Biografien & Erinnerungen
Warum mien Vater gesoffen hat

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"Warum mien Vater gesoffen hat"
Veröffentlicht am 27. Januar 2010, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Warum mien Vater gesoffen hat

Warum mien Vater gesoffen hat

 

Warum mein Vater gesoffen hat

 

Heute meint Mutter, dass er ein Quartalssäufer war. Es ist mitnichten so gewesen, nur es kann ihn keiner mehr fragen. Sein Verhalten resultierte grob gesehen aus zwei unterschiedlichen Ursachen. Einerseits bekleidete er einen Job, der mit Feierlichkeiten von Anfang an verbunden war. Aus diesem Ansatz heraus und aus der falschen Einstellung, die er uns Kindern zum Teil anerzog, schlug er immer dann zu, wenn es was umsonst gab. Umsonst gab’s eigentlich nie was! Wenn keiner etwas zahlen musste, dann wurde über sogenannte Fonds finanziert, die ja da waren aber auch erst einmal „gespeist“ werden mussten. Für alles Mögliche gab’s Fonds. Für die Partei, für die Jugend, den Sport und das Brigadeleben. Fonds wurden abgerechnet und kontrolliert. Welch gewaltigen Umfang solche Fonds annehmen konnten erlebte ich, als ich Berufsrevolutionär wurde. Aus der Neuerertätigkeit wurde der „MMM- Fond“ gebildet und da waren etliche Tausender drin je nach Betriebsgröße. Argwöhnisch wurde die Verwendung von allen Seiten beobachtet, durch die Genossen und die Gewerkschaft; ja die Staatsbank beschäftigte einen Sonderprüfer, der ins Haus kam und genau Nachweise verlangte. Vater feierte nie gern. Vater war aber auch eitel! Hatte er eine Rede ausgearbeitet und gehalten, dann sah er sich durch den Applaus bestätigt. Das Fußvolk war aber gehässig. Was lag näher, als danach anzustoßen und den Chef einzuladen. Was jeder vertrug, war ein anderes Ding und es ist und bleibt eine unmögliche Form der Verbrüderung mit anschließender Gehässigkeit. Von den „Freunden“ importiert, die mit den Nachwehen kaum Probleme hatten, fanden die Deutschen natürlich etwas Ehrenrühriges, wenn ein Chef in die Knie ging, hier verwechselte man Größe/ Stärke mit dem Vermögen den Direktangriff von Drogen zu trotzen. Da uns die Droge Alkohol und Nikotin bis zur Jugendweihe verboten war, war das Thema immer von Interesse. Enttäuscht und entsetzt waren wir, wenn unser Vater mit einer Breitseite nach Hause kam. Erhalten sind Momente, wo von der Küchentür quer durch die Küche ein Paket mit Bratwürsten flog, an die Wand klatschte und dann abfiel. Das „Geschoss“ hatte Vater geworfen, er stand vollkommen blau in der Tür. Die unverträgliche Dosis hatte des Bild des sonst überkorrekten Mann verzerrt, damals fehlte uns ein Reim darauf. Geblieben ist das Erlebnis, als er mit Lothar W. um die Hausecke schwankte, die Hände auf den Schultern des Vordermannes und beide sangen: „...Hamm se nich, hamm se nich, hamm se nich ne Frau für mich?   Ja, ja, ja, wir hamm noch ene da! Dann schmeiß’ ich meine Olle weg und nehm die andre mit ins Bett!...“  Unverständnis auf allen Wellen. Zu allen normalen Tagen ging er als Erster aus dem Haus und kam als letzter wieder heim. Sonnabends wurde damals noch gearbeitet, nur der Sonntag war frei und da saß er auch an dem liebsten Platz, dem Schreibtisch. Das er in dem Alter, in dem ich jetzt bin gern ein Nickerchen machte, kam mir  seltsam schlapp vor, denn wir Brüder hatten Munterkeit ohne Ende. Besonders, wenn wir schlafen sollten. Ein absolutes Schlüsselerlebnis traf in eine Zeit, wo sich starker Widerstand gegen seine diktatorische Art und Weise formierte. Stellte er im KONSUM den umgänglichen Chef dar, so waren seine Erziehungsmaßnahmen“ hart, krass und ohne einen Schimmer Güte. Heute weiß ich, er hatte stets Angst und seine Strenge war eine Form der Argumentsleere. Am Ende blieb ihm diese Angst und die zwang ihn immer, so ehrlich zu sein und nie einen Vorteil zu nutzen, wenngleich er vor seiner Nase lag. Ihm fehlte die Intelligenz, die Sonderform „Sozialistische Wertumverlagerung“ zu nutzen und/oder die brutale Beschränktheit seiner Nachfolger. Weil er Angst hatte, wollte er das seine Söhne ‘ne Art Rambo wurden, wie er hätte seien wollen. Seine Angst verlieh ihm in Jugendjahren, als Landser, Kraft und er wuchs über sich selbst hinaus, als er den Titopartisanen in Italien die Stirn bot. Von seiner Mutter hatte er den Sinn für Gerechtigkeit. Von Vater und Mutter die Arbeitswut, denn sie hatten ihm diese vorgelebt. Noch mit fast 50 Jahren, im Jahre 1971 holte er sich bei der Mutter Rat, weil er Angst hatte, denn meine langen Haare waren ein Vergehen, das noch vor dem Tragen von Blue Jeans oder Westwerbeplastebeuteln kam. Aus dieser Angst und um des Vergessens Willen haute er manchmal über die Stränge. Der Schnaps verlieh ihm Kraft, machte ihn groß und unverwundbar. Leider vertrug er nicht viel und im Niedergang verlor er mehr als er gewann. Am „day after“ war er doppelt klein, voller Reue und das war Muttis Stunde. Sie konnte jeden Wunsch durchsetzen, die waren nie riesig und was im Inneren vor sich ging, wenn er sich so verbiegen musste?! Doch zum Schlüsselerlebnis! Irgendwer kam und klingelte. Es war Winter! „Euer Vater liegt in der Fleischergasse!“ Es war Abend, jeder Passant, der die Stelle passierte sah da den Alten liegen. Also zog das innerfamiliäre Rettungsteam aus. An einem Hauseingang lag das fette Ding, ein Bild wie aus „David Copperfield“. Ihn hochzubekommen war schon schwer, ihn nach Hause zu ziehen, schleppen und stoßen ein langwieriges Geschäft. Wenn uns die Leute sehen! Die Treppe rauf und rein, im Schlafzimmer besorgte Mutter den Rest. Dann kam das Plündern des „Gestrandeten“. Mutter bekam das Geld, denn er wusste mit Sicherheit nicht, was er ausgegeben hatte. Wir nahmen uns die Zigaretten und ich weiß noch, wie wir in der Stube saßen und Mutti bewegen wollten, sich von ihm zu trennen. Der Kinder wegen hielt, was nicht zusammengehörte! Mutti hat ihn gestützt, saniert und war die Basis seiner nicht vorhandenen Größe. Er war ein normaler kleiner Angestellter, den die Neue Zeit an einen Platz katapultierte, der ‘ne Nummer zu groß für ihn war. Er hatte die Ebene seiner Unfähigkeit erreicht, war aber so eitel es nie zu bekennen und wenn man da ist, kann man auch nicht mehr überblicken, was Phase ist. Zum Übersehen muss man einen „höheren Schau“ einnehmen können. Hinzu kommt die Eitelkeit, weil der Bruder war ja auch schon da, das „Hase und Igel Syndrom“, welches ich in abgewandelter Form erleben sollte. Er war einer von Vielen, von denen der Zeiss - Biermann höhnisch sagte, er habe noch keine Opfer der sozialistischen Arbeit gesehen. Tausende Neuchefs, ohne Schulung und Vorbildung - geschweige denn familiäre Tradition, ungezählte Neubonzen - die aus ehrlichen Herzen heraus ein neues „Staatshaus“ für Alle bauen wollten und nicht schnallten, wie sich die Spitze selbst korrumpierte, sowie ein Riesenheer von Neulehrern, die bewusst oder meist ehrlich ohne Arg als Pädagogen ein Volk von willfährigen Dienstameisen formierten. Doppelte Opfer, um die Jugend betrogen, in ein untaugliches Laborexperiment verwoben, das schief gehen musste und dann noch vom „Wesssihohn“ verlacht. Wie muss ein Ego aussehen, das soviel Schmäh schadlos übersteht? Nur Hofnarren und Scharlatane bleiben lebensfähig, andere wurden mehrfach zerbrochen.

