Biografien & Erinnerungen
Das Mädchen Antonia - Weihnacht anno dazumal

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"Das Mädchen Antonia - Weihnacht anno dazumal"
Veröffentlicht am 05. Dezember 2009, 18 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Das Mädchen Antonia - Weihnacht anno dazumal

Das Mädchen Antonia - Weihnacht anno dazumal

Einleitung

Eine wahre Geschichte, die sich in meiner Familie vor mehr als hundert Jahren ereignet hat

 

 

Es war einmal vor vielen, vielen Jahren ein kleines Mädchen, das hieß Antonia. Antonia lebte zusammen mit vielen anderen Kindern in einem Waisenhaus, denn sie hatte keine Eltern mehr. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter hat ihr Vater noch einige Zeit für sie und ihren größeren Bruder sorgen können, doch eines Tages starb auch der Vater und die beiden Geschwister blieben allein zurück. Den Buben  nahm bald darauf ein Drechsler in die Lehre, doch um das kleine Mädchen wollte sich niemand so recht kümmern. Es kam  von einer Pflegefamilie zur anderen,  bis es schließlich im Waisenhaus landete.

 

Es war ein schönes, neues Haus, das von frommen Nonnen geführt wurde. Ein großes Gebäude mit mehreren Stockwerken und einer wunderschönen Kapelle. Rund um das Haus gab es einen großen Park mit hohen Tannenbäumen, in denen sich Eichhörnchen tummelten. An den Park schloss ein großer Gemüsegarten an, den die Kinder pflegen durften. Jedes Mädchen konnte sich ein kleines Beet aussuchen. Neben Beeten mit Karotten, Petersilie und Kohl, gab es  noch viele andere Gemüsesorten. Das Gemüse wurde in der Küche verwendet und die Kinder wetteiferten untereinander, jedes Kind wollte der Köchin das beste Gemüse bringen. Die größeren Mädchen kümmerten sich um die Blumenbeete am Ende des

Gemüsegartens, Blumen brauchte man für die Kapelle. Dort standen immer Vasen mit frischen Schnittblumen neben dem Altar. Oft konnten die Mädchen das Ende des Nachmittagsunterrichtes kaum erwarten, denn dann ging es auf in den Garten. Dort wurde Unkraut gejätet, die Erde um die Pflänzchen gelockert und natürlich auch viel getratscht und gelacht. Antonia hatte sich zusammen mit ihrer Freundin Anna ein Beet mit Karotten ausgesucht. Antonia liebte Karotten – ihr gefiel die leuchtend rote Farbe. Die beiden Mädchen gossen die jungen Pflänzchen immer fleißig, darum zählten ihre Karotten zu den schönsten und größten - sie waren  mächtig stolz darauf. Im Garten hatte Schwester Agnes die Aufsicht.

Sie war nicht besonders streng und lachte oft so herzlich, dass die weißen Zipfel ihrer Haube lustig auf und ab wippten. Ja, der Sommer im Garten mit Schwester Agnes war eine schöne Zeit für die Mädchen, nicht zuletzt weil es im Sommer auch keine Hausaufgaben zu schreiben galt.

 

Im Haus selbst gab es in jedem Stockwerk einen  Speisesaal mit großen Tischen und Holzbänken, zwei Klassenzimmer und einen großen Schlafsaal. Dort hatte die strenge Schwester Lätitia die Aufsicht. Sie war eine große, starke Frau mit  finster blickenden Augen. Keines der Mädchen hat sie je lachen gesehen. Die Betten mussten jeden Tag ordentlich gemacht sein, das Leintuch straff

gespannt und wehe, da gab es irgendwo eine kleine Falte. Nichts entging Lätititas scharfen Augen. Neben jedem Bett stand ein kleines Nachtkästchen, dort konnten die Kinder persönliche Sachen aufbewahren. Nur, was sollte Antonia dort hineingeben? Persönliche Sachen hatte sie ja keine. Auch ihrer Freundin Anna ging es nicht besser, doch die Mädchen waren bescheiden. Immerhin hatten sie jeden Tag zu essen und ein warmes Bett - was damals nicht für alle Kinder selbstverständlich war, wie Schwester Lätitia immer wieder betonte. Spätabends, wenn das Licht im Saal schon abgedreht und Schwester Lätitia längst zu Bett gegangen war, erzählten sie sich leise Geschichten von früher, von der Zeit als sie beide noch nicht im

Waisenhaus waren und träumten davon, wie schön es wäre, wenn sie noch Vater und Mutter hätten. Besonders in der Vorweihnachtszeit überkamen sie oft traurige Gedanken.

