Kurzgeschichte
Ein wunderbarer Tag

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"Ein wunderbarer Tag"
Veröffentlicht am 28. November 2009, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man ...
Ein wunderbarer Tag

Ein wunderbarer Tag

Beschreibung

Ein Gedankenblitz, der mir kam, als ich gerade meine abendlichen Käsestullen fabrizierte. Nun ja, keine Ahnung, warum. :-)

Er las es in der Zeitung. Zuerst meinte ein Teil seines unabänderlichen Verstandes, es müsste sich um eine andere Elise handeln. Natürlich, es konnte nicht DIE Elise sein. Doch der kleine Kasten mit der schwarzen Umrandung verriet Rüdiger schließlich auch das Geburtsdatum, was die Zweifel recht schnell ausräumte.

Elise Ritter
geb. Krauss
*19.01.1971
†20.06.2009
In Liebe und in Dankbarkeit

Und hatten die Spatzen es nicht ohnehin schon vom Dach gepfiffen? Erst vor zwei Tagen beim Einkaufen war die dicke alte Erna Brauer mit ihren vollen Einkaufstüten wie ein Pinguin auf Rüdiger zugewatschelt, um ihm nur ganz schnell ihr Beileid auszusprechen.

»Elise hatte einen Autounfall?«, hatte er rückgefragt und versucht, ein wenig Entsetzen in seiner Stimme mitklingen zu lassen. »Nein, das wusste ich noch nicht. Wissen Sie, Frau Brauer, ich habe zu meiner Exfrau keinen Kontakt mehr gehabt. Zumindest nur noch selten. Aber haben Sie Dank. Ich werde mich natürlich mit den Angehörigen in Verbindung setzen.«

Hatte er selbstverständlich nicht getan. Zugegeben, für einen Augenblick hatte er tatsächlich darüber nachgedacht, Horst anzurufen. Horst. Horst! Wer war überhaupt Horst? Sie hatte wieder geheiratet – und dann ausgerechnet diesen Horst Ritter. Nicht ganz helle, arbeitete von früh bis spät auf dem Bau. Ein Mann wie ein Bär. Kein drahtiger Informatiker wie Rüdiger einer war. Was sie von dem nur gewollt hatte? Natürlich hatten Rüdiger und Elise sich einvernehmlich getrennt. Vor zwei Jahren schon – nach nur fünf Jahren Ehe. Aber hatte sie denn gleich wieder heiraten müssen? Das hatte den Kleinkrieg schließlich erst entfacht. Und dann ausgerechnet diesen dämlichen Horst! Er hatte Horst nicht angerufen. Was hätte er ihm denn sagen sollen? Mein Beileid zum Tod meiner, nein, DEINER Frau? Willkommen in der Truppe, Sohn? Nein, es hätte keinen Zweck gehabt.

Während Rüdigers Augen nun wieder und wieder die Zeilen überflogen, verfestigte sich die Gewissheit in ihm. Ja, sie war tot. Hier stand es doch! Schwarz auf weiß! Die Feder war mächtiger als das Schwert, also musste sie auch die Wahrheit sprechen. Rüdiger nickte, ohne es zu merken. Er erhob sich von dem klapprigen Stuhl und legte die Zeitung auf den Küchentisch. Noch einmal betrachtete er die kleine, schlichte Todesanzeige in der Ecke der aufgeschlagenen Seite. Und nun schlich sich ein leichtes Grinsen in sein Gesicht. Hatte Gott ihm also endlich Gerechtigkeit zuteilwerden lassen und diese undankbare Frau mit einem symbolischen Blitz niedergestreckt! Ha, dachte Rüdiger, welch grandioser Start in einen wunderbaren Tag!

Natürlich gehörte es sich nicht, sich über den Tod eines Menschen zu freuen. Schon gar nicht über den dieses ganz bestimmten Menschen. Aber reichte es nicht, zu wissen, dass es sich nicht gehörte? Im Endeffekt war es doch wie mit der Schadenfreude: Man weiß, dass sie falsch ist, und dennoch genießt man sie auf eine spezielle Art. So, wie man Bitterschokolade genießt, die auch nie so wirklich schmeckt. Solange Rüdiger wusste, dass er sich falsch verhielt, war doch nichts dabei, ein wenig vom Triumph zu nippen.

