1. Kapitel
Die Sonne brannte heiß auf Land und Leute, als Hakim Farion Beron betrat. Die stete Flut an Reisenden, die auf dem Weg vom Norden nach Südhafen den Ort durchquerten, verdoppelten die Zahl der etwa fünfhundert seßhaften Einwohner. Eigentlich war an Beron nichts besonderes. Seine ganze Bedeutung lag darin, das er an der Quelle des Karones lag, der als Wasserstraße den Norden mit der Hauptstadt im Süden verband, wo der Fluß in die grenzenlose See mündete.
Hakim fiel in der Masse der Fremden kaum auf. Außer dem weiten Umhang, mit der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze war von ihm nicht viel zu erkennen. Vielleicht wäre er ja aufgefallen, wenn nicht die Masse der Menschen um ihn herum so bunt zusammengewürfelt gewesen wäre. Die ersten Stunden seiner Anwesenheit verbrachte er zum größten Teil damit, möglichst unauffällig die Umgebung und die Wesen um ihn herum zu beobachten. Es waren hauptsächlich Menschen, aber der junge Mann konnte auch einige Elfen und Zwerge entdecken. Einigen allerdings blieb er nicht verborgen, denn er war zwar talentiert, aber noch sehr unerfahren.
Mit zwölf Jahren hatten seine Eltern ihn zu einem Korbmacher in die Lehre geschickt, der vier Jahre lang mit ihm sehr zufrieden gewesen war. Doch die immer gleiche Arbeit wurde für ihn auf die Dauer unerträglich langweilig. Er sehnte sich danach, auszuziehen in die Welt und Abenteuer zu erleben. Er wollte ein Streuner werden, wie sein Vater es gewesen war. Doch nun zog er schon seit zwei Jahren umher und hatte noch kein einziges Abenteuer erlebt. Das aufregendste, was ihm widerfahren war, war der Diebstahl seiner Börse gewesen. Dann hatte er vor einigen Wochen die Gerüchte gehört, das sich in der Nähe von Beron unheimliche Dinge zutrügen. So schnell er konnte, war er hierher gereist.
Nach einiger Zeit fand er, was er gesucht hatte. An das Tor des Rathauses war ein Plakat angeschlagen, auf dem stand, das der Bürgermeister auf der Suche sei, nach wagemutigen und unerschrockenen Abenteurern, die zu jedem Risiko bereit seinen. Für ein erfolgreiches Handeln war eine hohe Belohnung ausgesetzt. Jeder Interessent solle sich im Rathaus einfinden.
Hakim fand, daß das genau die Gelegenheit war, auf die er so lange gewartet hatte. Ohne zu zögern betrat er das Foyer des Rathauses.
Der Pförtner betrachtete ihn mit einem abschätzenden Blick, als wollte er feststellen, ob dieser Fremde der Aufgabe gewachsen sei und Hakim hatte nicht den Eindruck, das er dabei besonders gut abschnitt. Trotzdem führte der alte Bedienstete ihn in das Arbeitszimmer des Bürgermeisters.
„Das ist der letzte“, knurrte er und schloß hinter sich die Tür, als er auf seinen Posten zurückkehrte.
„Ich glaube, der hat was gegen Abenteurer“, sagte der Hüne neben Hakim.
„Ja“, antwortete er abwesend, „den Eindruck hatte ich allerdings auch.“ Noch während er sprach, musterte er die anderen, die aus dem gleichen Grund wie er hier waren. Vier weitere Personen hatten sich auf das Plakat hin gemeldet.
Einen Menschen, wie den Kämpfer neben ihm, hatte der Streuner noch nie gesehen. Trotz seiner eigenen Größe von beinahe zwei Schritt, reichte er seinem Nachbarn nur bis zur Schulter. Obwohl der Riese noch jünger als Hakim zu sein schien, machte er keinen ungefährlichen Eindruck. Der Anblick der breiten Schultern und der beeindruckenden Muskulatur, rief in Hakim den Wunsch wach, diesem Mann niemals im Kampf gegenüber stehen zu müssen.
Auf der anderen Seite des Raumes stand ein Paar, das unverwechselbar zur Rasse der Elfen gehörte. Die spitz zulaufenden Ohren, die geringe Größe, der Mann reichte ihm gerade Mal bis zur Brust, der feine Körperbau, und die Mandelförmigen Augen sprachen eine ebenso eindeutige Sprache, wie die aufrechte Haltung und der warme, melodiöse Klang der fremdartigen Sprache, die sie untereinander benutzten. Der letzte in der Runde war eindeutig ein Zwerg, der sich offensichtlich bemühte, so viel Abstand zwischen sich und den Elfen zu halten, wie möglich. Schon allein äußerlich konnte es kaum einen größeren Gegensatz geben, als zwischen diesen beiden Rassen. Wirkten die Elfen elegant, so mußte man den Zwerg für eher plump halten. Nicht nur, das er noch über einen Kopf kleiner war, als die Elfenfrau, sondern seine Hände waren knubbelig und der faßförmige Oberkörper schien für die kurzen Arme und Beine viel zu groß zu sein. Doch Hakim hatte schon Zwerge kennengelernt und er wußte, das dieser Eindruck täuschte. Die scheinbar plumpen Hände waren außerordentlich geschickt und die handwerklichen Fähigkeiten der Zwerge waren in der ganzen Welt berühmt, ganz besonders wenn es um die Kunst des Schmiedens ging. Außerdem waren sie ungeheuer zäh, fast als bestünden sie selbst aus dem soliden Fels, in dem sie ihre Stollen gruben und ihre Städte bauten.
