2. Kapitel
In den drei Tagen, die sie benötigten, um die Hegeburg zu erreichen, lernte Hakim seine Gefährten etwas besser kennen. Der hünenhafte Kämpfer hieß Meron und war gerade ein Jahr älter, als Hakim. Er hatte in der Stadtgarde von Tiefensee gedient, bis er das ewige Wache schieben und den täglichen Drill leid geworden war. Als ihm ein alter Freund von den Schwierigkeiten in Beron erzählt hatte, hatte er die Gelegenheit genutzt, seinen Abschied genommen und war losgezogen.
Der Name des Zwergs war Vornak. Er war in seinen Fünfzigern und somit für einen Zwerg noch recht jung. In der zwergischen Kultur gab es das Konzept des Berufes nicht, aber wie die meisten seines Volkes, verstand sich Vornak auf das Kriegshandwerk ebenso gut, wie auf das Schmieden, den Bergbau und das Bearbeiten von Stein. Außerdem war er ein recht guter Koch. Vornak war auf dem Weg zum Leera Gebirge durch Beron gekommen, als er von der Situation erfahren hatte. Sein Volk verdiente viel Geld mit dem Verkauf von Erzen und Schmiedewaren, was ihm ein persönliches Interesse an der Bedrohung der Handelswege gab.
Die beiden Elfen, Loris und Leanna, waren ebenso wie Hakim einfach nur auf der Suche nach Abenteuern, auch wenn ihre Motivation dafür eine andere war. Elfen waren extrem langlebig – angeblich war ihr König bereits über fünftausend Jahre alt (was Hakim jedoch bezweifelte). Also hatte sich bei ihnen eine gewisse Tradition entwickelt, die von jedem Elfen erwartete, das er – besonders in jungen Jahren – immer wieder einen längeren Zeitraum außerhalb der heimischen Wälder verbrachte. Dadurch sollte sowohl das Wissen über die benachbarten Völker erweitert, als auch die Wertschätzung der eigenen Heimat gesteigert werden. Für Loris und Leanna, die gemeinsam aufgewachsen und engste Freunde waren, war dies ihre erste Reise, seit sie ihre jeweiligen Ausbildungen als Magier, beziehungsweise Klerikerin abgeschlossen hatten.
Nun beobachteten sie die Ruine der Hegeburg bereits seit einer Stunde, ohne das sich etwas rührte. Das Zentrum war stark verkohlt und größtenteils verfallen. Die Außenmauer stand noch, jedoch wies sie an einer Stelle eine breite Bresche auf, als hätte ein Riese mit einer gigantischen Keule darauf eingeschlagen. Das Erdgeschoß des Bergfrieds schien noch intakt zu sein, der Rest davon war jedoch eingestürzt.
Nach einer kurzen Diskussion, beschlossen die Gefährten, bis zum nächsten Morgen zu warten, um dann im Schutz der Dämmerung zur Bresche vorzudringen.
Aus der Nähe betrachtet, konnte man selbst im schwachen Licht der Dämmerung noch deutlich die Krallenspuren erkennen, welche der Drache seinerzeit beim einreißen der Mauer hinterlassen hatte. Hakim fragte sich insgeheim, was der Baron damals wohl getan hatte, um einen großen Drachen derart in Rage zu versetzen. Doch das wußten wohl nur seine Nachfahren, wenn überhaupt, und der junge Streuner bezweifelte, das er je die Gelegenheit bekommen würde, einen von ihnen zu fragen.
Vornak kletterte als erster über den Haufen Geröll, der noch von diesem Teil der Mauer übrig war. Einer nach dem anderen folgte ihm, bis auch Meron, der die Nachhut bildete, den Burghof betrat. Noch bevor sie sich orientieren konnten, wurden sie attackiert. Die vier Angreifer waren klein, sie reichten selbst Vornak nur bis zum Kinn. Sie hatten eine grünlich gelbe Haut und ihre Ohren waren genauso übermäßig lang, wie ihre Nasen. Ansonsten waren sie weitestgehend humanoid, trugen lederne Rüstungen und schwangen schartige Säbel oder Kurzschwerter. Sie riefen sich mit schrillen Stimmen etwas zu, das Hakim nicht verstand, während sie von allen Seiten auf die Gefährten eindrangen.
