Einmal Göttin und zurück
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Ãœberarbeitet Version
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Gewidmet an all diejenigen die sich gerne
mal dem Kopf über Gerechtigkeit zerbrechen wollen.
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©2oo9 LuzifersÆngel
Erklärungen
1 Durba-Platz – Platz Kathmadu, wo sich ein hinduistischer Tempel an den nächsten reiht                   Â
2 Göttin Durga – die schwer Zugängliche, die schwer zu Begreifende (sie besitzt mehrere Arme)  Â
3 Newar-Ethnie – Personal für diverse Dienste bei wichtigen religiösen Festen
4 Tika – man tupft mit roter Pulverfarbe einen Segenspunkt auf die Stirn
5 Dasain - Fest zu Ehren der Göttin Durga
Die Kumari
Der Durbar-Platz in Kathmandu, bekannt für seinen Palast und seinen Schatz, der in ihm wohnt.
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Mein Name ist Sanjary Shakya und ich bin gerade 10 Jahre alt geworden. Zurzeit lebe ich noch in Kathmandu der Hauptstadt Nepals. Um genauer zu sein im Palast am Durbar-Platz(1). Ich bin die Inkarnation der Göttin Durga(2). Verehrt werde ich hier als Kumari, die Mädchengöttin.
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Meine Geschichte beginnt damit, dass ich im Säuglingsalter von der buddhistischen Newar-Ethnie(3) auserwählt wurde. Es kamen Mönche zu uns und überbrachten meiner Mutter die vermeintlich schöne Nachricht.
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Als ich ungefähr 3 Jahre alt wurde, brachte man mich in den Palast nach Kathmandu, dort wurde ich erst Untersucht und dann dem König vorgestellt. Danach durfte ich erstmal wieder nach Hause. In den folgenden Nächten bekam ich schreckliche Alpträume und für mich stand fest, dass ich nicht dahin wollte. Doch meine Eltern hatten keine Wahl.
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Ein paar Tage später fuhren wir erneut nach Katmandu. Ich klammerte mich fest an die Hand meiner Mutter. Ich spürte wie hilflos und unsicher sie waren. Meine Eltern schienen genauso wenig wie ich zu wollen, dass ich dort leben sollte. Noch begriff ich nicht, dass ich meine Eltern so schnell nicht mehr wieder sehen würde.
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Am Eingang des Palastes waren Bilder von Mädchen, gekleidet in wunderschönen roten Kleidern und bunt angemalt. Aber ihr Blick wirkte ausdruckslos, für mich aber auch wie ein stummer Schrei in die Ferne, so traurig. Meine Eltern versuchten sie zu ignorieren und liefen schnell weiter. Zögerlich setzten sie erst den einen, noch zögerlicher den anderen Fuß über die Schwelle des Palastes. Dort wartete man bereits und sie brachten uns in einen riesigen Raum, wo viele Menschen waren, sie tuschelten und murmelten unverständliche Dinge während sie uns anstarrten. Kurze Zeit später betrat eine junge Dame den Raum und alles wurde ganz still. Mit festen Schritten, aber freundlicher Mimik kam sie auf uns zu, kniete sich vor mir hin und meinte, dass sie mit mir spielen wolle. Besser als zu warten war es alle male, dachte ich und ging mit ihr mit ohne darauf zu achten, dass meine Eltern mir nur bis zur Tür folgten, weiter durften sie nicht, durch die wir gegangen waren.  Dies war das letzte Mal, dass ich meine Mutter und meinen Vater sah. An ihre Gesichter kann ich mich gar nicht mehr erinnern, nicht einmal an ihre Stimmen oder ihren Geruch, nicht einmal an ihre letzten Worte.
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Das erste was ich im Tempel erlernte war keinerlei Emotionen zu zeigen wenn die Leute vor mir standen. Man sagte es würde ihnen ganz viel Unglück bringen und sie wären ihr leben lang traurig. Natürlich viel es mir am Anfang sehr schwer und ich weiß noch dass ich sehr viel geweint habe. Einerseits weil ich wieder nach Hause wollte, andererseits war das Leben im Palast sehr streng. Denn die meiste Zeit in der ich nicht damit beschäftigt war die Leute zu segnen, verbrachte ich damit religiöse Rituale und Abläufe zu erlernen.