Er schaute aus dem Fenster. Die Sonne schien. War es nicht ein wunderbarer Morgen, um auf dem Balkon zu frühstücken? Mit einer schwungvollen Handbewegung zog Rüdiger die Kühlschranktür auf und prüfte sogleich den Inhalt. Alles da. Mit einem geträllerten Bohemian Rhapsody auf den Lippen stellte er alles auf das leicht eingestaubte Tablett, das er kurz suchen musste, um es dann angelehnt neben dem Kühlschrank zu finden: Käse, ein wenig Schinken, Erdbeermarmelade, die selten gebrauchte Halbfettmargarine und natürlich das geschnittene Brot. Den Kaffee würde er sogleich nachholen. Mit dem Tablett voraus schob er sich auf den sonnenbeschienenen Balkon. Sofort fiel ihm das unschöne Bild auf: Was hatten all die leeren Kartons hier zu suchen? Unbedingt aufräumen, vermerkte Rüdiger sogleich auf seinem gedanklichen Notizblock. Wie lange er schon nicht mehr hier draußen gesessen haben musste. Fast drei Jahre musste das doch schon her sein. Er wischte den Gedanken rasch hinfort, zuckte mit der Schulter und ging wieder ins Haus, um den Kaffee zu holen.

Die Vögel sangen ihre Oden auf den Tag und das Leben, während die Sonne allmählich höher stieg und die Luft in ein warmes Kleid hüllte. Ein schöner Tag, doch den Kaffee hatte Rüdiger irgendwie heute nicht hinbekommen. Und das Brot musste wohl auch schon zu lange herumgelegen haben. Ihm schmeckte es heute einfach nicht, und so beschloss er, alles wieder abzuräumen. Der herrliche Tag ließ sich auch für einen Spaziergang nutzen.

Auf dem Weg nach draußen warf Rüdiger noch einmal einen flüchtigen Blick in die Zeitung. Elise Ritter. Schwarz hatte sie geheißen. Damals. Nicht mehr Krauss und schon gar nicht Ritter! Rüdiger warf die Tür zu und ging gemächlich die Hausflurtreppe herab. Another One Bites the Dust lag ihm auf den Lippen. Eigentlich war es doch ein Tag zum Feiern.

Irgendwie war der Stadtpark auch nicht mehr das, was er mal gewesen war, stellte Rüdiger schwermütig fest, nachdem er den verspielt verschnörkelten Weg inmitten durch die Wiesen, vorbei an Bäumen und dem großen Teich, ein Stück weit gegangen war. Die mussten hier umgebaut haben. Früher war das doch schöner gewesen. Und nun? Die ganze Atmosphäre hatten sie dem Park genommen. Warum betonierten sie ihn nicht gleich zu, wie auch den Rest der Stadt? Rüdiger fühlte sich sehr unbehaglich. Nein, ein Spaziergang hier war nicht das Wahre. Augenblicklich machte er kehrt und ging zurück nach Hause.

Immer wieder fiel sein Blick in die Zeitung. Ja, sie war gestorben. Einige Male blickte er auf das Telefon, das stumm blieb. Auch er rief niemanden an. Er würde den Tag einfach auf seiner Couch verbringen und ein wenig fernsehen. Vielleicht war das heute genau das Richtige, um die Jubelstimmung zu genießen.

Das Fernsehprogramm war wieder einmal fürchterlich. Typisch.

In der Nacht fand Rüdiger kaum Schlaf. Viel zu oft musste er sich eine verirrte Träne aus dem Augenwinkel wischen. Manchmal war es doch wie verhext, dachte er, als er gerade das Kissen herumdrehte, um auf der trockenen Seite liegen zu können. Da musste er doch tatsächlich weinen, ohne zu wissen, weshalb. An einem so wunderbaren Tag.