Es war allgemein bekannt, das Elfen und Zwerge sich nicht sonderlich gut leiden konnten. Im besten aller Fälle akzeptierten sie die Existenz des anderen. Das beruhte zum größten Teil auf der Tatsache, das sie in völlig verschiedenen Welten lebten. Im Gegensatz zu den Zwergen liebten und verehrten die Elfen die Natur. Sie lebten in den dichtesten Wäldern, wo sie mittels ihrer angeborenen Magie die Bäume dazu brachten, ihre Kronen zu gewaltigen Häusern zu formen, in denen die Elfen lebten. Kein Angehöriger dieses Volkes würde einem Tier oder einer Pflanze unnötigen Schaden zufügen. Sie jagten und ernteten gerade so viel, wie sie es zum Leben brauchten und für alles, was ihnen der Wald bot, beschützten sie ihn mit allen Mitteln. Die angeborene Magie der Elfen war es auch, die die Zwerge am meisten abstieß. Dieses Volk mißtraute allem, was mit Magie zu tun hatte und so waren die Zwerge denn auch das einzige Volk, das niemals einen Magier hervorgebracht hatte. Dennoch waren die Zwerge sehr wohl in der Lage, magische Waffen und Rüstungen herzustellen, obwohl kein Zwerg das jemals zugeben würde.
Während Hakim all das durch den Kopf ging, betrat der Bürgermeister von Tiefental den Raum. Er war ein Mann in den Fünfzigern, der trotz seines Amtes einen sehr kräftigen und durchtrainierten Eindruck machte. Er trat hinter seinen Schreibtisch, setzte sich und betrachtete sie alle schweigend, einen nach dem andern. Nachdem er sich ein Urteil gebildet hatte, begrüßte er sie mit den Worten: „Nun, ich werde Sie alle nicht mit langen Vorreden langweilen. Beron hat ein Problem. Alles fing damit an, das vor einem guten Jahr ein paar Schweine verschwanden. Das war zwar ärgerlich, aber noch nicht allzu ungewöhnlich. Wir vermuteten, das ein hungriges Wolfsrudel zu nah an die Gehörte im Umland geraten war. Also sandten wir Jäger aus, um das Rudel entweder zu erlegen oder zu verjagen. Die Jäger kehrten jedoch nie zurück und in der Zeit darauf verschwanden mehr und mehr Tiere. Die ganze Sache wurde langsam zu einer echten Existenzbedrohung für die Bauern und ein knappes halbes Jahr später verschwand ein Hirtenjunge. Diesmal sandten wir nicht nur Jäger, sondern zusätzlich noch eine Einheit der Stadtwache. Die Soldaten hatten Order, das Umland zu patrouillieren.
Aber alle Übergriffe fanden immer fernab der Patrouille statt, was nur bedeuten konnte, das eine Intelligenz hinter der ganzen Sache steckte. Seitdem sind noch mehr Menschen verschwunden – Bauern ebenso wie Jäger. In den letzten zwei Monaten wurden sogar mehrere Karawanen überfallen – keine Überlebenden. Bis die Soldaten eintrafen, waren die Güter ebenso verschwunden, wie alle Spuren der Angreifer. Nun sieht es so aus, das wir keine weiteren Soldaten für diese Sache entbehren können, weil jede fähige Hand damit beschäftigt ist, die Handelswege zu schützen.
Vor drei Tagen jedoch hat einer der wenigen Jäger, die uns noch zur Verfügung stehen, eine mögliche Spur gefunden. Sie führt zur Hegeburg…“
Als er bemerkte, das die Anwesenden fragende Blicke austauschten, seufzte der Bürgermeister leise auf. „Die Hegeburg war einst die Burg der Barone von hege, bis sie vor zwei Generationen durch einen Drachen vernichtet wurde. Seitdem ist es nicht mehr als eine Ruine und der damalige Baron verlegte seinen Herrschaftssitz in die Stadt.
Wie dem auch sei, wir haben Gardisten zu der Ruine entsandt, aber sie konnten keine weiteren Spuren entdecken. Darum beschlossen wir, Abenteurer anzuheuern, um der Sache auf den Grund zu gehen. Auch wenn euresgleichen bisweilen sehr unzuverlässig sein kann, so zeigt doch die Erfahrung, das ihr Abenteurer flexibler seid und besser zu improvisieren versteht.“ Dem Zwerg entfuhr darauf ein kurzes Lachen und auch Hakim konnte sich angesichts der Unverblümtheit des Bürgermeisters ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Wir bieten“, fuhr der Mann fort, „fünf Silber pro Person und Tag, plus die Erlaubnis, alle Schätze zu behalten, die ihr in der Ruine vielleicht findet – solange sie nicht zum Familienerbe der Heges gehören.“
Hakim stimmte ohne zu zögern zu, genau wie der Krieger neben ihm. Die Elfen berieten sich kurz in ihrer Sprache, bevor sie ebenfalls einwilligten. Der Zwerg runzelte noch eine Weile nachdenklich die Stirn, bevor auch brummend seine Zustimmung gab.