Der Adept
Das Vermächtnis des toten Magiers (8)
„Wir sind von der Polizei, Herr Reinders. Kripo, um genau zu sein. Ich bin Hauptkommissarin Neugebauer, das ist mein Assistent David Hornschuh, erklärte Ashra mit einem einvernehmenden Lächeln. „Wir ermitteln in der Sache Barbara Kosberg.
„Ahja, natürlich. Kommen Sie herein, bitte.“
Jochen Reinders machte sich nicht die Mühe, sich vom Wahrheitsgehalt des von der hübschen Kripobeamtin Gesagten durch Ausweisvorlage zu überzeugen. Er bat die beiden unvermuteten Besucher ins Wohnzimmer, wo Ashra auch gleich ohne längere Umschweife fragte:
„Herr Reinders, laut Ihrer Aussage, die Sie zu Protokoll gaben, verschwand die Vermisste ... sie ist Ihre Tante ...?“
„Äh, ja. Vor dem Gesetz schon“, rang Jochen sich ein gequältes Lächeln ab, „sie ist die jüngste Schwester meines Vaters. Etwa in meinem Alter. Tante habe ich Barbara, glaube ich, noch nie genannt. Doch schon. Als wir noch Kinder waren. Da haben wir uns über die verdutzten Gesichter der Großen immer kaputtgelacht, wenn Barbara schonmal extra laut betonte ,Wie redest du denn mit deiner Tante?! ... war immer eigentlich ganz witzig ...“ Dann wurde er wieder ernst: „Aber ansonsten, nein, wir haben uns stets nur beim Vornamen angeredet. Wir waren ja auch mehr Bruder und Schwester statt Tante und Neffe ... wenn Sie verstehen, was ich meine..?“
„Aber natürlich, Herr Reinders. Mir geht es sogar ähnlich, wissen Sie“, versuchte Ashra die angespannte Atmosphäre, die merklich im Raum lag, zu entschärfen, „mein Onkel ist sogar um einige Jahre jünger als ich. Bei ihm würde es mir nicht einmal im Traum einfallen, ihn mit ,Onkel Ben anzusprechen.“
Jochen brachte ein wesentlich weniger gequält wirkendes Lächeln zustande: „Das kann ich sehr gut nachvollziehen...“
„Na ja“, nickte Ashra und kam auf den Grund ihres „Besuches“ zurück: „Das ist aber leider nun mal nicht Anlass unseres Hierseins, Herr Reinders. Was ich sagen wollte, ist: Ihre Tante ... Entschuldigung, Barbara Kosberg verschwand anscheinend auf dem Weg bei irgendwelchen Besorgungen?“
Jochen Reinders nickte zustimmend, während Markus sich nur wundern konnte, woher Ashra dieses Wissen bezog. Sicher hat sie sich irgendwie Einblick in die Akten verschafft, dachte er dann, oder forscht mal kurz - sozusagen mit links - in Jochens Gedankenwelt nach. Wie auch immer, jedenfalls fand Markus, dass Ashra ihre Rolle als Kripokommissarin verdammt echt spielte und beherrschte.
„Was uns nun interessiert, Herr Reinders“, forschte Ashra weiter, „können Sie uns irgendwelche Angaben machen, welcher Art diese Besorgungen hätten sein können? Welche Geschäfte die Vermisste hätte aufgesucht haben können? Wohin sie gehen wollte? Vielleicht hat sie Ihnen gegenüber ja erwähnt, dass sie dann und dann dort und dorthin wollte, um Besorgungen zu machen...?“
Ganz schön raffiniert, dachte Markus. Sie wäre bestimmt auch eine gute echte Polizistin geworden. So richtig routiniert ...
