Beschreibung
Die Erinnerungen sind noch frisch, liegen mir bitter auf der Zunge. Und ja, so und nicht anders hat es sich zugetragen... Okay, vielleicht lieber doch nicht allzu ernst nehmen. ;-)
(Cover: © Dieter Schütz / PIXELIO; www.pixelio.de)
Es gibt Tage, an denen man gewisse Dinge einfach Revue passieren lassen muss, ganz gleich, welcher Beschaffenheit diese Dinge auch sein mögen. So gelernt vor gerade einmal wenigen Tagen im lauschigen aber reichlich zugigen Pub im lauschigen aber reichlich zugigen Bonn. In illustrer Gesellschaft eines trinkfesten Dutzends durstiger Kollegen galt es, den »Pitcher Day« mit möglichst vielen verbliebenen UND funktionierenden Gehirnzellen zu überstehen. Kein Problem, dachte ich in meiner postjugendlichen Überheblichkeit, und stürzte mich verwegen auf das erste Bier. Selbstverständlich war es mit diesem wie mit den zehn kleinen Jägermeistern: es wollte nicht gern allein bleiben. Ob es jedoch letztlich bei der Zahl »Zehn« blieb, vermag ich nicht mehr zu sagen, da ich fatalerweise irgendwo zwischen Bier Nummer sechs und Nummer sieben den optimalen Absprungpunkt verpasste, um stattdessen eine preisverdächtige Bruchlandung in den Blackout hinzulegen.
Nun bin ich nicht eben für meine introvertierte Art bekannt. In der Kombination mit Alkohol steigert sich meine Geschwätzigkeit leider exponentiell. Und so ließ ich alsbald auch schon meine zuletzt durchschrittenen Lebensabschnitte in gediegener Runde Revue passieren. Unschätzbar intime Erinnerungen? Kostbarste private Momente? Über meine Lippen kam alles, was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht versoffen hatte - totale Aufmerksamkeit war mir garantiert! Toll! Unwissenheit ist ja nunmal ein Segen, und so hätte ich die anwesende Kollegenriege anschließend eigentlich töten müssen, doch wäre damit augenblicklich die halbe Niederlassung verwaist gewesen, was mich wahrscheinlich mindestens den variablen Anteil gekostet hätte. Nun gut, sollen sie halt mein Gedankengut teilen...
Ebenso ließ sich nach dem schamlosen Trinkgelage die Rechnung teilen, auf der eine knackige 300 zu lesen war. Wow, 300 Euro, das sind quasi 600 Mark, dachte ich und staunte. Himmel, das sind 1.200 Euro! Zähneknirschend ließ auch ich einen Geldschein, an dessen Farbe und Wert ich mich nicht mehr erinnern kann, mein Portemonnaie Revue passieren, auf dass ich ihn nie wieder sehen sollte. Zum Abschluss gab's für jeden, klar, noch ein Bier - schließlich kann man sich von dem Gebräu nie genug in den Schlund kippen -, bevor es ziemlich dunkel wurde.
Ein widerwärtiges Piepen riss mich aus der Phase hinfortgedröhnter Lebenszeit, um mich darauf hinzuweisen, dass es bereits acht Uhr war und ich dringend aufstehen und zur Arbeit gehen sollte. Nichts wie los, beschloss ich, und gab dem Wecker eine weitere Stunde Anlauf.
