Beschreibung
Von einer Minute zur nächsten kann sich das ganze
Leben ändern - du spürst die Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein
und musst nach neuen Wegen suchen
Raureif
„Nehmen sie hier im Ärztezimmer bitte Platz, Frau Scholz. Dr. Korte kommt gleich zu Ihnen“, fordert mich die Sprechstundenhilfe auf. Angespannt setze ich mich auf den Holzstuhl, der direkt an einem Fenster platziert ist. Der Raum ist spartanisch eingerichtet ist. Vom Weiß der Wände geblendet sehe ich mich um. Kein Familienfoto, keine Zimmerpflanzen schmücken das Zimmer. Im hinteren Bereich steht eine Liege, die mit einem weißen Papierlaken belegt ist. Davor eine spanische Wand, die einen kleinen Eindruck von Intimität vermitteln soll. Ein Waschbecken mit Desinfektionslösungen, darüber ein kleiner Spiegel. In einem weißen Stahlregal stehen schwarze Aktenordner und ein Blutdruckmessgerät. Auf dem aufgeräumten Schreibtisch stapeln sich einige Akten – ob meine auch dabei ist?
Geht es mir durch den Kopf.
Die angeordneten Untersuchungen waren beendet. Welches Ergebnis würde mir der Stationsarzt gleich mitteilen?
Es war vor etwa drei Wochen. Wir waren zum Geburtstag meiner Schwester eingeladen und ich ging ins Bad um schnell zu duschen. Während ich überlegte, was ich anziehen sollte, seifte ich mich ein. Ich genoss das warme Duschwasser, das über meine Haut perlte. Als ich die Seife aus meinen Achselhöhlen und meiner Brust spülte, hielt ich plötzlich inne. Ich fühlte, etwas war anders! Was ist das? Meine Hand tastete noch einmal diese dickere Stelle zwischen Achselhöhle und meines linken Brustansatzes ab. Eine geschwollene Drüse? War mein erster Gedanke, der sich nach der darauffolgenden gynäkologischen Untersuchung als nicht richtig erwies. Die Verdachtsdiagnose der Ärztin lautete Mammakarzinom. Mit besorgtem Blick überwies sie mich dann zu weiteren Untersuchungen und einer Biopsie ins Klinikum.
Wie eine kalte Welle spürte ich wieder die Angst, die durch meinen Körper rollte, die mich erstarren ließ und mich seit dem in eine Art Trancezustand versetzt hatte, der mein bisheriges Leben veränderte.
Ich war stolz auf meine Brust, die trotz der Geburten meiner beiden Töchter und des damit verbundenen Stillens, immer noch formvollendet war. Würde sich heute der Verdacht bestätigen? Müsste jetzt ein Teil oder etwa eine ganze Brust entfernt werden? Habe ich Brustkrebs? Wie würde ich mit so einem Urteil fertig werden, wie damit leben? Müsste ich sterben? Wie würde mein Mann auf so eine Nachricht reagieren, meine Familie?
Ich darf mich nicht verrückt machen, versuchte ich mich zu beruhigen, vielleicht wird ja doch alles gut. Es ist sicher nur ein Gewebeknoten, nicht bösartig, nein, vielleicht ein Fettknoten? Auf jeden Fall sicher etwas Gutartiges. Ich legte eine Hand auf mein klopfendes Herz, dessen Echo in meinem Kopf widerhallte und meinen Gedanken Lügen strafte.
Ich sah auf den Park, der sich vor dem Fenster ausbreitete. Suchte die Splittwege – wohin sie führten, strich in Gedanken mit meinen Fingerspitzen über die Nadeln der Zwergkiefern und Blautannen. Es war Frühling und die rosa Blüten der Apfelbäume wiegten sich im Wind. Kinder spielten auf einer Wiese und ihr Lachen war bis hier oben zu hören. Es war angenehm warm. Als der Arzt das Zimmer betrat und ich seinem Blick begegnete, spürte ich wie Raureif meine Seele berührte.
S.S.R.