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Boris
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Boris Re: Der Schlusssatz ist grooooooßartig..... - das mit den Leerzeilen lag am PC
und zur Revision hatte ich keine Lust...

dank dir

LG Boris
Zitat: (Original von Phosphorkeule am 27.01.2010 - 20:28 Uhr) der Inhalt stark. Hättest aber ruhig ein paar Leerzeilen lassen können, denn mir ist beim Lesen etwas schwindelig geworden! ;-)
LG Norbert

Vor langer Zeit - Antworten
NorbertvanTiggelen Der Schlusssatz ist grooooooßartig..... - der Inhalt stark. Hättest aber ruhig ein paar Leerzeilen lassen können, denn mir ist beim Lesen etwas schwindelig geworden! ;-)
LG Norbert
Vor langer Zeit - Antworten
Boris Re: Re: Arnos Worten kann ... - es wäre ein eigenes Buch
wie ich von meiner Mutter getrennt wurde
und das ich ihr nicht mehr danken kann,
weil es nicht mehr ankommt

Danke

JFW
Zitat: (Original von LadyLy am 27.01.2010 - 12:55 Uhr)
Zitat: (Original von Gunda am 27.01.2010 - 11:35 Uhr) ... ich mich nur anschließen, Jürgen.
Es ist gut, dass ihr Jungen das Vorbild als abschreckend empfunden habt. Oft wird ja auch noch nachgeeifert -. und die eigene "Karriere" ist vorgezeichnet, ein Teufelskreis.
Deine Mutter hat mich Sicherheit noch wesentlich mehr gelitten, als ihr Kinder euch das damals vorgestellen konntet.
Ein guter, weil schonungsloser Text.