 

 Ob das Christkind auch in ein Waisenhaus kommen würde?

 

Da das Christkind auf kein einziges Kind vergisst, kam es natürlich auch in das Waisenhaus und am Weihnachtsabend stand mitten im Speisesaal ein riesiger Christbaum. Er reichte bis zur Decke und war über und über mit Kerzen, Engelshaar und Lametta geschmückt. Glitzernde Ketten verbanden die einzelnen Zweige und oben auf der Spitze

prangte ein riesiger, goldener Stern. Für jedes Kind war ein eigenes Zweiglein – mit Namenskärtchen gekennzeichnet – auf dem Baum reserviert. Eine goldene Nuss, ein großer weißer Lebkuchenstern, ein Zuckerringerl, ein kleiner, roter Apfel und ein kleines Zwerglein aus Tannenzapfen hingen auf jedem Zweig. Das Zwerglein hatte ein rotes Mützchen auf und war allerliebst anzusehen. Antonia und Anna standen staunend vor dem Baum und konnten ihr Glück gar nicht fassen. Da war das Christkind doch tatsächlich auch zu ihnen in das Waisenhaus gekommen. Immer wieder liefen sie zu ihrem Zweiglein und lasen ihr Namenskärtchen. Glückselig schliefen sie in dieser Nacht ein.

Als sie am nächsten Morgen erwachten, galt ihr erster Gedanke dem Weihnachtsbaum. Würde er noch immer im Speisesaal stehen? Voll froher Erwartung liefen sie in den Speisesaal – er war noch da, glitzernd und wunderschön. Weihnachten war also doch nicht nur ein schöner Traum gewesen. Schnell zogen sie ihre dunkelblauen Samtkleider mit den weißen Krägen an und gingen in die Kapelle zur Hl. Messe. Während die Kinder in der Kirche beteten, muss es dann passiert sein. Mittags fehlte Antonias weißer Lebkuchenstern. Nur das grüne Bändchen hing noch lose über dem Zweiglein. Antonia war untröstlich. Wo war ihr Stern hingekommen? Wer konnte den wohl genommen haben? Sie legte sich auf ihr Bett

und weinte bitterlich. Anna versuchte so gut es ging ihre Freundin zu trösten und bot ihr schließlich die Hälfte ihres eigenen Sterns an. Langsam beruhigte sich Antonia wieder. Schwester Lätitia von dem Vorfall zu erzählen, getraute sie sich nicht. Die würde vielleicht glauben, sie hätte den Lebkuchen selber gegessen. Nein, damit musste sie schon allein fertig werden.

 

Gerade als die Mädchen wieder in den Speisesaal gehen wollten, kam Schwester Lätitia auf sie zu und sagte: „Antonia, ich suche dich schon die ganze Zeit. Komm, du hast Besuch bekommen.“

 

„Besuch? Für mich?“

„Ja, komm schnell.“

 

Antonia lief so schnell sie konnte in den Speisesaal und sah dort einen verlegenen jungen Mann stehen. Auf dem Tisch vor ihm stand ein liebes, kleines Christbäumchen. Ratlos schaute sie auf das Christbäumchen und dann wieder zu dem jungen Mann. Wer war das? Das sollte Besuch für sie sein? Sie kannte den Mann doch gar nicht.

 

Doch der kam langsam auf sie zu und gab ihr die Hand. „Antonia, kennst du mich wirklich nicht mehr? Ich bin es doch, Hans, dein Bruder.“

 

Ihr Bruder? Sie hatte einen Bruder? Plötzlich

fiel es ihr wieder ein. Ihre letzte Pflegemutter hatte öfter von einem Bruder in einer fernen, großen Stadt erzählt, doch wirklich daran geglaubt hatte sie nie. Jetzt stand er tatsächlich vor ihr. Sie hatte einen großen Bruder!

 

Nach einigen Minuten des Schweigens und gegenseitigen Betrachtens fielen sich die Geschwister überglücklich um den Hals und nicht nur Antonia hatte Tränen in den Augen – diesmal allerdings Freudentränen. Die Geschwister hatten sich viel zu erzählen. Hans erzählte von den Eltern und dem kleinen Häuschen, in dem sie zusammen die ersten Jahre ihrer Kindheit verbracht hatten. Antonia erzählte vom Leben im Waisenhaus

und von ihrer Freundin Anna. Hans hatte lange Zeit vergeblich versucht, Antonia zu finden. Nach dem Tod ihrer letzten Pflegemutter konnte ihm niemand etwas über den Verbleib seiner kleinen Schwester sagen. Er gab aber seine Suche nicht auf und zusammen mit seinem Meister gelang es ihm eines Tages doch, über den Pfarrer seiner Gemeinde die Adresse des Waisenhauses zu bekommen. Sein Meister war es auch, der ihn mit dem Pferdefuhrwerk hergebracht hatte. Ihn und das kleine, liebevoll geschmückte Weihnachtsbäumchen.