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Hörbuch

Über den Autor

PhanThomas
Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man trifft mich stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge an. Das scheint auf manche Menschen dermaßen gruselig zu wirken, dass die Plätze in der Bahn neben mir grundsätzlich frei bleiben. Und nein, ich stinke nicht, sondern bin ganz bestimmt sehr wohlriechend. Wer herausfinden will, ob er mich riechen kann, der darf sich gern mit mir anlegen. ich beiße nur sporadisch, bin hin und wieder sogar freundlich, und ganz selten entwischt mir doch mal so etwas ähnliches wie ein Lob. Nun denn, genug zu mir. Oder etwa nicht? Dann wühlt noch etwas in meinen Texten hier. Die sind, äh, toll. Und so.

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PhanThomas Re: Bin begeistert -
Zitat: (Original von Luzifer am 06.02.2010 - 17:22 Uhr) Dieses Spiel der Gefühle, die Verleumdung der Erinnerungen und der zwanghafte Versuch etwas als schön zu empfinden, was ihn doch so sehr trifft.
Hier hast du ein wirklich menschliches Verhalten wundervoll verarbeitet.
Ich kann nur nochmal wiederholen: bin begeistert.

LG
Luzifer

Hey Luzifer,

huh, danke schön! :-) Und ich weiß ja, dass es nicht so einfach ist, dich zu begeistern! :-) Umso schöner, wenn's hier mal funktioniert hat. Das war aber auch eine dieser Storys, von denen ich nach dem Schreiben selbst spüre, dass sie sich irgendwie richtig anfühlen.

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Bin begeistert - Dieses Spiel der Gefühle, die Verleumdung der Erinnerungen und der zwanghafte Versuch etwas als schön zu empfinden, was ihn doch so sehr trifft.
Hier hast du ein wirklich menschliches Verhalten wundervoll verarbeitet.
Ich kann nur nochmal wiederholen: bin begeistert.

LG
Luzifer
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: auch vergangenes -
Zitat: (Original von Himmelskind am 08.12.2009 - 13:07 Uhr) gehört zu uns..wird immer ein teil bleiben...nur manchmal müssen wir frieden schließen mit der vergangenheit um wieder frei zu werden...

lg

birgit

Hallo Birgit,

danke schön! Da gibt es einen passenden Spruch:

"Some people come into our lives and quickly go. Some stay for awhile and leave footprints on our hearts. And we are never, ever the same."

Trifft auch auf die schlechten Erinnerungen zu, nehme ich an. Aber frei werden kann man, ja. Das geht, und wenn es noch so lange dauert.

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Ein wunderbarer Tag... -
Zitat: (Original von verzaubert am 29.11.2009 - 21:30 Uhr) Lieber Thomas, das ist eine sagenhafte Story, die mir SEHR gut gefällt! Die Trennung von einem Menschen spricht uns nicht frei von verletzten Gefühlen... Rüdiger kann jetzt endlich um seine Elise trauern - zuvor war das aus Gründen von Stolz und verletzter Eitelkeit nicht möglich.
Wow, du hast mich wieder mal in deinen Bann gezogen:-)
Einen schönen 1. Adventsabend
deine Steffi

Hallo Steffi,

hab dank! Ist mir wie gesagt spontan beim Abendessen eingefallen. Stimmt, die Trennung spricht uns nicht frei - im Gegenteil. Vieles kocht dann eben hoch. Vieles von dem ist falsch, doch man kann es erst einmal nicht abstellen. Wenn einem das auch später nicht gelingt, vergiftet man sich selbst arg und steht dann irgendwann an dem Punkt, an dem der Rüdiger steht, bzw. stand.

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
verzaubert Ein wunderbarer Tag... - Lieber Thomas, das ist eine sagenhafte Story, die mir SEHR gut gefällt! Die Trennung von einem Menschen spricht uns nicht frei von verletzten Gefühlen... Rüdiger kann jetzt endlich um seine Elise trauern - zuvor war das aus Gründen von Stolz und verletzter Eitelkeit nicht möglich.
Wow, du hast mich wieder mal in deinen Bann gezogen:-)
Einen schönen 1. Adventsabend
deine Steffi
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: es ist ein wenig wir Sidartha -
Zitat: (Original von bartelsontour am 29.11.2009 - 15:57 Uhr) ... man muss sich erst durch die einzelnen Phasen des Lebens kämpfen und in dem eingenen "Djihad" (übrigens: dem Kampf im Inneren über seien Gefühle) verbrennen um aufzustehen. Alles ist recht und erlaubt es gehört dazu - später darf man es auch mal anders sehen - auch das gehört dazu...