Das Schmunzeln in Ashras Gesicht deute ihr Gegenüber, Jochen Reinders, als freundliche Erwartung seiner Antworten. Doch dahingehend musste er sie enttäuschen. Kopfschüttelnd antwortete er:
„Nein, tut mir leid. So genau kann darüber auch keine Angaben machen. Barbara sprach nur vom Frisör, und dass sie ein paar Besorgungen zu erledigen hätte. Genaueres hatte sie mir gegenüber auch nichts erwähnt. Mehr weiß ich auch nicht ...“
Für einen kurzen Augenblick stockte Jochen Reinders, dann schüttelte er entschieden den Kopf.
„Hmm“, machte Ashra, „Sie gaben aber auch zu Protokoll, dass die Vermisste auch für Sie, Herr Reinders, etwas besorgen wollte.“
Irritiert hob Jochen Reinders die Augenbrauen. Dass er das zu Protokoll gegeben haben sollte, daran konnte er sich zwar absolut nicht erinnern, aber wenn sie es sagte ...
„Das ist richtig. Ja. Stimmt. tschuldigung, war mir wirklich entfallen. Zu meinem Geburtstag wollte Barbara mir unbedingt eine Freude mit etwas Besonderem machen. Da hatte ich ihr sowas wie einen kleinen Wunschzettel aufgeschrieben.“
„Na bitte, da hätten wir doch schonmal etwas“, frohlockte Ashra richtiggehend. „Müssten Sie doch vom Fernsehn her kennen, Herr Reinders. Wie oft wird da in den Krimis von der Polizei hoffnungsfroh verkündet. Auch der kleinste Hinweis, mag er Ihnen noch so absurd oder unwahrscheinlich vorkommen, kann letzten Endes ausschlaggebend sein..! Wissen Sie noch, was Sie alles auf Ihrem Wunschzettel aufgeschrieben hatten? Vielleicht können wir anhand dessen in Frage kommende Geschäfte ausfindig machen und überprüfen, ob Barbara Kosberg am Tag ihres Verschwindens dort gewesen ist. Zumindest hätten wir aber einen Anhaltspunkt, um den Weg rekonstruieren zu können, den ihre ... den Barbara Kosberg genommen haben könnte, ehe sie ...“
Noch bevor Ashra „verschwand“ sagen konnte, hatte sich Jochen Reinders Gesichtausdruck auch schon betrübt wirkend, verändert. Und nur leise kam es über seine Lippen:
„Vielleicht können Sie es ja nicht verstehen...“, begann er zaghaft.
„Versuchen Sies!“ ermunterte Ashra ihn zum Weiterreden.
„Nun ja, wissen, vor kurzem haben wir einen Freund beerdigt ... er war mein bester Freund, der beste Kumpel, den man sich vorstellen kann ...“
Ashra spürte förmlich selbst den Kloß im Hals ihres Gegenübers. Aber auch den des Mannes an ihrer Seite Markus Topas. Der Mann, der jetzt am liebsten aufgesprungen wäre, um loszubrüllen, dass er nicht tot sei, dass etwas Unerklärliches passiert sei ... dass er ...
„Tus nicht!“ zischte es da scharf in dessen Bewusstsein hoch. „Du darfst dir nichts anmerken lassen. Du würdest uns alle gefährden. Beruhige dich wieder ... bitte, Geliebter...“
Unter Aufbietung aller Kraft schaffte es Markus tatsächlich, sich selbst zu überwinden und seinen drängenden Impulsen nicht nachzugeben. Stattdessen quälte sich ein abgrundtiefer Seufzer über seine Lippen, den Jochen Reinders allerdings als Unmutszeichen aufgrund seines Zögerns zum Weiterreden missdeutete. Er versuchte sich zu fassen:
„Na ja, Markus, so hieß mein Freund, wissen Sie, der interessierte sich so wahnsinnig für Mythologie, Parapsychologie und so. Kurz vor seinem Tod hat er mir noch ganz aufgeregt von irgendeinem Pergament erzählt, auf das er durch Zufall gestoßen war und in dem die Rede von einem angeblich magischen Buch stehen würde oder so ... ich weiß den Zusammenhang nicht mehr so richtig ...“
„Nicht weiter schlimm, Herr Reinders, erzählen Sie nur weiter.“
„Also, der Markus, der hatte kaum noch ein anderes Thema drauf, als dieses ominöse Buch. Und das er das unbedingt haben wollte, haben m u s s t e wie er immer wieder betont hat. Und er wüsste auch schon, von wem der darüber Näheres erfahren könne ... warten Sie, irgendwo habe ich mir doch auch diese Adresse notiert gehabt, die Markus mir dazu gesagt hatte.“
Unter halb gesenkten Augenlidern beobachtete Ashra den neben ihr wie auf heißen Kohlen sitzenden Markus Topas. Möge er ihr verzeihen, dass es mehr ihr Wille war, der Markus auf seinen Platz verharren ließ, der liebend gern aufgesprungen wäre, um seinem Freund Jochen bei der Suche nach der Notiz behilflich zu sein.