 

„Das Bäumchen ist wirklich für mich? Für mich ganz allein?“ Antonia konnte es noch immer nicht fassen.

„Ja, das ist für dich, Jetzt, wo ich weiß, wo du bist, komme ich dich öfter besuchen, wenn ich darf“, versprach Hans, bevor er sich wieder verabschieden musste.

 

Antonia holte sofort ihre Freundin Anna. Gemeinsam stellten sie das kleine, über und über mit Kugeln, Naschereien und Ketten geschmückte Bäumchen auf Antonias Nachtkästchen. Jetzt hatte sie ein eigenes Christbäumchen und Anna durfte sich das schönste Stück, das sie darauf  entdecken konnte, aussuchen.

 

„Ja, das Christkind vergisst wirklich auf kein Kind. Zu manchen kommt es sogar zweimal und wenn man Glück hat, bringt es auch noch

einen großen Bruder mit“, sagte Schwester Lätitia, diesmal ausnahmsweise einmal lächelnd.

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Hörbuch

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ulla

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Kommentare
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Nadinemausiii das buch ist wunderschön
Vor langer Zeit - Antworten
kullerchen Ich hab Gänsehaut! - will auch gar nicht mehr schreiben, außer, dass ich diese Geschichte nicht nur vom Inhalt wunderschön finde, nein auch wie liebevoll sie erzählt wurde.

Danke für eine schöne Geschichte in der Weihnachtszeit!

Einen schönen dritten Advent, dir und deinen Lieben! Kullerchen!
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Schön geschrieben. - Man könnte meinen, dass es der Antonia im Waisenhaus gar nicht so schlecht erging, wie in manchen anderen Waisenhäusern. Man konnte sich richtig in diese Szene hineinversetzen.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
matzetino Eine wahre Begebenheit wunderbar geschrieben.

Hat mir sehr gut gefallen.

LG Martina
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Diese Geschichte - deiner Großmutter hast du herzergreifend niedergeschrieben...
bin sehr bewegt.

Dir noch einen schönen Abend
GlG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: -
Zitat: (Original von NiennaNessa am 03.01.2010 - 19:56 Uhr) Der Text ist wirklich wunderschön :)

Es ist schön zu lesen, dass ihr Bruder sie zu Weihnachten wiedergefunden hat :)

lg Nienna Nessa


Danke für deinen Besuch,
Das Leben selbst schreibt oft die wunderbarsten Geschichten, wir sollten sie nicht in Vergessenheit geraten lassen.
Dir noch einen schönen Abend
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: -
Zitat: (Original von Samsarat am 17.12.2009 - 21:40 Uhr) Demut- war vermutlich ein Wort, was Menschen von annodazumal ggf. nicht bedeutungsgemäß wussten, was das Wort bedeuten möge, wenn sie es denn mal zu Gehör bekamen, dessen Inhalt sie aber zu leben vermochten.....was ist wohl wichtiger im Leben...
!!wunderschöne Weihnachtsgeschichte!!


Ja eine demütige, gläubige Frau ist meine Großmutter - und es ist ja ihre Geschichte - immer gewesen.. Sie hat jeder, auch noch so aussichtlosen Situation - und derer gab es viele in ihrem Leben- noch immer eine positive Seite abgewinnen können,
blieb immer freundlich und humorvoll und versuchte stets Menschen, denen es noch schlechter ging, zu helfen...
ich habe sie immer bewundert
Danke für deinen netten Kommi
ein besinnliches Adventwochenende wünscht dir
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: -
Zitat: (Original von timeless am 13.12.2009 - 00:13 Uhr) das ist ja eine rührende Geschichte. Ja du hast recht, das Christkind vergisst wirklich niemanden und manchmal geschehen sogar richtig große Wunder.
Liebe Grüße Ute


Hallo Ute,
meine Großmutter hat mir diese, ihre Geschichte oft und oft erzählt und ich kann diese Freude, die sie damals erleben durfte, heute noch nachvollziehen, Weihnachten war für sie bis ins hohe Alter immer ein ganz besonderes Fest
Danke fürs Kommentieren und ich wünsche
dir eine besinnliches Adventwochenende
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
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