Kurzgeschichte
Vom Schein des Seins

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"Vom Schein des Seins"
Veröffentlicht am 04. Dezember 2009, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man ...
Vom Schein des Seins

Vom Schein des Seins

Du schaust müde aus, sagen die Kollegen. Und dein Gesicht wirkt heute so blass, meinen Freunde. Gestern wohl zu tief ins Glas geschaut, scherzen sie alle wie abgesprochen und klopfen mir auf die Schulter. Alles Unsinn, ist nur das fahle Licht der Deckenlampe, erkläre ich und winke ab. Die ersten schauen zur Lampe auf, als würde sie plötzlich flimmern und sind offenbar zufrieden mit der fixen Antwort. Für die verbliebenen Zweifler gibt es ein oder zwei spontane Witze, locker wie gezinkte Karten aus dem Hemdärmel geschüttelt – Erkennungsmerkmal meines Scheindaseins. Entdecke ich weitere Blicke der Skepsis, gebe ich gern eine nette Zugabe. Alles kein Problem, denn Humor ist der »süße Brei« und wird jederzeit gern und großzügig mit der Kelle verteilt. Humor ist ebenso eine Pflanze, ihr Nährboden heißt Intelligenz. Auch Täuschung ist eine solche Pflanze auf demselben Boden, und getäuscht habe ich sie wieder einmal alle. Recht so, was geht es sie auch an? Was interessiert es sie, die ebenso wenig an mir interessiert sind wie ich an ihnen? Fabelhafte Logik.

Uns so drifte ich müde hinfort, gleite unsanft hinüber in diese bunt bebilderten Welten, geboren aus dem eigenen Verlangen nach mehr, durchblättere sie immer wieder wie liebevoll angelegte Fotoalben. Mit glänzendem Gedankenblick begehre ich die Motive und träume mich in sie hinein. Erinnerungsfotos eines nie gelebten Wunschdaseins. So viele Bilder, so viele Welten, manche mit viel Kraft vielleicht erreichbar, andere so unendlich weit entfernt. Sie passen nicht recht zusammen. Und so kollidieren sie wie dunkle Wolken, die dann grollende Donnerschläge und zuckende Blitze zur Erde schicken. Nur bleiben Donner und Blitz hier aus, denn alles ist ganz still. Alles ist in Ordnung.

Den Mantelkragen hochgeschlagen, sitze ich aufrecht in der Bahn, sehe, wie die Lichter der Stadt an mir vorüberrauschen. Wenn ich lächle, wird niemand die Ringe unter den Augen entdecken. Und ich lächle immer, denn das gehört sich so. Ein Lächeln lässt alle Dinge leichter werden, und ein Lachen ist schließlich die Kirsche auf der Torte.  So war es, und so wird es immer sein – Triebwerk einer Scheingesellschaft. Ich schaue mir die blauen Schalensitze in der Bahn an. Und die gelben Festhaltestangen. Blau und gelb. Für eine Sekunde oder länger schließe ich die Augen, konzentriere mich, öffne sie wieder und sehe die Farben, wie sie sind. Blau und gelb. Sie sind Teil meiner Welt, der echten Welt. Nun höre ich, dass Leute reden. Hinter mir blättert jemand die Zeitung um. Vor mir schädigt ein junges Mädchen ihre Ohren mit zu lauter Musik. Die stummen Wolken lichten sich für einen Moment, und ich erkenne, dass auch ich Bestandteil dieser kompletten Welt bin. Dieser, in der ich wirklich lebe und atme, in der ich wahrgenommen werde. Kein Teil meiner Kopfwelten. Und ist es nicht ein Wunder, dass ich hier sein darf? Dass ich genau jetzt und hier diese Farben sehen und die Geräusche hören kann und dass ich dazugehöre? Augen auf, sage ich mir. Halte die Augen geöffnet, denn jetzt bist du glücklich! Und ich bin es tatsächlich, doch kaum erreicht diese Gefühlswoge wie eine starke Droge mein Bewusstsein, verdunkelt sich der Himmel wieder. Überdosis? Ich weiß es nicht. Der schwindende Sonnenschein lässt die junge Blüte rasch wieder verkümmern. Niemand konnte all das an mir erkennen, denn ich sitze noch immer aufrecht und lächle. Weil sich das nun einmal gehört.

