Überlebe!
Kapitel 13
Überlebe!
Sie war wohl genauso überrascht wie ich und stieß einen spitzen Schrei aus, als wir unser Gleichgewicht verloren und zusammen zu Boden stürzten. Zwar hatte ich noch rechtzeitig reagiert um das Schlimmste zu verhindern, aber trotzdem schlug mein Kopf hart auf den kalten Fliesen auf und alles, was ich noch von ihr erkennen konnte, waren ihre rosenblonden Haare mit den charakteristischen, glänzenden Strähnen, die je nach Umgebung ihre Farbe änderten. Laut dem Arzt war es angeblich wegen irgendeinem haarlosen Gendeffekts der Fall, aber das raubte ihrem Anblick keinen Funken ihrer ganz eigenen Magie.
Ein nervtötendes Klingen ertönte in meinen Augen und verstärkte den explosionsartigen Schmerz in meinem Hinterkopf. Ich gab ein protestierendes Stöhnen von mir und versuchte die roten und grünen Sterne, die quicklebendig vor meinen Augen tanzten, zu verscheuchen. Langsam wurde das Klingen in meinen Ohren leiser und nach und nach kehrten meine restlichen Sinne zu mir zurück. Mein Hinterkopf pochte immer noch so schmerzhaft, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Sobald ich wieder in der Lage war einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen, dachte ich trocken: „Und ich habe geglaubt, ich hätte es überstanden... Auf in den wirklichen Kampf!“ Noch bevor ich meine Augen öffnete, hörte ich ein leises Stöhnen und spürte die langsame Bewegung ihres warmen Körpers, der längs auf mir lag. Ihr Geruch stieg mir in die Nase, während meine Gedanken erschöpft seufzten: „Jeder Junge... Nein jeder normale Junge träumt von so etwas, aber warum muss es ausgerechnet mir immer wieder passieren?“ Ich wartete noch einen kleinen Augenblick, bis die Kopfschmerzen auf ein erträglicheres Maß abgeklungen waren und öffnete dann zögernd die Augen. Wie erwartet blickte ich direkt in ihre grünen Augen. Genauso wie ihre Haare, waren sie von dem gleichen Gendeffekt betroffen, was sich durch einen meist ganz sanften und kaum erkennbaren roten Schimmer, der sich über ihre ganze Pupille erstreckt, äußert. Wobei ich den Verdacht hatte, dass es nicht immer das gleiche sanfte Rot war, sondern dass es sich ganz nach ihrer Laune und Verfassung richtete. Es war mir schon mehrmals aufgefallen, auch wenn Teito und die anderen ständig das Gegenteil behaupteten und mich als Farbenkrüppel abstempelten. Früher fand ich das äußerst verdächtig und habe sie immer wieder mit meinem Miasma nach Spuren von Magie abgesucht. Allerdings hatte ich nie etwas gefunden, egal wie gründlich ich gesucht hatte.
Obwohl unsere Gesichter nur wenige Zentimeter von einander entfernt waren, machte sie keine Anstalten sich von mir runter zu bewegen und schaute mich nur mit diesem, für sie typischen, besorgten und schuldigen Ausdruck an. „Tuts sehr weh?“ fragte sie flüsternd, wandte ihren Blick aber nicht ab. „Du verbesserst dich! Letztes Mal hab ich mir während deiner stürmischen Begrüßung den Kopf am Kühlschrank aufgeschlagen.“ brummte ich mit einem Hauch Sarkasmus. Als sie rot anlief, ihren Kopf zur Seite drehte und eine beleidigte Schnute zog, verbesserte sie meine Laune merklich. Ich wusste nicht wieso, aber ich konnte ihr einfach nicht nachtragend sein. Eigentlich konnte ich das kaum jemanden, aber ihr ganz besonders nicht. „Also? Lässt du mich nun nach diesem Attentat noch einmal aufstehen oder willst für den Rest des Tages auf mir liegen bleiben?“ meinte ich lächelnd. Das Rot ihrer Wangen verdunkelte sich, während ihr Gesicht sich langsam von meinem entfernte. Doch sie stand nicht auf, sondern setzte sich protestierend auf meine Oberschenkel und schaute mich mit immer noch geröteten Wangen tadelnd an. „Was hast du dir dabei nur gedacht? Alleine um die Zeit durch diese Gegend zu streifen! Bist du lebensmüde?“ schimpfte sie. „Immer das Gleiche...“ dachte ich und erwiderte dann mit einem unschuldigen Lächeln: „Tut mir Leid, aber es ging nicht anders. Ich hatte etwas dringendes zu erledigen.