Zwei unheimliche Stunden
Zwei unheimliche Stunden
(Kleine Gruselgeschichte)
Es ist neun Uhr abends. Ich sitze gedankenverloren am
Kamin starrend in die züngelnden Flammen. Obwohl
das Feuer lichterloh brennt, zittere ich vor Kälte am
ganzen Körper. Sicherlich liegt es am Wetter, denn
schon seit Tagen weht ein eisiger Westwind über das
Land und peitscht einen Regenschauer nach dem
Anderen durch die Strassen. Gerne würde ich ins Bett
gehen und mir die Decke bis über den Kopf ziehen und
von Sommer und Sonnenschein träumen; aber es geht
nicht. Meine Frau ist mit ihrer Freundin in die Oper
gegangen und ich habe ihr versprochen, sie mit dem
Wagen abzuholen. Doch noch ist es nicht soweit. Ich
rücke meinen Stuhl etwas näher an den Kamin, lege die
Hände in den Schoß, döse, friere und warte.
Der Regen klatscht ununterbrochen gegen die
Scheiben, der Wind wird immer heftiger. Soll ich noch
Holz nachlegen, oder soll ich ein bißchen
schlaf...schla...aaah? -
Ich höre Schritte auf dem Korridor, Schritte, die immer
lauter werden und näher kommen. Wie angewurzelt
bleibe ich auf meinem Stuhl sitzen. Ich lausche. Mit
einem donnernden Knall fliegt die Tür auf, herein tritt
ein breitschultriger Mann, der einen Trenchcoat, einen
tief in die Stirn gezogenen Hut und eine Brille mit
getönten Gläsern trägt.
Meine Glieder erstarren, ich wage mich nicht zu
bewegen. ,,Bleib schön ruhig sitzen, Professor, sonst
werde ich ungemütlich", zischt mich der Fremde an.
Mit zitternder Stimme frage ich: ,,Wieso Professor?
Ich bin kein Professor, ich bin nur ein einfacher
Angestellter." Der Fremde lacht: ,,Ja, ja, dieses
Geschwätz kenne ich: Du bist kein Professor und Du
kennst auch kein Ultrano X1: Du weißt überhaupt
nichts, he?"
,,Aber ich versichere Ihnen, ich weiß nicht wovon Sie
reden, Sie verwechseln mich sicher mit..."
Ich kann meinen Satz nicht zu Ende führen. Der
Fremde packt mich fest am Hals und zischt: ,,Noch ein
Wort, Professor, und ich dreh Dir den Kopf nach
hinten. Los jetzt, aufstehen, der Chef erwartet
Dich !"
Langsam gehe ich zur Tür hinaus. Im Garten werde ich
urplötzlich von zwei dunklen Gestalten angefallen. Sie
verbinden mir die Augen, fesseln mir die Hände auf
dem Rücken und stoßen mich brutal in ein Auto.
Die Fahrt dauert etwa zehn Minuten, dann stoppt der
Wagen. Die Türen fliegen auf und die Stimme des
Fremden ertönt: ,,Fesselt ihm die Beine und dann
verschwindet, aber schnell !" Fest verschnürt werde ich
vom Sitz gezogen und auf den Boden zwischen die
Polster geworfen. Die Fahrt geht weiter. Manchmal,
wenn der Wagen über eine schlechte Strasse holpert,
schlägt mein Kopf hart auf den Boden; ich verliere fast
die Sinne. Doch dann, ein oder zwei Stunden Fahrt, ich
kann es nicht mehr genau abschätzen, bleibt der Wagen
wieder stehen. Von unbekannten Händen werde ich aus
dem Auto gezerrt und auf die Beine gestellt. Man löst
mir die Fussfesseln. Eine starke Hand umklammert
meinen Arm und mit den Worten: ,,Los komm schon
Professor", werde ich eine Treppe hinaufgeführt. In
einem Raum angekommen nimmt man mir die
Augenbinde ab. Unsicher blinzele ich nach allen Seiten.
Hinter einem Schreibtisch erkenne ich schließlich einen
alten Mann, einen Schwarzen, in einem weissen Kittel.
,,Bitte, treten Sie näher, Herr Professor und trinken Sie
eine Tasse Kaffee mit mir", ruft er mir zu.
,,Danke", erwidere ich zynisch, ,,ich bin zwar kein Professor, aber eine Tasse Kaffee habe ich jetzt bitter nötig. Zuvor würde es mich jedoch interessieren,
weshalb Sie mich entführt haben?"
