Begegnung mit einem Engel
Ich lag im weichen Gras im Park und genoss die vereinzelten Sonnenstrahlen, die durch die Äste der großen Eiche fielen, unter der ich lag. Das Gras war noch etwas feucht und ich spürte die doch angenehme Nässe auf meiner Haut. Eigentlich hätte ich in der Schule sein müssen, doch dort ging ich so gut wie gar nicht mehr hin.
„Alles Idioten“, murmelte ich leise vor mich hin.
Ich brauchte keine Schule mit nervigen Klassenkameraden und noch nervigeren Lehrern. Langsam schloss ich meine Augen und entspannte mich. An so was wie Schule wollte ich jetzt nicht denken. Ich entspannte mich sogar so sehr, dass ich etwas einschlief und als ich wieder wach wurde, war es bereits dunkel. Schnell stand ich auf und nahm meine Sachen. Wenn es dunkel wurde, war der Park kein schöner Ort mehr. Gerade wollte ich den Park verlassen, als mich jemand an der Schulter packte. Ich drehte mich um und blicke in zwei nussbraune Augen, dann wurde es dunkel um mich herum. Nur langsam kam ich wieder zu mir. Ich saß unter seiner Brücke im schmutzigen Boden und die Wände unter der Brücke waren mit Graffiti voll geschmiert. Es hatte zu regnen begonnen und auch meine Kleidung war etwas nass. Wer um alles in der Welt hatte mich nur hier her gebracht und vor allem warum? Ich sah mich etwas um, doch ich war ganz alleine unter der Brücke. Etwas erleichtert darüber atmete ich auf.
„Du bist ja wieder wach“, ertönte plötzlich eine Stimme neben mir.
Ich wandte meinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war und blickte wieder in die nussbraunen Augen. Kurz zuckte ich zusammen. Ich hatte mich wirklich etwas erschreckt. Die nussbraunen Augen gehörten zu einem Jungen mit kurzem dunkelbraunen Haaren, der mich sanft anlächelte.
„Wer bist du?“, fragte ich ihn.
„Mein Name ist Kisho Nagahama liebe Yuuka Kanegawa“, antwortete mir der Junge sofort.
„Woher kennst du meinen Namen?“
„Oh ich weiß so einiges von dir Yuuka, aber wir haben keine Zeit zum Reden. Mein Herr erwartet uns sicher schon.“
Ohne darauf zu warten, dass ich noch etwas sagte, hatte Kisho nach meiner Hand gegriffen und mich auf die Beine gezerrt. Nun reichte es mir aber. Ich holte mit der freien Hand aus und verpasste ihn einen kräftigen Schlag ins Gesicht. Kisho ließ mich auch sofort los und sah mich an, dann er schien ein schwaches Grinsen auf seinen Lippen.
„Er hat nicht übertrieben. Du hast wirklich eine Menge Kraft“, sagte er nur.
Etwas verwundert sah ich den Jungen vor mir an. Er nutzte diese Verwunderung von mir aus und warf mich mit einem gekonnten Griff über seine Schulter.
„Hey lass mich sofort wieder runter“, fauchte ich und zappelte etwas rum.
„Es tut mir Leid, aber das geht nicht“, erwiderte Kisho.
Plötzlich umgab und sein grelles und helles Licht. Es blendete mich so sehr, dass ich meine Augen schließen musste. Nach einer kurzen Weile öffnete ich sie wieder und das grelle Licht war verschwunden. Stattdessen befand ich mich mit Kisho in einem weißen Raum der ziemlich groß war und in dem sich hohe weiße Säulen befanden. Allerdings sah ich davon nicht besonders viel, weil ich lauter Federn vor dem Gesicht hatte. Weiße Federn wie die von einer weißen Taube. Wo kamen die nur plötzlich her. Aufeinmal setzte mich Kisho ab und sah mich an.
„Wir sind da“, sagte er.
Jetzt sah ich, dass er auf seinem Rücken zwei Flügel trug. Daher waren also die Federn vor meinem Gesicht gekommen. Aber wo kamen die Flügel her und vor allem, wer war dieser Junge nur?
„Und wo wäre das?“, fragte ich.
„Na bei meinem Herren natürlich du Dummkopf.“
„Nenn mich nicht Dummkopf.“
„Na na wer wird sich denn hier streiten“, hörte ich eine Stimme hinter uns.
Ich drehte mich um und sah in das Gesicht eines alten Mannes. Sein Haar war schon vollkommen ergraut und unter seiner Nase trug er einen Schnauzer. Die Kleidung des Mannes war genau so weiß wie die Wände des Raumes, in dem wir uns befanden.
„Herr“, hörte ich Kisho murmeln.
