Beschreibung
Die Idee ist mir gekommen, als ich mit Freunden zu einer Eishalle unterwegs gewesen bin.
- überarbeitete Fassung -
Da stehst du geduldig vor der Eislaufhalle und wartest auf mich. Ich nähere mich dir langsam und erkenne, dass die Jahre deiner Schönheit keinen Abbruch getan haben. Noch immer hast du diese anziehende Ausstrahlung, die du auch an dem Tag, als wir uns das erste Mal getroffen haben, verstreutest. Das muss sicher schon zehn Jahre her sein, wenn nicht mehr. Wir waren damals noch ziemliche Anfänger gewesen, aber wir hatten unsere Freude auf dem Eis.
Ich gehe mit einem Lächeln zu dir und nehme dich in die Arme. Du drückst zärtlich zurück. Seit Jahren schon hatten unsere Terminkalender einem Treffen einen Riegel vorgeschoben. Doch heute hatten sie endlich ihre Barrikaden fallen lassen und einen Tag freigegeben. Du scheinst das Gleiche zu denken, denn du lächelst über das ganze Gesicht und deine Augen strahlen diese Freude betäubend in meine Richtung.
Die üblichen Fragen nach dem Befinden und wie der Weg war, lassen wir hinter uns und gehen rein. Am Telefon warst du aus dem Häuschen, als ich dir erzählte, dass wir die ganze Halle für uns allein haben würden. Sie hatten nur eingewilligt, weil ich sagte, dass ich noch für meinen Olympialauf trainieren müsste. Dass ich aber mit einer der besten Eisläuferinnen der Welt trainieren würde, habe ich ihnen verschwiegen. Der Andrang wäre sonst auch zu groß geworden und ich wollte, dass dieser seltene und besondere Tag nur uns gehört.
Während ich die Lichter einschaltete und die Musik-CD reinlegte, hast du dich umgezogen. Als du in deinem schwarzen Kleidchen, dem zurecht gemachten Haar und deinen weißen Schlittschuhen vor mir stehst, stockt mir der Atem. Dieses Kleid erkenne ich sofort wieder. Es ist das gleiche, das du bei dem ersten Turnier getragen hast. Ich hatte es dir zu diesem Anlass geschenkt. Wir haben das Turnier gewonnen und jeder hatte uns dazu überschwänglich gratuliert.
Ich kann nicht fassen, dass du es all die Jahre aufgehoben hast. Aber noch mehr fasziniert mich, wie kaum du dich in den Jahren verändert hast. Der Schnitt des Kleides betont deine Taille und Figur noch immer so sehr, dass man glauben könnte, dass das Kleid nur aufgemalt sei. Wobei aber nichts anzügliches aufkommt, sondern nur Gedanken von reiner Schönheit aufblühen.
Deine nur im Ansatz bedeckten Beine sind immer noch ein Blickfang. Jede deiner Bewegungen scheint von so viel Anmut getragen zu werden, dass ich versucht bin, auf die Knie zu fallen und der weißen Göttin für diese Schöpfung zu danken..
Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, in der du einfach ein wenig verlegen und unsicher vor mir gestehst, bis ich aus meiner Starre erwache und dir so viele Komplimente entgegen werfe, wie es mein Sprachvermögen zulässt. Du lachst leicht, da es offensichtlich ist, dass ich gerade keinen klaren Gedanken fassen kann. Aber dir macht es nichts aus. Vielmehr ist es für dich die Zusicherung, dass sich seit unserem letzten Treffen nichts geändert hat.
Ich entschuldige mich bei dir und entschwinde schnell zur Umkleide. Glücklicherweise hatte ich von Anfang an vorgehabt, das anzuziehen, was ich auch bei dem Olympialauf tragen werde. So habe ich auch die Möglichkeit mögliche Schnittfehler schnell zu erkennen.
Seit ich mit dem Eislaufen im großen Stil angefangen habe, hat sich das Aussehen meiner Kleidung kaum verändert. Ich empfinde es als beruhigend etwas Konstantes zu haben. Es gibt zwar für jeden Lauf entsprechende kleine Anpassungen zum Kleid meiner Partnerin, jedoch nie so groß, als das man den Anzug nicht sofort wiedererkennt. Eine Sache aber habe ich sie nie, und werde auch nie, anrühren lassen: Die schwarzen Schlittschuhe, die ich extra zum ersten Wettkampf gekauft hatte. Du hast immer gesagt, dass sie so schwarz wie die Nacht sind und sich das Licht des Eises in ihnen wie Sterne spiegeln würde.
Aus der Umkleide kommend, sehe ich, wie du dich im Licht der Deckenlampen zum Takt der Musik bewegst. Es ist eine ruhige Musik, die für das Einlaufen gedacht ist. Deine zauberhaften Beine schwingen gekonnt nach links und rechts aus, stoßen sich vom weißen Teppich ab um im nächsten Moment wieder den Kontakt zu ihm zu suchen und zu finden. Du nimmst Fahrt auf und lässt dich auf der Oberfläche, wie von Wellen getragen, kurz darauf treiben. Ein kleiner Wechsel der Beinstellung und schon läufst du rückwärts. Dein Lächeln durchbricht die Schatten dieser Halle und es scheint, als wäre sie bis ins letzte Eckchen von Glück erfüllt. Für mich sieht es so aus, als würde eine Göttin über das Eis schweben.