Jochen Reinders indes riss eine Schublade des breiten Schrankes nach der anderen auf, kramte ziellos darin herum, ehe er sich unter leisem Fluchen wieder zustieß. Dann endlich:
„Ah, endlich. Ja, hier ist sie!“ Wie ein Sieger, der seine Trophäe dem jubelnden Publikum entgegenstreckt, hielt auch Jochen den gefundenen Wisch in die Höhe, auf dem er sich seinerzeit die von seinem Freund Markus angegebene Adresse notiert hatte.
Jochen reichte Ashra den Zettel: „Markus kam leider nicht mehr dazu, sich dieses Buch zu besorgen. Nennen Sie mich ruhig sentimental, aber ihm zu Ehren wollte ich mir dieses Buch anschaffen. Zur Erinnerung an Markus, verstehen Sie?“
Ashra nickte. Sie blickte in diesem Augenblick tief in das Herz eines aufrichtig trauernden Freundes, der keinen Hehl daraus machte, dass sich seine Augen mit Tränen füllten ...
Und Ashra fühlte, dass sie den jungen Mann nicht länger mit den Erinnerungen quälen durfte. Abrupt erhob sie sich, reichte Jochen Reinders die Hand:
„Möglich, dass wir uns wiedersehen, Herr Reinders. Vielen Dank. Das hier“, dabei hielt sie die Notiz hier, „wird uns wahrscheinlich ein ganzes Stück weiterhelfen!“
„Hoffentlich“, murmelte Jochen und rang sich ein wenig überzeugtes Lächeln ab.
Auch Markus reichte Jochen Reinders die Hand, vermied es dabei aber geflissentlich, seinem Gegenüber in die Augen zu sehen ...
Aufatmend warf er sich wenig später in die Polster des Streifenwagens, in dem Luvor mit stolzer, unnahbarer Miene und in seinem geänderten Aussehen, hinter dem Lenkrad „residierte“,
„Ooh, Mann!“ stöhnte Markus auf als auch Ashra auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. „Bloß weg von hier! Einfach bloß weg. Egal wohin!“
„Sehr wohl, edler Fahrgast!“
Luvor startete den Wagen und fädelte sich gekonnt in den jetzt doch aufgekommenen Straßenverkehr ein. Gerade so, als würde er tagein tagaus nichts anderes machen, als den Chauffeur zu spielen.
„Wir müssen zur Badstraße, Luvor. Laß mich lenken!“, ordnete Ashra an und dann erlebte Markus trotz seiner Niedergeschlagenheit eine mittlere Herzattacke nach der anderen!
