KRANK BLEIBEN Herr Hansemann, Sie sind Sprecher eines Vereins, der sich für mehr Akzeptanz von Schlanken in der Gesellschaft einsetzt.
JÜRGEN HANSEMANN Ja, genau!
KRANK BLEIBEN Bitte erzählen Sie unseren Lesern, wie die Arbeit Ihres Vereins aussieht.
JÜRGEN HANSEMANN Nun, zunächst einmal vielen Dank für die Einladung. Es gibt nur wenige Plattformen, welche die Meinung von Menschen hören wollen, die in körperlicher oder geistiger Hinsicht anders sind – gewollt oder ungewollt.
KRANK BLEIBEN Aber gerne! Unsere Zeitschrift bietet auch Raum für die Sorgen und Nöte von Schlanken. Unsere Beiträge haben schon vielen Schlanken geholfen, ein wieder einigermaßen beschwerliches und ungesundes Leben zu führen.
JÜRGEN HANSEMANN Das ist mein Stichwort. Unserem Verein geht es auf jeden Fall nicht um das Schlanksein als Lebensphilosophie. Vielmehr möchten wir gesellschaftlichen Problemen von Dünnen wie Ausgrenzung, Mobbing oder deren geringeren Chancen bei der Partnerwahl entgegenwirken. Gesundheitliche Aspekte sind auch wichtig. Allerdings sind wir mündige Menschen, und jeder muss selbst wissen, ob er mit dem Risiko gesund zu werden leben will.
KRANK BLEIBEN Wie äußert sich diese Ausgrenzung?
JÜRGEN HANSEMANN Das sind kleine Dinge mit großer Wirkung. Wenn zum Beispiel die Kinder auf der Straße mit dem Finger auf dich zeigen und sagen: „Guck mal, der Schlanke da!“ Das kratzt am Selbstbewusstsein. Und so Mancher traut sich deshalb kaum mehr auf die Straße vor Scham.
KRANK BLEIBEN Sie aber anscheinend schon …
JÜRGEN HANSEMANN Ja, ich hab da eine dicke Haut. (lacht)
KRANK BLEIBEN Aber Sie sind wirklich nicht gerade ein gutes Vorbild für die Kinder!
JÜRGEN HANSEMANN Sie haben Recht. Das stimmt leider. Aber zumindest unsere eigenen Kinder stopfen meine Frau und ich so oft wie möglich mit Fastfood voll und wir ermuntern sie tagtäglich, mit dem Rauchen anzufangen.
KRANK BLEIBEN Aber Sie selbst haben doch mit dem Rauchen aufgehört …
JÜRGEN HANSEMANN Ja, das war dumm von mir damals. Ich war ein Jugendlicher, vielleicht 17. Ich habe aufgehört, weil ich cool sein wollte. Ich wollte einem bestimmten Mädchen imponieren. Ihre Eltern waren Nichtraucher.
KRANK BLEIBEN Und? Hat’s geklappt?
JÜRGEN HANSEMANN Damals schon. Beim letzten Klassentreffen war sie aber schon krank. Lungenkrank. Ich hätte mit ihr zusammenbleiben sollen … (lacht)
KRANK BLEIBEN Und Ihre jetzige Frau?
JÜRGEN HANSEMANN Raucht, säuft, frisst. Das ist ja das Schlimme. Auch sie ist total gut drauf. Nur ich schaff’s nicht!
KRANK BLEIBEN Warum fangen Sie nicht einfach wieder an mit Rauchen?
JÜRGEN HANSEMANN Sehr witzig! Glauben Sie mir – ich habe alles versucht. Es ist das gleiche Dilemma wie beim Zunehmen – jeden ersten Januar wieder.
KRANK BLEIBEN Prominente Ex-Dünne wie Karl Hagerfeld haben doch vorgemacht, wie es geht. Er hat innerhalb eines Jahres 70 Kilo zugenommen und wiegt jetzt 120. Und noch immer kein Jojoeffekt!
JÜRGEN HANSEMANN Eine respektable Leistung. Aber Rauchen tut er noch nicht! Ich jedenfalls bin da ganz eigen. Wenn schon, dann will ich zunehmen und krank werden gleichzeitig. Aber das schaffen die wenigsten Dünnen.
KRANK BLEIBEN Wie ist Ihr Gewicht?
JÜRGEN HANSEMANN 90 Kilo bei 1,86 m!
KRANK BLEIBEN Wow! Das ist echt dünn! Haben Sie’s schon mal mit Fettheits- und Bewässerungspillen versucht? Die haben teilweise phantastische Nebenwirkungen wie zum Beispiel Fettleber und Herzrasen. Auch Verstopfmittel sollen hilfreich sein.
JÜRGEN HANSEMANN Ich weiß, die essen Fettmodels sehr erfolgreich. Aber das brauche ich nicht. Ich will es ohne schaffen. Schlicht durch Völlerei.
KRANK BLEIBEN Inwiefern unterstützt Sie Ihr Verein bei Ihren Bemühungen?
JÜRGEN HANSEMANN Na ja, krank und fett muss ich alleine werden, aber – wie ich schon sagte - mein Verein versucht hauptsächlich, die Lebensumstände der Dünnen innerhalb der Gesellschaft zu verbessern.
KRANK BLEIBEN Wie denn?
JÜRGEN HANSEMANN Wir fordern zum Beispiel die Einplanung von Treppenhäusern in allen öffentlichen Gebäuden. Wir haben es einfach satt, immer müde belächelt zu werden, wenn wir den Aufzug benutzen.
