Beschreibung
Gerettet und doch verloren.
Kein Erwachen
Kapitel 10
Kein Erwachen
Nach wenigen Minuten, in denen ich mich nur auf Teitos regelmäßige Schritte konzentrierte, um nicht das Bewusstsein zu verlieren, erreichten wir mein Haus. „So wir sind da.“ kommentierte Teito und selbst in meiner angeschlagenen Verfassung konnte ich die Sorge aus seiner Stimme heraus hören. „In der linken Manteltasche ist der Schlüssel...“ stöhnte ich, als er mich vorsichtig absetzte, ungeschickt nach den Schlüssel angelte und schweigend die Tür öffnete. In der Zwischenzeit versuchte ich aufzustehen, aber meine schwachen Beine verweigerten mir ihre Dienste. Dann stand Teito wieder vor mir, schnappte sich meinen Arm, zog mich auf die Beine und half mir langsam die Treppen zu erklimmen. Hinter uns fiel die Tür mit einem dumpfen Knall ins Schloss und die vertraute Stille meines Heims senkte sich über uns. Doch plötzlich wurde ich von einem außergewöhnlich grellem Licht geblendet, was sofort einen speerartigen Schmerz zur Folge hatte, der sich unbarmherzig durch jede einzelne Gehirnzelle zu bohren schien. Obwohl ich ein schmerzhaftes Ziehen an meiner Schläfe spürte, kniff ich meine Augen reflexartig zusammen, um dem quälenden Licht zu entgehen. Mit einem schwachen, fluchenden Stöhnen protestierte ich: „Willst du mich foltern? Du hättest mich wenigstens vorwarnen können.“ „Beschwer dich nicht... Immerhin rette ich gerade deinen verdammten Arsch.“ knurrte er als Antwort und zog mich weiter durch den Flur. Langsam öffnete ich mein rechtes Auge und versuchte mich zu orientieren. Gerade gingen wir an der Tür zu meiner Küche vorbei, also waren es nur noch wenige Meter bis zum Wohnzimmer. Doch gerade, als ich Teito sagen wollte, wo er das Desinfektionsmittel und die Verbände finden würde, fing der Spiegel an der Wand meine Aufmerksamkeit. Geschockt betrachtete ich mein Spiegelbild. Die Wunde war tatsächlich weitaus schlimmer, als ich es befürchtet hatte. Sie klaffte wenige Zentimeter neben meinem linken Auge und ich meinte sogar das schimmernde Weiß von Knochen erkennen zu können. Aber das schlimmste war der Blutstrom, der einfach nicht stoppen wollte. Meine gesamte linke Gesichtshälfte war in ein tiefes rot getaucht, das mir mittlerweile auch am Kinn hinunter tropfte und meiner schwarzen Kleidung blutrot schimmernde Flecken verlieh.
Ich schloss die Augen und entfloh so dem entmutigenden Anblick meines Spiegelbilds. Schweigend ließ ich mich von Teito ins Wohnzimmer tragen, wo er mich vorsichtig auf das Sofa sinken ließ. Durch die Glastür, die gegenüber von meinem provisorischem Krankenbett hinaus zu meinem kleinen, verwilderten Garten führte, fiel das milde Mondlicht herein und verlieh dem ganzen Raum einen mysteriösen Schein. „Wo hast du die Verbände versteckt? Ich bin zwar kein Arzt, aber ich glaube wir müssen die Blutung irgendwie stoppen.“ meinte Teito und wartete geduldig bis seine Worte mich erreichten. „Im Badezimmer... Zweite Schublade unterm Waschbecken.“ antwortete ich, während mich ein erneuter Schwindelanfall heimsuchte. Sobald er im Flur verschwand senkte sich eine unheimliche Stille über den Raum. Die einzigen Geräusche, die ich vernahmen konnte, waren mein eigener rasselnder Atem, das Rauschen des Bluts in meinen Ohren und das schwache Klopfen meines Herzens. Wieder einmal drängte sich mir ein seltsames Gefühl auf. Wie auch heute Morgen spürte ich ein paar fremder Augen auf mir ruhen, aber in meinem aktuellen Zustand war es mir unmöglich mich auch nur alleine aufzusetzen, geschweige denn mein Miasma zu benutzen, um dem Gefühl auf den Grund zu gehen. „Alles was ich tun kann, ist zu hoffen die Nacht zu überleben...“ stellte ich düster fest und fuhr mir mit meiner trockenen Zunge über die spröden Lippen. Doch dann fing mein Bewusstsein plötzlich an in die Leere der Ohnmacht abzudriften. Vergeblich versuchte ich mich der erlösenden Dunkelheit zu entziehen, aber sie ließ mich nicht los. Sie lockte mich mit wortlosen Versprechen der Schmerzlosigkeit. Anfangs schaffte ich es noch mich ihr zu widersetzen, aber sobald Teitos wiederkehrende Schritte hallend zu mir durchdrangen, gab ich ihr mit einem halb erleichterten, halb besorgten Seufzen nach. Augenblicklich umgab mich eine alles verschlingende Finsternis, die jeden Funken Licht, jedes auch noch so kleine Geräusch ausblendete und mich in mir selbst versinken ließ. Doch damit sollte die Nacht noch kein Ende gefunden haben...