Der Streuner zog sein eigenes Kurzschwert, während er sich dem nächsten Gegner zum Kampf stellte. Aus den Geräuschen um ihn herum konnte er entnehmen, das die anderen es ihm gleich taten, obwohl er davon ausging, das sich Loris erst einmal zurück halten würde. Magier tauten einfach nicht für den Nahkampf. Vergewissern konnte er sich dessen jedoch nicht, denn er hatte alle Mühe, seinen eigenen Gegner in Schach zu halten. Die Kreatur war schnell und ganz offensichtlich geübt in solchen Überfällen. Eine ganze Weile war alles, was Hakim tun konnte, Schlag um Schlag zu parieren und auf eine Gelegenheit zu warten.
Die ergab sich dann, als hinter ihm ein schriller Schrei zu hören war, der in einem Wimmern endete. Sein Gegner ließ sich davon nur kurz ablenken, doch das genügte Hakim, um dessen Deckung zu unterlaufen und ihm seine Klinge tief in den Leib zu bohren. Nicht auf das dunkelgrüne Blut achtend, das ihm entgegen spritzte, drehte sich der Streuner auf der Stelle um. Doch der Kampf war bereits entschieden, denn gerade fällte Meron den letzten Gegner.
Meron hatte als einziger in der Gruppe eine Verletzung erlitten. Einen tiefen Schnitt an seinem linken Arm, den die Klerikerin mit einem Heilzauber wieder verschwinden ließ. „Ich bin noch Novizin“, sagte sie anschließend sanft, „oft kann ich das nicht tun. Also paß beim nächsten Mal besser auf.“
Der Krieger lachte kurz auf. „Na gut, aber nur um dir einen Gefallen zu tun.“
Eine kurze Durchsuchung der Überreste ihrer Angreifer, die Loris als Kobolde identifizierte, brachte außer ein paar Kupfermünzen nichts brauchbares zu Tage, also schlichen sie vorsichtig in Richtung des Bergfrieds. Das große Tor, das in sein Inneres führte war jedoch verschlossen und sie fanden keine Möglichkeit, sie von außen zu öffnen.
„Wir könnten klopfen“, scherzte Vornak.
Niemand würdigte ihn einer Antwort und schließlich bedeutete Hakim, der die ganze Zeit das Mauerwerk studiert hatte, seinen Gefährten im Schatten des zerstörten Turms zu warten. Er griff nach oben, steckte seine Finger in eine schmale Spalte und zog sich daran hoch, bis er auch für die andere Hand einen Halt fand. Dann tastete er mit seinen Füßen herum, bis er sich abstützen konnte und schob sich ein weiteres Stück die Mauer hoch. Er war schon als Kind mit Begeisterung auf alles geklettert, was er finden konnte, sehr zur Sorge seiner Mutter. Durch andauerndes Training war ein versierter Kletterer geworden und die Verwitterung, die dem Bergfried zu schaffen machte, erleichterte ihm sein Vorhaben. Stück für Stück schob er sich an der Mauer entlang nach oben, bis er die Kante erreichte, wo der Turm abgebrochen war. Er hievte sich über den Rand und während er seinen Armen und Beinen etwas Erholung gönnte, sah er sich um.
Das Stockwerk war völlig zerstört und überall lag Geröll. Schließlich stand er auf und durchsuchte die Trümmer, bis er schließlich den Rest der Treppe fand, die nach unten führte. Er bahnte sich einen Weg durch die Brocken, welche die obersten Stufen blockierten und wartete dann erstmal, ob ihn vielleicht jemand gehört hatte. Als niemand kam, schlich er sich Stufe für Stufe die Treppe herab.
Das Erdgeschoß war finster, mit Ausnahme des winzigen Bereichs, der durch das schwache Licht erhellt wurde, das durch das Loch in der Decke schien. Hoffend, das sich hier niemand aufhielt, der im dunkeln sehen konnte, tastete er sich langsam vor, bis er schließlich das massive Holz des Tors berührte. Er fand den Balken, der das Tor versperrte, schob ihn beiseite und ließ seine Kameraden herein. Durch das offene Tor fiel genug Licht, um zu erkennen, daß das Erdgeschoß aus einem einzigen leeren Raum bestand, jedoch konnte man noch immer keine Einzelheiten erkennen.