Luvor lehnte sich in seinem Fahrersitz bequem zurück, ließ das Lenkrad los, verschränkte obendrein auch noch seine Arme vor der Brust, und scheinbar steuerlos gewann der Wagen zunehmend an Geschwindigkeit. Dass Ashra die Steuerung übernommen hatte, kam Markus zunächst nicht in den Sinn; als sich der scheinbar führerlose Wagen aber an rotgeschalteten Ampeln vorschriftsmäßig verhielt und auch beim Abbiegen das Blinken nicht vergaß, beugte Markus sich zu Ashra vor:
„Du fährst, richtig?“
Statt Ashra ließ Luvor sich vernehmen: „Sagte ich nicht schon einmal, meine gesalbte Priesterin, er ist ein rechter Schnellmerker ...?“
„Luvor bitte!“
„Pardon, meine übermächtige Huldigkeit. Ich vergaß mich für einen Augenblick!“
„Die Gnade sei dir noch einmal gewährt. Ein letztes Mal. Laß dir das gesagt sein!“
„Dank, immer wieder Dank, durchlauchtige Freundlichkeit, ewig währender Dank.“
„So, jetzt noch die Nächste rechts“, überging Ashra Luvors Wortgeplänkel, „dann sind wir auch schon da.“
Markus blickte auf. Ebenso Luvor, der von seinem Platz aus einen ersten Einblick in die Straße erhielt:
„Reizende Gegend“, schniefte er verächtlich. „Hier wären Sanierungsmaßnahmen auch nicht unbedingt fehl am Platz. Junge, Junge, wie das hier ausschaut...“ Mit einem raschen Seitenblick auf Ashra wagte er auch noch einen kurzen „persönlichen Kommentar“: „Falls mir die Bemerkung gestattet ist, meine sonnebeglückende Erhabenheit ....“
„Mein Gott, Luvor ...“ Markus verdrehte die Augen.
„Mit Verlaub, gepriesene Glorifikation, aber so weit habe ich es noch nicht gebracht...“
Markus verschlug es daraufhin glattweg die Sprache.
Ashra war offenbar längst an Luvors welkblumigen Sprachschatz und ebensolchen Gebrauch davon gewöhnt, denn ohne auf das Wortgeplänkel der beiden einzugehen, setzte sie ihren kommentierten Gedankengang fort: „Dann wollen wir mal sehen ... muss ja hier irgendwo sein ... na bitte. Da ist es. Seht ihr? Dort. Das ruinöse Haus?“
Makus und Luvor folgten mit den Blicken ihrem ausgestreckten Arm.
„Bleiben wir auch gleich hier stehen. Ich möchte jenem Herrn mit Namen Ahmed Suleimann, wie er sich in diesem Etablissement nennt, mein Geliebter, nicht gleich unser Kommen groß ankündigen. Und ich könnte mich auch gleich ein wenig in seinem hübschen Laden umsehen.“
Über dieses „sich umsehen“ konnte Markus höchstens nur Vermutungen anstellen. Wie Ashra es konkret anstellen würde, darüber fehlte ihm allerdings noch jede Erfahrung.
Als Ashra nach etlichen Minuten aber noch immer wie in sich gekehrt dasaß und keine Anstalten zum Aussteigen machte, wollte Markus sich fragend an sie wenden. Luvor sah aus den Augenwinkeln Markus vorgestreckte Hand, die sich auf Ashras Schulter legen wollte. Mit einem blitzschnellen Griff packte Luvor das Handgelenk, drückte Markus Arm zurück. Irritiert blickte Markus Luvor an. Der jedoch schüttelte nur kaum merklich den Kopf. Markus verstand. Ashra war längst in Aktion getreten.
Hätte ich mir eigentlich denken können! tadelte Markus sich selbst in Gedanken. Dann ließ er sich ins Polster seines Sitzes zurückgleiten und hartte wie Luvor der Dinge, die da kommen sollten.