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Tag ein, Tag aus kamen die Leute in den Palast geströmt. Sie verbeugten sich vor mir, sie verehrten mich. Alles was ich machen musste war die Blütenblätter zunehmen und sie über ihre Köpfe zu streuen, dann tupfte ich ihnen noch das Zeichen für den Segen, die Tika(4), auf die Stirn und sie verbeugten sich erneut ehrfürchtig vor mir.Â
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Einmal im Jahr findet eines der wichtigsten und größten Feste in Nepal statt, das Fest Dasain(5). Dies ist eine der wenigen Gelegenheiten die ich bekam um das Leben außerhalb des Tempels zu beobachten.  Man schminkte mich und zog mir meine feierliche Tracht an, dann nahm ich wieder auf meinen Thron platz. Mönche trugen mich dann durch die Straßen von Kathmandu, selber laufen durfte ich nicht, denn es war mir strengstens untersagt den Boden außerhalb des Tempels mit meinen heiligen Füßen auch nur zu berühren. Der Höhepunkt des Festes bestand darin, dass der König von Nepal mich besuchen kam. Auch er wollte sich den Segen geben lassen. Er betrat den Tempel, wo ich hingebracht worden bin, verbeugte sich und kniete vor mir nieder. Er senkte seinen Kopf leicht in meine Richtung.  Ich nahm die Blütenblätter zur Hand und streute sie langsam über sein Haupt ohne dabei auch nur den geringsten emotionalen Ausdruck wiederzugeben. Man reichte mir ein Tablett auf dem sich eine kleine, prunkvoll verzierte Dose befand. Als ich die Dose öffnete kam darin rotes Pulver zum Vorschein. Dieses Pulver verwendet man um jemanden zu segnen, so auch für den König. Das gesamte Volk Nepals beobachtet mich genau dabei, wie ich dem König das Segenszeichen auf die Stirn tupfte. Alle warteten gespannt darauf ob ich zu lachen, zu weinen, oder zu toben beginnen würde. Der Grund dafür war, das die Menschen glaubten, das meine Reaktionen dem König gegenüber,  Unheil über das Land, dem Volk und dem Königshaus bringen würde. Doch die Ausbildung im Tempel war hart und streng und somit zeigte ich weder dem König, noch einen anderen Menschen in den Straßen Nepals auch nur ein lächeln oder eine träne.
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Im Palast bekam ich sogar Unterricht, ein paar Stunden in der Woche. Da man einer Göttin nicht wiedersprechen durfte, nutzte ich dies häufig als Gelegenheit um mit den anderen Kindern, die sich im Palast befanden zu spielen. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich es für mein späteres Leben außerhalb des Palastes brauchen würde, hätte ich wohl mehr gelernt.
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Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass das hier jemals enden würde. Mir hat niemand etwas davon gesagt, dass man mich eines Tages einfach vor die Tür setzten würde, damit ein anderes Mädchen meinen Platz einnehmen kann. Auch konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich jemals allein ich einem Bett schlafen würde, bisher war meine „Dienerin“ und gleichzeitig beste Freundin immer bei mir. Für mich war der Tempel mein Zuhause und die Leute die ich jeden Tag sah, waren meine Familie. Ein Leben außerhalb der Palastes, wollte ich mir weder vorstellen noch konnte ich es.
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Bis zu diesen einem Tag…
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Eine ältere, fremde Frau betrat den Raum in dem ich saß. Die Tür hinter ihr wurde geschlossen und sie setzte sich neben mich. Sie sprach mit mir als würde sie mich kennen, und immer wieder erzählte sie davon, wie es bei ihr Zuhause aussähe und sie sich darauf freut, dass ich wieder nach Hause käme. Ich war verunsichert und antwortete ihr deshalb nicht.
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Genau an diesen Tag brach meine Welt zusammen. Das Schicksal, dass man von mir all die Jahre fernhielt, die fast völlige Isolation von dem Leben außerhalb des Palastes, holte mich mit Paukenschlägen innerhalb kürzester Zeit wieder ein.
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Was noch schlimmer ist, ist die Tatsache, dass ich mit fremden Menschen zusammen leben werde, die mich kennen aber die für mich völlig fremde sind…