Beschreibung
Ein Tag aus der Sicht eines Säuglings
Liebes Tagebuch.
Heute ist ein Tag wie jeder andere auch. Ich wurde wach und was muss ich feststellen? Mama und Papa schlafen noch! Kannst Du Dir das vorstellen? Das konnte ich natürlich nicht zulassen, ich musste sie wecken. Also stimmte ich zu einem Lied an. Doch anstatt, dass sie mich für meine Mühe loben, höre ich von Papa nur: "Kleines, warum kannst Du nicht einfach ruhig sein?" Ich?.. Ruhig?...es war schon 6.30 Uhr und ich soll ruhig sein? "Na wartet", dachte ich mir und begann sogleich ein bekanntes, viel lauteres Lied zu singen. Du kennst es doch sicherlich, es heißt: Mama, ich habe mir in die Hosen gemacht!
Das hatte gesessen. Sie waren auf den Beinen. Mama nahm mich in die Arme. Weist Du was das erste Wort von meiner Mama war? "Buuhh Kleines, du stinkst ja voll." Wer hätte da nicht geweint? Ich weinte. Doch scheinbar hatte es ihr sogleich Leid getan, denn sie drückte mich an sich und beruhigte mich.
Ich konnte nicht anders und gab mich ihrer Wärme und ihren lieben Worten hin. Natürlich ahnte ich nicht, dass es nur ein Trick von ihr war. Sie trug mich in mein Zimmer und legte mich auf diesen doofen Wickeltisch. Was jetzt kam, kann ich nicht beschreiben, so grauenhaft ist das. Mir kommen noch immer Tränen, wenn ich daran denke. Sie zog mich ganz nackig aus. (Ich gebe ja zu, dass ich es mag, nackig rum zu liegen, aber auch nur, weil ich dann immer ohne diese böse Spreizhose liegen darf.) Nachdem sie mir meinen, mit viel Mühe und über die ganze Nacht gemachten Haufen, wegputzte, begann sie mir dieses rosa Shirt anzuziehen. Und Du weist ja, dass ich es nicht leiden kann. Diese Bärchen vorne drauf finde ich so doof, so kindisch. Ich bin doch keine vier Wochen mehr alt. Die ganze Zeit über sagte sie mir: "Guck mal, Liebes. Sind die Bärchen nicht süß?"
Na toll. Bloß, weil sie diese doofen Bärchen süß findet, muss ich sie tragen. Dabei weiß doch jeder, dass ich Häschen lieber habe. Ich war keine fünf Minuten lang ohne diese doofe Spreizhose, schon wollte sie mir diese wieder anziehen. Ich wehrte mich mit meiner ganzen Kraft dagegen. Ich sträubte mich, streckte mich und versuchte sie mit meinem wilden Gesang zu irritieren. Mit Erfolg. Jedoch nur für kurze Zeit. Sie rief Papa! Und gegen vier Hände hätte selbst Xena keine Chance gehabt. Ich musste mich ihrem Willen beugen. Aber ich rächte mich bei beiden. Den ganzen Tag über sang ich die lautesten Lieder, die ich kannte. Wenn ich ein Lied zu Ende gesungen hatte, ging ich in mich und dachte an irgendein neues Lied. Kaum hatte ich die Augen geschlossen, hörte ich schon Papa sagen: "Endlich, sie schläft." Dem war aber nicht so. Keine fünf Minuten später fiel mir schon ein neues Lied ein und ich begann sogleich, meine künstlerisches Talent noch mehr zu offenbaren.
So ging das bis jetzt. Mir fallen aber keine neuen Lieder mehr ein und irgendwie tun mir die beiden auch Leid. Sie sind zwar manchmal böse zu mir, aber doch die liebsten Eltern, die es gibt. Außerdem bin ich jetzt müde, denn es ist ja schon Mittag. Bis später, liebes Tagebuch.
by A.D.