Gruß, Ernst

Hallo Ernst,

danke für den tollen Kommentar. Der gefällt mir auf seine, hmm, alles gestattende Art, um selbst daran zu gesunden. Ja, da ist etwas sehr Wahres dran.

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
bartelsontour es ist ein wenig wir Sidartha - ... man muss sich erst durch die einzelnen Phasen des Lebens kämpfen und in dem eingenen "Djihad" (übrigens: dem Kampf im Inneren über seine Gefühle) verbrennen, um aufzustehen. Alles ist recht und erlaubt; es gehört dazu - später darf man es auch mal anders sehen - auch das gehört dazu...

Gruß, Ernst
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Man kann ... -
Zitat: (Original von Gunda am 29.11.2009 - 13:50 Uhr) ... eben sein Unterbewusstsein nicht betrügen.
Hm, alle Attribute, mit denen ich jetzt gerne deinen Text belegt hätte, haben Ingrid, Marion und Nele schon erwähnt.
Mache es mir einfach: Die haben Recht.
Text mit Tiefgang.
Lieben Gruß
Gunda

Hallo Gunda,

also du kannst mir ruhig auch gern noch ein wenig Honig ums Maul schmieren. ;-) Ich meine, wenn ich schon von dir träume... Hihi, nee, nur Spaß. Und ja, das Unterbewusstsein kann man nicht betrügen, das stimmt. Am Ende kommt es immer wieder durch - so wie ein Fettfleck. Hmm, das klingt negativ. Aber manchmal ist es auch negativ. In diesem Fall jedoch ist es eher etwas Gutes.

Liebe Grüße
Der Knoblauchsaucenmann ;-)
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Manchmal... -
Zitat: (Original von Eifelkaeuzchen am 29.11.2009 - 09:39 Uhr) bringt das ganze Selbstbelügen nicht mal für kurze Zeit ein wenig Trost.
Ein vom Thema her, wie ich finde schon sehr harter Text, der echt zum grübeln anregt. Wie würde man selber auf solch eine Nachricht reagieren, in solch einem Bezug zum Verstorbenen?
Und ist eine Beziehung zu einem Menschen wirklich vorbei, weil man sich von ihm getrennt hat? Wie sehr alte Gefühle einen doch immer wieder an Menschen binden, mit denen wir auch irgendwann gewiss mal schöne Zeiten erlebt haben. Egal, wie es ausgegangen ist.
Ein trauriger Text. Aber ein sehr sinniger.

Liebe Grüße

Nele

Hallo Nele,

ich bilde mir ein, dass es mal eine Zeit gab, in der es mich tatsächlich gefreut hätte, gewisse Menschen, hm, nicht unbedingt tot, aber doch sehr im Argen zu sehen - so krass das auch klingt. Aber ich habe auch nie behauptet, ein guter Mensch zu sein. Ein Teil von uns ist immer selbstsüchtig und so verletzlich, dass jegliche gesunde Moralvorstellung dahinter zurücktritt. Irgendwann kommt sie dann aber doch zurück, die Moral, die Erinnerung an das Gute, an das, wofür sich all die verlorene Zeit doch eigentlich gelohnt hat. Hab selbst lange gebraucht, um das zu erkennen. Aber man lernt ja doch immer irgendwie dazu, und das ist auch gut so. :-) Danke schön fürs Lesen auf jeden Fall. Ach so, thematisch passend lege ich dem geneigten Hörer übrigens "Opium fürs Volk" ans Herz. Schönes Album zum Thema "Mensch" von den Toten Hosen. Hihi, ich weiß, du liebst den Campino! Und ich meine nicht das Bonbon. :-D

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
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