„Ich bin verheiratet.“ Irritiert legte ich die Stirn in Falten. „Und warum hast du mir das nicht gesagt?“ Er lächelte immer noch. „Hättest du etwas mit mir angefangen, wenn ich es dir gesagt hätte?“ Ich überlegte kurz. „Vielleicht?“ „Eben, und änder tut das auch nichts. Du bist schliesslich auch verheiratet. Nur, meine Frau hat das mit uns Beiden herausgefunden.“
Erschrocken starrte ich ihn an. „Oh, und jetzt, was machen wir?“ stotterte ich. „Wir? Gar nichts. Ich habe ihr versprochen, dass ich mich heute ein letztes Mal mit dir treffe.“ „Du hast was?“ Immer noch ungläubig blickte ich ihn an. „Bedeutet dir das hier denn gar nichts?“ „Doch, aber ich liebe meine Frau und ich würde sie niemals verlassen. Es tut mir leid.“ Wehmütig blickte er mich an und rutschte unruhig auf seinem Stuhl umher. Ich konnte immer noch nicht fassen, was er mir da erzählte. Mein Puls pochte in meiner Schläfe, eiskalt lief es durch meinen Körper. Er machte Schluss! Und das erst noch mit einem Lächeln im Gesicht. „Es gibt noch mehr.“ Ollie setzte sich wieder ruhig hin, mit einer traurigen Geste umfasste er wieder meine Hände. „Meine Frau ist wahrscheinlich eben dabei alles deinem Mann mitzuteilen.“ Ruckartig schob ich den Stuhl zurück und stand auf. Sprachlos starrte ich ihn an. „Wie kannst du dabei nur so ruhig da sitzen! Das ist mein Leben, sie hat darin nichts zu suchen!“ Der letzte Satz hallte so laut durch den idyllischen Raum, dass sich einige Gäste irritiert zu uns umdrehten und Ollie beschwörend mit den Armen wedelte. „Es tut mir leid, ich konnte sie nicht davon abbringen. Ob sie es wirklich tut, kann ich dir nicht sagen. Zudem hast du dich auch in ihr Leben eingemischt.“ Das war nun das Letzte, was ich hören wollte. Ich wusste es. Die ganze Zeit nagte das schlechte Gewissen schon an mir, aber deswegen musste er es mir nicht direkt ins Gesicht schleudern. Meine Gedanken überstürzten sich und verbissen nagte ich an meiner Unterlippe. Schliesslich setzte ich mich wieder hin. „Ich möchte nach Hause. Lass uns zahlen.“ Ollie kramte seine Kreditkarte aus der Jackentasche. „Was ist mit der 201? Sie ist immer noch gebucht.“ Erstaunt und gleichzeitig entsetzt blickte ich ihn an. „Ich kann jetzt nicht mit dir schlafen, meine ganze Welt bricht gerade zusammen!“ „Es ist unser letzter Abend, danach werden wir uns nicht mehr sehen.“ Sein Blick war ruhig und sanft, doch ich war viel zu aufgewühlt, um mich darauf einzulassen. Ich war überzeugt, wenigstens jetzt das Richtige machen zu müssen und blieb fest bei meinem Entschluss. Ich schüttelte energisch den Kopf. „Nein!“ Ollie musterte prüfend mein Gesicht. „Okay, dann lass uns gehen.“
Ollie zahlte und binnen Minuten standen wir auf der kalten Strasse. Es hatte wieder begonnen zu schneien, um uns herum tanzten die Schneeflocken. Es war still, gerade so, als würde die ganze Welt den Atem anhalten. „Es tut mir leid, ich wollte nicht, dass es so endet.“ Vorsichtig legte mir Ollie den Arm um die Schultern und begleitete mich durch die dunkle Stadt. Wortlos gingen wir einige Zeit nebeneinander her. „Ich war dumm,“ liess ich ihn schliesslich an meinen Gedanken teilhaben. „Ohne zu zögern habe ich alles aufs Spiel gesetzt. Ich hoffe, René kann mir nochmals verzeihen.“ Verwundert blickte er mich an. „Wie meinst du, nochmals?“ „Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihn hintergehe. Das letzte Mal ist allerdings schon ziemlich lange her. Wir haben uns ausgesprochen und uns wieder zusammen gerauft. Als du kamst, habe ich einfach nicht darüber nachgedacht.“ Unterdessen waren wir bei der Kreuzung zu unserem Haus angekommen. René hatte den Weg freigeschaufelt, doch bereits setzte sich wieder neuer Schnee auf der Auffahrt fest. Der Spaziergang hatte mir gut getan, nun war ich ruhig und bereit für das was kommen sollte. Ollie nahm mich nochmals in die Arme, einen Moment betrachtete ich das schöne Gesicht mit den himmlischen Augen, dann hauchte er mir einen letzten Kuss auf die Stirn, drehte sich um und war weg. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich nun freuen oder ihm vor lauter Sehnsucht hinterher laufen sollte.
Eine Weile stand ich da, die Flocken wirbelten um mich herum, doch schliesslich riss ich mich los und ging auf die herrliche Villa zu. In den Fenstern war es dunkel, anscheinend waren alle schon im Bett. Ich stutzte, es war noch gar nicht so spät. Und René wollte sicher noch mit mir reden. Bei der Eingangstür klopfte ich die Schuhe ab und drückte die Klinke. Es war nicht abgeschlossen. Vorsichtig trat ich ein, zog Schuhe und Mantel aus und drückte auf den Lichtschalter. Ein Schuhschrank fehlte. Verwirrt lief ich weiter zum Wohnzimmer. Die zweite Palme war ebenfalls weg, genauso wie die beiden Sessel, die zur Dreier-Sitzgruppe gehörten. Ich sah zur offenen Küche hinüber, die Hälfte des Geschirrs fehlte. Erschrocken rannte ich zur Treppe in den oberen Stock, nahm jeweils zwei Tritte auf einmal und riss die Tür zum ersten Kinderzimmer auf. Geschockt lief ich weiter zum zweiten Raum, doch auch da erinnerte nur noch der Staub auf dem Parkett, wo bis vor Kurzem das Bett und der Schrank gestanden hatten. Das Elternschlafzimmer war das Einzige, in dem kaum etwas fehlte. Der Wecker war weg. Und die Kleider. Meine Knie gaben nach und kraftlos setzte ich mich aufs Bett. Auf meinem Kopfkissen lagen eine Rose und ein Umschlag. Mein Herz krampfte sich zusammen, doch zögernd griff ich schliesslich danach und zog die Karte aus dem Kuvert. Renés Kreditkarte fiel mir auf den Schoss, als ich sie aufklappte.
„Meine grosse Liebe,
Ich habe mitgenommen, was ich brauche. Die Kinder sind bei mir. Die Hälfte des Kontos habe ich dir drauf gelassen. Suche uns nicht, wir sehen uns vor Gericht, um den Rest zu klären.
In Liebe,
René“
Tränen rannen mir über die Wangen. Es schien, als wäre die Nuss auf der letzten Praline ziemlich faul gewesen. Das Dumme ist nur, dass man sich ja meist selber aussucht, welches Stück man aus der Schachtel ziehen will…
Seither sind bereits wieder drei Monate vergangen. René hat das Sorgerecht für die Kinder bekommen, einmal im Monat dürfen sie bei mir ein Wochenende verbringen. Die Villa haben wir verkauft, den Erlös aufgeteilt. Die Bank schleicht dem Bankrott entgegen und ich schaue mich bereits nach einem neuen Job um. Ollie habe ich nicht wieder gesehen oder gehört.
Und Pralinen haben bei mir ab sofort Hausverbot…