Weihnachten 1952
"Maria, Maria, Schätzchen wo steckst du denn", ruft die Mutter und als sie keine Antwort bekommt, putzt sie ihre bemehlten Hände, an der weißen, mit Blumen bestickten Schürze ab und schaut nach, wo das kleine Mädel bloss steckt.
Sie ruft noch einmal und da sieht sie auch schon, wie ihre kleine Tochter den Weg entlang gerannt kommt. "Schätzchen, du sollst nicht weglaufen, hab ich dir das nicht schon oft genug gesagt". "Aber Mami, ich war doch nur hinten am alten Haus und hab geschaut, ob der Weihnachtsmann vielleicht irgendwo im Schnee stecken geblieben ist. Der hat doch mein kleines Brüderchen auf dem Schlitten, Mami wirklich, da musste ich einfach ganz genau nachsehen", gibt die Kleine zur Antwort.
"Maria", sagt die Mutter nun mit etwas strengem Ton, "du weißt, daß du nicht bis dahinten hin gehen darfst, man weiß nie, wer sich dort rumtreibt ". "Aber Mami, da war gar keine Hexe und auch kein schwarzer Mann, wirklich nichts, kein Mensch war da. Ich hätte das doch gesehen, keine Fußspuren und auch keine Spuren von einem Schlitten, gar nichts, alles ganz weiß, aber meine Füße die waren da, hin und zurück, ganz deutlich, nur meine Füße",tönt Maria ganz fröhlich.
"Komm mal auf meinen Schoß, du Süße, schau mal es ist wirklich gefährlich, wenn du so weit gehst und dann kann es ja sein, daß du dich verläufst oder in den See purzelst und was machen wir dann." "Jaja mein Mamilein", lenkt Maria ab, "bitte sag mir jetzt endlich, wann kommt denn nun mein Brüderchen, du hast gesagt, ich bekomme es zu Weihnachten und morgen ist Weihnachten. Glaubst du der Weihnachtsmann vergisst es auch nicht? Der hat so viel zu tun, hast du gesagt. Meinst du, er sieht genauso aus, wie ich es mir wünsche und glaubst du Mami, daß er solche Pluderhosen an hat und so einen roten Türkenhut. Bei Tante Sophie im Kaffeegeschäft, da steht so eine Puppe im Fenster, ich meine die, die immer mit dem Kopf nickt. Glaubst du, er ist froh, daß ich sein Schwesterchen werde und glaubst du auch, daß er mich mag?" "Aber natürlich, freut sich das Baby, so eine liebe große Schwester Maria zu bekommen, es wird ganz glücklich sein, ganz bestimmt, denn auf der ganzen Welt hat kein Brüderchen so eine tolle große Schwester", beruhigt die Mutter. "Mamiiiiiiiiiiiiiiiii und wenn es nun kein Brüderchen ist, was machen wir denn dann, ich brauche nur ein Brüderchen, hast du das dem Weihnachtsmann gesagt? Ich will auf keinen Fall eine kleine Schwester".
"Bitte, du kleine Maus", sagt die Mutter, "nun geh ins Zimmer und spiel, bis ich mit den Plätzchen fertig bin. Danach lese ich dir eine Geschichte vor und dann darfst du die Kekse probieren". Langsam macht sie sich ganz gerade und fasst sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Rücken, " Oje Mami, hast du Bauchweh", fragt Maria ganz besorgt, "nein Kleine, ich habe keine Bauchweh, ich habe Rückenschmerzen. Das hier ist der Bauch und dabei legt sie liebevoll ihre Hände auf den kugelrunden Bauch".
Was kann ich bloss machen, damit das Brüderchen es auch so richtig schön bei mir hat und wo soll es denn schlafen. Marias Gedanken sind nur noch bei dem Weihnachtsbrüderchen.
Da kommt ihr eine Idee, Mutti hat diese schöne weiße Decke vorhin gebügelt, die brauche ich unbedingt, schießt es ihr durch den Kopf. Schnell flitzt sie in die Küche, nimmt, ohne das die Mutter etwas bemerkt die Decke, zerrt den großen Wäschekorbe aus der Ecke, stopft alle Kissen, die im Wohnzimmer auf der Couch liegen hinein und dann trapiert sie die Decke in den Korb. Sie legt den Kopf etwas schief und schaut sich dieses Werk stolz an, ja es wirkt wie ein Nest. Das wird ihm wohl gefallen, dem kleinen Jungen. So nun kann das Brüderchen aber endlich kommen. Aber fast hätte sie etwas ganz wichtiges vergessen, noch einmal rennt sie los und holt schnell noch Nüsse und Äpfel, die sie an den Rand des Korbes legt. Ganz bestimmt hat das Baby Hunger, wenn es endlich ankommt, schließlich hat es eine ganze lange Reise vom Weihnachtsland bis hierher hinter sich.
Maria ist von der ganzen Aufregung so richtig müde geworden und während die Mutter noch vorliest fallen Mariechen die Augen zu und sie schläft fest ein. Schnell wird sie von der Mutti ins Bett gepackt und als der Vater von der Arbeit kommt, ist schon eine himmlische Ruhe in der Küche. "Wie geht es dir, mein Schatz, was meinst du, wann es losgeht" fragt der Vater mit liebevollem Blick auf seine Frau. "Mein Rücken bringt mich heute um, ich denke es könnte ein Christkind werden", antwortet sie glücklich und lacht ihn verschmitzt an, als er sie ganz fest in den Arm nimmt.
