Beschreibung
Er stoppte das Video bei 18:05:00 und betrachtete stumm das eingefrorene Bild. Das war sie, da war er sich sicher. Die junge Frau, die das Bild zeigte, blickte genau in die Kamera. Sie wirkte ganz normal, nahezu unauffällig. Viel zu unauffällig...
Er stoppte das Video bei 18:05:00 und betrachtete stumm das eingefrorene Bild. Das war sie, da war er sich sicher. Die junge Frau, die das Bild zeigte, blickte genau in die Kamera. Sie wirkte ganz normal, nahezu unauffällig. Viel zu unauffällig. Er ließ die Aufnahme langsam weiter laufen. Die Frau sah sich um, bevor sie das Gebäude betrat. Sie suchte offensichtlich nach weiteren Kameras. Wieso machte sie die Kameras offensichtlich ausfindig, wich ihnen aber nicht aus? Er fror das Bild erneut ein und öffnete das Standardprogramm zur Bildbearbeitung, das heutzutage auf nahezu jedem PC installiert ist. Das Können dieses Programms reichte völlig aus, um das eingefrorene Bild zu vergrößern und auszuschneiden. Er speicherte die Datei und stellte die Verbindung zum Internet her. Dort loggte er sich auf dem Sicherheitsserver seiner Dienststelle der Polizei ein und griff auf die Datenbank zu. Er kopierte ihr Bild in den Datensatz und ließ nach Übereinstimmungen suchen. Nach wenigen Minuten öffnete sich ein neues Fenster und die Daten seiner, bis vor kurzem noch geheimnisvollen, Besucherin erschienen auf dem Bildschirm. Sahra Baker, 31 Jahre alt. Als er den Blick über die wenigen Zeilen zu ihrer beruflichen Tätigkeit schweifen ließ, stockte ihm der Atem. Sie leitet den Service. Sie hatte gesagt, dass er für sie arbeiten solle. Er konnte sich genau vorstellen, was das hieß: Sie suchte einen neuen Agenten. Der „Service“ ist eine staatliche Institution, mit höherer Autorität als die Polizei sie hat. Seine Mitarbeiter stehen zumeist im Dienst des Außenministeriums, und haben den Auftrag den Terror vom Staat fernzuhalten. Dieser Auftrag hat höchste Priorität und egal welche Mittel eingesetzt werden müssen, sie werden bereitgestellt. Sie wollte ihn also als Teil dieses Systems... er wusste nicht, was er von all dem halten sollte. Seit wann werden potentielle Agenten sozusagen von der Straße aufgelesen? Schließlich kommt man nicht einfach so zum Service. Nach dem, was er gehört hatte, musste man einen wirklich tadellosen Lebenslauf vorweisen. Hohe Bildung, keine Strafanzeigen, physische und psychische Topform und man musste die Akademie besuchen und die Ausbildung dort soll wahrlich kein Spaß sein.
Er löschte seine Daten aus dem Speicher des Browsers, nahm die DVD mit den Aufnahmen der Überwachungskamera aus dem Laufwerk und schaltete den PC aus. Er stattete dem Büro des Wachdienstes einen kurzen Besuch ab, und plauderte kurz mit dem Nachtwächter, während er die DVD unbemerkt wieder an ihren Platz zurücklegte. Danach ging er ebenso unbemerkt zurück auf sein Zimmer und legte sich ins Bett. Der Regen, der krönende Abschluss eines trüben Novembertages, trommelte an die Fenster und er hing seinen Gedanken an die fremde Frau und ihren Worten nach, bevor er langsam die Schwelle hinüber in das Reich der Träume überschritt und einschlief.