Biografien & Erinnerungen
Wieder daheim

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"Wieder daheim"
Veröffentlicht am 26. Januar 2010, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Wieder daheim

Wieder daheim

 

 

Ihr letzter Tag in der Stadt beginnt kalt und unfreundlich. Die dicke Wolkendecke, die seit Wochen über dem Land liegt, lässt alles trüb und trostlos erscheinen. Menschen laufen mit hochgezogenen Schultern und mürrischem Gesicht am Wagen vorbei, niemand scheint sie zu beachten.

Langsam, fast behutsam setzt sich das Auto in Bewegung, um sie wieder zurück zu bringen. Zurück in das kleine Dorf, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbrachte und das sie dann später fast fluchtartig verlassen hat.

„Du bist wirklich begabt und solltest eine höhere Schule besuchen“, meinte damals der Lehrer, als er ihr das Abschlusszeugnis der zweiklassigen Volksschule überreichte.

„Ein Mädchen heiratet sowieso“, besser wusste es der Vater nicht zu sagen.

Auch die Mutter konnte ihr keinen anderen Rat geben, als sich als Magd bei einem Bauern zu verdingen, oder als Tagelöhnerin auf den Feldern zu arbeiten.

Ihr Weg schien vorgezeichnet.

Ihr Platz war weit hinten in der kleinen Dorfgemeinschaft, in der die Größe des Hofes die Rangordnung bestimmte. In einer Welt, in der das Wort ´Bauer´ ehrfurchtsvoll, wie ein Adelstitel ausgesprochen wurde, gab es für die Tochter eines Kleinhäuslers nicht allzu viele Wahlmöglichkeiten.

So sei es seit Generationen gewesen und so würde es wohl immer sein.

Doch damit wollte sie sich nicht zufrieden geben, darum packte sie eines Tages ihre wenigen Habseligkeiten und zog in die Stadt - im Kopf Jungmädchenträume, im Gepäck Heimweh und den eisernen Willen, es zu schaffen.

Eigenes Geld zu verdienen, sich einmal so richtig satt essen zu können, vielleicht auch ein Paar neue Schuhe – ihre Wünsche waren bescheiden.

Und sie schaffte es tatsächlich, begann zuerst als Kindermädchen, fand bald darauf eine Stelle als Telefonistin, um schließlich  in der Verwaltung eines großen Konzerns zu landen.

Mit den Menschen im Dorf wollte sie nach Möglichkeit nichts mehr zu tun haben. Die spöttischen Blicke der Bauernkinder, das unterwürfige Verhalten, das von ihr erwartet wurde, all das wollte sie so schnell wie möglich vergessen. Zu sehr schmerzte die Erinnerung.

Nur ihren Eltern schrieb sie ab und zu kurze Briefe und lud sie in die Stadt ein, wie etwa bei ihrer Heirat oder nach der Geburt ihrer Tochter.

Nun fährt der Wagen ruhig und gleichmäßig über die einsame Landstraße, vorbei an Weingärten und abgeernteten Feldern.

Bedrohlich ragen dunkle Windräder in den Himmel und zerschneiden mit großen Rotorblättern tiefliegende Nebelschwaden.

Eine Schar Krähen in feierlichem Schwarz lässt sich auf schmutzigem Schnee nieder.

Aus dem eintönigen Grau der Landschaft taucht verschwommen das Gerüst eines kleinen Bohrturms auf.

Er soll an die große Zeit der Erdölindustrie erinnern, die hier an dieser Stelle mit dem ersten Bohrturm ihren Anfang nahm.

Damals fanden viele Menschen bei den Ölfirmen gut bezahlte Arbeit. Das Öl brachte Geld ins Land, auch in ihr kleines Dorf. Rasch wurden die Straßen ausgebaut und bald verkehrten regelmäßig Busse von Ort zu Ort. Mit einem Mal war das Dorf nicht mehr so abgeschieden, bescheidener Wohlstand war eingekehrt – für sie um Jahre zu spät.

Weit in der Ferne kann man schon die Lichter des Dorfes erkennen.

