele, meinen Schlüssel ins Schloss stecke und ihn schließlich drehe...doch ab da ist Ende. Und selbst das sehe ich aus einer merkwürdigen Perspektive, als sei eine Überwachungskamera über der Tür angebracht, die auf uns gerichtet ist.

Ich weiß, was dann geschehen ist. Doch ich habe keine Bilder dazu, keine Erinnerung. Ganz selten sehe ich Bruchstücke, ich kann mich zum Beispiel daran erinnern, das im Badezimmer der Vermieterin, wo ich mich übergab, ein geblümtes Kleid auf dem Wäscheständer hing, oder das wir zweimal klingeln mussten, ehe sie die Tür öffnete. An die Geräusche kann ich mich ebenfalls erinnern, an die Worte und die vor Angst erstarrte Stille, und unsere hallenden Schritte in der Häuserschlucht.

Es ist, als hätte jemand die Videospur meiner Erinnerung gelöscht, und nur die Audiospur gelassen.

 

Risse

''Lis!''

Er ruft mich. Ich erkenne seine Stimme, die Stimme, die ich besser kenne, als alle anderen. Natürlich erkenne ich sie.

Lis, nennt er mich. So wie alle anderen. Aber bei ihm ist es etwas anderes. Zu lange hat er mich Echo genannt, viel zu lang. Es klingt, als müsste er meinen richtigen Namen jedes mal aufs neue erlernen, wenn er ihn ausspricht. Es klingt nicht richtig.

Ich stehe in unserer kleinen Bücherei vor dem Regal mit den Jugendbüchern und fahre mit dem Zeigefinger über ihre vertrauten Rücken. Rot, blau, gelb, blau, hellblau, grün, lila, dunkelgrau und ein unidentifizierbares grün-braun.

''Hey, Lis!'' ruft er noch einmal, und dieses mal drehe ich mich mit einem leisen Seufzen zu ihm um. Er steht am Ende des Gangs in dem ich mich befinde, und lächelt mich unsicher an.

'Hallo.'' sage ich leise, und gehe drei Schritte auf ihn zu.

Er streicht sich eine Strähne seines dunklen Haares aus dem Gesicht und kommt ebenfalls näher. Viel zu dicht vor mir bleibt er stehen. Ich wende mich wieder den Büchern zu, und lege den Kopf schief, um die Titel besser lesen zu können. Ich überfliege sie, aber es scheint nichts neues dabei zu sein. Wie immer.

Eigentlich will ich jetzt nicht mit ihm reden, denke ich.

Ich finde, dass die Bücherei zwar ein Ort der Worte ist, jedoch nur der geschriebenen, und ich hasse es, wenn sich hier Leute laut unterhalten und die dichte, staubige Stille brechen, die sich wie ein Tuch über die Bücherregale gelegt hat. Es ist, als würden sie jedes mal einen tiefen Riss hineinreissen, ohne es zu merken. Doch es scheint ihm egal zu sein, denn er fragt mich, wie es mir geht.

Ich murmele ein gelogenes ''gut.'' in mich hinein, ohne ihn auch nur anzusehen.

Er seufzt.

''Sollen wir morgen vielleicht einen Kaffee trinken gehen, im Froschkönig? Wir könnten mal wieder reden, so wie früher...''

Doch ich schüttele nur den Kopf. Reden ist momentan das Letzte, wonach mir der Sinn steht. Und wie früher wird es sowieso nie wieder werden, das weiß ich genau. Außerdem hab ich keine Zeit.

''Ich muss Omili helfen, sie will den Garten winterfest machen, weißt du...''

Ohne ihn ansehen zu müssen, weiß ich, dass er lächelt. Er lächelt über mein 'Omili'. Er findet es süß, dass ich sie so nenne.

''Na dann...''

Er klingt enttäuscht.

''Und wie wäre es übermorgen?''

Eins muss man ihm lassen, er gibt nicht so schnell auf, wenn er sich erstmal etwas in den Kopf gesetzt hat.

''Ich muss mal gucken...'' versuche ich mich rauszureden, denn ich habe wirklich keine Lust mich mit ihm zu treffen.

Als könnte er meine Gedanken lesen fragt er mich ''Willst du überhaupt irgendwann jemals wieder einen Kaffee mit mir trinken gehen?''

Ich zucke nur hilflos mit den Schultern.

Woher soll ich das wissen?

''Ich weiß es nicht. Doch, bestimmt. Nur eben nicht jetzt.'' sage ich dann unbestimmt.

Er sieht verletzt aus. Einen Moment lang tut er mir Leid, doch dann setzt er einen verschlossenen Ausdruck auf und mein Mitleid löst sich in Luft auf. Ich weiß, dass das nicht sehr nett ist, wie ich ihn behandle. Aber ich kann nicht anders. Entweder ich bin unehrlich und unglücklich, oder ich bin ehrlich und unglücklich. Und ich hasse Lügen.

''Sag Bescheid, falls du mal wieder Lust haben solltest...du weißt ja, wie.'' sagt er dann leise, dreht sich um, und geht trotzig den Gang hinunter.

Ich sehe ihm nach, während meine Stille mich langsam wieder findet. Es scheint, als hätte sie nie jemand zerrissen.

Mir schwirren tausend Gedanken im Kopf herum, aber ich kriege sie nicht zu fassen. Eine kühle Leere breitet sich in mir aus, ich werde ganz taub, wie eine Puppe. So stehe ich noch lange da, starre die bunten Buchrücken an, und denke an nichts.

