Es war zu der Zeit, als Weihnachten in der Gesellschaft immer mehr zu einem Fest des Geschäftemachens verkommen war. Die Leute spürten Jahr für Jahr die Unrast, Geschenke besorgen zu müssen. Immer grösser und teurer sollten sie sein. Von Besinnlichkeit war nicht mehr viel geblieben. Auch aus den Medien wurden die Menschen vollgemüllt. „X-mas shoping“ war gross in Mode, schnell mal nach New York, London oder Paris… Selbst die Weihnachtsmärkte, deren Fassaden zwar ganz ansprechend aussahen, waren im Grunde genommen nur noch auf Abzocke ausgerichtet. Der Mensch ein Spielball des
Konsums.
Im Himmel herrschte Ratlosigkeit. Auch der große Engelrat fand keine Erklärung dafür, wie es so weit kommen konnte.
Die Bitte der beiden irdischen Engel Ingrid und Norbert, um Unterstützung für ihren letzten Versuch, die Menschen wieder zu Besinnung zu bringen, löste daher helle Begeisterung aus. Bei einem nächtlichen Treffen in Ingrids Wohnzimmer wurde das gemeinsame Vorgehen besprochen.
So kam es dann, dass unsere beiden Engel ihren eigenen kleinen Stand am Weihnachtsmarkt hatten. Schlicht und
einfach, ein paar Tannenzweige bildeten eine bescheidene Hütte. Am Eingang hing ein grosser Stern aus Stroh, hinter dem Tisch standen Ingrid und Norbert. Beide in dicken bunten Wollpullovern eingehüllt, ihre Mützen weit über die Ohren herunter gezogen. Zwei Laternen spendeten spärliches Licht.
Als die ersten Weihnachtstouristen an ihrem Stand vorbeikamen, belustigten sie sich über den kümmerlichen Anblick. Helmut, ein junger Mann, fragte voller Hohn: „Na ihr beiden Weihnachtsengel, was gibt es denn bei euch zu kaufen.“ Ingrid lächelte ihn an und sagte: „Nichts.“ „Wie, nichts?“, scherzte er zurück. Jetzt schmunzelte auch Norbert,
und Ingrid erklärte: „Wir sind hier, um den Menschen Weihnachten zu schenken, richtige Weihnachten. Die gibt es bei uns in kleinen Schächtelchen.“ Norbert zeigte eins, so 5 x 5 cm und 2 cm hoch, eingehüllt in Weihnachtspapier und einer schmalen roten Schleife oben drauf. Ingrid erläuterte weiter: „Sie enthalten alles, was wir Menschen brauchen: Wärme, Liebe, Frieden, Geborgenheit und himmlische Ruhe.“ Sie zwinkerte dabei. Helmut krümmte sich beinah vor Lachen und spottete: „Ihr seid mir ein tolles Gesindel! – Aber sie sind ja gratis, ich nehme eins.“ So ging es den ganzen Abend weiter, noch viele andere Leute machten sich über die beiden Verrückten,
die da leere Geschenkschächtelchen verteilten, lustig…
Dann wurde es Heiligabend. Helmut saß mit seiner Frau Erika und den beiden Kindern Melanie und Jochen im Wohnzimmer. Kostbare, mundgeblasene Glaskugeln in vielen Farben schmückten die teure Nordmannstanne. In aller Eile hatte Helmut die Christbaumkerzen angezündet und wollte mit der Familie Weihnachtslieder singen. Doch die Kinder drängten zur Bescherung. Sie konnten es nicht erwarten, ihre heiss ersehnten Geschenke in Empfang zu nehmen. „Ach Helmut, lass sie doch
auspacken“, meinte seine Frau und schon raschelte das Weihnachtspapier… Melanie war enttäuscht, sie hatte sich doch ein Handy mit viel mehr Gigabyte Speicher gewünscht und auch Jochen ließ den Kopf hängen: „Diese Computerspiele sind ja mega langweilig"… Helmut bekam wie jedes Jahr unnütze, teure Marken-Kleider... Genervt holte er aus seiner Hosentasche ein kleines Schächtelchen und versuchte seine Frau anzufunkeln: „Das ist für dich mein Schatz.“ Erfreut und voller Hoffnung öffnete sie das Päckchen – aber auch ihr gefielen die Ohrringe aus 18 Karat Gold mit zwei kostspieligen Diamanten nicht. Die Stimmung war auf den Nullpunkt –
und das an Heiligabend.
Da erinnerte sich Helmut an des „Gratisgeschenk“ vom Weihnachtsmarkt. „Kann ja nichts schaden“, dachte er sich und zog es aus seiner Jacke. Behutsam legte er es unter den Christbaum vor die Krippe. Dabei schien es ihm, als würde ihn das Jesuskind anlächeln. Seine Frau und die Kinder schauten erstaunt, was für ein Geschenk da noch aufgetaucht war. Helmut meinte: „Es ist nichts, aber ihr dürft es öffnen.“ Melanie hob vorsichtig den Deckel mit der roten Schleife ab. Alle waren gespannt, was zum Vorschein kommen würde. Doch es war leer. – Im selben Moment aber
fühlten sie sich himmlisch berührt. Die zuvor noch so bedrückten Gesichter strahlten. Erika schenkte Helmut einen Blick voller Liebe, Jochen drückte sich an seinen Papa. Melanie holte ihre Flöte und begann Stille Nacht, heilige Nacht zu spielen, die ganze Familie stimmte mit ein. Friede und Geborgenheit breitete sich aus. Plötzlich war der ganze Raum voller Wärme und himmlischer Ruhe.
Erfreut erzählte Helmut seiner Familie, auf welche Weise er zu diesem Geschenk gekommen war. Melanie meinte: „Papa, das waren sicher echte Engel, die dich beschenkt haben!“
So erging es an diesem Abend noch
vielen anderen Familien. Der Pfarrer war ganz erstaunt, dass die Kirche zur Mitternachtsmesse bis auf den letzten Platz gefüllt war und zum Schluss beim Stille Nacht alle so feierlich mitsangen. Helmut schaute sich um, schräg neben sich sah er Ingrid und Norbert, die ihm zublinzelten. Er dachte sich: „Ja, ihr müsst wohl wirklich echte Engel sein!“