Am nächsten Morgen ist Maria als erste aus dem Bett: "Mama, Papa, juchhu es ist Weihnachten, heute kommt mein Brüderchen. Schnell Papi schau ob der Weg frei geschaufelt ist, der Weihnachtsmann kommt bestimmt gleich und der braucht Platz für seinen großen Schlitten". "Aber es hat doch gar nicht mehr geschneit, mach dir keine Sorgen der Weihnachtsmann kommt überall durch", beruhigt Papa seine kleine Maus.
O, das wird ein ganz ganz langer Tag, denkt Maria, doch da kommt Onkel Hans ihr allerliebster Lieblingsonkel und fragt, ob Maria denn mit ihm in den Wald will. "Mal sehen, vielleicht läuft uns ja ein Reh oder ein Hasen über den Weg", verspricht er. Eigentlich will Maria lieber zu Hause warten, man weiß ja nie, wann das kleine Brüderchen gebracht wird. Schweren Herzens und auch sehr neugierig, ob man nicht eventuell doch Tiere sehen kann, lässt sie sich überreden, nimmt den Onkel Hans bei der Hand und weg sind die Beiden.
Vater und Mutter schmücken den Weihnachtsbaum und legen die Geschenke drunter. Beide sind ganz aufgeregt und glücklich "mal sehen was Maria für Augen macht, wenn sie den Puppenwagen und das Puppenhaus sieht" sagt der Vater. Das kleine Zauberhaus hat er selbst gebastelt und die Mutter hat die kleinen Gardinen genäht und angebracht, kleine Lampen gebastelt und sogar das kleine Bettchen mit Blümchenstoff bezogen. Sie ist selbst ganz verliebt in ihr Werk, es ist auch wirklich wunderschön geworden, dieses Häuschen, genau so eines hat sie sich als Kind gewünscht, aber nie bekommen.
Am Nachmittag kommen der Onkel und Maria zurück. "Und ist es da", fragt Maria sofort, "ist mein Brüderchen schon gekommen?"
"Nein Schätzchen, es ist noch nicht da", Vater und Mutter schaun sich an und lachen glücklich. Man isst zu Abend, alles ist ganz still. Da hören sie ein leise kingendes Glöckchen und ein rumpeln aus dem Wohnzimmer, "Ja was war denn das" fragt der Vater, "ist denn da jemand im Wohnzimmer?".. "Schnell, mach schnell Papi, das ist der Weihnachtsmann" schreit Maria. " Papi, Mami, es ist da, juchhu mein Brüderchen ist da".
Der Vater öffnet ganz vosichtig die Tür zum Wohnzimmer und dort steht ein wunderschöner Christbaum, er leuchtet so hell, daß man zuerst gar nichts sehen kann. Der Wind bläst durch das offene Fenster und am Festerrahmen hängt ein bisschen Engelshaar. Maria drängelt sich durch und liegt suchend unter dem großen geschmückte Tannenbaum. "Hier ist nichts, irgendwo muss es doch sein, Mami, Papi ich sehe kein Brüderchen", dann weint sie bitterlich und herzzerreißend. Der Vati nimmt sie auf den Arm, will ihr das wunderschöne Puppenhaus und den Puppenwagen zeigen, aber Maria tritt nur um sich und schreit wie am Spieß. "Ich will meinen Bruder und sonst nichts, alles ist doof, ihr habt gesagt er kommt, ihr habt es mir doch versprochen und ihr habt gelogen, ihr seit so gemein und lieb hab ich euch auch nicht mehr. Der Weihnachtsmann war mit dem Engel hier, das hab ich doch gesehen, am Fenster hängen ja noch die Haare, die das Engelchen verloren hat, als es wieder zum Fenster raus gefolgen ist. Die haben mein Geschenkbrüderchen einfach vergessen. Die sind so dumm, warum haben sie es denn nicht mitgebracht. Mami warum denn nicht?" Maria ist schon wieder ganz jämmerlich am Schluchzen.
Irgendwann hat sie sich ein bisschen beruhigt, schaut sich die Geschenke doch an und fängt dann doch gleich wieder an zu weinen, "wenn ich wenigstens eine Negerpuppe bekommen hätte, aber die hat er auch nicht gebracht. So einen doofen Weihnachtsmann kann ich nicht leiden, der hat keine Ahnung und bringt nur Sachen die ich nicht haben will".
"Warte doch ab, vielleicht hatte er ja keinen Platz mehr auf seinem Schlitten und so ein kleiner Bruder muss doch in dicke Decken eingehüllt werden. Ganz bestimmt kommt der Weihnachtsmann morgen nochmal vorbei und dann ist es da, das Brüderchen und wenn es ein Schwesterchen wird, dann wirst du sehen, mit der kannst du genauso schön spielen"
"Wirklich Papi, du glaubst, er kommt morgen nochmal? O Papi du bist der allerbeste, allerliebste Papi auf der ganzen Welt. Stell eine Kerze auf die Fensterbank, damit er uns auch findet und er den kleinen BRUDER auch nur bei uns abliefert.............."