Du entdeckst mich und machst im Rückwärtsfahren lockende Bewegungen mit den Händen. Du flüchtest mit einem Lächeln, denke ich erheitert. Ich gebe deinen Lockungen nach und betrete das weiße Meer um im nächsten Moment neben dir Bahnen zu ziehen. So wie du läufst, kann man gar nicht glauben, dass du wegen einem Unfall das Eislaufen aufgeben musstest. Ich nehme dich in den Arm und wirbel dich im Kreise rum. Du senkst die Beine und schon haben wir den Anfang unserer Kür wiedergefunden. So lange ist es her und trotzdem ist noch alles in den Muskeln und Knochen verankert. Jeder einzige Ablauf, jede Figur und jede Drehung. Wir tanzen auf dem Eis, als wären wir wieder um 10 Jahre zurückversetzt und dabei das Turnier zu gewinnen. Ich nehme Schwung und werfe dich in die Luft. Mit deinen ausgebreiteten Armen erweckst du den Eindruck, als würdest du fliegen, bevor du wieder in meinen Armen landest und wir uns strahelnd in die Augen sehen.
Nachdem die Kür alter Tage zu Ende ist, atmen wir schwer, doch zeichnet ein zufriedenes Lächeln unsere Gesichter. So laufen wir zur Beruhigung ein wenig über das Eis und reden nebenbei von alten Zeiten und was alles passiert ist. Wir unterhalten uns zwar viel über das Telefon, aber das ist das erste Mal, dass wir uns dabei ins Gesicht blicken können. Du erzählst noch einmal, wie sehr du es vermisst hast das Eis durch die Gegend zu kicken und diese wohlige Kälte zu spüren. Ich weiß, dass dein Mann es nicht zulässt. Seit deinem Unfall hat er es dir verboten. Ich habe es versucht dir auszureden, aber du hast immer auf ihn gehört. Ich war froh, dass du dann doch noch für heute zugestimmt hast. Doch ich fange nicht mit diesem Thema an. Wir haben dies schon zu oft durchgekaut und einen erneuten Streit will ich nicht vom Zaune brechen.
Du fragst, ob ich wegen dem Olympialauf aufgeregt sei.
Meine Laufbahn hast du weiterhin verfolgt. Die vielen Turniere und Wettbewerbe. Du warst sogar bei einigen mit deinem Mann dabei. Das musstest du mir nicht einmal sagen. Ich habe dich jedes Mal in der Menge entdeckt und mir vorgestellt, dass wir dort auf dem Eis unseren Tanz vollziehen und die Trophäen gewinnen. Natürlich sage ich dir das nicht.
Von dem Gedanken abkommend, erkläre ich dir, dass ich mit meiner Erfahrung und dem harten Training keine Aufregung mehr verspüre.
Aber ich entfache deine Neugier damit, dass ich für diesen Lauf etwas ganz besonderes einstudiert habe. Etwas, das bisher noch keiner versucht hat. Du willst sofort wissen, was es ist, da ich den Eiskunstlauf jetzt schon so revolutioniert habe, dass einige mich den "Eisgott" nennen. Ich überlege nicht lange und will dir nicht nur die besondere Figur, sondern meine ganze Kür für die Olympiade zeigen. Schließlich hast du schon früher gerne meinen Vorführungen zugesehen. Deine Freude kannst du kaum verbergen und fragst, ob du dafür vom Eis müsstest, doch ich verneine und sage, dass du mir damit sogar bei der Kür helfen würdest.
Nach diesen Worten hast du mich mit deinem warmen Lächeln angesehen und das Strahlen deiner Augen wurde noch klarer.
Ich programmiere die Musikanlage auf eine Minute Wartezeit und stelle das passende Lied ein. Bevor die Musik los geht, freuerst du mich fröhlich an: "Zeig was der Eisgott zusammen mit der Nacht und den Sternen anstellen kann." Ich lächel einen Moment und blicke auf meine Schlittschuhe runter, die heute so blank sind, dass man sich wirklich darin spiegeln kann.
Als die ersten Töne aus der Musikanlage hallen und ich mich vom Eis abstoße, werde ich wieder ernst.
Es spielt eine traurige Musik. Dies überrascht dich ein wenig, da ich noch nie mit einer traurigen Musik bei einem Wettbewerb aufgetreten bin. Doch deine Aufmerksamkeit wandert wieder zu mir, als ich zum ersten Sprung ansetze. Im Takt der spielenden Violine springe ich vom Eis ab und drehe mich fünf Mal um die eigene Achse, bevor ich wieder das Eis mit dem gleichen Bein küsse um sofort wieder in die Luft zu steigen und einen gestreckten Salto in vollendeter Haltung zu präsentieren.