“ „Immer diese Ausreden! Immer wenn du etwas „wichtiges“ zu erledigen hattest, bist du am nächsten Morgen halbtot! Weißt du eigentlich was, ich mir für Sorgen mache?“ zeterte sie, stemmte ihre Hände energisch in die Hüften und biss sich auf ihre Unterlippe, während sie mich abwartend fixierte. Ich stieß ein resignierendes Seufzen aus und antwortete in Gedanken: „Natürlich weiß ich das... Und es tut mir wahnsinnig leid, nur leider habe ich keine andere Wahl. Ich wüsste nicht, wer ich sein würde, wenn ich dir die Wahrheit sagen würde...“ Doch nach einem kurzen Augenblick der Stille, der eine kleine Ewigkeit beinhaltete, in der wir uns nur gegenseitig in die Augen schauten, antwortete ich stattdessen mit einem verschmitzten Lächeln: „Das brauchst du dir aber nicht. Du weißt doch, ich sterbe nicht so schnell.“ Leider hatte ich nicht an ihre Reaktion gedacht, die sogar heftiger als normalerweise ausfiel. „Ahhh! Du bist doch ein totaler Trottel! Der größte Vollpfosten den es auf der Welt gibt! Warum mach ich mir eigentlich Sorgen?!“ Um ihre Worte zu unterstreichen, stemmte sie ruckartig ihre Arme nach unten, um sie auf den Boden zu schlagen, doch sie hatte offensichtlich vergessen, wo sie saß. Panisch wollte ich sie noch davon abbringen, aber es war schon zu spät. Ein höllischer Schmerz brannte sich durch meinen Körper, trieb mir die Tränen in die Augen und ließ reflexartig meinen Oberkörper hochschnellen. Ein schmerzverzerrtes Stöhnen entglitt meiner Kehle und dann ließ ich mich wieder zurückfallen. Das Pochen in meinem Hinterkopf verstärkte sich wieder und ich hoffte inständig, dass ich die nächsten Minuten überleben würde. Ich öffnete ein Auge und warf meiner Peinigerin einen wütenden Blick zu. Ihr Gesicht nahm einen geschockten Ausdruck an, als sie verstand, wo sie mich getroffen hatte und dann murmelte sie hektisch mehrere Entschuldigungen: „T-tut mir Leid... I-ich... Das war keine Absicht! E-es... W-warte ich hole dir etwas Eis zum Kühlen.“ Doch als sie ihren Sitz auf meinen Oberschenkeln aufgab und aufstand, stützte sich sie auf meinem Bauch ab und fasste dabei genau auf die Wunde, die ich vorhin erst versorgt hatte. Dadurch ergoss sich eine neue Schmerzwelle in meinen Körper und ich stöhnte erneut auf. Außerdem meinte ich zu spüren, wie eine warme Flüssigkeit langsam den Verband tränkte. Sie reagierte mit einem erschrockenen Schrei, dem ein weiterer Schwall Entschuldigungen folgte.
Ich streckte alle Viere von mir und versuchte den Schmerz mit speziellen Atemübungen zu beruhigen. Ganz langsam wurde er wieder erträglich und machte meine Gedanken frei. Und da erkannte ich meine Chance. Sie stand gerade am Kühlschrank und schüttete meinen Vorrat an Eiswürfeln in ein kleine Tüte und achtete nicht auf mich. Vorsichtig, um ja nicht ihre Aufmerksamkeit zu erregen, wollte ich mich aufrichten, aber das Glück schien mir nicht hold zu sein. Genau in dem Augenblick hatte sie wohl entschieden, dass sie genug Eis hatte, drehte sich zu mir um und als sie erkannte, dass ich meine unsichere, liegenden Position ändern wollte, warf sie mir einen Blick zu, der mich mitten in der Bewegung gefrieren ließ. „Ich bin noch nicht fertig mit dir mein Lieber!“ meckerte sie und kam mit energischen Schritten auf mich zu. „Was habe ich nur verbrochen?“ fragte ich mit einer Stimme, die nicht mehr viel mehr als ein Flüstern war. „Das weißt du ganz genau!“ brauste sie auf, stellte mir ihren Fuß auf die Brust und nagelte mich so am Boden fest. „Hey Lia...“ setzte ich an, um sie darauf hinzuweisen, dass ich kaum noch atmen konnte. Sie unterbrach mich jedoch energisch: „Nichts da mit Hey Lia, du kannst dir deine Entschuldigungen sonst wohin schieben!“ „Aber...“ „Diesmal gibts kein aber! Das geht schon immer so! Du musst endlich mal etwas dagegen tun, sonst wirst du mich noch mal richtig kennenlernen!“ „Das ists aber nicht...“ krächzte ich und bekam unweigerlich ein ungutes Gefühl bei ihrer Drohung. Wenn sie mich schon so zurichten kann, ohne es überhaupt zu wollen, was würde dann passieren, wenn sie es drauf anlegen würde? Ich glaube, das gehört zu den Sachen, über die ich mir lieber nicht vorstellen sollte. „Was dann? Hast du dich endlich entschieden mir zu sagen, was du immer machst? Dann kann ich dir vielleicht helfen und du würdest nicht immer so oft zusammengeschlagen werden!