Der Himmel war in das pechschwarze Tuch der Nacht gehüllt, übersäht mit Sternen und dem aufflackern von Blitzen eines aus der Ferne anbrausenden Gewitters. Der Wind tobte und sie stand auf der Fensterbank ihres weit geöffneten Fensters und lies den Wind in ihren Haaren und ihrer Seele brausen. Sie liebte das Gefühl, wie er ihre Haut liebkoste. Selbst wenn der Wind so stürmisch und wütend wie jetzt gerade war, fühlte er sich doch immer wie die zärtlichen Hände liebevoller Engel an.
Sie stand eine gefühlte Ewigkeit auf dem Fenstersims ihres Zimmers im ersten Obergeschoss und atmete tief die frische Nachtluft ein. Die Haare wurden ihr wirr zerzaust und ins Gesicht gefegt, aber es machte ihr nichts aus. Sie genoss es. Den ganzen Tag war ihr Inneres Amok gelaufen, hatte sie wieder verwundet. Sie hatte geblutet und gelitten und nun war es, als wäre alles aus ihr herausgebrochen und würde die Welt da draußen in einem Sturm schütteln und lautlos anschreien. Wie sie es genoss.
Sie stand auf diesem Sims und stellte sich vor, dass unter ihr der Boden nicht aus Rindenmulch bestand und auch nicht nur ein Stockwerk entfernt war. Sie stellte sich vor - und wünschte sich eigentlich sogar - dass unter ihr harter, gnadenlos unnachgiebiger Asphalt war. Steinharter Asphalt, der mindestens 10 Stockwerke von ihr entfernt war. Sie stellte sich vor, wie sie auf dem Sims des Daches eines Hochhauses balancierte. Wie der Höhenwind in der gleichen Heftigkeit an ihren Haaren riss, wie der Sturmwind jetzt es tat. Sie musste nur die Augen schließen und schon hatte sie die Szene deutlich vor Augen. Wie gern würde sie sich einfach fallen lassen. Aber wenn sie es tat, würde sie sich höchstens die Nase oder einen Arm brechen.
Also genoss sie lieber weiter die Vorstellung, bis die Sehnsucht nach dem Sturz zu schmerzhaft wurde.
Sie öffnete die Augen und betrachtete den Himmel. Eindrucksvoll erleuchteten in der Ferne immer wieder kurze Blitze den stellenweise wolkenverhangenen Himmel. Sie schaute wieder gerade nach oben, in den Sternenhimmel direkt über ihr und wünschte sich, sie könnte einfach zu den Sternen aufsteigen und in eine vollkommen andere Welt eintauchen. Eine Welt fernab derer, in der sie noch leben musste.
Aber irgendwann sollte es soweit sein, irgendwann würde sie diese Welt, in die sie nicht zu gehören schien, aus eigener Kraft verlassen. Irgendwann...