Dieser Mann war also sein Herr und hatte allen Anschein nach Kisho zu mir geschickt. Aber was wollte dieser alte Mann nur von mir.
„Du bist groß geworden Yuuka“, sagte der alte Mann.
Ich wunderte mich nicht darüber, dass er meinen Namen kannte, da auch Kisho wusste wie ich hieß. Der alte Mann hatte ihn wohl Kisho gesagt.
„Kennen wir uns alter Mann?“, fragte ich, denn der Mann war mir völlig unbekannt.
„So kannst du doch nicht mit dem Herren reden“, meinte Kisho, doch der alte Mann lachte nur.
„Du ähnelst deiner Mutter sehr“, sagte der Mann dann mit einem Lächeln.
Als er meine Mutter erwähnte, wurde ich hellhörig. Ich hatte meine Eltern vor 12 Jahren bei einem Autounfall verloren und konnte mich kaum noch an ihre Gesichter erinnern. Erinnerungen waren auch alles was mir von ihnen geblieben war, da es weder Bilder noch sonst etwas von ihnen gab.
„Was weißt du von meiner Mutter?“, fragte ich.
„Oh ich weiß einiges. Sie war immer sein sehr gutes Mädchen und auch deinen Vater habe ich gekannt. Ein netter Junge, nur leider auf der falschen Seite“, antwortete der Alte.
Ich verstand nicht ein Wort von dem was er sagte. Mein Vater war der netteste Mensch auf der ganzen Welt gewesen. Warum sollte er auf der falschen Seite gewesen sein? Ich schüttelte leicht den Kopf. Wie konnte ich einfach einem Fremden glauben.
„Bringt mich nach Hause. Ich weiß nicht was ihr für komische Typen seid, aber ich will nichts mit euch zu tun haben“, sagte ich.
Der Alte lächelte mich weiter an.
„Ich fürchte Yuuka, dass ich dich jetzt noch nicht gehen lassen kann. Es gibt wichtige Dinge zu bereden, die keinen weiteren Aufschub dulden“, entgegnete er.
„Ich will nichts damit zu tun haben. Wo bin ich überhaupt.“
„Du bist ihm Himmel liebe Yuuka. Im Reich der Engel.“
Wollte der Alte mich jetzt etwa verarschen? Ich glaubte nicht an so ein Zeug wie Himmel oder Engel.
„Ach und das soll ich glaube? So ein Unsinn. Lasst mich jetzt endlich gehen“, sagte ich.
Langsam verlor ich wirklich die Geduld. Ich wollte nur noch hier weg. Der alte Mann seufzte leise.
„Du willst also einen Beweis. Na gut. Sieh mal darüber“, sprach er und deutete mit dem Arm an die Rechte Wand.
Dort hing ein riesiges Bild welches die Erde zeigte. Ich tragt näher zu dem Bild und betrachtete es. Es war nur ein einfaches Bild. Wie sollte das ein Beweis sein für das was er sagte.
„Ein nettes Bild, aber was soll das beweisen?“, fragte ich und wandte meinen Kopf etwas zu Kisho und dem Alten.
„Fass es an“, sagte Alte.
Ich war zwar etwas verwundert, doch streckte ich langsam meine Hand nach dem Gemälde aus. Als ich die Oberfläche des Bildes berührte, fing sie an etwas zu wackeln, so als hätte ich Wackelpudding angestuppst. Blitzartig zog ich meine Hand zurück. Ich sah zu dem Alten und Kisho.
„Was ist das für ein Bild?“, fragte ich.
„Das meine liebe Yuuka ist kein einfaches Bild. Wir nennen es „das Fenster“. Es zeigt und hier die Erde in ihrer schönsten Pracht“, sprach der alte Mann.
Ich ließ meinen Blick wieder zu dem Bild gleiten. Dieses Bild sollte ein Fenster sein. Lachhaft. Da waren sicher irgendwelche Spezialeffekte am Werk.
„Ich glaub es trotzdem nicht. Der Beweis ist mir zu unsicher“, meinte ich.
„Du bist wohl schwer zu überzeugen was?“, sagte der Alte mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.
„Kann man so sagen“, entgegnete ich.
„Nun gut dann hab ich wohl keine andere Wahl. Die Zeit läuft uns langsam davon.“
Der Alte hob etwas seinen rechten Arm und schnippste mit den Fingern. Ein leises Puff ertönte und meine Kleidung hatte sich verändert. Anstatt meiner Jeans und meiner Bluse trug ich jetzt ein Kleid welches mit bis zum Knie ging. Das Kleid war genau so weiß wie das des alten Mannes. Um die Hüfte herum verlief ein etwas breiteres schwarzes Band, das nach vorne zu einer Schleiße zusammen gebunden war. Ein kurzes Lächeln huschte mir über die Lippen. Das war wirklich ein sehr schönes Kleid.