Ihre Geduld wurde auf keine allzu lange Folter gespannt. Mit einemmal bewegte sich Ashra wieder, blickte erst Luvor, dann Markus an:
„Er ist tatsächlich ein Dämon“, flüsterte sie. „Ein kleiner nur und recht unbedeutend, aber eben ein Dämon. Und er steht, trotz seiner Geringfügigkeit in direkter Verbindung mit Asmodis. Erstaunlich. Wirklich erstaunlich. Das bedeutet nämlich, dass auch dieser Unterdämon keinesfalls zu unterschätzen ist. Ich fürchte sogar, dass er es bemerkt hat, als ich seinen Geist anzutasten versuchte. Es ist aber auch durchaus möglich, dass ihn eine andere Kraft gegen solche Zugriffe schützt. Aber wie dem auch sei, er blockte meinen Zugriff derart ab, dass es mir nicht sofort gelingen wollte, in ihm einzudringen. Ich muss es also auf einem anderen Weg versuchen!“
„Wir, meine Liebe“, korrigierte Markus da. „ W i r werden einen anderen Weg suchen!“
„Du bist noch zu schwach dafür, Geliebter. Das bißchen Wissen, das du dir in den beiden letzten Tagen erworben hast, kann uns eher schaden als nützen.“
Sie hat vermutlich Recht, musste Markus sich auch selber sagen. Dennoch gab er nicht klein bei:
„Entweder wir beide oder ich trete meine eigene Nachfolge erst gar nicht an!“
„Dagegen wirst du wohl kaum etwas auszurichten haben. Du bist nunmal der Magier Salim Shesba. Ob dus willst oder nicht.“
„Und wenn schon“, meinte Markus mit Bestimmtheit. „Wenn ich nicht daran arbeite, passiert dementsprechend auch nicht viel, oder?!“
„Das ist aber doch nicht dein Ernst, Geliebter?!“ hauchte Ashra sichtlich beunruhigt.
„Doch. Und das darfst du mir getrost glauben.“ nickte Markus mit Nachdruck.
Gleichzeitig spürte er nahezu körperlich, dass Ashra seinen Geist auf Wahrheit oder Lüge zu kontrollieren schien. Mit aller Konzentration, zu der er fähig war, versuchte er Ashra zurückzudrängen.
Und es gelang!
Ashra stieß einen kurzen, gepeinigt klingenden Schrei aus: „Aaah! Du lernst wirklich schnell!“ keuchte sie.
„So etwas brauche ich nicht zu lernen, meine Teuerste“, grinste Markus breit, „so etwas ist einem angeboren!“
Es war ihm tatsächlich gelungen, Ashras geistigen Zugriff abzuwehren. Dass man jemanden damit auch echte Schmerzen zufügen kann, wie Ashras Reaktion gezeigt hatte, sollte der Magier in spe jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt in Erfahrung bringen ...
„Also gut“, Ashra gab sich geschlagen. „Wir werden gemeinsam diesen Dämon vernichten. Aber ich bitte dich, sei vorsichtig. Sei auf der Hut. In jeder Sekunde, bei jedem Schritt, mit jedem Gedanken!“ Markus war sichtlich mit seinem „Erfolg“ zufrieden: „Na bitte, geht doch“, grinste er breit übers ganze Gesicht. „Aber versprochen, ich werde mehr als nur vorsichtig sein. Frage: Wie gehen wir vor?“
„Ach du ahnungslose Generalhaftigkeit“, stöhnte Luvor auf und Ashra blickte schier verzweifelt Markus in die Augen: „Jede Begegnung mit den Mächten der Finsternis ist auch eine neue Erfahrung für mich, Geliebter. Es gibt keine Patentlösung, wie man ihnen begegnet und entgegentreten kann. Es ist immer wieder aufs Neue eine unbekannte Konfrontation. Eine Wahl, eine bestimmte Vorgehensweise und vor allem: eine Erfolgsgarantie gibt es nicht!“
Nun stiegen doch ernsthafte Bedenken in Markus auf, ob er sich tatsächlich einem derart ungleichen Kampf wirklich schon zu diesem Zeitpunkt stellen sollte. Doch dann hatte er sich endgültig durchgerungen: „Wer A sagt, muss auch B sagen gehen wir!“
„Sobald wir ihm gegenüberstehen, wird er erkennen, wer wir sind!“ erklärte Ashra, als sie die Straße überquerten und auf den Eingang des Ladens zugingen, der von einer in der Lackierung abgeblätterten Tür als Antiquitätenhandel ausgewiesen wurde.
