Romane & Erzählungen
Die Sache mit der Einschulung - Erste Eindrücke, erstes Missvergnügen

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"Die Sache mit der Einschulung - Erste Eindrücke, erstes Missvergnügen"
Veröffentlicht am 27. November 2009, 6 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Geboren und aufgewachsen in Süddeutschland. Lange in Berlin und Hamburg gelebt, später in der Lüneburger Heide. Neuerdings wieder in Berlin. Autor von bisher drei Romanen, von Erzählungen und von Kurzprosa. Eine Buchveröffentlichung: Alle Männer sind Brüder, Roman (BoD Norderstedt 2007). Weitere Werke als eBooks unter www.bookrix.de/-arno.abendschoen gratis lesen und herunterladen!
Die Sache mit der Einschulung - Erste Eindrücke, erstes Missvergnügen

Die Sache mit der Einschulung - Erste Eindrücke, erstes Missvergnügen

Beschreibung

Wie die Dressur begann ...

Ich bin da. Ich bin da. Ich bin da. Ich … Ich bin nicht gern da, wo ich bin. Ich wäre gern woanders. Ich bin da nicht freiwillig. Sie haben mir eine große Tüte mitgegeben, voller Süßigkeiten. An einem der Bonbons werde ich mich an einem der kommenden Tage verschlucken. Er bleibt mir im Hals stecken, als ich auf der Straße herumgehe. Ich bitte schnell eine Nachbarin um ein Glas Wasser. Der Bonbon gibt die Speiseröhre wieder frei. Ich weiß dann, was Panik ist, das Gefühl zu ersticken.

 

Wir begannen sofort, schreiben zu lernen. Wir begannen mit einem ersten vollständigen kleinen Satz: Ich bin da. Ich bin da. Die ganze Schiefertafel voll. Ich bin eine wichtige Persönlichkeit. Alles dreht sich um mich. Ich soll schreiben, ich soll über mich schreiben. Ich soll mit ICH anfangen.

 

Ich habe den Schwindel sofort durchschaut. Wir waren weder zufällig noch freiwillig da. Ich hatte mir die anderen nicht ausgesucht, nicht die Mitschüler, nicht die Lehrer. Es war mir so bestimmt worden. Die Schultüte ein plumper Versuch der Bestechung. Auf mich kommt es gar nicht an.

 

Ich begriff, ich sollte meine rechte Hand auf meine kleine Schiefertafel legen und den Griffel genau so zwischen Daumen und Zeigefinger nehmen, wie der fremde, unsympathische ältere Mann es uns allen vormachte. Ich sollte es so wie er machen, ich sollte es wie alle hier machen. Ich sollte kleine Kringel und Krakel machen. Einigen stand schon der Eifer folgsamen Nachmachens ins Gesicht geschrieben. Ich empfand Abscheu. In mir empörte sich alles. Ich würde es nie so machen - ich würde es nie so machen können.

 

Am Nachmittag dieses furchtbaren Tages schlug ich meiner Oma vor, am kommenden Tag auf weitere Experimente mit mir zu verzichten. Zu Hause zu bleiben, erschien mir nicht nur gut möglich, sondern in jeder Hinsicht angebracht. Oma, bei der ich damals wohnte, überzeugte mich vom Gegenteil. Es war nicht die Logik ihrer Argumente – ich konnte sie nicht nachvollziehen -, es war der freundliche, verständnisvolle, begütigende Klang ihrer Stimme, der mich umstimmte. Und tatsächlich, die Schule fiel mir vom nächsten Tag an leicht.

 

Nur den Widerwillen gegen Schule an sich habe ich nie überwunden. Auf Klassenfotos bin ich immer am äußersten Rand zu finden. Ich bin da, aber ich wäre gern woanders.

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Hörbuch

Über den Autor

Abendschoen
Geboren und aufgewachsen in Süddeutschland. Lange in Berlin und Hamburg gelebt, später in der Lüneburger Heide. Neuerdings wieder in Berlin. Autor von bisher drei Romanen, von Erzählungen und von Kurzprosa. Eine Buchveröffentlichung: Alle Männer sind Brüder, Roman (BoD Norderstedt 2007). Weitere Werke als eBooks unter www.bookrix.de/-arno.abendschoen gratis lesen und herunterladen!

