Kurzgeschichte
Das weiße Seidenkleid

Schritt für Schritt tat sie. Der weiche Sand umschloss ihre Füße und knirschte bei jeder Bewegung, die sie tat. Den Blick eisern nach vorne gerichtet. Etliche Berührungen streiften ihre blasse Haut, doch dies ließ sie kalt. Gefühlslos blickte sie hinaus in die blauen unendlichen Weiten der Tiefe. Die schwarzen langen Haare strich der Wind in seine Richtungen. Einzelne Strähnen streichelten sanft ihre Haut und glänzten wie von Diamanten besetzt im Schein des Vollmondes. Das weiße Seidenkleid wehte wie ein Schleier der Unschuld um ihre Beine, schloss diese ein und löste sich wieder. Das Spiel fand lange Zeit kein Ende. Ihr Augenlicht erstrahlte heller als die Sterne und erwiederten die Reinheit des Mondes. Sie war ein dunkler Schatten geworden. Ihr Leib war schwer und eine Last des Lebens, in dem ihr Geist gefangen war. Stählerne Fesseln zeichneten die Fuß-und Handgelenke und verursachten selbst die Schwere des Gehens und Handelns. Den Schlüssel hatte sie bis zu diesem Moment bei sich getragen und ließ ihn nun ohne eine Rührung ihrer Hand in den Sand fallen. Die Luft verschlang ihn auf dem Weg hernieder. Leichte Tropfen zeichneten ihr Antlitz und sanken Richtung Hals, wie Perlen der Tat. Schritt für Schritt wurde ihr Entschluss gesichert. Selbst das Meer wölbte seine Wellen ihr entgegen, voll Begierde ihren Körper besitzen zu wollen. Der Schaum setzte sich wie Schmuck auf ihre verletzte Gestalt. Schritt für Schritt tauchten ihre zarten Füße ins Nasse ein. Ansetze des Kleides schwammen schon im Wasser und vollführten den Tanz der Wellen. Ihre Fesseln schliffen im Untergrund und wirbelten ihn zu Sandwolken auf, die das Weiße färbten. Schritt auf Schritt wurde ihre schwarze Hülle benetzt. Gedankenleer ließ sie sich ins Wasser fallen. Der Zusammenstoß und ihr Eintauchen in die verschlingende Flüssigkeit, riefen Fontänen an den Körperseiten hervor, die sich über ihr zusammenschlossen und die Ebene vereinigten. Durch die Decke des Wassers sah man ihren Körper, der den Wellen erlag und das Seidenkleid, das in der mitreißenden Bewegung schwankte. Mit letzter Kraft zog sie das Nasse ein, bis ihr die Lebensluft ausging.

Eine Kraft zog sie von unten aus der Tiefe hinauf an das Licht der Welt. Jedoch spürte sie die rettende Kraft nicht mehr...

Sein Blick war eingefroren und ihr Augenlicht matt. Er trug sie auf beiden Händen zum Ufer. Schritt für Schritt ging er langsam, wie in Trance. Wortlosigkeit lag auf seinen Lippen und Kälte zeichnete sich in seinem Gesicht ab. Ihr Körper hing schlaff und gab sich seinem Griff hin. Das Licht des Vollmondes strahlte noch viel heller auf ihre nassen Leiber und funkelte in der Feuchtigkeit. Das Seidenkleid hatte ihn ebenso umfangen und ließ seine Haut nicht fort. Er legte sie in die Düne und die Luft verteilte den Flugsand auf jenem Körper.

Der letzte Kuss

Er sah sie an und näherte sich langsam ihrem zartes Gesicht. Seine Lippen legten sich sanft auf ihre Eiskalten. Ein letzter Kuss, den er ihr geben wollte. Sie verharrten ewig in dieser Stellung. Er gab ihr seine Wärme, doch sie gab ihm nur Kälte wieder. Salzige Tränen lösten sich und vermischten sich in die tote Berührung des Eises. Leise und vergeblich flüsterte er ihr die Worte ins Ohr: "Selbst die Liebe hat deine Fesseln nicht lösen können." Sobald diese Laute verklangen erfasste sie eine Welle und verschlang sie in den ewigen Weiten des Meeres.