„Sein Ehrgeiz, Asmodis imponieren zu wollen, wird es hoffentlich nicht zulassen, dass er sogleich die Mächte der Finsternis um Hilfe anruft. Das wird unsere Chance sein, diesen Dämon vernichten zu können. Ich fürchte aber auch, dass er Mittel zur Verfügung hat, von denen wir keine Ahnung haben. Also nochmal: Sei vorsichtig. Seid beide vorsichtig. Äußerste Konzentration und Obacht ...“
„Geht schon klar, Liebes“, versuchte Markus seine innersten Ängste zu überspielen. „Wir schaffen das schon. Wir wollen doch noch vieles mehr schaffen, oder? Und zwar gemeinsam ... gelle?!“
Entschlossen drückte Markus die Tür auf, trat sofort über die Schwelle. Ashra folgte ihm auf dem Fuß. Zwei Sekunden vergingen ... drei ... dann: „Oh, guten Tag, die Herrschaften ...womit ... womit kann ich dienen ...?“
Seine unsteten Augen verrieten Ashra, dass er ihre Aura fühlen konnte, sie fühlen musste. Das Zittern seiner Glieder hätte ein normaler Kunde des Ladens auf das Alter des Mannes zurückgeführt. Ashra wusste es besser.
Dennoch ging sie auf sein Spiel ein. Ein Spiel, das tödlich enden würde. Nur, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststand, wer der Unterlegene sein würde ... Ashra, Luvor und Markus, oder der Dämon, der hinter der Maske eine biederen Antiquars auf seine Opfer lauerte.
„Wir suchen ein bestimmtes Buch. Sie werden uns sicherlich behilflich sein können?“ Ashra taxierte den Dämon genau. Oh ja, er wusste Bescheid. Ihr versteckter Hinweis auf das Buch wäre nicht einmal mehr nötig gewesen.
Auf der Stelle machte der dämonische Antiquar kehrt und wieselte auf eine Tür zu, die in ein angrenzendes Zimmer führen musste. Markus setzte augenblicklich hinterher.
„Warte!“ rief Ashra. „Lauf nicht blindlinks in eine Falle!“
Markus stoppte vor der Tür, die hinter dem Flüchtigen ins Schloss gefallen war.
Ein magischer Stoß genügte, dann hatte Ashra die Tür wieder geöffnet. Sie blickten in den düsteren Raum, der dahinter lag. Von dem Dämon war nichts zu sehen.
„Er ist da drinnen“, raunte Ashra Markus zu. „Ich fühle ihn. Er will uns ins Innere locken. In eine Falle. Ich spüre sie ganz deutlich, aber ich kann sie noch nicht erkennen...“
„Dann werden wir sie eben finden!“ brüllte Markus da unkontrolliert auf und stürmte, alle Warnungen außer acht lassend, in den Raum hinein. Bis zur Mitte des Zimmers beförderte ihn sein eigener Schwung, dann gab der Boden unter seinen Füßen nach..!
„Neeeiiinnn!!!“ schrie Ashra gellend auf, als sie sah, dass Markus in Sekundenschnelle bis zu den Knien in einen übel riechenden Morast versank.
„Mit aller Macht, der ihr Geist fähig war, zerrte sie an Markus tiefer und tiefer einsinkenden Körper. Und sie sah den Dämon, der unter höllischem Kreischen seine unbändige Freude über seinen Teilerfolg kundtat.
