Science Fiction
Ansichten einer Plastikmülltonne

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"Ansichten einer Plastikmülltonne"
Veröffentlicht am 23. Januar 2010, 12 Seiten
Kategorie Science Fiction
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Ansichten einer Plastikmülltonne

Ansichten einer Plastikmülltonne

Zu guter Letzt muss auch ich mich schließlich einmal zu Wort melden. Normalerweise ist meine Art ja eher ein stiller Vertreter materieller Existenz. Mit Sicherheit haben Sie fast täglich mit Typen wie mir zu tun. Wir sind es, die eure Hinterlassenschaften (z.B. benutzte Tampons und Pariser…) schlucken müssen, und das wortwörtlich. Auch all das Essen, das ihr nicht mehr runter  bekommt, weil euch vom vielen Fressen schon schlecht ist. Dazu sind wir da, ich weiß, zu diesem Zweck habt ihr uns ja schließlich hergestellt. Aber wäre ein Wort des Dankes denn zu viel verlangt? Naja, letztendlich habt ihr bekommen, was ihr nicht nur meiner Meinung nach verdient habt. Genau deshalb melde ich mich zu Wort. Ich möchte Ihnen vom Ende ihrer Spezies erzählen. Warum ich (eine Plastikmülltonne, falls sie es noch nicht bemerkt haben sollten…) Ihnen von der Zukunft erzählen kann? Ich hatte einen Ghostwriter. Wenn Ihnen das als Antwort nicht ausreichen sollte, können Sie gerne den verkrusteten, parasitären Boden meines Inneren lecken!

Die Menschen starben so, wie sie auf die Welt kamen; nackt und wie am Spieß schreiend. Der ganze Planet war übersät mit nackten, kreischenden Leibern. Die letzten schrien noch, als bei den ersten bereits die Verwesung einsetzte. Über so etwas muss ich mir dank meiner polymeren Beschaffenheit keine Gedanken machen… Alleine bei diesem abscheulichen organischen Vorgang dabei zu sein, fühlte sich seltsam an. Ich war froh, keinerlei Sinnesorgane zu besitzen, wenn ich ehrlich bin. Sie wollen wissen, wie es dazu kam? Okay…

Als ich gebaut wurde (in einer niedlichen, kleinen Fabrik in China), hattet Ihr bereits die erdnahen Planeten bereist und wart auf dem Sprung zu neuen Sonnensystemen. Als die erste Sonde eine Sonne erreichte, die nicht die unsere war, hatte ich mein kurzes Arbeitsleben bereits hinter mir und lümmelte unbehelligt in einem kleinen Waldstück nahe der chinesischen Grenze vor mich hin. Jahrzehntelang, bis die Bagger kamen und die Bäume fällten. Bei den Bauarbeiten geriet ich dann unter einen großen Haufen Erde, wo ich weitere Jahrzehnte verbrachte. Als ich endlich wieder Sonnenlicht auf meiner Plastikhaut fühlte (Eine Mülltonne kann fühlen fragen Sie sich? Lecken Sie mich… Sie wissen schon…), waren bereits die ersten bemannten Missionen zu einem unserer Nachbarsterne unterwegs. Ein Team schlauer Wissenschaftler hatte einen neuartigen Antrieb entwickelt, mit dem es möglich war, ohne großen Energieaufwand, nahezu Lichtgeschwindigkeit zu erreichen. Ich würde Ihnen gerne erklären, wie dieses Wunderding genau funktionierte, aber was weiß ich schon von Raumfahrt? Ich bin ja schließlich nur eine einfache Plastikmülltonne…

Jedenfalls erweiterten sich die Grenzen der Menschheit innerhalb weniger Jahrzehnte. Die Reisen veränderten das Bild, das die Menschheit bis dato von sich selbst und dem Universum, in dem sie sich tummelte, hatte. Horizonte verschoben sich, plötzlich schien alles möglich. Man entdeckte Leben auf fernen Planeten, unserem nicht unähnlich. Dann zog man die Aufmerksamkeit anderer, intelligenter Bewohner des Alls auf sich. Der erste Kontakt fand irgendwann um die Jahrhundertwende 2000/2100 statt. Die Menschheit war elektrisiert. Das standardisierte Bild, das die Menschen seit Erfindung  der Science-Fiction im Kopf hatten, begann sich in der Realität zu manifestieren. Die Menschen waren nicht alleine im Universum, wie könnten sie auch?  Sie waren eine von unzähligen Rassen, die miteinander Handel und Kulturaustausch betrieben. Die anderen Kulturen hatten den Menschen viel zu geben, doch außer der Hochtechnologie wollten diese kaum etwas davon annehmen. Schnell merkten die anderen, erdfremden Rassen, dass die Menschen anders waren als alle Wesen, die man bis dato kannte. Bestimmte charakteristische Eigenschaften waren den anderen Zivilisationen gänzlich unbekannt, sie hatten sich, außer auf der Erde, nirgendwo im Universum durchsetzen können.  Die gesamte Spezies Mensch wirkte befremdlich auf die diversen außerirdischen Rassen. Trotzdem lud man sie ein in den erlesenen Kreis der raumfahrenden Zivilisationen unserer Galaxie. Eine freundschaftliche Geste, die man sehr bald bedauern sollte.