Ein paar Dutzend Häuser, ebenso viele Scheunen und ein kleines Kirchlein – für mehr ist kein Platz zwischen den beiden Hügeln, an die sich verschämt ein paar schmucklose Presshäuser schmiegen.

Ja, die alten Presshäuser, in den Kellergassen hatte sie als Kind oft gespielt.

Die Türen jedes Jahr frisch gestrichen – genau wie früher - stellte sie später einmal bei einem ihrer Spaziergänge fest und strich liebevoll über das alte Holz.

Nach dem Tod ihrer Eltern kam sie wieder öfters in das Dorf - nur um das Grab zu pflegen, wie sie betonte – und auch den Dorfbewohnern stand sie nun, im Alter, nicht mehr so kritisch gegenüber.

Im Gegensatz zu früher kam sie jetzt meist am Nachmittag, manchmal sogar sonntags, immer in der Hoffnung irgend jemanden auf dem Friedhof zu treffen. Jemanden, der langsam mit ihr durch die Gräberreihen ging und auch ein wenig Zeit für ein Schwätzchen hatte. Wer geheiratet hatte, ob jemand krank im Spital lag, sie interessierte sich einfach für alles, was im Dorf geschah.

Alte Familiengeschichten und Anekdoten aus ihrer Jugendzeit, vieles was sie längst vergessen glaubte, schien ihr plötzlich wichtig und lebendig.

Das Grab der Eltern wurde langsam zu einer Brücke zwischen ihr und den Leuten im Dorf.

Oft ging sie auch allein die schmalen Gassen entlang, betrachtete nachdenklich die Häuser, die ihr einst so vertraut waren. Die alte Pferdeschwemme, die kleine Kapelle bei der Brücke – überall wurden Erinnerungen an die Kindheit wach.

Mit einem Mal liebte sie dieses Dorf wieder.

Für die Menschen im Ort war sie noch immer eine der ihren, denn wer in diesem Dorf geboren wurde, gehörte für immer hierher. Jeder kannte jeden und sämtliche Familiengeschichten ließen sich mindestens drei Generationen zurück verfolgen.

Die älteren Bewohner unterhielten sich gern mit ihr, lachten und scherzten und gelegentlich wurde sie sogar zu kleinen Festen eingeladen – ein Privileg, das sie durchaus zu schätzen wusste.

Bald war es, als wäre sie nie fort gewesen.

Aber war sie eigentlich je ganz fort gewesen?

War nicht irgend etwas – ein kleiner Teil ihres Herzens, ihrer Seele – immer in diesem Dorf geblieben und hatte auf den Tag gewartet, an dem sie wiederkommen würde?

Langsam fährt der Wagen an der alten Schule und der verlassenen Dorfschmiede vorbei, um unter den großen Lindenbäumen auf dem Platz vor der Kirche anzuhalten.

Als man den Sarg in die Kirche trägt, beginnen die Glocken feierlich zu läuten.

Sie ist wieder zuhause.

 

 

 

 

 

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ulla

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ulla Re: -
Zitat: (Original von trockblume am 04.01.2013 - 11:06 Uhr) toll geschrieben...heimat ist wo das Herz schlägt
lg heike


Damit hast du wohl recht
Danke fürs Lesen und noch einen schönen Sonntag
lg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
trockblume toll geschrieben...heimat ist wo das Herz schlägt
lg heike
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Heimkehr -
Zitat: (Original von petjula007 am 03.01.2013 - 17:39 Uhr) Hallo ulla,

eine sehr schöne Geschichte, mit sehr viel Liebe geschrieben.
Das Ende war dann doch überraschend, aber sehr schön gelungen.
Hat mir gefallen.

