Kurzgeschichte
Neujahr und andere Katastrophen!

Neujahr! Einer Narkose nahe sinke ich in mein Bett. Ausschlafen, welch köstliches Wort! Eine leere Flasche Litchi Champagner lümmelt noch auf dem Salontisch herum und gönnt den abgebrannten Teelichtern Gesellschaft. Aus den Kinderzimmern schnarcht es zweistimmig.

Meeresrauschen dringt an mein Ohr und ich spüre einen zarten Lufthauch meinen Körper streifen. Die Sonne bestrahlt mich mit ihren glühenden Strahlen, lässt jede einzelne Pore von meiner Haut prickeln. Ein Lächeln stiehlt sich über meine Lippen. Musik mischt sich in meine Phantasie und ich höre eine Männerstimme „o sole mio“ singen. Als ich aufsitzen will stosse ich beinahe mit dem Kopf gegen die Decke! Hmm…bin ich gewachsen über Nacht? Könnte an einer Überdosis Vitamine liegen. Ach nein, ich befinde mich ja in einer Solarium-Röhre! Deshalb der Windhauch und das Gefühl an einem heissen Strand zu liegen. Bestimmt werde ich dem Gerät gleich braungebrannt wie eine exotische Göttin entsteigen. Dann passe ich in meiner Confiserie wo ich arbeite optisch wunderschön neben die braungebrannten Nussmakrönchen!

„Mamaaa!“ Oh Gott. Ein kleines Kind steht mitten auf einer schwarz markierten Skipiste und hat die Windeln voll und sucht seine Mama! Wer um Himmelswillen lässt den sein Kind allein im Schnee um diese Jahreszeit? Und erst noch auf der steilsten Piste? Panik ergreift mich und würgt mir bereits mit eisernen Krallen den Hals zu. Ich probiere zu schlucken und bringe nichts als ein klägliches Husten zustande. Dabei gleitet mein Blick auf meine Füsse hinunter, die… du meine Güte, in festgeschnallten Skischuhen stecken. Jetzt bemerke ich, dass ich schon die ganze Zeit seitwärts den Berg hinunter rutsche! Ich fahre Ski! Auf einer schwarzen Piste! Gleich wird mir schwarz vor Augen!

„Mama, Windel wechseln!“ höre ich das wütende Kinderstimmchen an mein Ohr dringen. Das Kleine kann sich gleich nicht mehr auf den zitternden Beinchen halten, was wenn es hinfällt und mit vollem Tempo den Hang runter gleitet mitten in die Ansammlung von Tannen und Felsen da unten? Todesmutig stosse ich mich mit meinen Stöcken ab und rase mit schnittigen Kurven auf das Kind zu. Der Wind rauscht mir eiskalt um die Ohren.

„Mama???“ Ach nein, es ist die Klospülung die rauscht. Mein Jüngster tapst durchs Dunkle auf mich zu und klatscht mir eine saubere Windel ins Gesicht. „Windel anziehen!“ lautet sein Befehl und ich erhebe mich mit einem herzzerreissenden Stöhnen aus meinem warmen, kuscheligen Bett. Im Halbschlaf schnalle ich ihm das Teil um seinen kleinen Hintern und schicke ihn ein Bisschen schroff wieder ins Bett. Wenigstens gleitet jetzt der Abhang mit den Tannen und Felsen aus meinem Sichtfeld. Keine Ahnung was für eine Katastrophe da noch entstanden wäre!

Wohlige Wärme umgibt mich und ich spüre wie ein schwerer Arm sich beschützend um mich legt. Oh das tut gut!

„Geht es so?“ fragt mich die tiefe Männerstimme. Ich spüre seinen Atem in meinem Nacken und wie sich sein Körper von hinten an den meinen schmiegt. Gerade will ich von einem köstlichen Gefühl übermannt lächeln, als ich einen harten Ruck spüre. Was um Himmels Willen ist das denn schon wieder? Vor meinen Füssen tut sich einen riesigen Abgrund auf, in hunderten von Metern Höhe! Was sich vorerst wie der Anfang einer erotischen Szene anfühlte, entpuppt sich als den Wahnsinn all meiner Ängste! Ich schwebe mit einem unbekannten Tandemspringer über irgend so ne Fluh heraus im Berner Oberland und unser Gleitschirm hängt an dünnen Fäden!

„Runter kommen wir sowieso!“ schreit der Mann gegen den Wind an und ich hätte ihm am liebsten  in seine Eier gekickt.

„Schatz?“ Ein sanftes Rütteln an meinen Schultern. Hat die Schnur gerissen? Wir schweben nicht mehr wir FALLEN! Neeeeeein! Ich bin doch noch nicht mal vom 10 Meter Turm im Freibad gesprungen, und das hier ist mir definitiv zu hoch!!!!

„Schaaaatz?“ Neeeeein! Ich habe jetzt echt keine Zeit zum sterben!

Die Wäsche habe ich seit einer Woche noch nicht gebügelt und mein grösserer Sohn muss ich am Mittwoch wieder ins Kung Fu schicken und ausserdem hätte ich nochmal mein herrliches Glühweinmousse geniessen wollen! Die Bäume unter uns rasen in halsbrecherischem Tempo auf uns zu. Der Mann hinter mir beginnt zu beten und ich sehe wie unter uns ein paar Menschen mit Fackeln um eine geschmückte Tanne stehen und „stille Nacht“  singen. Ich beginne in Todesangst hysterisch zu treten und zu schlagen und will mich von dem Mann und dem dämlichen Gleitschirm befreien! Ich will nicht mehr fliegen, schon gar nicht in diese Tanne da unten!

„Cooonnyyyy!“ Ich beginne zu weinen, mein ganzer Körper zittert. Wer heisst mich denn da Willkommen? Bin ich schon im Himmel? Sanfte Küsse bedecken mein Gesicht und eine Männerhand streichelt tröstend meinen Rücken. „Du hast nur geträumt!“ Er wischt mir die Tränen aus dem Gesicht und deckt mich fürsorglich zu. Erschöpft schlummere ich wieder weg. Ich will jetzt ausschlafen!

Plötzlich höre ich ein ominöses Poltern und Klirren aus dem Wohnzimmer, als würden tausende von kleinen Gläschen zerschlagen. Der Weihnachtsbaum! Geistert der erste Gedanken durch meinen Kopf und ich wache schlagartig auf. Hellwach und mit Sturmfrisur schleppe ich mich torkelnd ins Wohnzimmer wo sich mir ein Bild des Grauens bietet.

„Hallo Mama?“ grüssen mich zwei lammfromme Kinderstimmchen. Der Grosse hat seinem kleinen Bruder ein Bergsteiger Seil und die Hüfte geschnallt. Der Jüngste trägt ausserdem Fussballschuhe die ihm den Halt bei der Besteigung des Tannengipfels hätte gewährleisten müssen und ein kleines Fernglas. Nun stehen sie da nach ihrer missglückten Mission, vor einer gekippten Tanne umgeben von einem Meer von bunten Glasscherben und strahlen mich an, als könnten sie kein Wässerchen trüben.

„Er hat es fast geschafft gehabt Mama!“ sagt mein älterer Sohn und ich weiss nicht ob ich lachen oder weinen soll. Stolz legt er seinem Bruder die Hand um die Schultern.

„Beim nächsten Mal schafft er es Mama!“

„Ja bestimmt!“ hauche ich einer Ohnmacht nahe und versuche ein mühsames Lächeln. Schliesslich ist Neujahr und Scherben bringen bekanntlich Glück.

Conny B.