Lieben Gruß
Gunda


Dem möchste ich mich eigentlich gerne kommentarlos anschließen. Wobei, da ich deine Antwort sehe, nicht kommentarlos. Denn ein Schlaganfall ist furchtbar, wie ich gerade im eigenen Umfeld erleben musste. Vielleicht auch deshalb mein noch gewachsener Respekt deinem Umgang mit den Thematiken gegenüber.

Ly

Vor langer Zeit - Antworten
LadyLy Re: Arnos Worten kann ... -
Zitat: (Original von Gunda am 27.01.2010 - 11:35 Uhr) ... ich mich nur anschließen, Jürgen.
Es ist gut, dass ihr Jungen das Vorbild als abschreckend empfunden habt. Oft wird ja auch noch nachgeeifert -. und die eigene "Karriere" ist vorgezeichnet, ein Teufelskreis.
Deine Mutter hat mich Sicherheit noch wesentlich mehr gelitten, als ihr Kinder euch das damals vorgestellen konntet.
Ein guter, weil schonungsloser Text.

Lieben Gruß
Gunda


Dem möchste ich mich eigentlich gerne kommentarlos anschließen. Wobei, da ich deine Antwort sehe, nicht kommentarlos. Denn ein Schlaganfall ist furchtbar, wie ich gerade im eigenen Umfeld erleben musste. Vielleicht auch deshalb mein noch gewachsener Respekt deinem Umgang mit den Thematiken gegenüber.

Ly
Vor langer Zeit - Antworten
Boris Re: Arnos Worten kann ... - danke dir
nur leider hat meine Mum nix mehr davon,
weil ein Schlaganfall 2004 ihre Persönlichkeit völlig entstellt hat!


LG Jürgen
Zitat: (Original von Gunda am 27.01.2010 - 11:35 Uhr) ... ich mich nur anschließen, Jürgen.
Es ist gut, dass ihr Jungen das Vorbild als abschreckend empfunden habt. Oft wird ja auch noch nachgeeifert -. und die eigene "Karriere" ist vorgezeichnet, ein Teufelskreis.
Deine Mutter hat mich Sicherheit noch wesentlich mehr gelitten, als ihr Kinder euch das damals vorgestellen konntet.
Ein guter, weil schonungsloser Text.

Lieben Gruß
Gunda

Vor langer Zeit - Antworten
Boris Re: Gratulation - ich meine, nur so kann man damit umgehen,
nur so wird eine AUTObiographie

LG JFW
Zitat: (Original von Abendschoen am 27.01.2010 - 10:00 Uhr) Bin sehr beeindruckt. Einerseits grundlegende Analyse, andererseits konkrete anschauliche Details. Einerseits schonungsloser Umgang mit Familiärem, andererseits Verknüpfung dieses Privaten mit Allgemein-Gesellschaftlichem. So ergibt sich Erkenntnis. - Arno Abendschön

Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: Noch etwas -
Zitat: (Original von Abendschoen am 27.01.2010 - 11:55 Uhr) Wieder einmal habe ich den Eindruck, dass die Leserstatistik nicht stimmt. Ich habe gegen zehn Uhr gelesen, und zwar alle Seiten und deutlich länger als nur eine Minute. Davon finde ich keine Spur in der Aufstellung.

Arno Abendschön



Da ist doch ein Leser eingetragen, Arno: 9.49 Uhr - mehrere Minuten.
Vllt ging die interne Uhr nur nicht richtig.

Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Noch etwas - Wieder einmal habe ich den Eindruck, dass die Leserstatistik nicht stimmt. Ich habe gegen zehn Uhr gelesen, und zwar alle Seiten und deutlich länger als nur eine Minute. Davon finde ich keine Spur in der Aufstellung.

Arno Abendschön
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Arnos Worten kann ... - ... ich mich nur anschließen, Jürgen.
Es ist gut, dass ihr Jungen das Vorbild als abschreckend empfunden habt. Oft wird ja auch noch nachgeeifert -. und die eigene "Karriere" ist vorgezeichnet, ein Teufelskreis.
Deine Mutter hat mich Sicherheit noch wesentlich mehr gelitten, als ihr Kinder euch das damals vorgestellen konntet.
Ein guter, weil schonungsloser Text.

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Gratulation - Bin sehr beeindruckt. Einerseits grundlegende Analyse, andererseits konkrete anschauliche Details. Einerseits schonungsloser Umgang mit Familiärem, andererseits Verknüpfung dieses Privaten mit Allgemein-Gesellschaftlichem. So ergibt sich Erkenntnis. - Arno Abendschön
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