Liebe Grüße
petjula007


Danke petjula,
freut mich, wenn es dir gefallen hat, es ist eine wahre Geschichte aus meiner Familie, die mir dieses "back to the roots" erst begreiflich gemacht hat
ganz liebe Grüße in deinen Abend
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: liebe ulla -
Zitat: (Original von derrainer am 03.01.2013 - 10:31 Uhr) eine schöne geschichte , mit viel gefühl geschrieben ,

lieben gruß rainer


Danke Rainer,
freut mich sehr, dass du immer wieder bei mir vorbeischaust.
Ganz liebe Grüße in deinen Abend
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Wehmut macht sich breit -
Zitat: (Original von Freigeist am 03.01.2013 - 10:11 Uhr) liebe Ulla,

eindringlich und bewegend schaffen deine Zeilen Platz für Wehmut.
Ich kenne dieses Gefühl, bin selbst auf einen bescheidenden, schlichten, 300 Jahre alten Gehöft aufgewachsen. Ich kenne dieses beklemmende Gefühl alter Erinnerungen.
Du hast ja "Mei Elternhaus" schon gelesen, wo ich an mein "Daheim" erinnere.

Sei lieb gegrüßt
Paul


Danke Paul, vor allem für den Favo
wir sind wohl beide sehr "verwurzelt"
die Jugend drängt es Neues zu erforschen, es lockt die Welt,
doch mit zunehmender Reife lernt man die Heimat zu schätzen, sie läßt nicht jeden einfach so ziehen, es ist eine wahre Geschichte aus meiner Familie.
Danke fürs Lesen,
dir noch einen netten Abend und liebe Grüße
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Ich kann mich nur voll und ganz -
Zitat: (Original von MerleSchreiber am 03.01.2013 - 19:45 Uhr) den Worten von fleur anschließen. Eine wunderbare Geschichte!
Und so authentisch, wie alles, was ich bisher von Dir gelesen habe!

Liebe Grüße, Ulla!
Merle


Danke Merle,
dein Lob ehrt mich, freut mich, dass du immer wieder bei mir vorbeischaust, werde sicherlich bald mehr Zeit haben und freue mich schon auf einen Besuch bei dir.
glg in deinen Abend
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Ich kann mich nur voll und ganz - den Worten von fleur anschließen. Eine wunderbare Geschichte!
Und so authentisch, wie alles, was ich bisher von Dir gelesen habe!

Liebe Grüße, Ulla!
Merle
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: -
Zitat: (Original von Luap am 03.01.2013 - 10:00 Uhr) Da habe ich jetzt gerade Gänsehaut bekommen... es gibt viele schöne Orte auf dieser Welt, aber nur eine Heimat...

Liebe Grüsse
Paul


Du sagst es Paul,
ich glaube in der Jugend lockt die Weite der Welt, im Alter sucht man, zerzaust vom Wind des Lebens, wieder die Wurzeln
Danke fürs Lesen und ganz liebe Grüße
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: -
Zitat: (Original von Doctor am 03.01.2013 - 09:58 Uhr) Hallo ulla,
ich mag das was du uns hier erzählt hast, auch weil man merkt das du die Gegend/die Region sehr gut zu kennen scheinst. Interessant zu lesen wie du Fantasie und eigene Erlebnisse und Empfindungen miteinander verknüpfst. Und ein wenig Gänsehaut kam auch auf, was bei mir ehrlich schwer zustande kommt. Gut gemacht.;)

Lieben Gruß und beste Wünsche für das neue Jahr
-DOC-


Danke Doc, für deinen einfühlsamen netten Kommentar. Es ist eine Geschichte aus meiner Familie und... nun ja, der Todestag jährt sich und obwohl schon viele Jahre seither vergangen sind, die Erinnerungen bleiben.
ganz liebe Grüße in deinen Abend
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Auch heute -
Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 03.01.2013 - 09:57 Uhr) hat mich deine Geschichte wieder stark berührt, liebe ulla.
Du schreibst so schlicht, ohne Pomp und Rührseligkeit, aber immer
mit den genau richtigen Worten, die ins Herz treffen.

GlG fleur


Danke Fleur, fürs Wiederlesen.
Es ist eine wahre Geschichte und mit den Jahren begreift man immer besser das "back to the roots"
glg in deinen Abend
ulla
Sehe gerade den Favo... freu
Vor langer Zeit - Antworten
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