Ruhig und besonnen, als wäre nicht geschehen,
antwortet der Schwarze: ,,Sie sind unhöflich, Professor,
ich behandele Sie wie einen lieben Gast und Sie stellen
unnötige, dumme Fragen. Aber wenn Sie es unbedingt
wissen wollen: Ich brauche Ihre Hilfe bei der
Zusammensetzung von Ultrano X1." ,,Zum Teufel mit
Ihrem Ultrano." brülle ich den Schwarzen, nach einem
kräftigen Schluck aus der Tasse, an. ,,Zum Teufel auch
mit Ihnen und Ihrer fixen Idee! Ich sage Ihnen jetzt
noch einmal: Ich bin nicht der Mann, den Sie suchen.
Ich bin auch kein Professor, ich bin ein einfacher
Angestellter einer Chemiefabrik - von Ihrem Ultrano X1 habe ich nie etwas gehört." Wie ein Wahnsinniger
fängt der Dunkelhäutige zu lachen an, sein Gesicht
gleicht dem einer Bestie. Seine Hände verkrampfen
sich in der Tischplatte, als er mich anschreit: ,,Sie sind
ein Idiot, Professor, Sie wollen mich zum Narren
halten, obwohl Sie genau wissen, dass es zwecklos ist.
Sie sind wie die meisten Gelehrten, Sie haben
großartige Kenntnisse auf irgend einem Spezialgebiet,
aber sonst sind Sie einfach idiotisch !" Er springt auf,
kommt auf mich zu, packt mich an der Schulter und
zischt mir ins Ohr: ,,Kommen Sie mit, ich werde Ihnen
etwas zeigen."
Wir gehen durch eine kleine eiserne Tür, dann einen
langen Gang entlang und noch einmal durch eine Tür,
eine Treppe hinunter, die in einen großen künstlich
beleuchteten Raum führt, eine Art Kellergeschoss,
hergerichtet jedoch mit sämtlichen Dingen eines
erstklassigen Labors.
Wieder zischt der Schwarze mich an: ,,Sie können
sofort anfangen, alles was Sie benötigen, finden Sie
hier im Labor. In spätestens einer Woche verlange ich
von Ihnen die Fertigstellung von fünf Kilo Ultrano X1.
Also, Sie haben viel Zeit - beginnen Sie."
,,Hören Sie endlich auf mit Ihrem Ultrano X1”, fauche
ich zurück, ,,ich weiss nicht, was es ist und kann Ihnen
deshalb auch nicht helfen; egal welche Druckmittel Sie
auch anwenden, ich kann und werde Ihnen nicht helfen.”
Der Schwarze gibt keine Antwort, er schnipst nur mit den Fingern. Zwei finstere Gestalten kommen auf mich zu, zerren mich durchs Labor in eine weissgetünchte Ecke und drücken mich unsanft auf einen Stuhl. Der eine zieht einen Gummiknüppel aus der Lederjacke, der andere greift zu einer brennenden Fackel und hält sie mir dicht vors Gesicht. Ich zittere und bebe vor Angst, die Augen kneife ich fest zu. Sekunden vergehen, ich spüre die heiße Flamme ganz nah vor meinem Gesicht; der Gummiknüppel ist noch nicht in Aktion getreten.
Als die Stimme des schwarzen Mannes erneut erschallt,
presse ich meine Augen noch fester zusammen.
,,Wollen Sie mir jetzt helfen, Herr Professor, ja oder
nein - überlegen Sie es sich gut." Verzweifelt schreie
ich: ,,Nein, nein, nein, ich kann es nicht und ich will es
nicht. Lassen Sie mich in Ruhe !" ---
,,Was kannst und willst Du nicht", sagt plötzlich eine
sanfte Frauenstimme neben mir. Ich reisse die Augen
auf, erschrocken starre ich in das Gesicht meiner Frau.
,,Du hier", stammele ich leise, ,,hat er Dich auch..."
,,Nein, mich hat garnichts", unterbricht sie mich, ,,aber
Dich hat es beinahe erwischt. Statt mich von der Oper
abzuholen, sitzt Du hier in Deinem Stuhl und träumst
und schreist und hängst mit dem Kopf halb im Kamin;
ich bin gerade noch zur rechten Zeit gekommen."
,,Ja, Liebling, Du bist gerade noch zur rechten Zeit
gekommen, wer weiss, was ohne Dein Erscheinen noch
alles passiert wäre."
Kopfschüttelnd, mit den Gedanken noch immer beim
Traum, taumele ich langsam ins Bett.