Ashra lenkte ihre geistigen Kräfte auf den feixenden Dämon. Mit irrem Kichern wehrte die Höllenkreatur diesen Angriff scheinbar mühelos ab: „Du kannst mich nicht bezwingen, Priesterin!“ keifte er. Schaumiger Speichel rann aus seinen Mundwinkeln. „Über mich wirst du keinen Sieg erringen können. Und sieh doch nur, dein armer Freund, gleich wird er schon gar nicht mehr zu sehen sein. Dann ist es aus mit ihm. Asmodis wird ihn sicherlich mit Freuden und offenen Armen empfangen, haa ... haaa ...aaahaaa ...!“
Nur für einen kurzen Augenblick wurde dadurch Ashras Aufmerksamkeit abgelenkt, als sie zu Maarkus hinüberblickte, der tatsächlich schon bis zum Unterleib im Morast steckte. Doch die winzige Zeitspanne reichte dem Dämon aus, um wie von der Sehne geschnellt, auf Ashra zuzuspringen, sie zu packen und auch sie über den magischen Sumpf zu zerren.
Intuitiv zog Ashra ihre Beine an. Sie spürte, dass sie mit diesem irrealen Morast nicht in Berührung kommen durfte. Denn wenn Asmodis hierbei seine Finger im Spiel hatte, dann würden ihre magischen Fähigkeiten nicht ausreichen, um sich dagegen wappnen zu können.
Nur wenige Zentimeter trennten sie von der wabernden, pulsierenden Masse des fauligen Untergrundes. Und direkt neben ihr sackte Markus Stück für Stück tiefer, Zentimeter für Zentimeter...
Krampfhaft verkrallte Ashra sich in den Anzug, mti dem sich der Dämon in der Gestalt des Antiquars zeigte. Zwar versuchte der wiederum mit allen ihm zur Verfügung stehen Kräften sich aus Ashras zu befreien, aber die Totenpriesterin gab nicht nach.
„Ich halte dich, Dämon, und wenn wir gemeinsam zur Hölle fahren!“
Der Dämon spie ihr grünen Schleim ins Gesicht.
Ashra unterdrückte den Ekel, der ihr hochkommen wollte.
„Salim!“ rief sie da laut auf. „Salim, dein Amulett!“
Der Dämon blickte irritiert zu Markus hinunter. Er kannte nur einen, den man vor Äonen mit dem Namen Salim gerufen hatte. Persönlich begegnet war er ihm zwar nie, doch wusste der Dämon genau, wie dieser Salim ausgesehen hatte. Doch der da im magischen Sumpf war nicht jener Salim, dieser verhasste Salim Shesba, dieser Weißmagier.
Markus steckte bereits bis zur Schulter in dem todbringenden Untergrund. Seine Bewegungsfreiheit reichte kaum aus, siene Arme zu bewegen ... aber er musste seine Hosentasche erreichen ... musste es einfach schaffen! Millimeter für Millimeter kämpfte sich seine Hand durch den widerspenstigen, zähen Brei stinkenden Morastes.
„Du musst es schaffen!“ hörte er Ashras flehende Stimme.
Doch der Bodenlose Sumpf verschluckte ihn bereits bis zum Kinn ... und seine Hand war der Hosentasche nicht wesentlich nähergekommen.
Ashra spürte, dass Markus Kräfte schon jetzt nachzulassen begannen.
„Deinen Geist!“ rief sie. „Das Amulett. Lass es zu dir kommen. Befiehl es zu dir!“
Der Dämon kreischte vor Vergnügen: „Glaubst du wirklich, ich würde auf dein albernes Theater hereinfallen, Priesterin? Dein Ablenkungsmanöver ist zwecklos. Gib auf! Ich zwinge dich ohnehin in den Sumpf, weil ich der Stärkere von uns beiden bin. Durch den Sumpf mit dir ... und auf dem direkten Weg in Asmodis Arme ... oooh, ihr werdet sicher ein reizendes Paar abgeben. Oh, welch ein Triumph!“ frohlockte er meckernd und bleckte seine gelben Zähne. Fauliger, stinkender Atem wehte Ashra entgegen. Entsetzlicher noch, als der Gestank, der vom Boden her in ihre Nase drang.
Urplötzlich erfüllte ein helles Sirren die verpestete Luft. dann kreischte der Dämon im fürchterlich kreischendem Diskant auf. Der Griff seiner zupackenden Hände ließ nach, erschlaffte völlig.