Und nun? Als würde ich die schönen Farben und Töne anderswo benötigen, entziehe ich sie der Welt, die ich für einen kurzen Moment über meine Sinne empfinden konnte. Wieder fliege ich über Welten und Zeiten, die vor und hinter mir liegen, über und unter mir, doch niemals bei mir. Verzweifelt versuche ich, mich an die Bilder zu klammern, will mich abermals in sie hineinversetzen, ein Teil von ihnen werden, doch ich schaffe es nicht, mehr als ein unordentlich aufgeklebtes Abziehbild auf wunderschönen Ansichtskarten zu sein. Wohl deswegen muss ich nun wieder verzweifeln.

Ich drehe den Schlüssel im Haustürschloss herum. Ein kehliger Laut der Erschöpfung dringt aus meinem geschlossenen Mund. Die Jacke kommt an den Haken, die Schuhe nebeneinander an die Wand. Die Tasche stelle ich an den Tisch, dann setze ich mich. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um wieder echte Farben zu sehen, das weiß ich sehr wohl und denke darüber nach. Doch ich kann mich zu keiner inneren Bewegung durchringen. Die Zahnräder sind verklemmt, weil ich eben nur hier die Gelegenheit habe, ich selbst zu sein. Kein Witz, kein Trug, kein Lächeln und keine aufrechte Haltung. Wahrscheinlich wirke ich wie ein alter, gebeugter Mann, fühle mich ein wenig so und bin doch eigentlich viel zu jung. Dennoch kann ich nur hier ich sein, also bin ich es. Denn es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Ich sollte schreien und bleibe doch stumm. Wahre den Schein des Seins.

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Hörbuch

Über den Autor

PhanThomas
Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man trifft mich stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge an. Das scheint auf manche Menschen dermaßen gruselig zu wirken, dass die Plätze in der Bahn neben mir grundsätzlich frei bleiben. Und nein, ich stinke nicht, sondern bin ganz bestimmt sehr wohlriechend. Wer herausfinden will, ob er mich riechen kann, der darf sich gern mit mir anlegen. ich beiße nur sporadisch, bin hin und wieder sogar freundlich, und ganz selten entwischt mir doch mal so etwas ähnliches wie ein Lob. Nun denn, genug zu mir. Oder etwa nicht? Dann wühlt noch etwas in meinen Texten hier. Die sind, äh, toll. Und so.

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PhanThomas Re: Der Mensch -
Zitat: (Original von Luzifer am 06.02.2010 - 17:46 Uhr) ist soetwas wie ein Magier. Er lässt andere dahin sehen, wo das wirklich wichtige gar nicht passiert. Und manche Menschen sind nunmal bessere Magier, als andere. Ein Lächeln hier, ein Witz dort und schon ist die Illusion geschaffen, dass es Magie ist und das Gegenüber tatsächlich dies ist, was zu sehen ist. Doch in so gut wie allen Fällen wird der Trick erst dann nur verstanden, wenn man sich Mühe gibt ihn zu entdecken. Leider machen dies aber nur die wenigsten Menschen.

LG
Luzifer

Hallo Luzifer,

ja, das mit dem Magier trifft's sehr gut. Und es gibt Menschen, die haben diese Magie perfektioniert. Bei denen weißt du, dass es Tricks sind, aber du kommst beim besten Willen nicht hinter das Geheimnis. Na ja, aber das ist ja auch gewollt. Vielleicht sollte man dann auch gar nicht versuchen, den Trick zu durchschauen.

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Der Mensch - ist soetwas wie ein Magier. Er lässt andere dahin sehen, wo das wirklich wichtige gar nicht passiert. Und manche Menschen sind nunmal bessere Magier, als andere. Ein Lächeln hier, ein Witz dort und schon ist die Illusion geschaffen, dass es Magie ist und das Gegenüber tatsächlich dies ist, was zu sehen ist. Doch in so gut wie allen Fällen wird der Trick erst dann nur verstanden, wenn man sich Mühe gibt ihn zu entdecken. Leider machen dies aber nur die wenigsten Menschen.

LG
Luzifer
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Der -
Zitat: (Original von Robin am 27.01.2010 - 19:35 Uhr) Schein des Seins. Wie alles, was ich bisher von dir gelesen habe, einfach mitreißend und lässt mich bestimmt so schnell nicht mehr los.
Ständig den Schein für andere zu wahren, für die reale Welt, ist manchmal so anstrengend, dass man am Ende keine Kraft mehr hat sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
So interpretiere ich das mal ganz frech für mich :-)
Also, wieder einmal gelungen, großes Lob!