„Du bist ein Zauberer alter Mann“, sagte ich nur.
Vom Alten hörte ich ein leises Lachen.
„So könnte man mich nennen. Aber die meisten nennen mich hier Herr oder Gott“, entgegnete der alte Mann.
„Für mich bleibst du Alter.“
„So kannst du doch nicht mit dem Herren reden“, fauchte Kisho mich an, doch der alte Mann hielt ihn zurück.
„Ist schon gut Kisho. Wir sollten endlich zu dem Grund kommen, warum ich dich her geholt habe Yuuka. Es wartet eine sehr wichtige Aufgabe auf dich. Eine Aufgabe die über Leben oder Tod entscheiden könnte“, sprach der Herr.
Aufmerksam hatte ich dem alten Mann zugehört, doch verstand ich nicht, was er eigentlich genau wollte.
„Was soll das heißen?“, fragte ich.
„Das Yuuka musst du leider alleine heraus finden. Unsere Zeit ist leider um. Du musst zurück auf die Erde. Kisho wird dich begleiten“, sagte der alte Mann.
Kisho nickte ihm zur Antwort und wandte sich mir zu.
„Gib mir deine Hand“, sagte er.
Etwas zögernd nahm ich die Hand, die Kisho mir entgegen streckte. Sie war ganz warm und überhaupt nicht verschwitzt. Wieder huschte ein kurzes Lächeln über meinen Lippen.
„Ich mag Abschiede nicht besonders, aber ich weiß, dass dies hier kein Lebewohl sein wird. Also sage ich, auf wiedersehen liebe Yuuka. Ich weiß, dass du das richtige tun wirst“, meinte der Alte mit einem sanften Lächeln.
Ich hatte nur Zeit um einmal kurz zu nicken, denn dann um gab Kisho und mich wieder diese helle blendende Licht. Kurz darauf kam ich unter der Brücke langsam wieder zu mir. Ich saß wieder auf dem schmutzigen Boden und lehnte mit dem Rücken an die mit Graffiti beschmierte Wand. Das Kleid war verschwunden und ich trug wieder meine Jeans und meine Bluse. Ich sah mich kurz um, doch von Kisho war nirgends eine Spur. Hatte ich das etwa alles nur geträumt?
„Klar war das ein Traum. Als ob es so was geben würde“, sagte ich leise zu mir.
Ich stand auf und klopfte mir etwas den Schmutz ab. Zum Glück hatte es aufgehört zu regnen. Ich nahm meine Tasche und wollte mich gerade auf den Heimweg machen, als mich jemand rief.
„Yuuka warte auf mich.“
Ich fuhr herum und sah wie Kisho auf mich zu kam. Also hatte ich die ganze Sache doch nicht geträumt. Kisho blieb genau vor mir stehen.
„Wolltest du etwa ohne mich gehen?“, fragte er.
„Du bist ja doch echt. Nein wollte ich nicht. Ich dachte, ich hätte das alles geträumt, weil du nicht da warst“, antwortete ich.
„Ich versteh zwar immernoch nicht ganz, warum der Herr meint, dass du wichtig für uns bist, aber ich werde dich jetzt nach Hause begleiten.“
„Ich kann auch sehr gut alleine nach hause gehen.“
„Du verstehst wohl nicht ganz. Ich werde dich nicht nur begleiten sondern auch fürs Erste bei dir bleiben.“
„Das kannst du ja mal so was von vergessen. Ich will dich nicht bei mir Zuhause haben.“
Ein schiefes Grinsen erschien auf den Lippen von Kisho.
„Ich fürchte, du wirst da nicht gefragt. Der Herr hat bereits alles geregelt. Man erwartet uns sicher schon bei dir“, meinte er.
„Ich denke nicht, dass meine Tante Zuhause ist“, erwiderte ich.
„Das werden wir ja dann sehen. Wir sollten aber jetzt gehen. Hier draußen ist es nicht wirklich sicher.“
Ohne auf eine Reaktion von mir zu warten, packte Kisho meine Hand und zog mich hinter sich her.
„Lass mich los du Idiot“, fauchte ich und versuchte mich aus seinen Griff zu befreien.
„Sei jetzt still. Ach ja noch etwas. Ab morgen werde ich mit dir zusammen zur Schule gehen“, sagte Kisho.
„Ich geh morgen nicht zur Schule. Ich hasse die Schule.“
„Das ist mir ziemlich egal. Wir gehen da morgen hin.“
Darauf sagte ich dann nichts mehr. Ich mochte diesen komischen Typ einfach nicht. Kurz darauf hatten wir das Haus meiner Tante erreicht. Gerade wollte ich die Tür aufschließen, als erneut jemand nach mir rief.
„Yuuka!“