Also, wo fang ich denn nun an? Ich glaube, am Besten beim Zitat von Forrest Gump: "Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel, man weiss nie, was man kriegt!"
Bis vor sechs Monaten war tatsächlich alles noch wie Schokolade mit Honig-Nougat-Füllung. Ich hatte einen wunderbaren Job als Finance Analyst in einer renommierten Bank, einen traumhaften Mann zuhause in unserer Sechszimmer-Luxus-Minergievilla und zwei bezaubernde Kinder im vorpupertären Mittelschulalter.
Doch dann kam Ollie. Gross, muskelbepackt und wunderschöne Augen. Alle im Büro drehten sich nach dem sportlichen Revisor um. Die Frauen um zu schmachten, die Männer aus purem Neid über seinen Sixpack. Bereits am ersten Morgen hatten wir miteinander zu tun, Zahlen über Zahlen wälzten wir uns gegenseitig zu und schliesslich lud er mich zum Mittagessen ein. Nach einer Woche intensiver Zusammenarbeit hatte er meine Treuegrenze geknackt und küsste mich nach unserem vermeintlich letzten gemeinsamen Abendessen. Ich liess es geschehen, ohne einen Gedanken an meine Familie zu verschwenden.
Dieser verhängnisvolle Abend änderte alles. Wir sahen uns mindestens drei Mal die Woche („Schatz, wir haben eine kurzfristig eingeplante Sitzung“, “ich muss Überstunden machen, das Projekt läuft nicht wie geplant“, „der Chef braucht noch Zahlen“), keine Wochenenden, immer im selben Hotel (Zimmer 201). Der Sex war himmlisch, kaum trafen wir aufeinander, flogen auch schon die Kleider. Es war das genaue Gegenteil von zu Hause, aber das machte es ja auch so spannend. Mein Mann war ruhig, wenig spontan und immer im gleichen Schema. Ollie hingegen kam gerne schnell auf den Punkt, probierte aus und wusste genau, was und wie er es wollte. Wir hatten viel Spass und endlich hatte ich wieder einmal das Gefühl als würde ich richtig leben. Alles schien mir leicht, die Kinder nervten mich nicht mehr, wenn ich nach Hause kam (meist waren sie sowieso schon im Bett) und René hatte keine Ahnung, warum ich plötzlich nicht mehr auf den wöchentlichen Beischlaf bestand. Er freute sich einfach, dass es mir gut ging und schob die Lustlosigkeit auf den Stress im Büro.
Drei Monate vergingen mit Spass mit Ollie und einem perfekt organisierten Alltag. Dann sagte Ollie plötzlich das erste Mal einen unserer gemeinsamen Abende ab. Enttäuscht bezahlte ich das gebuchte Zimmer und machte mich auf den Heimweg. Schnee lag auf den Dächern, einzelne Flocken wirbelten in der kalten Nachtluft umher, trotzdem verlängerte ich meinen Nachhauseweg noch ein bisschen. Das erste Mal machte ich mir Gedanken darüber, was René wohl sagen würde, wenn er von dem prachtvollen Hengst wüsste, der seine Frau das letzte Quartal wahrscheinlich schon mehr bestiegen hatte als er in den letzten 15 gemeinsamen Ehejahren. Ich schmunzelte, merkte aber auch, dass sich der schöne Revisor immer mehr in mein Herz geschlichen hatte. Das war nicht gut, ich wollte die schützende Umgebung meiner Familie nicht verlassen. Trotzdem reizte mich das Unbekannte und Unabhängig, das Ollie umgab. Ich würde wohl mal mit ihm reden müssen, bis jetzt hatten wir das immer auf die Seite gedrängt.
Gleich am nächsten Morgen schrieb ich Ollie eine E-Mail, wie enttäuscht ich war und dass ich ihn vermisst hätte. Der Vormittag schlich vorüber und nichts Aussergewöhnliches fand den Weg in mein Outlook-Postfach. Lustlos stocherte ich am Mittag im Essen und beim Nachmittagsmeeting bekam ich so gut wie nichts mit. Er liess mich weiter zappeln.
Am Abend war ich für einmal wieder Beizeiten zu Hause. René hatte gekocht, es roch verführerisch, doch auch das konnte mich nicht aus meiner Lethargie holen. Die Kinder freuten sich, dass ich wieder einmal einen ganzen Abend zu Hause war, ich liess ihre Anstürme über mich ergehen.
Vor dem Schlafen gehen checkte ich nochmals meine Geschäftsmailbox. Nichts. Mit einem dumpfen Kloss im Bauch legte ich mich neben René ins Bett. Seine sanften Annäherungen weckten kein Gefühl bei mir, trotzdem liess ich sie über mich ergehen. Wir schliefen miteinander, doch statt sich danach wie üblich auf die Seite zu rollen und einzudösen, streckte sich René lang auf den Rücken und starrte an die Decke. „Du bist nicht mehr dieselbe“, bemerkte er gedankenversunken. Ich starrte ihn an. „Was meinst du?“ „Du bist nicht wirklich da, wenn du da bist, weichst du mir aus, mit dem Blick und meinen Berührungen. Die Kinder beachtest du kaum mehr. Was ist los?“ Erstaunt und gleichzeitig erschrocken blickte ich ihn im Halbdunkel des Zimmers an. „Ich… ich weiss nicht, zu viel Stress, glaube ich. Im Moment ist im Büro die Hölle los“, log ich. Er starrte weiter zur Zimmerdecke. Schliesslich beugte er sich mit einem „Hmpf“ und einem tiefen Seufzer zu mir rüber, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und drehte sich wieder auf die andere Seite. Nach einiger Zeit hörte ich sein gleichmässiges Atmen, er war eingeschlafen. Ich lag noch lange wach, überlegte mir, was ich wollte doch auch der fortschreitende Minutenzeiger konnte mir darauf keine Antwort liefern.
Einige Tage später rief Ollie endlich an. Ich spürte, wie mein Herz einen Sprung machte, dabei wollte ich doch sauer sein. Doch das Glücksgefühl, endlich wieder seine Stimme zu hören, war stärker. „Es tut mir leid, mein Schatz. Wir hatten ein dringendes Meeting in Stockholm, das konnte ich nicht absagen. Wie wäre es, ich führe dich heute Abend galant aus und anschliessen gehen wir noch in die 201?“ Natürlich wollte ich! Sehnsüchtig verdammte ich die Nachmittagsstunden und als ich den schwarzen Wagen endlich um die Ecke biegen sah, stürmte ich auch schon zum Büro raus.
Ollie war wie immer. Fröhlich, voller Tatendrang und charmant. Er hatte einen wunderschönen Tisch direkt am See und mit Blick auf die wunderschön beleuchtete Stadt gebucht. Das Essen war toll, der Wein sank langsam in mein Gemüt und ein wohliges Gefühl dehnte sich in meinem ganzen Körper aus. Als der Hauptgang weggeräumt war, beugte sich Ollie schliesslich über den Tisch, legte zärtlich seine Hände über meine und seufzte tief. Ein geknicktes Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich muss dir etwas erzählen.“ Seine Augen lagen gespannt auf meinem Gesicht. Ich lächelte ihm aufmunternd zu und drückte zur Bestätigung seine Hände. „Okay, das hört sich geheimnisvoll an, leg los.“ Tief blickte er mir in die Augen.