Als ich mich schließlich auf den Weg nachhause mache, ist es bereits dämmerig. Ich gehe leise durch die Straßen, meine Schritte sind so gut wie nicht hörbar. Die Laternen verbreiten ihr gelbliches Licht, und es ist kalt. Ich friere nicht, ich zittere nicht, es ist einfach nur kalt. Mit schnellen Schritten gehe ich durch die leeren Straßen, und sehe dabei in den Himmel. Der Mond ist schon zu sehen, er ist beinah voll. Doch Sterne sind keine am Himmel, es ist ziemlich wolkig, glaube ich. So genau kann ich das nicht erkennen, es ist ja dunkel. Der Mond hat keinen Hof, er leuchtet matt und verbreitet nicht sein übliches Schimmern. Irgendwie deprimiert mich das, und ich blicke zu Boden. Nasser, grauer Asphalt. Sehr viel besser, sage ich zu mir selbst, und hebe meinen Blick wieder ein wenig. Jemand kommt mir entgegen, eine große, breite Gestalt. Ich kann kein Gesicht erkennen, doch ich bin nicht beunruhigt. Was soll hier schon passieren?

Als wir fast auf einer Höhe sind, beginnen meine Nerven dann doch ein wenig zu flattern, aber ich lasse mir nichts anmerken, und gehe einfach weiter. Einen Augenblick später erkenne ich, wer es ist. Liam, der große, schüchterne Junge, der drei Straßen weiter wohnt. Ich muss grinsen, bei dem Gedanken, dass ich mir wegen ihm Sorgen gemacht habe. Hab ich ja nichtmal wirklich, aber dennoch. Liam kann keiner Fliege was zu Leide tun, er ist sanfter Riese, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hab ihn mal mit seiner kleinen Schwester gesehen. Sie war damals noch ein kleines Baby, und er trug sie auf dem Arm, wiegte sie vorsichtig hin und er, und hatte diesen zärtlichen, liebevollen Ausdruck in den Auen, den man sonst nur bei jungen Eltern sieht. Das sah so herzzerreissend niedlich aus, dass ich ihn seitdem als einen anderen Menschen sehe.

Wir bleiben beide gleichzeitig stehen.

''Lis... wo kommst du denn her?'' fragt er, und sieht mir direkt ins Gesicht. Eine Sekunde lang verliere ich mich in dem dunklen, warmen Braun seiner Augen, dann reisse ich mich zusammen, und erzähle ihm, dass ich in der Bücherei war.

Er lächelt und nickt.

Ich weiß, dass er die Bücherei ebenfalls mag, und gerne liest. Oft sehe ich mit einem Buch im Bus sitzen, vollkommen versunken in die Geschichten, abgeschnitten von der Welt um ihn herum. Trotzdem verpasst er nie seine Haltestelle. Im Gegensatz zu mir; wenn ich im Bus lese fahre ich immer mehrere Stationen zu weit.

''Lis?''

Ich schrecke aus meinen Gedanken auf. ''Was denn?''

''Ich hab dich gefragt, ob du morgen oder übermorgen oder so Zeit hast. Wir könnten einen Kaffee oder Tee trinken gehen, wenn du magst.''

Er lächelt mich freundlich an.

Ich nicke, und weiß im selben Moment, dass ich einen Fehler gemacht habe.

''Übermorgen wäre gut.'' sage ich leise.

Er nickt.

''Ich ruf dich an, okay?''

''Okay.''

Dann umarmt er mich sacht, und wir gehen unserer Wege.

 

Als ich dann nachts im Bett liege, kommen de Schuldgefühle. Ich habe mich ganz falsch verhalten, das weiß ich. Ich hätte nicht 'Ja' sagen dürfen, auch wenn ich das im Grunde genommen auch garnicht getan habe, ich habe ja nur genickt, aber darum geht es nicht. Niemand darf erfahren, dass ich mich mit Liam treffe, denn sonst weiß es bald die ganze Welt, und das wäre sehr, sehr schlecht für mich, das ist mir klar. Meine Gedanken halten mich wach, sie drehen sich im Kreis um Liam, Kaffee und das Gespräch in der Bücherei. War das ein Streit? Ab wann werden Gespräche zu Streits, wo ist die Grenze zwischen unfreundlich und gemein, habe ich ihn sehr verletzt, mit meiner abweisenden Art, und wie sehr würde es ihn verletzten, wenn er von Liam erfahren würde? Ich habe keine Antworten und das macht mich wahnsinnig. Ich bin so hilflos, ich kann überhaupt nichts tun. Meine Gedanken rasen immer schneller, jagen sich im Kreis, wie ein Karussell und verwirren mich nur noch mehr. Ich bekomme Angst, denn ich ahne, dass es schief gehen wird. Solche Dinge gehe immer schief.

Nach Stunden des Gedankenjagens, falle ich in einen unruhigen Halbschlaf, aus dem ich bis zum Morgen mehrmals erwache. Jedes mal wenn ich aufwache, denke ich es ist morgens, und eine unbestimmte Panik steigt in mir hoch. Doch dann sehe ich, dass es draussen noch dunkel ist, und ich sinke erleichtert weder auf mein Kissen.

Als dann schließlich der Morgen kommt, bin ich erschöpft und habe Augenringe, die groß wie Untertassen sind.

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MissFlashback
Ich bin der personifizierte Wahnsinn und die große Schwester des Teufels.

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MissFlashback Re: Oh -
Zitat: (Original von Schlauchen am 14.02.2010 - 22:37 Uhr) wow! Das ruft ja förmlich nach mehr!
Vorallem der letzte Satz hat es mir sehr angetan...

Liebe Grüße
Schlauchen


Danke Schlauchen :)
Ich werde auf jedenfall den Rest auch veröffentlichen, wenn du willst,kannst du also weiterlesen :)

Liebe Grüße, Hannah
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