Du stehst wie hypnotisiert am Rand der Eisbahn und kannst deine Augen nicht von mir reißen. Ich kann es dir nicht verübeln. Es gibt nicht einmal eine Hand voll von Läufern, die diese einzelnen Sprünge außerhalb der Theorie meistern konnten, aber sie dann so schnell hintereinander zu vollziehen, grenzt an Magie. Doch das ist noch nicht alles. Mit der Zeit habe ich etwas geschafft, das unmöglich sein sollte. Die feinen Flocken, die auf dem Eis liegen, habe ich gebändigt und sie zu meinen Dienern berufen. Sie erheben sich, wenn ich auf dem Eis meine Beschwörungen drehe und folgen mir. Dies hat noch keiner zuvor gesehen, weil ich das immer alleine geübt habe, aber für dich muss es so aussehen, als würde Glitter meinen Bewegungen die ganze Zeit folgen; als hätte ich Feenstaub abbekommen.
Und damit der Eindruck verstärkt wird, werden meine Bewegungen und Sprünge höher und geschmeidiger. Saltos, Drehungen, Piruetten und andere Sprünge wechsel ich im Einklang mit der Musik ab und versuche mein eigenes Lied zu spielen.
Mein Tanz geht schon seit knappen fünf Minuten, doch für dich muss es vorkommen, als würdest du schon Stunden dort stehen. Ich habe neben Sprüngen schon Sachen vorgeführt, die auf dem Eis nicht möglich sein dürften. Ein schlitternder Handstand, übergehend in einen Kopfstand um dann in einer mehrfachen Rolle zu enden, die aussieht, als würde dort eine Discokugel über das Eis rollen, ist nur ein Beispiel aus diesem Lauf. Ich hoffe bei jeder Figur, dass du sie auch so siehst, wie sie beabsichtigt ist. Die Magie soll dich einnehmen. Doch ich glaube, dass ich es gut mache, denn keine einzige Zögerung oder Fehler unterläuft mir bei der Ausführung. Der Lauf ist einfach perfekt.
Aber perfekt ist nicht genug. Ich konzentriere mich noch mehr und lasse meine Untertanen den Glanz um mich herum zunehmen. Ich merke nicht, wie sich in den Glanz der Flocken noch ein anderer mischt. Etwas Vergleichbares, doch von einer anderen Quelle und rein in seiner Entstehung. Einer, die ich im Augenblick nicht kontrollieren kann, weil ich zu beschäftigt damit bin auf die fehlerfreie Ausführung meiner Kunst zu achten.
Bisher habe ich alles was ich hatte in meine Figuren gelegt. So sehr habe ich mich noch nie zuvor angestrengt. Ich habe in jede Bewegung das Äußerste an Grazie und Eleganz, die ich aufbringen konnte, gelegt. Meine Kür nähert sich dem Ende und es fehlt nur noch der Abschluss.
Die Musik spielt an dieser Stelle langsamer, herzerweichender und leiser. Zum ersten Mal bemerke ich die Feuchtigkeit in meinem Gesicht. Länger darf ich nicht mehr warten, wird mir bewusst. Ich ziehe einen großen Bogen durch die Halle, bei dem ich zunehmend an Geschwindigkeit aufnehme. Ich werde so schnell, dass ich in einigen Spiegelungen die Farben meiner Kleidung eine visuelle Spur ziehen seh. Doch ich muss noch schneller werden. So fange ich zusätzlich an mich schneller und schneller um mich selbst zu drehen. Ich muss zu einem wandernden Bohrer auf dem Eis werden. Einem, der dabei die feinsten Flocken aufwirbelt und sie zu einem silbernen Wirbel um sich vereint.
Sie steht noch immer an der gleichen Stelle, die sie zu Anfang eingenommen hatte, und verfolgt mit kindlichen Augen meine Bewegungen. Der Bohrer ist nun ein silberner Tornado auf einer Wanderung durch die weiße Prärie und er nähert sich dir. Er kommt bei dir an, bevor du etwas sagen kanst und ich springe hoch.
Es blitzt kurz auf und du hast mit einem Lächeln und weit aufgerissenen Augen das Ende meiner Figur verpasst.
Die Musik verklingt und ich lösche das Licht. Unser Treffen ist zu Ende. Du hast das Ende der Figur nicht gesehen.
Ich bin dir aber nicht böse. Schließlich liebe ich dich. Nicht so wie dein Mann, dem ich heute auch noch die Figur zeigen muss. Ihm werde ich aber nur den Blitz vor Augen führen. Mehr hat er auch nicht verdient.
Dich jedoch, werde ich immer lieben. Nicht diese minderwertige Hülle zu der dich dein Mann gemacht hat, sondern die Tänzerin, die du warst. Diese lebensfrohe Königin des Eises. Die weiße Göttin. Meine Gefährtin ...
Ich weiß, dass er dir das Eislaufen verbot, weil er Angst hatte. Angst, dass die blauen Flecken gesehen werden könnten. Angst, dass du irgendwann erzählen würdest, dass er den Unfall verursacht hatte, wodurch du nicht mehr Eislaufen konntest. Angst, dass deine wahnsinnige Liebe sterben könnte und du ihn verlässt.
Mit meiner letzten Figur habe ich dich aber wieder in das verwandelt, was du immer warst.
Mit der Figur "Die nächtliche Guillotine".