„Volltreffer!“ hörten er und Ashra da Markus Jubelgebrüll, das er trotz bis an seine Lippen reichenden Schlammassen hervorbrachte. So weit es ihm möglich war, reckte er sein Kinn über die Oberfläche des Morastes.
Ashra löste ihre verkrampften Hände aus dem Jackett des Dämons. Sofort wich auch der magische Bann, der Ashra und ihn im schwebenden Zustand über dem Morast gehalten hatte.
Ahmed Suleiman klatschte wie ein schwerer Sack auf den unwirklichen Boden. Da sah Ashra auch die silberne Scheibe des Amuletts, das sich hinter dem rechten Ohr tief in den Schädel des Dämons gebohrt hatte und augenblicklich sein höllisches Dasein ausgelöscht hatte.
Befreit kam ein kurzes Lachen über ihre Lippen, als sie sah, dass der Körper des Dämons allmählich im Sumpf zu versinken begann. Gleichzeitig setzte dessen fürchterlicher Zerfallprozess ein. Das ohnehin schon desolate Gesicht wurde zu eine ekelerregenden Fratze, deren Haut blasenwerfend aufplatzte, ehe sie sich vollständig vom Knochen löste und zischend im Morast verdampfte!
Für Markus wurde es allerhöchste Zeit!
Zum zweiten Mal rief sein Geist nach dem Amulett. Diesmal jedoch nicht, damit es vernichtete, sondern um Leben zu retten. Sein Leben zu retten!
Der Schädel des toten Dämons barst endgültig auseinander, als die flache, silberne Scheibe sich selbständig daraus löste und auf Markus zuschwebte. Direkt über seinem Kopf blieb das Amulett rotierend in der Luft stehen. Dann gewann es langsam, aber stetig an Höhe ebenso Markus, der wie von unsichtbaren Seilen gehalten mehr und mehr dem tödlichen Sumpf entrissen wurde ... bis er schließlich völlig frei in der Luft „hing“...
„Du stinkst entsetzlich, Geliebter“, konnte Ashra nicht an sich halten, als sie wieder auf der Straße standen und mit langsamen Schritten auf ihren Wagen zugingen.
„Ich rieche es selbst“, sagte Markus. „Wird allmählich Zeit, dass ich unter die Dusche komme.“
Noch bevor sie den Wagen erreichten, rümpfte Luvor angewidert die Nase und drehte demonstrativ den Kopf zur Seite:
„Wenn sich die herrschaftliche Pestinenzlichkeit bitte möglichst unbeweglich und soweit wie möglich in die hinterste Ecke platzieren mögen ...!“
„Luvor, glaubst du etwa, ich fahre mit diesem stinkenden Dämonenkiller auch nur einen Meter weit?!“
Konsterniert hob Luvor eine Augenbraue als er Ashra so reden hörte. Ehe er dazu allerdings etwas äußern konnte, fuhr Ashra fort:
„Wir wollen dein hübsches Wägelchen doch nicht ruinieren, mein Lieber. Du kommst mit dem schön wieder zurückgefahren, wir nehmen diesmal doch lieber „den Express“. Oder, Geliebter?“
„Nur, wenn wir die dadurch gewonnene Zeit auch zur gemeinsamen Reinigung nutzen...“
„Oh nein, meine glorreiche ...“ Aber da hatten sich Ashra und Markus alias Salim Shesba vor seinen Augen bereits quasi in Luft aufgelöst .... „Erhabenheit ...“hauchte Luvor tonlos zu Ende, dann stieg er ins Fahrzeug.
„Dann soll das junge Glück aus etwas davon haben!“ murmelte er vor sich her, als er den Wagen vom Parkstreifen auf die Straße rollen ließ, „... ich fahr ganz, ganz langsam ...“
Ende
Der Adept, Teil 1: Das Vermächtnis des toten Magiers
© Gerd Kirvel
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