„Wir brauchen Licht“, bemerkte Meron. „Hat jemand an Fackeln gedacht?“
„Das wird nicht nötig sein“, antwortete Loris leise. „Vatad!“ Mit diesem Wort berührte er den Schild seiner Schwester und dieser begann langsam in einem kalten Licht zu leuchten, das immer heller wurde, bis es hell genug war, um den ganzen Rum zu erfassen.
Hakim, der noch wenig Erfahrung mit Magiern hatte, zog überrascht eine Augenbraue hoch. Vornak, der den Blick bemerkte, stieß ein hartes Lachen aus. „Magier“, bellte er, „undurchsichtig und durchtrieben, alle miteinander.“ Und dann, als er den finsteren Blick der beiden Elfen bemerkte, „aber durchaus von Nutzen, wenn man sie auf seiner Seite hat.“ Dann grinste er nur breit, bis die beiden Loris und Leanna schließlich kopfschüttelnd in sein lachen einfielen.
Hakim schüttelte ebenfalls den Kopf und sah sich in der nun erleuchteten Halle näher um. Überall lag eine Menge Staub und jede Ritze und Ecke schien mit Spinnweben bedeckt zu sein. Lediglich Spuren, die zu den Kobolden draußen zu passen schienen, führten vom Tor aus nach links. Der Streuner folgte der Spur zu ihrem Ende und stieß auf eine steinerne Falltür im Boden, die im Vergleich zum Rest praktisch staubfrei war. „Hier“, sagte er und winkte seine Gefährten zu sich.
Die Falltür erwies sich als unverschlossen und überraschend leicht zu öffnen. Unter ihr führte eine schmale Treppe in die Tiefe. Einer hinter dem anderen stiegen sie hinab, bis sie schließlich einen großen Kellerraum erreichten. Der Raum diente offenbar als Schlafsaal für die Kobolde. Überall lagen kleine Strohmatten und in der Mitte war eine Feuerstelle zum kochen. Um das Feuer herum saßen fünf der kleinen Kreaturen, die nun erschreckt ausprangen und nach ihren Waffen griffen. Und bevor er sich versah, mußte Hakim einmal mehr an diesem Tag die Klingen kreuzen. Meron und Vornak, die an der Spitze gegangen waren stürmten auf die Kobolde zu. Hakim und Leanna näherten sich etwas langsamer und versuchten die Gegner in die Zange zu nehmen, während sie Loris hinter sich konnten murmeln hören. Trotz ihrer Überzahl waren die Kreaturen schnell in der Defensive. Die beiden Kämpfer drangen mit kräftigen Schlägen auf ihre Gegner ein, während Hakim und die Klerikerin sich damit begnügten, sie an einem eigenen Zangenangriff zu hindern. Die ersten zwei Kobolde fielen fast gleichzeitig unter den gnadenlosen Schlägen der Kämpfer. Kurz danach folgte der dritte, als er wie von einem unsichtbaren Pfeil getroffen in sich zusammen fiel. Danach war es für Meron und Vornak ein leichtes, den Kampf zu beenden, bevor einer von ihnen verletzt wurde.
Der einzige andere Ausgang aus dem Raum führte sie durch einen langen Gang, der tief in den Fels getrieben worden war. Vornak studierte die Wände im vorbeigehen und stellte etwas abfällig fest, das es keine Zwergenarbeit war. „Die Wände sind viel zu uneben“, schnaubte er, „jedes unserer Kinder würde das besser hinbekommen.“
„Du darfst nicht vergessen“, warf Loris ein, „das Menschen es immer eilig haben. Sie sind das kurzlebigste der zivilisierten Völker.“
„Hmm“, war alles, was der Zwerg darauf zu antworten wußte.
Hakim und Meron sahen sich kurz an und schüttelten nur mit den Köpfen. Sich jetzt über kulturelle Unterschiede zu unterhalten erschien ihnen unangemessen, aber vielleicht war das ja auch nur die Eigenart einer schnellebigen Rasse.
Der Gang führte schließlich in eine Höhle, deren Wände zwar bearbeitet waren, die aber alles in allem natürlichen Ursprungs zu sein schien. Ihnen gegenüber gab es einen weiteren Durchgang und an der rechten Wand zwei einfache Holztüren.