“ „Geez! Darum geht es doch gar nicht!“ beschwerte ich mich, was mir einiges abverlangte und warf ihr einen genervten Blick zu. „Ach und worum dann?“ fragte sie, zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch und verstärkte ihren Druck auf meine Brust, wobei sich ihre Absätze noch weiter in meine Brust bohrten. Zittrig hob ich eine Hand und deutete mit einem Finger auf ihren Fuß: „Keine... Luft.“ hauchte ich, wobei ich ein wenig übertrieb, damit sie mir endlich eine Verschnaufpause geben würde. Erleichtert merkte ich wie der Druck von meiner Brust verschwand und freute mich meine Lunge noch einmal mit Luft füllen zu können. Nach einigen tiefen Atemzügen stand ich mühselig auf und musterte Lia, die mir mit schuldbewussten Blick schweigend gegenüber stand. „Hast du dich jetzt ausgetobt?“ fragte ich mit einem schwachen Lächeln, das sie nur mit einem aufgebrachten Blick kommentierte. Mit einem energischen Schritt stand sie direkt vor mir und bohrte mir ihren Zeigefinger in die Brust. Doch sie stand nicht still, sondern ging immer weiter vorwärts und schob mich so vor ihr her, während sie schimpfte: „Es tut mir leid, aber du du hast es trotzdem nicht anders verdient! Wieso kannst du nicht einmal Hilfe annehmen, wenn sie dir angeboten wird?“ „Weil es Dinge gibt, die ein Mann einfach alleine tun muss.“ antwortete ich ihr mit einem aufgesetzten Lächeln. „Du und ein Mann? Das ich nicht lache! Du bist ein kindlicher Sturkopf, ein doofer Affe, ein besoffenes Trampeltier auf einem gigantischen Egotrip...“ Mittlerweile hatten wir das Wohnzimmer erreicht und sie hatte mich bis zum Sofa geschoben, wo ich mich dankbar drauf fallen ließ. Sie stand vor mir und beugte sich zu mir herunter und bohrte mir weiter den Zeigefinger in die Brust, während sie ihren Schimpfmarathon fortsetzte: „Ein Idiot, ein totales Arschloch, ein zu heiß gebackener Arschkeks... und ein rücksichtsloser Sorgenbringer!“ Sie warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, der seine volle Wirkung entfaltete. Sie hatte ja irgendwo Recht und am liebsten hätte ich ihr auch die ganze Wahrheit offenbart, aber dann, vorausgesetzt, dass sie mich nicht für verrückt erklärt, würde sie sich garantiert noch mehr Sorgen machen und so wie ich sie kannte, würde sie anfangen sich nutzlos zu fühlen, weil sie nichts tun könnte. Als ich ihrem Blick mit meinen eigenen Schuldgefühlen standhielt, stieß sie letztendlich ein resignierendes Seufzen aus und murmelte mehr zu sich selbst, als zu mir: „Männer... Man hat immer nur Probleme mit denen.“ Und sehr zu meiner Überraschung und Freude setzte sie sich dann direkt neben mir aufs Sofa und hielt mir den Eisbeutel hin, ohne mich anzuschauen. Mit einem erleichterten Lächeln nahm ich ihn dankend an und hielt ihn mir mit geschlossenen Augen direkt an die Schläfe. Das kühlende Eis bewirkte wahre Wunder und schon nach wenigen, schweigenden Minuten, in denen ich durchgehend ihren Blick auf mir spürte, war das schmerzhafte Pulsieren in meinem Hinterkopf zu einem schwachen, gut erträglichen Pochen abgeklungen. Doch plötzlich spürte ich wie sich Lias Hände unter mein Shirt schoben. Überrascht riss ich die Augen auf und schaute sie fragend an. Sie presste ihre Lippen fest aufeinander und ihre Augen schimmerten verdächtig. Verwirrt folgte ich ihrem Blick und musste missmutig feststellen, dass der Verband über der Wunde blutrot war. Die Stille wurde unangenehm. Voller Unbehagen meinte ich beruhigend: „Keine Sorge. Die Wunde ist nicht tief. Es ist wirklich nichts ernstes.“ Eigentlich hatte ich einen weiteren Wutausbruch erwartet, aber es kam nicht. Ganz im Gegenteil. Ihre Stimme wurde dünn und das feuchte Schimmern wurde immer deutlicher, als sie zittrig fragte: „Wieso kannst du es mir nicht einfach sagen? Vertraust du mir nicht mehr?“