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Gunda Re: Re: Lach ... -
Zitat: (Original von Abendschoen am 27.11.2009 - 21:31 Uhr)
Zitat: (Original von Gunda am 27.11.2009 - 19:21 Uhr) ... ich denke mal, das ist eine authentische Geschichte?
Sei dem unsympathischen älteren Mann man dankbar, Arno Abendschön. Hätte er dich keine Kringel malen lassen, hättest du sie später nicht zu Buchstaben, Worten, Geschichten formen können - fürchterliche Vorstellung :o))

Lieben Gruß
Gunda


Ja, Gunda, mit der autobiographischen Wahrheit ist das so eine Sache. Einerseits hält man sich an die Vorlage (ich war damals tatsächlich gleich so angewidert, dass ich nie mehr hingehen wollte), andererseits gestaltet man doch aus dem heutigen Bewusstsein heraus. So ist alles wahr und gleichzeitig verfälscht. Beispiel: der Lehrer - vermutlich ist er mir erst im Lauf der Jahre unsympathisch geworden. Und die Mitschüler habe ich wohl auch nur allmählich so kritisch sehen gelernt. Aber die Sache mit Oma, die war ganz so wie hier beschrieben, versichert Arno Abendschön (bzw. sein bürgerlicher Doppelgänger).


Grins: Ich plane im Moment gerade wieder ein Klassentreffen - da ich "am Ort" geblieben bin, wurde ich dazu verdonnert, alle fünf Jahre wieder zu versuchen, die sich inzwischen geändert habenden Adressen (oh, Himmel, welche Formulierung) erneut zu recherchieren und eben diese Treffen zu organisieren - und ich glaube, du hast Recht, wenn ich mir die Aussage in deinem Re-Kommi an Jürgen ansehe. Manchen Gesichtern meint man (im Nachhinein versteht sich) ansehen zu können, welcher Typ Erwachsener sich später daraus entwickeln würde. ("War ja klar, dass der mal auf die schiefe Bahn geraten würde, schau dir nur mal diese stechenden Augen an ..." oder: "klar, war früher schon die Streberin. Alleine diese Brille - die MUSSTE mal Karriere machen ..." etc.)

Ich hoffe nur, von den ehemaligen Klassenkameraden hat niemand mein ziemlich authentisches "Klassentreffen"-Gedicht gelesen ...

Lieben Gruß an Arno Abendschön und den bürgerlichen Doppelgänger
Gunda

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Abendschoen Re: Lach ... -
Zitat: (Original von Gunda am 27.11.2009 - 19:21 Uhr) ... ich denke mal, das ist eine authentische Geschichte?
Sei dem unsympathischen älteren Mann man dankbar, Arno Abendschön. Hätte er dich keine Kringel malen lassen, hättest du sie später nicht zu Buchstaben, Worten, Geschichten formen können - fürchterliche Vorstellung :o))

Lieben Gruß
Gunda


Ja, Gunda, mit der autobiographischen Wahrheit ist das so eine Sache. Einerseits hält man sich an die Vorlage (ich war damals tatsächlich gleich so angewidert, dass ich nie mehr hingehen wollte), andererseits gestaltet man doch aus dem heutigen Bewusstsein heraus. So ist alles wahr und gleichzeitig verfälscht. Beispiel: der Lehrer - vermutlich ist er mir erst im Lauf der Jahre unsympathisch geworden. Und die Mitschüler habe ich wohl auch nur allmählich so kritisch sehen gelernt. Aber die Sache mit Oma, die war ganz so wie hier beschrieben, versichert Arno Abendschön (bzw. sein bürgerlicher Doppelgänger).
Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Re: wunderbare Analyse -
Zitat: (Original von Boris am 27.11.2009 - 19:21 Uhr) aus einer Zeit, wo das Kleine "es" noch null Chance hatte...


LG JFW


Danke, Boris. Was ich erschreckend finde: dass in diesem zarten Alter die Grundzüge der Persönlichkeit schon erkennbar sind. Ich denke, Menschen entwickeln sich nur in einem äußerlichen Sinn. Sehe ich mir Klassenfotos von anderen an, glaube ich selbst von diesen unfertigen Gesichtern ihre spätere Geschichte ablesen zu können. Fürchterlich. - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Lach ... - ... ich denke mal, das ist eine authentische Geschichte?
Sei dem unsympathischen älteren Mann man dankbar, Arno Abendschön. Hätte er dich keine Kringel malen lassen, hättest du sie später nicht zu Buchstaben, Worten, Geschichten formen können - fürchterliche Vorstellung :o))

Lieben Gruß
Gunda
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Boris wunderbare Analyse - aus einer Zeit, wo das Kleine "es" noch null Chance hatte...


LG JFW
Vor langer Zeit - Antworten
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