Wie ein ungestümes Monster fiel die Müdigkeit über mich her und wollte mich mit ihrer überwältigenden Gewalt ins Reich der Träume ziehen. Erleichtert erwartete ich die erlösende Schmerzlosigkeit, die mich endlich von diesen hämmernden Kopfschmerzen befreien würde. Doch sie kam nicht. Zwar spürte ich noch wie mein Bewusstsein langsam in das Nichts des Schlafs entglitt, doch dann entdeckte ich urplötzlich eine fremde Kraft. Blitzschnell drang sie in mich ein, sie klammerte sich an meinen Geist und hielt ihn mit einem unerschütterlichen Griff fest. So verhinderte sie, dass ich mich in den Schlaf flüchten konnte und gleichzeitig war es mir nicht mehr möglich die Kontrolle über meinen Körper zurückzugewinnen. Ich war in einer Welt zwischen der Traumwelt und der Realität gefangen. Ein tiefes Nichts umgab mich, das einzige, was ich noch fühlen konnte war mein Körper. Egal wie sehr ich mich zu wehren versuchte, es nützte nichts. Ich war einfach zu erschöpft, um mich aus dem eisernen Griff der fremden Kraft zu befreien. Ein dumpfes Gefühl der Angst wandte sich um mein Herz und zog sich langsam, wie eine tödliche Schlinge, zusammen. Ich war dem Eindringling in meinen Geist vollkommen ausgeliefert.
Die fremde Energie wurde immer größer und da entdeckte ich die Stelle, an der sie in mich eindringen konnte. Die Wunde an meinem Kopf hatte anscheinend nicht nur meinen Körper, sondern auch meinen Geist getroffen und hat dadurch eine Schwachstelle in meinem geistigen Verteidigungswall geschaffen. Hätte mich der Kampf gegen die Satsubas nicht vollkommen erschöpft, hätte ich das garantiert verhindern können, aber im Moment war ich so hilflos wie ein Lamm umzingelt von einem Rudel hungriger Wölfe. Zwar konnte ich meinen Körper, den pulsierenden Schmerz, das panische Hämmern meines Herzens noch spüren, aber ich hatte keine Kontrolle mehr. Ich konnte nichts tun.
Plötzlich wallte eine ruhige, einnehmende Stimme durch meinen Geist und füllte mich bis in den letzten Winkel meiner Seele komplett aus. „Lange habe ich dich gesucht... Und endlich habe ich dich gefunden. Ich bin so froh. Endlich habe ich es erreicht... Mit dir werde ich erreichen, was ich so sehr ersehne. Komm mit mir... Komm und bring mir die Dunkelheit, nach der ich mich so sehne.“ Die Stimme lullte mich ein, liebkoste meinen Verstand und wollte mich verführen. Sie weckte eine unbeschreibliche Sehnsucht in mir, die ich noch nie verspürt hatte. Ich wollte ihr folgen, ihr vertrauen und ihr dienen. Sie war so süß, wie wohltuender Honig, der sich langsam über meine seelischen Wunden legte und mich vergessen ließ. Vergessen... „Komm zu mir. Verschreib dich mir. Diene mir. Und dann wirst du erkennen, dass es eine Lösung gibt. Eine Welt ohne Kämpfe...“ Sie verstand mich. „Du willst doch nicht mehr kämpfen...“ „Nein... Ich hasse es zu kämpfen.“ „Du willst endlich leben...“ „Leben?“ „Unter deines Gleichen, mit deinen Freunden... Friedlich, bis ans Ende der Zeit.“ „Ein Traum... Das ist nichts weiter als ein unerfüllbarer Traum!“ „Aus Träumen entstehen Welten. Auch ich teile deinen Traum. Komm... Komm und lass uns in unsere Welt leben. Warum sollten wir nicht glücklich werden?“ Plötzlich spürte ich für einen kurzen Augenblick, das hinter diesen Worten etwas gefährliches steckt. Ein böser Wille. Schreckliche Bilder aus meiner Vergangenheit blitzten vor meinem geistigen Auge auf. Alarmiert versuchte ich der Stimme zu widerstehen, doch dann drang sie noch tiefer in mich ein. Sie lenkte meine Gefühle, meine Gedanken und dann verschwanden die Bilder, noch ehe ich sie erkennen konnte. Und mit ihnen jeglicher Zweifel. Nur diese unerklärliche, alles verzehrende Sehnsucht nach Frieden blieb in mir zurück. Von ihr getrieben wollte ich nur noch eins. Der Stimme folgen. Ich wollte nicht mehr kämpfen... Meine Träume leben. „Komm mein Junge... Bring mir die Dunkelheit.“ flüsterte die betörende Stimme. Und ich gehorchte. Ich ging zu ihr. Ohne wirklich zu wissen was ich tat, schickte ich meine Seele in den Kraftstrom. Sobald sie in den Strom eintauchte spürte ich es. Mein Leben, meine Seele und meine Träume wurden langsam aufgelöst und neu zusammengesetzt. Ein schwaches Gefühl der Angst kehrte in meinem Herzen ein, doch die Stimme schien durch mich hindurch zu sehen und flüsterte beruhigend: „Du brauchst dich nicht zu fürchten. Am Ende erwartet dich kein Schmerz, kein Zwang. Lass dich einfach treiben und ich werde dich in meinen Armen wiegen.“ Die Angst verschwand und ich schickte meine Seele ohne zu zögern weiter in den Strom hinein.
Doch plötzlich drang eine weitere Kraft in mich ein. Das Nichts, was mich vor wenigen Sekundenbruchteilen noch umgeben hatte, war verschwunden und ein gleißendes Licht in seiner reinsten Form, war an dessen Stelle getreten. Plötzlich schrie die Stimme, dass ich mich beeilen sollte, doch es war zu spät. Mit einer überwältigenden Kraft übermannte es mich, verdrängte die süße Melodie der Stimme aus meinem Geist und Seele und verschloss die Wunde in meinem Verteidigungswall mit reiner, pulsierender Energie. Und dann spürte ich es. „Dieses Gefühl... Ich kenne es... Ich... Nein! Wie? Was zum Teufel passiert hier?!“