KRANK BLEIBEN Aufzüge fördern wenigstens den Bewegungsmangel, Treppen nur die Gesundheit.
JÜRGEN HANSEMANN Wie gesagt: Wir wehren uns nur gegen Ausgrenzung. Hier geht es ums Prinzip. Uns ist klar, dass Treppen dummerweise gesund halten.
KRANK BLEIBEN Was noch?
JÜRGEN HANSEMANN Wir unterstützen aus Mitgliedsbeiträgen die Bekleidungskette „Ulli Flopken“. Hier reichen die Konfektionsgrößen bei Frauen runter bis 38 und bei Männern bis 52. In normalen Läden findet man kaum was in diesen Größen.
KRANK BLEIBEN Und das finden Sie diskriminierend?
JÜRGEN HANSEMANN Allerdings! Noch ein Beispiel: Beim Fliegen sollen künftig immer zwei Schlanke auf einem Sitz sitzen. Das ist doch nicht fair! Möchten Sie mit nur einer Armlehne reisen?
KRANK BLEIBEN Wäre das nicht ein Ansporn, etwas für die Figur zu tun?
JÜRGEN HANSEMANN Nicht durch öffentlichen Druck!
KRANK BLEIBEN Sie sind erfolgreicher Immobilienmakler, haben aber letzten Monat eine Umschulung zum Bademeister abgeschlossen. Warum denn das? So wenig Stress trägt nicht gerade dazu bei, krank zu werden.
JÜRGEN HANSEMANN Das war ein längst überfälliger Schritt. Ich musste das für mich tun. Endlich ein Beruf, bei dem ich mich kaum bewegen muss – und auch noch den ganzen Tag essen kann. Außerdem ist es ein wichtiger Job. Ich werde für möglichst viele Badeunfälle sorgen und darauf achten, dass der Schwimmbadbesuch nicht versehentlich in Sport ausartet.
KRANK BLEIBEN Sport kann das Leben unnötig verlängern.
JÜRGEN HANSEMANN Auch ein Anliegen unseres Vereins: Viele von uns, ich eingeschlossen, schaffen es – zumindest zeitweise - keinerlei Sport zu treiben, um möglichst schnell wieder dick und krank zu werden.
KRANK BLEIBEN Gut, denn Dünne belasten die Rentenkasse. Wir Dicke und Kranke finanzieren sozusagen deren Dürrsucht.
JÜRGEN HANSEMANN Sie versuchen dauernd, mir ein schlechtes Gewissen einzureden.Wenn das Zunehmen einfach wäre, hätte ich es längst geschafft. Außerdem gibt es durchaus Dünne, die massenhaft Krankheiten haben.
KRANK BLEIBEN Ausnahmen bestätigen die Regel. Das sind hauptsächlich Leute, die wenigstens auch ordnungsgemäß rauchen.
JÜRGEN HANSEMANN Verschiedenen Mitgliedern unseres Vereins gelingt es immer wieder, mit dem Rauchen anzufangen. Aber das beizubehalten ist für die meisten von uns sehr schwierig.
KRANK BLEIBEN Was sagen Sie eigentlich zur rapide zunehmenden Zahl von Reformhäusern in unserem Land?
JÜRGEN HANSEMANN Schrecklich! Das ist wirklich kontraproduktiv. Aber ab und zu überkommt es auch mich. Da bekomme ich plötzlich so einen Kalthunger. Dann kaufe ich dort ein und hoffe, dass mir niemand begegnet, den ich kenne. Anschließend verspeise ich dann zum Beispiel eine Scheibe Dinkelvollkornbrot und eine Biotomate. Anschließend habe ich natürlich wieder ein schlechtes Gewissen.
KRANK BLEIBEN Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass vielseitige Ernährung sehr schädlich für Krankheiten ist.
JÜRGEN HANSEMANN Ja, vor allem diese üblen Nährstoffe, Vitamine und Spurenelemente.
KRANK BLEIBEN Engagiert sich Ihr Verein wirklich kein Bisschen in Sachen Zunehmen und schlechte Ernährung?
JÜRGEN HANSEMANN Doch, sicher. Zumindest innerhalb des Vereins. Mittwochs und Samstags treffen wir uns immer zur „Schmalzstarre“.
KRANK BLEIBEN Schmalzstarre?
JÜRGEN HANSEMANN Ja, es gibt Griebenschmalzburger All-You-Can-Eat und anschließend versuchen wir, zwei Stunden lang regungslos sitzen zu bleiben. Das ist superschädlich fürs Herz und superförderlich fürs Zunehmen – wenn man regelmäßig mitmacht.
KRANK BLEIBEN Welche Vorsätze zum Thema haben Sie fürs neue Jahr?
JÜRGEN HANSEMANN Ich habe mir zwei viel versprechende Bücher zugelegt: "Erfolgreich Zunehmen" und „Tipps zum unbewussten Essen“ von Heiner Schmalmund.
KRANK BLEIBEN Wie wär’s mit einem Abonnement von “Krank bleiben”?
JÜRGEN HANSEMANN Vielleicht wäre es einen Versuch wert …
KRANK BLEIBEN Waren das schon alle Vorsätze?
JÜRGEN HANSEMANN Ein paar aus unserem Verein bewerben sich für die achte Staffel der Zunehmshow „Thinnest Gainer“ mit Astrid Klumberfuß. Vielleicht mach ich da mit.
KRANK BLEIBEN Na, dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg!
JÜRGEN HANSEMANN Danke, den kann ich gebrauchen!
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