Noch immer sah Mario das Mädchen mit den langen dunkelblonden Haaren schweigend an. Sie konnte also überhaupt nicht sprechen. Das würde erklären, warum sie den ganzen Tag so schweigsam war.
"Tut mir Leid. Das habe ich nicht gewusst", nuschelte Mario etwas verlegen, doch Maron schenkte ihm ein sanftes Lächeln.
Es schien ihr nicht das geringste auszumachen. Nun lächelte auch Mario leicht. Marons Lächeln war einfach ansteckend. Wieder schrieb sie was auf und reichte Mario den Zettel wieder.
Danke für die trockene Kleidung. Das ist wirklich sehr nett von dir, stand drauf.
"Bitte sehr. Soll ich vielleicht für dich Zuhause anrufen?", fragte Mario und stelle Maron eine dampfende Tasse Tee hin.
Maron nickte, schrieb erneut etwas auf und reichte ihm den Zettel.
Neben der Telefonnummer stand noch etwas: Es wäre nett, wenn du meinen Bruder Viktor anrufen könntest. Er macht sich sicher sonst nur Sorgen.
Als Mario den Namen Viktor las, schluckte er leicht. Er war nicht ihr Freund, so wie Mario gedacht hatte, sondern ihr Bruder. Wenn Mario jetzt so daran dachte, sahen sich die beiden wirklich ähnlich. Er nickte dann leicht und ging in den Flur, wo das Telefon stand. Ruhig wählte er die Nummer und wartete darauf, dass abgenommen wurde. Er musste gar nicht lange warten, als am anderem Ende der Leitung die Stimme von Viktor ertönte.
"Ja hallo?"
"Hallo Viktor. Hier ist Mario von Fußballclub. Ich rufe wegen deiner Schwester an."
"Wegen Maron? Wo ist sie? Geht es ihr gut?"
Mario konnte hören, dass Viktor sich wirklich große Sorgen um seine Schwester machte.
"Ihr geht es gut. Ich habe sie im Regen getroffen und sie erstmal mit zu mir genommen."
"Du hast sie mit zu dir genommen?", fragte Viktor leicht verwirrt.
"Ähm ja hab ich. Du kannst sie hier abholen kommen", antwortete Mario.
Schnell hatte er Viktor seine Adresse gegeben und legte auf. Mario fragte sich langsam selbst, warum er dieses ihm doch unbekannte Mädchen mitgenommen hatte.
"Dein Bruder kommt dich gleich abholen", sagte er, als er wieder in die Küche kam, doch Maron war verschwunden.
Verdammt wo ist sie nur?, fragte sich Mario und sah sich um.
Ein lauter Donnerschlag ließ ihn etwas zusammen zucken und ihn einen Blick aus dem Fenster werfen. Draußen war ein Gewitter aufgezogen. Mario nahm ein kaum hörbares Geräusch aus dem Wohnzimmer, welches direkt mit der Küche verbunden war. Er ging leise ins Wohnzimmer und sah sich dort um. Er entdeckte Maron, die auf dem Boden saß und ein Kissen eng an sich drückte. Mario wollte gerade etwas sagen, als erneut ein lauter Donnerschlag ertönte. Maron drückte das Kissen noch enger an sich, hatte die Augen fest zusammen zusammengekniffen und zitterte.
Hat sie etwa angst vor dem Gewitter?, fragte sich Mario.
Er kniete sich zu ihr und nahm sie behutsam in den Arm.
"Du musst keine Angst haben", sagte er leise und ruhig.
Erst zuckte Maron zusammen, doch dann drückte sie sich an ihn. Sanft streichelte Mario ihr über den Kopf. Er merkte, wie sein Shirt langsam nass wurde.
Sie weint ja, dachte Mario sich.
"Du musst doch nicht weinen", sagte er dann.
Maron sah vorsichtig zu ihm. Ihre Augen waren leicht rot und mit Tränen gefüllt. Am liebsten hätte Mario sie ganz fest an sich gedrückt, doch es klingelte an der Tür und er löste sich vorsichtig von Maron.
"Ich geh nur schnell die Tür aufmachen. Das ist sicher dein Bruder", meinte Mario, als er sich aufrichtete.
Maron nickte nur schwach. Vereinzelt liefen Tränen ihre Wangen runter. Geschwind ging Mario zur Haustür und öffnete sie. Er mochte Maron nicht zu lange alleine lassen. Vor ihm in der Tür stand nun ein komplett nasser dunkelblonder junger Mann.
"Hier bin ich. Wo ist sie? Sie wird sicher Angst haben. Sie hatte schon immer Angst bei Gewitter", sagte Viktor.
"Sie ist im Wohnzimmer. Komm doch erstmal rein", entgegnete Mario und ging schon zurück ins Wohnzimmer.
Dort schloss er die immer noch ängstliche Maron sofort wieder fest in seine Arme. Viktor, der ihm gefolgt war, sah zu den beiden.
"Du solltest dich auch umziehen. Maron möchte sicher nicht, dass du krank wirst. Wenn ich mich nicht irre, waren in Marons Tüte Sachen für dich. Sie ist in meinem Zimmer, dritte Tür rechts," sagte Mario und war Viktor einen kurzen Blick zu.
Dieser nickte stumm und verliess das Wohnzimmer. Noch immer weinte Maron stumm. Vorsichtig wischte Mario ihr die Tränen weg.
"Es ist alles gut. Viktor ist doch jetzt da", flüsterte Mario ihn zu.
Maron nickte leicht und drückte sich weiter an ihn. Auf Marios Gesicht erschien ein leichtes Lächeln. Die beiden saßen noch eine ganze Weile so da. Das Gewitter war langsam abgezogen.
"Sie scheint dich zu mögen", sagte Viktor, der plötzlich wieder ins Wohnzimmer kam.
Mario zuckte zusammen und sah zu ihm.
"Wie meinst du das", fragte der schwarzhaarige Junge Viktor.
"Sie ist eingeschlafen", antwortete Viktor.
Erst jetzt merkte Mario, dass Marons Griff lockerer geworden war. Sie war tatsächlich eingeschlafen.
"Hättest du etwas dagegen, wenn wir heute Nacht hier bleiben würden? Ich möchte Maron nur ungern wieder aufwecken müssen", fragte Viktor.
"Natürlich. Das ist kein Problem. Ich bringe euch ins Gästezimmer", antwortete Mario und nahm Maron vorsichtig hoch, um sie nicht zu wecken.
Dann ging er gemeinsam mit Viktor ins Gästezimmer. Dort legte er Maron aufs Bett und deckte sie zu.
"Es ist nicht besonders groß, aber ich hoffe, es ist ok", meinte Mario.
"Ist schon ok. Es ist ja nur für eine Nacht", erwiderte Viktor und setzte sich aufs Bett.
"Dann lass ich euch jetzt mal alleine. Schlaf gut."
"Danke du auch. Wir werden Morgen weg sein, bevor du aufstehst."
Schwach nickte Mario, verliess das Gästezimmer und ging in sein eigenes. Noch eine ganze Weile lag er wach in seinem Bett, bevor er dann tief und fest schlief. Als er am nächsten Morgen aufwachte, ging er trotz dem, was Viktor gesagt hatte, ins Gästezimmer. Sie waren wirklich nicht mehr da. Leise seufzte Mario. Er hätte gerne etwas mehr noch über Maron erfahren.