Um das Jahr 2170 (ich verbrachte fast fünfzig Jahre in der gemütlichen Lagerhalle eines uralten, kirgisischen Schrottsammlers, ehe ich wieder von Bulldozern unter die Erde befördert wurde…) platzte die Erde aus allen Nähten. Die Anzahl der Menschen auf der Erde hatte die 25-Milliarden-Hürde gerade übersprungen und war dabei ins Taumeln geraten. An der nächsten Hürde war der endgültige Sturz zu befürchten. Die Rohstoffe waren lange verbraucht und mussten bereits aus den anderen Planeten des Sonnensystems gewonnen werden. Selbst zu ihren üppigsten Zeiten, hätte die Erde die Belastung so vieler Menschen nicht ertragen können. Und aus der Erde war ein schwer kranker Planet geworden. Der Exodus begann, Abenteurer suchten ihr Glück in den Weiten der Milchstraße. Man siedelte sich auf erdähnlichen Planeten an. Auf unbewohnten und bewohnten. Die Sitte vieler Völker verlangte es, neu entdeckte (und entdeckende) Zivilisationen zu sich einzuladen und ihnen ein, mehr oder weniger, symbolisches Stück Land ihres eigenen Planten anzubieten. Die Menschen griffen begierig zu und innerhalb von weniger als hundert Jahren hatten sie Kolonien auf zahllosen Planeten errichtet. Ihre anfängliche Neugier auf die fremdartigen Wesen, auf deren Heimatsternen sie sich ansiedelten, verflog schnell und wandelte sich in Skepsis und Angst. Viele menschliche Siedlungen begannen sich abzuschotten. Da ist eine Menge Angst in euch Menschen…

Man mag es kaum glauben, wenn man sein ganzes Leben auf der Erde verbracht hat, aber im Universum geht es erstaunlich friedlich zu. Nur selten flackern lokale Konflikte auf, bei denen ein wenig gedroht werden muss. Aber diese Drohungen sind so ziemlich die einzige Art interstellarer Aggressionen. Die unzähligen Völker gehen respektvoll und ehrlich miteinander um, so unterschiedlich sie auch sind. Deshalb jagte die Menschheit ihnen auch eine ganz schöne Angst ein. Ihr Verhalten erinnerte sie in übersteigerter Form an das diverser Raubtiere. Aber nicht an das zivilisierter, raumfahrender Wesen. Und trotzdem waren sie freundlich zu euch Menschen, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Und das nicht nur, weil sie eine solche Angst vor euch hatten…

Es kam, wie es kommen musste. Die menschlichen Siedlungen quollen über, ihr Rohstoffverbrauch überstieg bald die Grenzen der Hilfsbereitschaft ihrer Planetenwirte. Ihr Müll überschwemmte vielerorts ganze Teile der Planeten. Sie baten nach immer mehr Land und bekamen es auch noch. Kurzum: Eure Rasse benahm sich wie ein Hecht im Goldfischbecken. Die Einwohner der fremden Planeten waren entsetzt über eine solche Verantwortungs- und Maßlosigkeit. Erste Unruhe machte sich breit. Auch unter den menschlichen Siedlern, denen die Hand (oder Flosse, Tentakel, Flügel, Kralle, was auch immer…), die man ihnen gereicht hatte, nicht genug war, sondern die nach dem ganzen Arm trachteten, kam es zu offenen Feindseligkeiten. Dem Galaktischen Rat, der sich aus Vertretern aller raumfahrenden Spezies bildete, wurde nun klar, dass der Fehler, den sie begangen hatten, noch größer war, als ihre Experten vorhergesagt hatten. So sehr man es bedauerte, so nötig schien eine Umkehr der Ereignisse. Man rechnete voraus, dass die Zahl der Menschen die 100-Milliarden-Grenze bald überschreiten würde. Sogar für galaktische Verhältnisse eine unglaubliche Zahl, immerhin verfügt auch heute noch keine andere intelligente Spezies über mehr als eine Milliarde Individuen. Die Besonderheit des Menschen ließ nur eine einzige Möglichkeit infrage kommen.  