Liebe Grüße

Huhu liebe Robin, so du denn tatsächlich so heißen magst,

danke sehr! Ja, das hast du ganz frech richtig interpretiert. ;-) So hab ich's mir beim Schreiben auch gedacht. Super, wenn's auch so bei dir angekommen ist. Freut mich sehr! :-)

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Robin Der - Schein des Seins. Wie alles, was ich bisher von dir gelesen habe, einfach mitreißend und lässt mich bestimmt so schnell nicht mehr los.
Ständig den Schein für andere zu wahren, für die reale Welt, ist manchmal so anstrengend, dass man am Ende keine Kraft mehr hat sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
So interpretiere ich das mal ganz frech für mich :-)
Also, wieder einmal gelungen, großes Lob!

Liebe Grüße
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: irgendwann ist man es auch leid -
Zitat: (Original von Himmelskind am 08.12.2009 - 13:09 Uhr) dem schein zu entsprechen....dann hilft nur noch dazu zu stehen..wie man ist...auch über die köpfe anderer hinweg....ein sehr bewegender text

lg

birgit

Hallo Birgit,

danke sehr! Ja, irgendwann ist man es leid. Und dann sollte man es vielleicht knallen lassen. Im positiven Sinne. Auch wenn man andere damit verschreckt.

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Re: Re: Jeder Mensch ist anders, darin sind wir alle gleich -
Zitat: (Original von bartelsontour am 05.12.2009 - 12:30 Uhr)
Zitat: (Original von PhanThomas am 05.12.2009 - 12:26 Uhr)
Zitat: (Original von MarionG am 05.12.2009 - 10:11 Uhr) Lieber Thomas,
Dein Text vermag wieder zu fesseln. Er ist interessant geschrieben - man fühlt mit dem Protagonisten.
Liebe Grüße
Marion

Hallo Marion,

immerhin eine Sache, in der wir gleich sind. ;-) Danke schön für deine lieben Worte. Freut mich sehr! :-)

Liebe Grüße
Thomas



sorry da hat sich spanisches mit Latein vermischt:

"sein" ist menschlich? -

"sein" wollen ist menschlich

die klassische Frage

Gruß, Ernst

PS: viel mir nur so spontan bei der Lekture ein - keien Kritik , bitte, nur eine persönliche Reflexion

Hallo Ernst,

ah, okay. Danke schön. Dann passt's gut. :-) Hatte mich schon gewundert. Das "estar" fand ich nämlich auch nur im Spanischen. Aber ich hatte es dann doch richtig interpretiert.

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
bartelsontour Re: Re: Jeder Mensch ist anders, darin sind wir alle gleich -
Zitat: (Original von PhanThomas am 05.12.2009 - 12:26 Uhr)
Zitat: (Original von MarionG am 05.12.2009 - 10:11 Uhr) Lieber Thomas,
Dein Text vermag wieder zu fesseln. Er ist interessant geschrieben - man fühlt mit dem Protagonisten.
Liebe Grüße
Marion

Hallo Marion,

immerhin eine Sache, in der wir gleich sind. ;-) Danke schön für deine lieben Worte. Freut mich sehr! :-)

Liebe Grüße
Thomas



sorry da hat sich spanisches mit Latein vermischt:

"sein" ist menschlich? -

"sein" wollen ist menschlich

die klassische Frage

Gruß, Ernst

PS: viel mir nur so spontan bei der Lekture ein - keien Kritik , bitte, nur eine persönliche Reflexion
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Jeder Mensch ist anders, darin sind wir alle gleich -
Zitat: (Original von MarionG am 05.12.2009 - 10:11 Uhr) Lieber Thomas,
Dein Text vermag wieder zu fesseln. Er ist interessant geschrieben - man fühlt mit dem Protagonisten.
Liebe Grüße
Marion

Hallo Marion,

immerhin eine Sache, in der wir gleich sind. ;-) Danke schön für deine lieben Worte. Freut mich sehr! :-)

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: "estar" humanum est ? -
Zitat: (Original von bartelsontour am 05.12.2009 - 02:42 Uhr) Der Autor freut sich über deinen Kommentar.

Hallo bartelsontour,

ähh, hast du mal eben ein Wörterbuch zur Hand? ;-)

Liebe Grüße und danke schön fürs Lesen
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
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