Ein widerwärtiges Piepen riss mich aus der Phase hinfortgedröhnter Lebenszeit, um mich darauf hinzuweisen, dass es bereits acht- was, schon neun Uhr? Dreck! Beschwingt wie ein Kachelofen im freien Fall, sprang ich also aus dem zerwühlten Bett, wunderte mich kurz über meinen unheimlich gestörten Gleichgewichtssinn, der mich fast gegen den Türrahmen donnern ließ, bevor mir schwante, dass ich in Sachen Lebenserwartung am Vorabend wohl mal wieder den Rotstift angesetzt hatte. Und während mächtige Buschtrommeln in meinem Verstand mit der obligatorischen Buschtrommelei begannen, ließ ich den Teil der kürzlich durchzechten Ereignisse noch einmal Revue passieren, der in dem mir verbliebenen Stück Mettwurst von einem Hirn kleben geblieben war. Verdammte Axt, was hatte ich da nur wieder alles erzählt, ärgerte ich mich, während ich hastig mein Frühstück einwarf. Dass dies nicht das letzte Mal sein würde, dass ich an jenem Morgen etwas Revue passieren lassen sollte, wusste ich freilich nicht, als ich eine extragroße Portion Schokomüsli in meinen Rachen schaufelte.
Wenig später fand ich mich, eingesunken wie ein schimmliger Käseblock, in der U-Bahn wieder. In meinem Bauch wütete ein Erdbeben der Stärke 9, während irgendwo in den Untiefen meines Schädels noch immer eine groß angelegte Technoparty gefeiert wurde. Doch davon lässt sich ein echter Preuße selbstverständlich nicht beirren! Klappte so lange gut, bis der nette Herr, der mir gegenüber saß, in gebrochenem Deutsch in sein Telefon säuselte und mir dabei seinen herrlichen Pfefferminzatem entgegenwehen ließ. Dieser Attacke hielt selbst mein preußischer Kruppstahlmagen nicht stand und feuerte aus allen Rohren in Richtung falscher Ausgang. Ein Schwall Müsli samt Milch kroch augenblicklich meinen Hals empor, um den Zähnen guten Tag zu sagen.
Panisch schoss ich nach oben, schleppte meine wankende Alkoholleiche von einem Körper zur Tür der Bahn und versuchte noch, mich mit dem Buchstabieren der Kennzeichen vorbeifahrender Autos abzulenken. »MTK« - »M« - »T« - »K-(otz)«! Verdammt, die nächste Angriffswelle arbeitete sich bereits nach oben, prallte von meinen geschlossenen Lippen ab und glitt enttäuscht zurück in den Magen. Noch einem Angriff würde der Damm nicht standhalten, fürchtete ich, als sich die Tür endlich für mich öffnete wie die Pforte ins Paradies.
Haltestation Heussallee - nicht meine Endstation, doch gut genug, um sie gehörig mit halb verdauten Mageninhalten zu schänden. Und kaum hing ich über einem der Mülleimer und ließ das Müsli vom Frühstück Revue passieren, als wäre meine Speiseröhre ein verdammter Feuerwehrschlauch, hörte ich hinter mir eine Stimme: »Immer schön zusammen bleiben, Kinder!« Das war wieder klar: Kaum kotzte ich mir die Seele aus dem Leib, musste eine Grundschulklasse samt Lehrerin hinter meinem gebeugten Rücken entlangspazieren. (Kinder, fasst bloß nicht diesen ekligen Mann an!) Es war eindeutig nicht mein Tag.
Trotz aller Selbstrepressalien schaffte ich es irgendwie, mich bis ins Büro zu schleppen. Tot aber glücklich quasi, versuchte ich, meinen Vulkan von einem Verdauungstrakt zu besänftigen, indem ich lecker Tee der Sorte »Magen fein« becherte. Dass »Magen fein« den Magen gar nicht fein machte, war eine Lektion, die ich anschließend lernen sollte, als auch »Magen fein« zum freudigen Wiedersehen grüßte, indem er mit einem geschätzten Druck von 25 Bar fast die Schüssel der Bürotoilette sprengte...
Sollte an dieser Stelle jemand ein Happy End erwarten, so kann ich nur klagen, dass es nicht mehr wesentlich besser wurde, oh nein. Im weiteren Tagesverlauf wusste ich vor lauter Restalkohol, Erschöpfung und Müdigkeit nie so recht, wohin mit mir. Überhaupt wusste ich sicher nicht viel, doch eines wusste und weiß ich ganz sicher: Vom Revue passieren lassen habe ich vorerst gestrichen die Schnauze voll!