Als die Siedler merkten, dass sie nicht mehr willkommen waren (den Außerirdischen schmerzte diese Unhöflichkeit außerordentlich), griffen sie zu ihren Waffen. Die ganze Zeit über hatten sie diese für ihr Ass im Ärmel gehalten und waren davon ausgegangen, dass in diesem pazifistischen und sanften Universum, das sie bis dahin kennengelernt hatten, überhaupt keine Waffen mehr existierten. Es stellte sich als einer der letzten kapitalen Fehler der Menschheitsgeschichte heraus. Noch bevor die menschlichen Schlachtschiffe gefechtsklar gemacht werden konnten, hatten riesige Maschinen alle menschliche Technologie aufgesaugt und durch einen Raum-Zeit-Riss aus dem Universum geschleudert. Sie haben richtig gelesen, aus dem Universum heraus! Und ich habe es nicht einmal geschafft die Erde zu verlassen… Alles was die Menschheit besaß, egal ob Raumschiffe oder die Kleidung am eigenen Leib, wurde nach und nach in dieses Nichts geblasen, übrig blieben nur unzählige verängstigte, nackte Menschlein. Die Saugmaschinen verschwanden und wurden durch andere, riesige Raumschiffe ersetzt, die mit tausenden durchsichtigen Tentakeln bestückt waren. Durch diese Schläuche wurden Ihre Artgenossen in das Innere der Schiffe gesaugt, in künstlichen Schlaf versetzt und zur Erde gebracht. Wenn ich so darüber nachdenke, erfüllten diese Schiffe wohl einen ähnlichen Zweck, wie ich zu meiner aktiven Zeit. Nur, dass sie ihren Inhalt von selbst wieder ausspuckten.

Es war ein ziemlich trüber Tag, als die ersten Schiffe kamen. Die Sonne schien milchig und der Smog hing tief. Plötzlich waren diese Schiffe am Himmel, nur als Umrisse erkennbar. Dann kamen die Schläuche und schon rutschten durch sie zigtausende nackte, schlafende Körper  im sanften Winkel auf die Erde hinab. Es waren nicht mehr viele da, die dieses verstörend-schöne Bild genießen konnten. Die wenigen waren zumeist blind und taub und bekamen es erst mit, als sie über die Körper stolperten.

Die Schiffe kamen, spuckten ihre Fracht aus, und verließen die Erde wieder. Das ging ein paar Tage so. Als die letzten Schiffe verschwanden, waren die ersten Menschen bereits aus ihrem Schlaf erwacht. Kurz darauf ging das Chaos los. Da die Außerirdischen jegliche Technologie von der Erde hatten verschwinden lassen (ich war froh, dass ich keinen Mikrochip trug!), mussten sich die Menschen nun auf altmodische Art die Schädel einschlagen, was sie keinesfalls verlernt hatten. Nach genauer Zählung durch den Galaktischen Rat, waren es genau 62.457.666.290 Menschen, die eingesammelt und auf die Erde gebracht worden waren. Mit den auf der Erde gebliebenen waren das fast 65 Milliarden Menschen. Die Zahl sank aber mit jedem Tag dramatisch. Viele erstickten, verdursteten und fielen Aggressionen zum Opfer, doch die meisten wurden schlichtweg zerquetscht. Es war wie in einer Schlangengrube. Jeder zischte und biss um sich. Dann wurde das Zischen und Beißen weniger, schließlich war es ganz verstummt.

Es mag Ihnen als Mensch vielleicht herzlos erscheinen, aber ich fand es eigentlich recht unterhaltsam. Nicht im komischen Sinne, eher im kosmischen. Sicher, die vielen Milliarden Leichen waren kein schöner Anblick, wirklich nicht. Aber faszinierend fand ich es schon. Meine Schöpfer faulten schneller weg als die Aasfresser sie verspeisen konnten, während ich noch nicht einmal Schimmelsporen an mir habe und ich bin immerhin schon fast vierhundert Jahre alt! Nun faulen wir hier alle zusammen in dieser riesigen Mülltonne namens Erde vor uns hin und harren der Dinge, die da kommen. Ich und die Überreste eurer Ururururururururenkel. Tut mir leid, das war sehr unfreundlich. Man wird zum Zyniker, wenn man einsam ist. Denken Sie bitte an mich, wenn Sie das nächste Mal den Hals nicht vollbekommen sollten…

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zellhaufen

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zellhaufen Re: Endlich spricht einer mal Klartext! - Die einzige Chance auf eine halbwegs saubere Welt (vor allem in Zukunft), sehe ich in einem kollektiven, menschlichen Massensuizid... :-)
Ich glaube leider nicht, dass sich unser Verhalten in naher Zeit ändern wird, hoffe aber, dass ich mich irre...
Vielen Dank für eure Kommentare!
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